Lookout
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Während unten vorm WIFI schon gut zwei Dutzend junger Leute Unterrichtspause machen, sich die Sonne ins Gesicht scheinen lassen, entspannt plaudern oder einen genüsslichen Zug von der Zigarette nehmen, herrscht oben im ersten Stock, dem Reich der New Design University (NDU), noch gähnende Leere. Kein Student weit und breit – dafür tüftelt der neue Rektor, Stephan-Schmidt Wulffen, bereits an der Zukunft der Hochschule. Ein Antrittsbesuch.
Der neue Leiter begrüßt uns in grau-gestreiftem Zwirn, dynamisch geschnitten, weißem Hemd, dessen oberster Knopf lässig geöffnet ist, freundlich-wachsamen Augen, die hinter der schwarzen Rahmenbrille hervorblitzen, und einem gewinnenden Lächeln. „Hier ist noch alles sehr provisorisch“, meint er fast entschuldigend mit Blick auf sein klinisch-aufgeräumtes Büro. Ein Bild hat der Rektor trotzdem schon aufgehängt – es zeigt einen Stuhl in einem großen, leeren Raum, an dessen Wand in großen Lettern „LOOKOUT“ prangt. Das Wort kann man auf mehrere Arten übersetzen: Beobachtungsposten, Wache. Am besten trifft es aber wohl Aussichten – was man auch als klares Statement interpretieren könnte.
Von der Größe des Kleinen
„Ich bin ja Teilzeit-Rektor“, lacht Schmidt-Wulffen mit Verweis auf sein offizielles Beschäftigungsverhältnis. So schön hatte er sich das ausgemalt: „Die andere Hälfte sollte fürs Unterrichten, Schreiben und Publizieren zur Verfügung stehen.“ Man beachte den Konjunktiv! Aktuell nimmt die NDU nämlich „ungeschaut“ Schmidt-Wulffens komplette 100% Arbeitskraft in Anspruch. Dass der Deutsche dabei – bildlich gesprochen – vom geräumigen, edel ausgestatteten S-Klasse-Mercedes „Akademie der Bildenden Künste“, deren Geschicke er die letzten 10 Jahre als Rektor lenkte, nunmehr in den deutlich engeren, noch nicht gänzlich ausgereiften NDU-Golf wechselt, mag die besondere Herausforderung der neuen Aufgabe darstellen. „Ich nehme das sportlich“, schmunzelt er im Hinblick auf den offensichtlichen Niveauunterschied, und vermittelt im selben Atemzug seine Überzeugung, dass Größe allein dennoch nicht alles ist. „Es stimmt schon: Die Akademie hat ein Budget von 20 Millionen Euro, 300 Mitarbeiter – dafür ist aber alles sehr gesettled. Da spielen sich Entscheidungen auf der Ebene ‚Holen wir nun den Professor aus London oder doch den aus Berlin‘ ab“, verweist er auf ein gewisses, leicht ödes „Luxusproblem“ der Großen, mit dem er sich in der Provinz sicher nicht wird herumschlagen müssen. „Aber es muss auch unser Ehrgeiz sein, dass hier hervorragende Leute lehren. In Wien regelt man das übers Geld, das können wir nicht. Daher müssen wir kreativer, origineller, beweglicher sein!“, gibt der Rektor die Marschrichtung vor.
