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Volksschule


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St. Pöltens gute Seite

Volksschule

Text Sascha Harold
Ausgabe 11/2014

Die Volksschule stellt nach dem Kindergarten die zweite Stufe des österreichischen Bildungssystems dar. Im zweiten Teil der Serie „Bildung“ soll die Volksschule und ihr Platz im Bildungssystem einer genaueren Betrachtung unterzogen werden.

Das österreichische Bildungssystem wird seit langem kontrovers diskutiert. Bildung sei das höchste Gut, hört man seitens der Politik. Vielerorts werden jedoch nur ideologische Grabenkämpfe gefochten, große Veränderungen scheitern oft an mangelnder Reformbereitschaft oder bleiben halbgare Kompromisse. Es handelt sich um ein emotionales und polarisierendes Thema, nicht erst seit der PISA-Studie oder dem Bildungsvolksbegehren wird angeregt über die „beste“ Bildung diskutiert. Die Volksschule markiert dabei die zweite Stufe im österreichischen Bildungssystem nach dem Kindergarten, davor kann optional auch noch eine Vorschule besucht werden. Mit dem sechsten Lebensjahr eines Kindes beginnt in Österreich die allgemeine Unterrichtspflicht, die bei der Einführung durch Maria Theresia 1774 sechs Jahre lang war, sich heutzutage auf neun Jahre beläuft. Statt des Besuchs einer Volksschule kann auch alternativ Hausunterricht in Anspruch genommen werden, was in Österreich aber nur äußerst selten der Fall ist. Bei Diskussionen rund um die Volksschule tauchen immer wieder die selben Themen auf. So wird etwa ein einheitliches Dienst- und Besoldungsrecht für alle Lehrer ins Treffen gebracht. Die Ausbildung der Volksschullehrer ist nun bereits auf Hochschulniveau angehoben worden – aus den Pädagogischen Akademien wurden Pädagogische Hochschulen. Generelle Kritik am Bildungssystem, etwa an den 50-Minuten-Einheiten oder an einer Reform des Verwaltungsapparates bis hin zur Abschaffung der Landesschulräte betrifft natürlich auch die Volksschule. Ein weiteres Kernthema bildet die Nahtstellenproblematik, also der Übertritt vom Kindergarten in die Volksschule bzw. jenen von der Volksschule in eine Neue Mittelschule, eine Hauptschule (bis zum Schuljahr 2015/16 werden sich alle Hauptschulen zu Neuen Mittelschulen entwickeln) oder in eine Unterstufe der Allgemeinbildenden Höheren Schulen (AHS). Gerade diese frühe Trennung mit zehn Jahren bietet großes Diskussionspotential.
Status Quo
Allein in St. Pölten versehen 190 Volksschullehrer ihren Dienst. In den öffentlichen Volksschulen, die über das gesamte Stadtgebiet verteilt sind, werden 1.793 Kinder in 95 Klassen unterrichtet. Seitens der privaten Volksschulen liegen der Stadt keine Daten vor. Die Volksschullehrer sind dabei Bedienstete des Landes NÖ, der Schulerhalter ist die jeweilige Gemeinde. Die Stadt St. Pölten investierte in den letzten zehn Jahren sechs Millionen Euro in diesen Bereich, wobei hier die laufende Erneuerung des vorhandenen Inventars und kleinere Sanierungsarbeiten nicht berücksichtigt sind. In den kommenden Jahren sind weitere Schulhaussanierungen und Instandsetzungen im Rahmen einer Schuloffensive geplant, wie seitens des Magistrates betont wird. Aktuell wird etwa für das Jahr 2015 die Sanierung der Volksschule Franz Jonas geplant. Immer wichtiger wird zudem die schulische Ganztagesbetreuung. So gibt es in St. Pölten (im Schuljahr 2014/15) 700 Plätze in 28 Gruppen schulischer Tagesbetreuung und 231 Plätze in 10 Gruppen städtischer Horte. Neben den öffentlichen Volksschulen gibt es in St. Pölten zudem private Volksschulen: die Mary Ward Privatvolksschule, die Lernwerkstatt in Pottenbrunn, die International School St. Pölten und die Volksschule „Integratives Montessori-Atelier“.
