MFG - Glanzstoff: Der Gestank geht, was kommt?
Glanzstoff: Der Gestank geht, was kommt?


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St. Pöltens gute Seite

Glanzstoff: Der Gestank geht, was kommt?

Text Eva Seidl
Ausgabe 10/2008

Mit Ende des Jahres schließt die Glanzstoff-Fabrik nach 104 Jahren endgültig ihre Tore. Das Gelände trennt die Innenstadt vom Handelsviertel um den Traisenpark. Noch ist ungeklärt, was mit Gebäude und Grund passieren soll. MfG machte sich bei Experten und Involvierten schlau.

Die Revitalisierung von Industriegrundstücken ist in den letzten Jahrzehnten in vielen europäischen Städten zum Thema geworden. Prof. Gerhard Stadler, Experte im Bereich Industriearchäologie an der TU Wien, erklärt: „Es gibt Tausende Beispiele, weil das Thema über Europa hinaus auch auf anderen Kontinenten wichtig geworden ist. Diese Fabriken stellen großes Investitionskapital dar. Es ist wichtig, dass man sie nicht einfach demoliert und abreißt, sondern durch entsprechende bauliche Maßnahmen revitalisiert und wiederbelebt.“

International
Als Beispiele nennt Stadler etwa den IBA Emscher Park im Ruhrgebiet. Hier wurde in den Jahren 1989 bis 1999 eine Restrukturierung des Schwerindustriegebiets an der Ruhr eingeleitet. Im einst größten Industriegebiet Europas wurde nicht nur ein punktueller Eingriff bei einigen stillgelegten Industriestandorten oder Hüttenwerken durchgeführt, sondern ein Strukturwandel eingeleitet, der auch die dortige Gesellschaft einschließt und beeinflusst. „Ähnliche Phänomene gibt es auch bei unseren nördlichen Nachbarn in Mähren/Schlesien, etwa das riesige Industriegebiet in Ostrawa, oder auch im Süden Polens, wo die Industrie weitgehendgehend stillgelegt wurde und eine Neustrukturierung der gesamten Region versucht werden muss,“ erklärt Stadler. Aber auch in Österreich gäbe es ausreichend Vorbilder, etwa die „Kirche in der Tuchfabrik“ im Linzer Stadtteil Auwiesen (siehe Kasten). Dazu Stadler: „Hier ist die Kirche als belebendes und neues Element in die alte Fabrik eingezogen und das funktioniert dort wunderbar.“
Norbert Steiner war Stadtplaner in St. Pölten und ist derzeit bei ÖBB Immobilien für die Bahnhofsoffensive zuständig. Er sieht eine Riesenchance für St. Pölten: „Alle zehn Jahre sorgt sich St. Pölten, ob die Zahl der 50.000 Einwohner gehalten werden kann. Jetzt wäre es Zeit für eine Wohnungsoffensive. Das Gelände ist innenstadtnah und kann auch als Ergänzungsfläche für das Krankenhaus oder die Fachhochschule genutzt werden.“ Er sieht im Norden der Stadt noch weiteres Potential: „Dort sind die schönsten Freizeiteinrichtungen, der See und das Einkaufen. Bevor man ganz im Süden oder Norden etwas Neues plant, wäre es viel besser, dieses Gelände in der Stadt dafür zu nutzen.“

Trennungen aufheben
Stadtplaner Jens de Buck vom Magistrat St. Pölten sieht grundsätzlich zwei Möglichkeiten für das Gelände: „Das eine wäre eine weitere gewerbliche Nutzung widmungsgemäß durch einen alternativen Betrieb, das wünschen wir uns allerdings eher nicht. Das Gelände beitet viel höherwertigere Nutzungsmöglichkeiten, wir denken an eine multifunktionale Nutzung.“ Dabei soll jedenfalls Wohnen im Vordergrund stehen, die Bestandsobjekte aber weiter genutzt werden, möglicherweise auch für Kultur. Die Erhaltung des Altbestandes sei wichtig, so de Buck: „Damals (1904) handelte es sich um eine Industriegründung auf der grünen Wiese, das war für die städtebauliche Entwicklung entscheidend. Die nördlichen Randbereiche grenzen an den Traisenpark, da wäre auch eine Nutzung durch den Handel möglich.“ Die Integration eines Gastronomiebetriebes auf dem Gelände zeige bereits den Weg in die richtige Richtung.
Wichtig sei aus seiner Sicht vor allem die Durchwegung des Geländes. „Die Trennung zwischen Innenstadt und Traisenpark durch das Gelände sollte in jedem Fall aufgehoben werden, das Gelände soll kein geschlossener Körper bleiben. Wenn wir unterschiedliche Nutzungen wollen, müssen wir auch ausreichend Straßen und Wege schaffen.“ An dieser Stelle wirft de Buck auch noch die Frage der Bodenkontamination auf: „Darüber wissen wir momentan praktisch gar nichts. Es wird noch viel Klärungsbedarf geben, das ist die große Unbekannte.“