Und wie möchte er das bewerkstelligen? Hinter allen Überlegungen Schmidt-Wulffens scheint als oberste Prämisse „Profil schärfen“ durchzuschimmern. In einem ersten Schritt – um auf die eingeführte Autometapher zurückzukommen – möchte der Rektor alles zerlegen, jeden Bestandteil auf seine Sinnhaftigkeit hin überprüfen. Danach wird wieder zusammengebaut, werden gewisse Teile ersetzt, Neue hinzugefügt, veraltete Systeme möglicherweise gänzlich durch zeitgemäße ausgetauscht. „Man hat die NDU in den letzten Jahren wachsen lassen – das war gut. Aber vieles ist Stückwerk. Jetzt ist es an der Zeit, richtige Universitätsstrukturen zu implementieren.“ Dies betreffe u. a. auch das Bildungsangebot an sich. So gehen dem Rektor in einigen Bereichen weiterführende Master-Programme ab, manche möchte er ganz neu installieren. Und er scheut auch nicht davor zurück, Grundsätzliches zu hinterfragen: „Wir haben Techniker, Designer und Architekten – drei ganz wesentliche Standbeine, die unsere Uni stark machen. Vielleicht ist aber die starre Gliederung in Fakultäten nicht mehr zeitgemäß, wären Module sinnvoller, die die Studierenden frei zusammenwürfeln.“ Nicht Mono-Spezialisten, sondern Querdenker sind gefragt!
Auch eine gewisse Emanzipation vom WIFI erscheint dem Rektor notwendig, um an Profil zu gewinnen. „Das WIFI unterstützt uns großartig, aber wir stehen in seinem Schatten, werden oft nur als die kleine Tochter wahrgenommen.“ Der geplante Neubau soll diesbezüglich Abhilfe schaffen, „weil ein eigenes Gebäude im öffentlichen Bewusstsein Identität schafft!“ Dass die aktuellen Pläne einmal mehr eine räumliche Koexistenz mit WIFI-Einrichtungen vorsehen, kommentiert der Rektor mit einem diplomatischen Lächeln: „Wir arbeiten daran.“
Die Frage, ob St. Pölten nicht prinzipiell zu klein sei, um international reüssieren zu können und zur Pilgerstätte für Designstudenten zu werden, gar von sich aus Impulse in die Welt zu setzen, lässt er nicht gelten. „Zum einen wird das Internet auch für die Unis immer wichtiger. Viel passiert heute online. Zum anderen denken Sie an berühmte Kunstschulen wie etwa Bauhaus – Weimar war früher absolut auf dem Land. Oder die Ulmer Schule, oder das Black Mountain College. Das war irgendwo im letzten Wald versteckt damals. Dennoch brachten gerade diese Schulen die Topleute ihrer Generation hervor, entwickelten und verkauften die zentralen Ideen ihrer Zeit, gaben die entscheidenden Antworten auf gesellschaftliche Fragen.“ Alles ist Design
Design als Antwort auf gesellschaftliche Fragen? Ist das nicht ein bisschen hochgegriffen, wo es sich doch eher um eine rein ästhetische Angelegenheit handelt? Schmidt-Wulffen widerspricht vehement. „Design ist eine komplexe konzeptionelle Aufgabe, die im politischen Spannungsfeld steht. Die Frage ist, ob ich als Designer ein Bewusstsein für den politischen Stellenwert meiner Arbeit habe: Will ich mit dem Design etwas bewirken, verändern, erleichtern – oder bin ich ein bloßer Dekorateur für Innenräume. So betrachtet ist das Dekorative die große Gefahr, nicht das Design oder die Ästhetik an sich.“
Ganz im Gegenteil spiele Design heute geradezu eine Schlüsselrolle, habe in seinen, des Kunsttheoretikers Augen sogar die Kunst als treibende gesellschaftsverändernde Kraft abgelöst. „Denn während der Künstler in seinem Studio verharrt, geht der Designer auf die Straße. Design bildet letztlich ein Dach über eine Gesellschaft, die über materielle Sachen gelenkt und geordnet wird.