Wichtiger Lebensabschnitt
Dass die Volksschulzeit im Leben eines Kindes eine wichtige darstellt, weiß Sabine Triml, Direktorin der Mary Ward Privatvolksschule: „Die Einstellung des Kindes zum Lernen und Leisten wird in der Volksschule geprägt und gerade diese Zeit ist auch wichtig für die Entwicklung von sozialen Fertigkeiten. Wer diese mehrdimensionale Bedeutung und die vielfältigen Aufgaben der Volksschule und deren Wert für die Gesellschaft verstanden hat und anerkennt, wird der Volksschule automatisch eine sehr große Bedeutung beimessen und diese in allen möglichen Hinsichten gut unterstützen.“ Das Aufgabengebiet der Volksschulen erweitere sich in den letzten Jahren, wie Triml weiter ausführt: „Vermehrt kommt in den vergangenen Jahren auch die erzieherische Dimension hinzu, die die Volksschule erfüllen soll, da immer mehr Kinder ganztägig betreut werden müssen, was diese Institution eigentlich noch bedeutsamer für unsere Gesellschaft macht!“ In der Bevölkerung grassiert die Vorstellung, dass in private Schulen v.a. Kinder reicher Eltern zu finden sind. Triml skizziert jedoch die Zielgruppe der Mary Ward Privatvolksschule so: „Unsere Zielgruppe sind alle am Schulleben wirklich interessierten Eltern, die dem Schulleben gegenüber positiv eingestellt sind – egal welchem Kulturkreis sie ursprünglich angehörten. Zusammenarbeit ist entscheidend für uns. Wir sind bemüht, traditionell-religiöse Wertorientierung zu vermitteln, die Kinder individuell zu betreuen und zu fördern und Zusatzangebote wie beispielsweise Sprachen, Sport, Musik und Theater und Ähnliches mehr anzubieten.“
In der Daniel Gran VS II stellen sich ganz andere Probleme, weiß Schulleiterin Judith Königsberger zu berichten. „Wir haben seit jeher die schwierige Aufgabe, dass wir einerseits Kinder haben, die später in eine Sonderschule kommen und auf der anderen Seite Schüler, die irgendwann das Gymnasium mit Auszeichnung abschließen.“ Vor allem die sprachliche Thematik stellt sich in den Daniel Gran Volksschulen aufgrund des hohen Anteils von Kindern, die Deutsch nur als Zweitsprache sprechen, als Herausforderung dar. Verstärkt wird der Effekt dadurch, dass viele St. Pöltner aus Angst vor mangelhaftem Deutschunterricht ihre Kinder von vorneherein nicht in diese Schulen schicken. Und tatsächlich zeigt sich in der Praxis oft ein schwieriges Bild: „Vor Kurzem haben wir drei Kinder aus Syrien bekommen, die bei uns zum ersten Mal eine Schule besuchen und daher natürlich kein Deutsch verstehen”, schildert Königsberger. Gerade für die Klassenlehrer sei es dann oft schwierig sprachliche Kompetenzen zu vermitteln, in anderen Fächern, wie Mathematik, sei das Problem dagegen geringer. In diesem Kontext wird vor allem darauf gesetzt, genügend mehrsprachiges Betreuungspersonal zu haben. Entscheidend sind dabei die subventionierten Sprachförderkurse und vor allem die Flexibilität in der Gestaltung des Unterrichts. So kommt es beispielsweise vor, dass Klassenkameraden selbst als Dolmetscher aushelfen, um die Aufgabenstellungen der Lehrerin weiterzugeben. Es sei jedenfalls möglich, ist Königsberger überzeugt, in vier Jahren alle Schüler auf den Besuch einer weiterführenden Schule vorzubereiten. Der Ansatz in der Daniel-Gran Volksschule scheint jedenfalls ein integrativer zu sein und steht damit im Gegensatz zu den Rufen nach separaten „Migrantenklassen”.
