Menschen wie ich!
Text
Andreas Reichebner
Ausgabe
Ob Bankdirektor, Augustinverkäufer, Professorin, Flüchtling, Bettler, Kunstschaffende oder Wirtschaftstreibender, ob Politiker oder griechischer Wirt – wenn man mit Helmut Weber durch die Straßen St. Pöltens geht, entdeckt man eines sofort: Er kennt sie alle – und sie kennen ihn!
Vom St. Pöltner Kulturprofi Helmut Weber – so nannte ihn erst jüngst sein langjähriger, journalistischer Wegbegleiter Franz Inreiter – gibt es viele Geschichten zu berichten. Und beleibe, er kann – die Menschen, die ihn kennen, wissen das – mindestens doppelt so viele selbst erzählen. Diese hier ist jene vom einfachen Arbeiterkind, das sich zu einem der bekanntesten St. Pöltner und praktizierenden Humanisten entwickelt hat. Die Geschichte von Helmut Weber selbst, aus den Augen eines Freundes.
Junge Jahre in Berndorf
Es gibt eine Begebenheit in Webers jungen Jahren, die mir signifikant für sein Wesen erscheint. Man schrieb das Jahr 1938 in Berndorf, wo die Familie von St. Pölten hinzog, weil Vater Walter in der Hirtenberger Patronenfabrik Arbeit fand – zu dieser Zeit ein Glücksfall. Klein-Helmut skandierte bei einer Parade mit gehobener Hand für den Führer und, wie er es von seinem Vater, der bis zum Bürgerkriegsjahr 1934 sozialdemokratischer Gemeinderat in Berndorf und danach illegaler Kommunist war, daheim so gehört hatte: „Ein Volk, ein Reich, ein Theater …“ Den Führer hatte man zu Hause immer weggelassen. Damals also schon machte sich sein kritischer, antifaschistischer Charakter, der sich noch heute gegen jede Art von Ungerechtigkeit und Unterdrückung äußert, bemerkbar, wenn auch zu jener Zeit nur unbewusst. „Ich habe aber großes Glück gehabt, dass ein Bekannter, ein illegaler Nazi, mich, den kleinen Widerstandskämpfer, nicht verraten hat“, wie sich Weber später schmunzelnd des Öfteren an diese Begebenheit erinnert.
So kann der aufgeweckte Junge 1941 die 1. Klasse in der Krupp Knabenschule im maurischen Klassenzimmer besuchen. Damals lernt er in den späten Kriegstagen die Bestialität und Unmenschlichkeit des nationalsozialistischen Regimes und des Krieges kennen. Schaudernd vor Abscheu erinnert er sich an die nicht enden wollenden Züge ungarischer KZ-Häftlinge, die zu Tode marschieren mussten, und eingebrannt hat sich in seinem Gedächtnis auch das Bild eines am Hals zu Tode strangulierten Jungendlichens. Dieser hatte eine Tafel mit den handgeschriebenen Worten um den Hals hängen: „Ich habe meinen Führer verraten.“
So sozialisiert, ist eine seiner obersten Maximen: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Auschwitz.“
Für jüngere Generationen ursprünglich kaum nachzuvollziehen, wird diese unbeugsame Einstellung durch die Ereignisse der letzten Monate – Terroranschläge auf jüdische Einrichtungen mitten in Europa und die Genozide, die Mörderbanden unter Andersgläubigen und -denkenden verüben – wieder aktueller denn je.
Als 1945 die Russen in Berndorf Einmarsch halten, gehen der 10-jährige Helmut und sein Papa der roten Armee mit weißer Fahne entgegen. Ein Bekannter kann dabei Russisch und „so haben die Soldaten mit uns Wurst und Brot geteilt“. Die Kehrseite der Medaille, brutalste Übergriffe an der Bevölkerung, blieb Helmut aber schon damals nicht verborgen. Mit Hilfe eines aufbewahrten Kalenders der Familie in diesen Jahren ruft er sich viele vergangene Ereignisse immer wieder ins Gedächtnis. Dieses Bewahren von historisch wertvollen Schriften, Bildern und Objekten ist eines seiner Steckenpferde – zahllose Ausstellungen und auch das Stadtarchiv hat er mit wichtigen Erinnerungstücken schon unterstützt.
Erinnern und daraus Konsequenzen und Lehren ziehen, das wird Helmut auch in seiner journalistischen Karriere immer wieder in den Vordergrund stellen.