“ Und ist aus diesem Blickwinkel für alles und jedes relevant. Zur Veranschaulichung nimmt der Rektor die am Tisch stehende Tasse in die Hand: „Die Grundfrage ist ja immer: Was ist ein Ding? Nehmen wir z. B. diese Tasse. Da wird man antworten, das ist ein Gebrauchsgegenstand, den ich zur Hand nehme, weil ich ihn möglicherweise schön finde, vielleicht noch, weil er funktional ist, einen Henkel hat. Aber warum hat er überhautp einen Henkel? In Wahrheit sitzt der Designer heute nicht mehr im Studio und denkt sich einen Henkel aus, der schön ausschaut, sondern er blickt hinaus in die Welt, beobachtet und hinterfragt, ob die Leute überhaupt noch einen Henkel brauchen, oder ob nicht vielleicht etwas anderes wichtig ist, das Leben erleichtert – das heißt der Designer organisiert und reflektiert auf die reale Welt hin, und nicht umgekehrt!“ Design zieht seine Aufgabenstellung also direkt aus der Basis, dem Leben. „Oder nehmen Sie den Fußball. Das Interessante am Fußball ist ja nicht, wie er aussieht, sondern wie er die Wirklichkeit auf dem Rasen ordnet. In Wahrheit ist der Fußball der Hauptdarsteller, er organisiert das Geschehen, 22 Leute rennen ihm nach, alles dreht sich um den Ball – er gibt also die Konstellationen am Platz vor. Genau so denken wir Designer.“
Und nun bringt der Rektor wieder St. Pölten, die NDU ins Spiel, an der genau jene Verschränkung von Design, Technik und Architektur gegeben sei, die in Zukunft unumgänglich zur Lösung der anstehenden Probleme sein wird. „Das ist unsere große Chance. Wenn wir hier gut sind, liegen wir genau am Puls der Zeit, sind mittendrin!“
Wobei das unmittelbare „Anwendungslabor“ der Universität zunächst der Raum vorort ist, also die Stadt St. Pölten, das Land Niederösterreich. Schmidt-Wulffen macht – aus seinem Verständnis, was eine Uni gesellschaftlich zu leisten hat – kein Hehl daraus, dass er sich mit der NDU in Hinkunft in die diversen Diskurse, indirekt auch die politischen aktiv einschalten möchte. „Eine Universität ist ein Ort kritischer Auseinandersetzung, ein Ort der offenen Diskussion. Ich wüsste gar nicht, wie wir nicht das politische Leben mit beeinflussen sollten. Wir wollen uns einbringen, teilhaben!“
Außerdem verstehe sich die NDU als Schnittstelle zu den Unternehmen. „Wir machen ja auch Grundlagenforschung für Betriebe, die sich das sonst nicht leisten könnten.“ Den Output aus diesen wie auch anderen Aufgabenstellungen möchte Schmidt-Wulffen aber nicht im stillen Kämmerlein versickern lassen, sondern ihm schwebt „ein Futurelab in der City vor, wo wir diese Fragen diskutieren, durchdenken und öffentlich machen – z. B. in einem Schaufenster visualisieren.“ Kurzum, die NDU soll auch in der Stadt mittels einer Dependance räumlich greifbar werden, „damit die Leute wissen, was wir überhaupt machen.“ Der Rektor zeigt sich diesbezüglich auch von Konzepten wie jenem des Stararchitekten Rem Koolhaas angetan. „Er hat die neue Architekturschule in Moskau innerhalb von drei Monaten auch emotional verankert, indem er in der Stadt eine sehr gute Bar designt hat, wo regelmäßig Clubbings stattfinden.“ Nachsatz, der stellvertretend für des Rektors generell offene Haltung stehen mag: „Du solltest als Universität keine Berührungsängste haben!“
Am Ende des Gesprächs fällt mein Blick noch einmal auf das Bild an der Wand, bleibt am Wort LOOKOUT hängen. Die Aussichten für die NDU, und damit die gesamte Region, scheinen mit einem Mann vom Kaliber und Horizont eines Stephan Schmidt-Wulffen nicht übel. Bleibt zu hoffen, dass niemand die Aussicht durch kleinkarierte Unwägbarkeiten verstellt. Dann könnte – man wird noch träumen dürfen – die NDU sogar ein neues BAUHAUS werden! Zur Person:
1951 in Witten/Ruhr geboren. Besuch des Gmynasiums, Studium der Sprachwissenschaft und Philosophie in Köln und Konstanz, Kommunikationsdesign in Wuppertal. Schmidt Wulffen arbeitete als Kulturjournalist, Kunstkritiker, sowie Direktor des Kunstverein Hamburg. Seit 1988 Lehre an diversen Hochschulen, Berufung in mehrere Universitäts- und Kunstgremien (u. a. Wissenschaftlicher Beirat der UNESCO). Von 2002 – 2012 Rektor der Akademie der Bildenden Künste Wien. Seit Mai 2012 Rektor der NDU St. Pölten. Umfangreiche Ausstellungs- und Publikationstätigkeit.