Alternative Angebote
Neben den „klassischen“ Regelvolksschulen gibt es auch alternative Angebote in St. Pölten. Die im Wasserschloss Pottenbrunn situierte Lernwerkstatt war früher die einzige Alternativschule im Stadtgebiet. Sie existiert seit mittlerweile bald 25 Jahren und ist auch eine der größten nicht konfessionellen Privatschulen mit freier Trägerschaft Österreichs. „Wir sind weit über die Experimentierphase hinaus“, beurteilen Theo Feldner und Christine Glaser-Ipsmiller, das Leitungsteam der Lernwerkstatt, das stattliche Alter. Feldner skizziert die grundsätzliche Idee der Lernwerkstatt: „Wir stellen uns die Frage, was Kinder brauchen und schaffen dafür die richtige Umgebung. Es gibt keine Klassen, keinen Unterricht im klassischen Sinn, sehr wohl aber Bildung!“ Es werde versucht, alle Sinne anzusprechen und alle Grundbedürfnisse abzudecken, wie Glaser-Ipsmiller weiter ausführt. Die frühe Trennung nach vier Jahren Volksschule sieht Feldner kritisch, weshalb die Lernwerkstatt auch neun Schulstufen anbietet, also damit alle Unterrichtspflichtjahre abdeckt: „Zwischen 10 und 11 Jahren passiert nicht so viel wie zwischen 12 oder 13, es läuft total gegen die Entwicklung des Kindes.“ Feldner verweist auf Piaget, der bis zum Alter von 12 Jahren die Stufe des konkret-operativen Denkens ansetzt, wo gedankliche Operationen noch an anschauliche und erfahrbare Inhalte gebunden sind. Sitzen und der Frontalunterricht laufe dieser Stufe zuwider, so Feldner. Ab 12 Jahren setzt dann nach Piaget die Stufe des formalen Denkens ein, wo nun auch abstrakte und nicht mehr konkret vorstellbare Denkoperationen durchgeführt werden können. Daher sei die Trennung aus dieser Sicht zu früh. Feldner räumt außerdem mit einem Vorurteil auf: „Es gibt sehr wohl klare Regeln, vor allem im sozialen Bereich, es ist nicht Laissez-faire.“ Verpflichtend sei für alle Schüler einzig die Schulversammlung, wo Regeln im demokratischen Miteinander ausgemacht und besprochen werden. Als großes Grundübel sieht Glaser-Ipsmiller auch das Bewerten: „Kinder merken selbst, ob sie etwas noch nicht können. Wir nehmen darauf Rücksicht, dass Kinder unterschiedliche Lerntempi haben.“ Kinder bestimmten ihren Stundenplan somit selbst, sie sollten nicht in ihren Lernphasen durch festgeschriebene Pausen unterbrochen werden. Wichtig sei außerdem, dass Eltern Bescheid wüssten und informiert sind, wie hier der Schulalltag ablaufe: „Kinder sollen zuhause keine komplett konträre Welt vorfinden.“
Ein anderes Modell bietet in St. Pölten etwa die „International School“. Der Unterricht wird hier jeweils zur Hälfte in Deutsch und Englisch gehalten. „Das Modell einer zweisprachigen Volksschule ist dabei in Niederösterreich einzigartig“, erläutert Leiterin Patricia Kirchknopf. „Wir wollen die Kinder möglichst früh darauf vorbereiten, sich sprachlich auszudrücken und kreativ und flexibel zu sein. Wir legen hier eine Basis fürs spätere Leben.“ Die individuelle Förderung der Kinder werde durch Gruppengrößen mit maximal 15 Kindern garantiert. Es gebe zudem eine Reihe an Zusatzangeboten und „den wahrscheinlich flexibelsten Hort in St. Pölten. Die Absolventen können danach in jede normale Mittelschule oder Gymnasium wechseln“, zerstreut Kirchknopf die Sorgen mancher Eltern. Um den Übergang in die Volksschule zu erleichtern, biete man außerdem eine Vorschule an.