Historisch oder modern?
In erster Linie ist nun eine Analyse des Geländes und der darauf befindlichen Gebäude notwendig. Gerhard Stadler präzisiert: „Die Stadtverwaltung muss analysieren, was dem Stadtviertel fehlt und den Bedarf ermitteln. Natürlich muss man auch den architektonischen Wert der Gebäude feststellen.“ Es handelt sich um einen komplexen und langwierigen Prozess. Machbarkeitsstudien müssten in Abstimmung mit der Stadtplanung gebracht werden, um zu einer „realisierbaren und ökonomisch leistbaren Adaptierung“ zu kommen.
Ähnlich argumentiert auch Norbert Steiner: „Auch wenn jetzt nicht gerade die beste Zeit für Immobilieninvestitionen sein mag, sollte die Stadt gemeinsam mit Investoren einen Masterplan anstreben. Das Gelände hat sicher eine Attraktivität.“ Auch das Krankenhaus und die Fachhochschule sollten in die Gespräche mit einbezogen werden. „Der Gemeinderat sollte diesen Masterplan als Orientierung beschließen, damit alle Beteiligten  und natürlich speziell die Investoren auch wissen woran sie sind. Das ist das Fundament für eine geordnete Entwicklung.“

Ausgebremst
Glanzstoff-Eigentümer Cornelius Grupp war für eine Stellungnahme leider nicht zu erreichen. Dieter Kirchknopf von Glanzstoff Austria winkt im Hinblick auf die Frage, wie es weitergehen soll, sofort ab: „Es ist noch viel zu früh, um darüber zu reden. Wir müssen erst mal bis zum Jahresende, wie geplant, die Produktion beenden, erst dann wird man sich Gedanken machen müssen.“ Man werde verschiedene Überlegungen prüfen. Auch über seine eigenen Ideen möchte er nichts sagen: „Natürlich handelt es sich um ein zentrales Grundstück zwischen Traisen-Center und Innenstadt. Aber ich möchte auch erstmal in der Zeitung lesen, was alles angedacht werden könnte.“
Auch Stadtplaner de Buck steigt aufs Bremspedal: „Wir können derzeit gar nichts machen. Das Areal gehört der Firma Glanzstoff, wir haben dort weder Planungs- noch Gestaltungshoheit.“ Gespräche habe es noch keine gegeben, dafür sei es noch zu früh. Auf die Frage, ob die Stadt am Kauf des Geländes interessiert sei, weiß de Buck auch keine Antwort: „Aufgrund der Lage dürfte das Gelände recht teuer werden, ich weiß nicht, inwiefern sich die Stadt das leisten kann oder will. Wir brauchen auf jeden Fall eine professionelle Projektentwicklung für das Gelände, wir brauchen das Entwicklungspotential und diese Flächen für die nächsten Jahrzehnte!“
Gerhard Stadler schließt sich dieser Meinung an: „Das Gelände ist sehr wichtig, es sollte kein Abbruchgebiet werden. Wenn wir etwas beitragen können, kooperieren wir gerne mit St. Pölten. Man sollte auf jeden Fall die Chance nutzen, dieses Gebiet sinnvoll in die Stadt zu integrieren!“ Das dürfte wohl eine Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte sein.

  Infos zum Thema:
Revitalisierungsbeispiele
Linz

Im Jahr 1996 begann die Planung für die ungewöhnliche Heimat der Pfarre Auwiesen: das Areal der ehemaligen Tuchfabrik.
Die Revitalisierung des Hauptgebäudes wurde von der Firma AREF in enger Zusammenarbeit mit der Pfarre Auwiesen sowie dem Baureferat der Diözesanfinanzkammer bewerkstelligt. Im Oktober 1999 konnte das Pfarrzentrum eingesegnet werden, ein Jahr später, im November 2000 wurde das Kids-Zentrum „Turbine“ eröffnet. Im März 2003 wurde schließlich das Café in der Tuchfabrik eröffnet.

Ruhrgebiet
Die Internationale Bauaustellung (IBA) Emscher Park war ein Zukunftsprojekt des Landes Nordrhein-Westfalen in den Jahren 1989 bis 1999. Ziel war das Setzen von neuen Impulsen durch Projekte im städtebaulichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich in der Emscher-Region im nördlichen Ruhrgebiet.
Infrastrukturprojekte wie die Jahrhunderthalle in Bochum, der Gasometer in Oberhausen und der Landschaftspark Nord in Duisburg sind aus dem Projekt hervorgegangen. (Quelle Wikipedia)

Dresden
Im Dresdner Stadtteil Alberstadt wird das ehemalige Arsenal und die Artilleriewerkstätten zu einem „Szeneviertel“ umgebaut. Mitte der 90er Jahre begann die kulturelle Nutzung einiger leerstehenden Hallen durch Vereine sowie für Partys und Konzerte. Schrittweise soll das gesamte Industriegelände revitalisiert werden, wobei die denkmalgeschützten Gebäude in die Neugestaltung einbezogen werden. Ein Werkstattkomplex für Oldtimer, Garagen, Restaurants, ein Veranstaltungskomplex sowie ein im Stil der 50er-Jahre eingerichtetes Hotel sollen entstehen.