„Ich bin ja Teilzeit-Rektor“, lacht Schmidt-Wulffen mit Verweis auf sein offizielles Beschäftigungsverhältnis. So schön hatte er sich das ausgemalt: „Die andere Hälfte sollte fürs Unterrichten, Schreiben und Publizieren zur Verfügung stehen.“ Man beachte den Konjunktiv! Aktuell nimmt die NDU nämlich „ungeschaut“ Schmidt-Wulffens komplette 100% Arbeitskraft in Anspruch. Dass der Deutsche dabei – bildlich gesprochen – vom geräumigen, edel ausgestatteten S-Klasse-Mercedes „Akademie der Bildenden Künste“, deren Geschicke er die letzten 10 Jahre als Rektor lenkte, nunmehr in den deutlich engeren, noch nicht gänzlich ausgereiften NDU-Golf wechselt, mag die besondere Herausforderung der neuen Aufgabe darstellen. „Ich nehme das sportlich“, schmunzelt er im Hinblick auf den offensichtlichen Niveauunterschied, und vermittelt im selben Atemzug seine Überzeugung, dass Größe allein dennoch nicht alles ist. „Es stimmt schon: Die Akademie hat ein Budget von 20 Millionen Euro, 300 Mitarbeiter – dafür ist aber alles sehr gesettled. Da spielen sich Entscheidungen auf der Ebene ‚Holen wir nun den Professor aus London oder doch den aus Berlin‘ ab“, verweist er auf ein gewisses, leicht ödes „Luxusproblem“ der Großen, mit dem er sich in der Provinz sicher nicht wird herumschlagen müssen. „Aber es muss auch unser Ehrgeiz sein, dass hier hervorragende Leute lehren. In Wien regelt man das übers Geld, das können wir nicht. Daher müssen wir kreativer, origineller, beweglicher sein!“, gibt der Rektor die Marschrichtung vor.
Und wie möchte er das bewerkstelligen? Hinter allen Überlegungen Schmidt-Wulffens scheint als oberste Prämisse „Profil schärfen“ durchzuschimmern. In einem ersten Schritt – um auf die eingeführte Autometapher zurückzukommen – möchte der Rektor alles zerlegen, jeden Bestandteil auf seine Sinnhaftigkeit hin überprüfen. Danach wird wieder zusammengebaut, werden gewisse Teile ersetzt, Neue hinzugefügt, veraltete Systeme möglicherweise gänzlich durch zeitgemäße ausgetauscht. „Man hat die NDU in den letzten Jahren wachsen lassen – das war gut. Aber vieles ist Stückwerk. Jetzt ist es an der Zeit, richtige Universitätsstrukturen zu implementieren.“ Dies betreffe u. a. auch das Bildungsangebot an sich. So gehen dem Rektor in einigen Bereichen weiterführende Master-Programme ab, manche möchte er ganz neu installieren. Und er scheut auch nicht davor zurück, Grundsätzliches zu hinterfragen: „Wir haben Techniker, Designer und Architekten – drei ganz wesentliche Standbeine, die unsere Uni stark machen. Vielleicht ist aber die starre Gliederung in Fakultäten nicht mehr zeitgemäß, wären Module sinnvoller, die die Studierenden frei zusammenwürfeln.“ Nicht Mono-Spezialisten, sondern Querdenker sind gefragt!