Der Schulbesuch in einer Privatschule hat allerdings seinen Preis. So bezahlt man in der Mary Ward Privatvolksschule 81, im Integrativen Montessori Atelier 250, in der International School zwischen 300 und 355 sowie in der Lernwerkstatt 385 Euro. Ermäßigungen gibt es zumeist bei mehreren Kindern in der Schule.
Festzuhalten ist, dass auch in den Regelschulen das pädagogische Grundkonzept im Vergleich zu früher flexibler und individueller geworden ist, wie Direktorin Judith Königsberger betont. „Uns geht es in erster Linie um sinnvolle Beschäftigung für die Kinder. Wir versuchen so flexibel wie möglich zu sein, so können sich beispielsweise Kinder für einzelne Stunden in die erste Klasse setzen, um einen Buchstaben zu lernen, den sie noch nicht beherrschen.“ Starrer Frontalunterricht, wie ihn ältere Semester noch von ihrer eigenen Schulzeit her kennen, ist längst nicht mehr alleinige Realität. Gerade dieses vielfach antiquierte, verzerrte Bild prägt allerdings die Schuldebatten mit.
Der schwierige (und entscheidende) Übergang
Als potentielle Schwachstellen des österreichischen Bildungssystems werden eben oftmals die Übergänge zwischen den einzelnen Bildungseinrichtungen identifiziert. Um den Übergang vom Kindergarten zur Volksschule zu erleichtern, gibt es verschiedenste Bemühungen: Seitens des Ministeriums für Bildung und Frauen (BMBF) wird etwa an 35 Standorten eine Volksschulreform ausgerollt, um eine engere Kooperation zwischen Kindergarten und Volksschule zu ermöglichen. Ministerin Heinisch-Hosek wünscht, dass sich Volksschullehrer außerdem über Portfolios – auf freiwilliger Basis – bereits ein Bild über die Kinder machen können. Diese Übergangsportfolios gibt es seitens des Landes NÖ bereits, auch Übergangsgespräche werden forciert.
Eine weitere Nahtstelle ist mit dem Übergang von der Volksschule in die nächsthöhere Bildungseinrichtung, also in die Neue Mittelschule, Hauptschule oder AHS, gegeben. Diese ist aber wohl die weitaus bedeutendere: So zeigen Studien, dass Kinder bildungsnaher Eltern mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ein Gymnasium besuchen, Kinder bildungsferner Eltern hingegen oftmals eine Hauptschule wählen. Der eingeschlagene Weg wird dann meist nicht mehr verlassen, relativ wenige besuchen nach einer Hauptschule eine Oberstufe eines Gymnasiums und studieren in weiterer Folge. Diese Zäsur stellt somit die Weichen der späteren schulischen Karriere, die Schullaufbahn ist daher meist bereits in jungen Jahren vorgezeichnet. Dies ist auch eine der zentralen Aussagen der neuesten OECD-Studie „Education at a Glance 2014“ – „Bildung auf einen Blick“: Der familiäre Hintergrund beeinflusse in enormem Ausmaß die Bildungschancen der Kinder. Bei der Aufwärtsmobilität, also der Chance, einen höheren Bildungsstand als die Eltern zu erreichen, rangiert Österreich nur auf Platz 21 von 23 diesbezüglich untersuchten Ländern (interessanterweise nur vor Deutschland und Tschechien)! Nachdem der Besuch eines Gymnasiums außerdem mit guten Noten in der Volksschule verbunden ist („Sehr gut“ oder „Gut“ in den Hauptfächern, bei „Befriedigend“ muss eine Eignungsprüfung absolviert werden), werden Volksschullehrer oftmals gebeten, entsprechende Noten zu verteilen. Diese „Intervention“ passiert insbesondere von Eltern, deren Bildungsniveau hoch ist, damit ihre Kinder eine ähnliche schulische Laufbahn wie sie selbst einschlagen können. Um für jene Kinder, die ins Gymnasium wechseln wollen, den Übergang zu erleichtern, hat Ende Oktober die Direktorin des Gymnasiums Josefstraße, Silvia Klimek, Direktoren und Volksschullehrer aus den Volksschulen Gerersdorf, Franz Jonas, Mary Ward, Grillparzer II, St. Georgen und Otto Glöckl geladen, um gemeinsam mit dem Lehrerteam des Gymnasiums zu diskutieren und Weichen für eine zukünftige Zusammenarbeit zu stellen: „Damit in Zukunft der Übertritt ins Gymnasium noch besser für die Schülerinnen und Schüler verläuft, hat sich das Team des Gymnasiums Josefstraße der Schnittstellenproblematik angenommen. Als erster Schritt diente das GET TOGETHER dem Kennenlernen und dem Gedankenaustausch – Neuerungen im Schulalltag und diverse Veränderungen bei Testungen wurden ebenso besprochen.“ Die Veranstaltung hat bereits erste Früchte getragen: „Mit der Volksschule Franz Jonas wird es bereits in diesem Schuljahr eine Kooperation im Bereich Bewegung, Sport und Spiel geben.“ Schulleiterin Klimek bewertet die erste Veranstaltung positiv.
Verwaltungsreform
Durch eine groß angelegte Verwaltungsreform sind in Österreich erhebliche Einsparungen möglich, soweit sind sich alle Parteien und politischen Institutionen einig. Lediglich die konkreten Vorschläge unterscheiden sich mitunter gravierend. Nicht erst seit der Ablehnung des von der FPÖ nominierten Maximilian Krauss zum stellvertretenden Stadtschulratspräsidenten von Wien gibt es Diskussionen zur Abschaffung des Landesschulrats. Die in Niederösterreich zuständige Landesrätin für Bildung, Barbara Schwarz, meint diesbezüglich: „Ich halte es für essentiell, dass wir erst dann über die Verwaltungsstruktur sprechen, wenn klar ist, wer künftig welche Aufgaben übernehmen soll. Dann können wir überlegen, wie eine schlanke, effiziente und gut funktionierende Schulverwaltung in unserem Bildungssystem aussehen könnte.“ Die Position der Länder sei in dieser Frage eindeutig, so die Landesrätin: „Die Schulverwaltung sollte von den Ländern durchgeführt werden, Bildungsinhalte sollten vom Bund vorgegeben werden. Durch die Dezentralisierung könnten künftig Doppelgleisigkeiten in der Bürokratie vermieden und wertvolle Einsparungen geschaffen werden.“ Hermann Helm, amtsführender Präsident des Landesschulrats für Niederösterreich, ist ebenso – wenig verwunderlich – von der Wichtigkeit „seiner“ Institution überzeugt: „Es ist völlig undenkbar, von einer Stelle, dem Bundesministerium, das gesamte Personalmanagement für 120.000 Lehrerinnen und Lehrer zu steuern. Darüber hinaus sind diese 120.000 Lehrerinnen und Lehrer an ca. 6.000 Dienststellen tätig. Für dieses Personalmanagement sind entsprechende Einrichtungen in den Ländern vorzusehen.“ Helm bringt zwei Beispiele wie eine effektivere Schulverwaltung seines Erachtens aussehen könnte: „Der Bund hat für einheitliche Lehrpläne, für einheitliche Abschlüsse und Berechtigungen zu sorgen. Weiters benötigen wir ein einheitliches Dienst- und Besoldungsrecht für alle Lehrerinnen und Lehrer. Die Schulautonomie gehört gesetzlich ermöglicht. Tagesabläufe sind nicht durch 50-Minuten-Vorgaben und entsprechende Pausenordnungen festzulegen, ebenso gehört den Schulen unter anderem eine Teilfinanzhoheit zuerkannt, wobei es dem Schulleiter obliegen soll, Leistungsprämien für Lehrerinnen und Lehrer auszahlen zu können.“ Für ihn ist klar, wer für die Schulverwaltung zuständig sein soll: „Die Länder haben in Form einer Bildungsdirektion den gesamten operativen Bereich der Schulverwaltung zu vollziehen.“