Auch eine gewisse Emanzipation vom WIFI erscheint dem Rektor notwendig, um an Profil zu gewinnen. „Das WIFI unterstützt uns großartig, aber wir stehen in seinem Schatten, werden oft nur als die kleine Tochter wahrgenommen.“ Der geplante Neubau soll diesbezüglich Abhilfe schaffen, „weil ein eigenes Gebäude im öffentlichen Bewusstsein Identität schafft!“ Dass die aktuellen Pläne einmal mehr eine räumliche Koexistenz mit WIFI-Einrichtungen vorsehen, kommentiert der Rektor mit einem diplomatischen Lächeln: „Wir arbeiten daran.“
Die Frage, ob St. Pölten nicht prinzipiell zu klein sei, um international reüssieren zu können und zur Pilgerstätte für Designstudenten zu werden, gar von sich aus Impulse in die Welt zu setzen, lässt er nicht gelten. „Zum einen wird das Internet auch für die Unis immer wichtiger. Viel passiert heute online. Zum anderen denken Sie an berühmte Kunstschulen wie etwa Bauhaus – Weimar war früher absolut auf dem Land. Oder die Ulmer Schule, oder das Black Mountain College. Das war irgendwo im letzten Wald versteckt damals. Dennoch brachten gerade diese Schulen die Topleute ihrer Generation hervor, entwickelten und verkauften die zentralen Ideen ihrer Zeit, gaben die entscheidenden Antworten auf gesellschaftliche Fragen.“ Alles ist Design
Design als Antwort auf gesellschaftliche Fragen? Ist das nicht ein bisschen hochgegriffen, wo es sich doch eher um eine rein ästhetische Angelegenheit handelt? Schmidt-Wulffen widerspricht vehement. „Design ist eine komplexe konzeptionelle Aufgabe, die im politischen Spannungsfeld steht. Die Frage ist, ob ich als Designer ein Bewusstsein für den politischen Stellenwert meiner Arbeit habe: Will ich mit dem Design etwas bewirken, verändern, erleichtern – oder bin ich ein bloßer Dekorateur für Innenräume. So betrachtet ist das Dekorative die große Gefahr, nicht das Design oder die Ästhetik an sich.“
Ganz im Gegenteil spiele Design heute geradezu eine Schlüsselrolle, habe in seinen, des Kunsttheoretikers Augen sogar die Kunst als treibende gesellschaftsverändernde Kraft abgelöst. „Denn während der Künstler in seinem Studio verharrt, geht der Designer auf die Straße. Design bildet letztlich ein Dach über eine Gesellschaft, die über materielle Sachen gelenkt und geordnet wird.“ Und ist aus diesem Blickwinkel für alles und jedes relevant. Zur Veranschaulichung nimmt der Rektor die am Tisch stehende Tasse in die Hand: „Die Grundfrage ist ja immer: Was ist ein Ding? Nehmen wir z. B. diese Tasse. Da wird man antworten, das ist ein Gebrauchsgegenstand, den ich zur Hand nehme, weil ich ihn möglicherweise schön finde, vielleicht noch, weil er funktional ist, einen Henkel hat. Aber warum hat er überhautp einen Henkel? In Wahrheit sitzt der Designer heute nicht mehr im Studio und denkt sich einen Henkel aus, der schön ausschaut, sondern er blickt hinaus in die Welt, beobachtet und hinterfragt, ob die Leute überhaupt noch einen Henkel brauchen, oder ob nicht vielleicht etwas anderes wichtig ist, das Leben erleichtert – das heißt der Designer organisiert und reflektiert auf die reale Welt hin, und nicht umgekehrt!“ Design zieht seine Aufgabenstellung also direkt aus der Basis, dem Leben. „Oder nehmen Sie den Fußball. Das Interessante am Fußball ist ja nicht, wie er aussieht, sondern wie er die Wirklichkeit auf dem Rasen ordnet. In Wahrheit ist der Fußball der Hauptdarsteller, er organisiert das Geschehen, 22 Leute rennen ihm nach, alles dreht sich um den Ball – er gibt also die Konstellationen am Platz vor. Genau so denken wir Designer.“