Ein Staatenvergleich
Im internationalen Vergleich gebe es so gut wie keine Länder mehr, die so früh wie in Österreich und Deutschland (mit 10 Jahren) die erste Aufteilung vornehmen, schreibt der Bildungsökonom Ludger Wößmann von der Universität München im Artikel „Mehrgliedrigkeit des Schulsystems und Chancengleichheit im internationalen Vergleich“. So führen die Slowakei, Tschechien und Ungarn die erste Trennung ein Jahr später (also mit 11 Jahren) durch, Belgien und die Niederlande mit 12, Italien oder Korea mit 14. Frankreich, Griechenland, Irland, Japan, Polen, Portugal und die Schweiz trennen das erste Mal mit 15 Jahren, und Spanien, Großbritannien, Kanada, die USA sowie die skandinavischen Länder mit 16. Wößmann konstatiert weiter, dass eine spätere Aufteilung tendenziell mit einem besseren, denn mit einem schlechteren Leistungsniveau einhergehe. Mehrgliedrige Schulsysteme (wie das österreichische und deutsche) scheinen aber seiner Ansicht nach im Durchschnitt das gleiche Leistungsniveau der Schüler zu erreichen wie eingliedrige. Demnach korreliere eine spätere Selektion positiv mit dem Leistungsniveau, eine Einführung der Gesamtschule ändere hingegen am Leistungsniveau wenig. Eine Verschiebung der schulischen Selektion würde aber die Chancenungleichheit verringern, also die Abhängigkeit der erzielten Schülerleistungen vom jeweiligen familiären Hintergrund, wie Wößmann anhand der Zahlen der PISA-Studie oder des internationalen Schülerleistungstests TIMSS („Trends in International Mathematics and Science Study“) zeigt. In Österreich ist man aber ohnehin sehr weit entfernt, eine empirisch untersuchte und wissenschaftlich fundierte gemeinsame politische Lösung zu finden, zu eingefahren scheint die Situation der einzelnen konkurrierenden Parteien und der verschiedenen Gewerkschaften. So schreibt der renommierte Wiener Universitätsprofessor i.R. der Bildungswissenschaft Karl-Heinz Gruber in seinem Aufsatz „Eine bildungspolitische Bilanz“, dass „aufgrund einer spezifischen Konstellation von Umständen rationale, zukunftsorientierte Schulreformen in Österreich noch schwieriger sind als anderswo.“ Es handle sich dabei nicht bloß um zwei unterschiedliche bildungspolitische Positionen, sondern um zwei weltanschauliche „Lager“. Das Phänomen der bildungspolitischen Frontenbildung resultiere dann in einer Reduktion der schulpolitischen Argumentationsfähigkeit. Inwiefern also wirklich tiefgreifende Änderungen im Bildungssystem zu erwarten sind, bleibt abzuwarten. Dass sie notwendig sind, ist das einzige, das außer Streit steht – immerhin!
WIFO Ökonomin JULIA BOCK-SCHAPPELWEIN: "Ziel muss Chancengleichheit sein!"
Um den von Politik und Pädagogen bestimmten Blick auf Sinn und Aufgabe der Volksschulen um eine weitere Sichtweise zu ergänzen, haben wir WIFO Ökonomin Julia Bock-Schappelwein um ein kurzes Statement zum Thema Volksschule gebeten.
Welche Rolle sollten Volksschulen in Österreich grundsätzlich erfüllen?