Und nun bringt der Rektor wieder St. Pölten, die NDU ins Spiel, an der genau jene Verschränkung von Design, Technik und Architektur gegeben sei, die in Zukunft unumgänglich zur Lösung der anstehenden Probleme sein wird. „Das ist unsere große Chance. Wenn wir hier gut sind, liegen wir genau am Puls der Zeit, sind mittendrin!“
Wobei das unmittelbare „Anwendungslabor“ der Universität zunächst der Raum vorort ist, also die Stadt St. Pölten, das Land Niederösterreich. Schmidt-Wulffen macht – aus seinem Verständnis, was eine Uni gesellschaftlich zu leisten hat – kein Hehl daraus, dass er sich mit der NDU in Hinkunft in die diversen Diskurse, indirekt auch die politischen aktiv einschalten möchte. „Eine Universität ist ein Ort kritischer Auseinandersetzung, ein Ort der offenen Diskussion. Ich wüsste gar nicht, wie wir nicht das politische Leben mit beeinflussen sollten. Wir wollen uns einbringen, teilhaben!“
Außerdem verstehe sich die NDU als Schnittstelle zu den Unternehmen. „Wir machen ja auch Grundlagenforschung für Betriebe, die sich das sonst nicht leisten könnten.“ Den Output aus diesen wie auch anderen Aufgabenstellungen möchte Schmidt-Wulffen aber nicht im stillen Kämmerlein versickern lassen, sondern ihm schwebt „ein Futurelab in der City vor, wo wir diese Fragen diskutieren, durchdenken und öffentlich machen – z. B. in einem Schaufenster visualisieren.“ Kurzum, die NDU soll auch in der Stadt mittels einer Dependance räumlich greifbar werden, „damit die Leute wissen, was wir überhaupt machen.“ Der Rektor zeigt sich diesbezüglich auch von Konzepten wie jenem des Stararchitekten Rem Koolhaas angetan. „Er hat die neue Architekturschule in Moskau innerhalb von drei Monaten auch emotional verankert, indem er in der Stadt eine sehr gute Bar designt hat, wo regelmäßig Clubbings stattfinden.“ Nachsatz, der stellvertretend für des Rektors generell offene Haltung stehen mag: „Du solltest als Universität keine Berührungsängste haben!“
Am Ende des Gesprächs fällt mein Blick noch einmal auf das Bild an der Wand, bleibt am Wort LOOKOUT hängen. Die Aussichten für die NDU, und damit die gesamte Region, scheinen mit einem Mann vom Kaliber und Horizont eines Stephan Schmidt-Wulffen nicht übel. Bleibt zu hoffen, dass niemand die Aussicht durch kleinkarierte Unwägbarkeiten verstellt. Dann könnte – man wird noch träumen dürfen – die NDU sogar ein neues BAUHAUS werden! Zur Person:
1951 in Witten/Ruhr geboren. Besuch des Gmynasiums, Studium der Sprachwissenschaft und Philosophie in Köln und Konstanz, Kommunikationsdesign in Wuppertal. Schmidt Wulffen arbeitete als Kulturjournalist, Kunstkritiker, sowie Direktor des Kunstverein Hamburg. Seit 1988 Lehre an diversen Hochschulen, Berufung in mehrere Universitäts- und Kunstgremien (u. a. Wissenschaftlicher Beirat der UNESCO). Von 2002 – 2012 Rektor der Akademie der Bildenden Künste Wien. Seit Mai 2012 Rektor der NDU St. Pölten. Umfangreiche Ausstellungs- und Publikationstätigkeit.