Ziel sollte auf jeden Fall die Vermittlung der Grundvoraussetzungen für jedes weitere Lernen, also Lesen, Schreiben und Rechnen, sein. Zusätzlich dazu sehe ich die Persönlichkeitsentwicklung, Förderung von Handlungs- und Entscheidungskompetenzen und letztlich natürlich die Vorbereitung auf die Sekundarstufe als wichtig an.
Gerade im städtischen Raum fällt es oft schwer diese Kompetenzen zu vermitteln, da Voraussetzungen wie grundlegende deutsche Sprachkenntnisse teils nicht gegeben sind.
Hervorzuheben ist zunächst die Relevanz und die Multifunktionalität von Sprache als zentrales Element in den unterschiedlichsten Lebensabschnitten. Relevant ist daher der Erwerb von „beiden“ Sprachen, einerseits in Bezug auf die Fundierung der Herkunftssprache und andererseits in Bezug auf die im Aufnahmeland gesprochenen Sprache – der „Zweitsprache“.
Sehen Sie eine „Zwei-Klassen-Bildung“ in Österreich auf uns zukommen? Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder in Schulen, in denen die angesprochenen Probleme eine untergeordnete Rolle spielen.
Zum Problem wird das vor allem dann, wenn ungleiche Chancen dadurch noch verfestigt werden. Dabei sollte das Ziel vielmehr sein, Chancengleichheit der Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft herzustellen.
Standorte, wo soziale Benachteiligung die Bildungschancen reduziert, sind daher gezielt zu fördern, um diesem Risiko rechtzeitig zu begegnen.
NOTBURGA GROSSER, Vizerektorin für Ausbildung Praxisschulen KPH Wien/Krems: "Weiterentwicklung ist wesentlicher Erfolgsfaktor"
Welche Änderungen ergaben sich durch die „Akademisierung“ der (Volksschul-)Ausbildung?
Die Akademisierung in pädagogischen Berufen ist grundsätzlich positiv zu sehen. Sie stellt die spezifische Wissens- und Kompetenzbasis für den Beruf dar. Doch diese allein ist noch keine Garantie für Professionalität. Entscheidend ist, dass die beruflichen Aufgaben in der Praxis kompetent erfüllt werden. Da sich diese ständig wandeln, ist die Bereitschaft zur Weiterentwicklung seiner Kompetenzen ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
Wie beurteilen Sie das derzeitige System der Volksschule? Kommt die Trennung nach vier Jahren Volksschule für Schüler zu früh?
Diese Frage lässt sich nicht generell beantworten. Entscheidend ist die Qualität des Unterrichts in der jeweiligen Schulstufe. Dazu braucht es gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer. Ebenso wichtig ist der Blick auf die Nahtstellen im Übergang. Im Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung werden das letzte Kindergartenjahr und die ersten beiden Volksschuljahre als eine gemeinsame Schuleingangsphase verstanden. Die KPH setzt hier in der Ausbildung von Primarstufenlehrern auf Schwerpunktsetzungen mit der Erweiterung in die angrenzenden Altersbereiche: einerseits mit Elementarpädagogik, andererseits mit einer Spezialisierungsmöglichkeit in den fachlichen Bildungsbereichen, um hier die Nahtstelle zur Sekundarstufe I bruchfrei zu schließen.
Welche Probleme sind Ihnen sonst noch im Bereich der Volksschule bekannt? Wie werden angehende Pädagogen darauf vorbereitet?
Beispielsweise das Problem eines hohen Anteils von Schülern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch: Wichtig ist hier ein besseres Verständnis der schulischen Situation von Schülern mit Migrationshintergrund. Angebote zur sprachlichen Bildung sind dafür genauso wichtig wie der Aufbau von interreligiöser und interkultureller Kompetenz bei angehenden Lehrern.
SCHULE ALS BEREICHERUNG SEHEN - Gedanken einer Volksschullehrerin
Erster Elternabend der 1. Klasse am 1. Schultag. Nicht alle Eltern haben es geschafft, sich pünktlich in der Klasse einzufinden. Die auf der im Juni zugeschickten Schulbedarfsliste befindlichen Sachen werden noch schnell eingeräumt, Bücher ausgeteilt und Hefte mit Umschlägen versehen. Nicht alles wurde schon besorgt. Dort fehlen noch passende Umschläge, hier noch die ganze Zeichenschachtel. Eingebundene Bücher trudeln teils gleich am nächsten Morgen fein säuberlich beschriftet ein, teils erst in der nächsten Woche. Die Eltern sind zumeist sehr interessiert, andere wiederum nur daran, möglichst wenig zu tun haben zu müssen. „Hausübungen werden doch hoffentlich alle im Hort erledigt? Ich habe abends keine Lust mehr, für eine Ansage zu üben oder die Leseaufgabe zu kontrollieren!“ so eine Mutter gleich am 3. Schultag. Verständlich, wenn man den ganzen Tag arbeitet und erst spät heimkommt, meint meine Kollegin. Unverständlich für mich, wenn ich am Leben meines Kindes teilhaben möchte, denke ich. Und die Schule ist ab diesem Zeitpunkt ein sehr großer Teil des Lebens. Hier werden neue Freundschaften geknüpft, Begabungen entdeckt, Buchstaben zu Worten und Sätzen geformt und mit großen Zahlen hantiert. Alles Dinge, die Kinder beschäftigen, die sie mitteilen wollen. Der meist gehörte Satz in meiner fast 25 jährigen Tätigkeit als Lehrerin ist nicht umsonst: „Frau Lehrer, schau mal her!“
Kinder wollen Lob, Bestätigung und Verstärkung. Sie wollen uns zeigen, dass sie schon bis 100 zählen können, das erste selbst gemachte Buch lesen oder auf der Stange bis oben hin klettern können. Sie brauchen Zuwendung, Interesse und Liebe. Und zwar nicht nur von der Lehrerin, sondern v.a. von den Eltern. Bei all den Diskussionen um das Bildungssystem scheint mir das etwas ganz Essenzielles zu sein, v.a. in der Grundschule. Es ist wichtig, dass Eltern verstehen, dass die Schule nur einen Teil abdecken kann. Soziale Kompetenz wird nur durch Vorleben erreicht, doch manche Kinder scheinen in der Volksschule zum ersten Mal zu hören, dass man „bitte“, „danke“ und zu einem Erwachsenen nicht „servas“ und „tschüss“, sondern „guten Morgen“ und „auf Wiedersehen“ sagt. 99 Prozent aller Kinder kommen mit einem so enormen Wissensdurst in die Schule und unendlicher Energie. Wenn sie aber daheim nur hören: „Was musst du denn heute schon wieder alles machen? So viel Hausübung hast du, das ist ja furchtbar! Und Lernwörter müssen wir auch noch lernen, na toll“, dann verbinden die Kinder bald Lernen mit etwas Unangenehmem. Dann kann Lernen keinen Spaß mehr machen. Dem sollten wir alle entgegenwirken.
Lernwörter kann man aufs Klo hängen, in der Badewanne gemeinsam Rechnungen erfinden und das kuschelige abendliche Vorlesen (vielleicht auch mal eine Zeile du, eine Zeile ich) ist für Kinder ein wichtiges Ritual, selbst wenn sie schon lesen können.
Ich wünsche mir jedenfalls, dass es mehr Eltern von der Sorte gäbe, die Schule als Bereicherung sehen. Die ihr Kind fragen, was es denn heute als Hausübung machen darf. Was heute denn in der Schule das Interessanteste war und was ihnen am meisten Spaß gemacht hat.
„Lernen ist das Spiel, das im Leben am meisten Spaß macht. Alle Kinder kommen zur Welt mit diesem Glauben, und sie halten daran fest, bis wir sie überzeugen, dass Lernen wirklich harte und unerfreuliche Arbeit ist.“ Zitat: Claudia Monnet