Es gibt eine Begebenheit in Webers jungen Jahren, die mir signifikant für sein Wesen erscheint. Man schrieb das Jahr 1938 in Berndorf, wo die Familie von St. Pölten hinzog, weil Vater Walter in der Hirtenberger Patronenfabrik Arbeit fand – zu dieser Zeit ein Glücksfall. Klein-Helmut skandierte bei einer Parade mit gehobener Hand für den Führer und, wie er es von seinem Vater, der bis zum Bürgerkriegsjahr 1934 sozialdemokratischer Gemeinderat in Berndorf und danach illegaler Kommunist war, daheim so gehört hatte: „Ein Volk, ein Reich, ein Theater …“ Den Führer hatte man zu Hause immer weggelassen. Damals also schon machte sich sein kritischer, antifaschistischer Charakter, der sich noch heute gegen jede Art von Ungerechtigkeit und Unterdrückung äußert, bemerkbar, wenn auch zu jener Zeit nur unbewusst. „Ich habe aber großes Glück gehabt, dass ein Bekannter, ein illegaler Nazi, mich, den kleinen Widerstandskämpfer, nicht verraten hat“, wie sich Weber später schmunzelnd des Öfteren an diese Begebenheit erinnert.
So kann der aufgeweckte Junge 1941 die 1. Klasse in der Krupp Knabenschule im maurischen Klassenzimmer besuchen. Damals lernt er in den späten Kriegstagen die Bestialität und Unmenschlichkeit des nationalsozialistischen Regimes und des Krieges kennen. Schaudernd vor Abscheu erinnert er sich an die nicht enden wollenden Züge ungarischer KZ-Häftlinge, die zu Tode marschieren mussten, und eingebrannt hat sich in seinem Gedächtnis auch das Bild eines am Hals zu Tode strangulierten Jungendlichens. Dieser hatte eine Tafel mit den handgeschriebenen Worten um den Hals hängen: „Ich habe meinen Führer verraten.“
So sozialisiert, ist eine seiner obersten Maximen: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Auschwitz.“
Für jüngere Generationen ursprünglich kaum nachzuvollziehen, wird diese unbeugsame Einstellung durch die Ereignisse der letzten Monate – Terroranschläge auf jüdische Einrichtungen mitten in Europa und die Genozide, die Mörderbanden unter Andersgläubigen und -denkenden verüben – wieder aktueller denn je.
Als 1945 die Russen in Berndorf Einmarsch halten, gehen der 10-jährige Helmut und sein Papa der roten Armee mit weißer Fahne entgegen. Ein Bekannter kann dabei Russisch und „so haben die Soldaten mit uns Wurst und Brot geteilt“. Die Kehrseite der Medaille, brutalste Übergriffe an der Bevölkerung, blieb Helmut aber schon damals nicht verborgen. Mit Hilfe eines aufbewahrten Kalenders der Familie in diesen Jahren ruft er sich viele vergangene Ereignisse immer wieder ins Gedächtnis. Dieses Bewahren von historisch wertvollen Schriften, Bildern und Objekten ist eines seiner Steckenpferde – zahllose Ausstellungen und auch das Stadtarchiv hat er mit wichtigen Erinnerungstücken schon unterstützt.
Erinnern und daraus Konsequenzen und Lehren ziehen, das wird Helmut auch in seiner journalistischen Karriere immer wieder in den Vordergrund stellen.
Auf nach St. Pölten
Aber so weit sind wir noch nicht. Der heute 80-Jährige macht 1954 zunächst einmal die Matura und will Deutsch und Geschichte studieren. Aber Geld ist knapp, daher ist er froh, als ihn sein Bruder Walter ins Voith-Kinderheim, das von der sowjetischen USIA-Verwaltung betrieben wird, als Erzieher holt. Ohne Ausbildung, aber mit unendlicher Herzenswärme, wird er zum beliebten Betreuer. Nach dem Staatsvertrag verliert er seinen Job und bewirbt sich bei der ÖBB. Trotz Einstufung als Kommunist, was ihm viele Nachteile bringt (Weber tritt später aus Protest gegen den Einmarsch in Prag 1968 aus der Partei aus), schafft er es bis zum Bahnhofsvorstand am St. Pöltner Alpenbahnhof.
Im Laufe seiner Bahnkarriere hilft er, auch wenn manchmal nicht ganz den strengen Regeln entsprechend, vielen Menschen. Dem bloßfüßigen Portugiesen, der nach Zürich wollte, oder dem Maler, der gar seine gemalte „Hl. Johanna“ bei ihm für seine Hilfestellung zurückgelassen hätte. Nicht bei Weber, denn Hilfsbereitschaft, ohne dafür eine Gegenleistung dafür zu verlangen, ist für ihn selbstverständlich.
„Mitte der 60er-Jahre hat mich dann mein Bruder zu den St. Pöltner Nachrichten geholt, da gab es keine Kulturseite. Die habe ich aufgebaut“, so Weber, der schon immer kunst- und kulturaffin war. Von da an ist er aus der gesellschaftlichen und kulturellen Szene in St. Pölten nicht mehr wegzudenken. Er sieht viel, erweitert seinen Horizont und kann, Gedächtnis sei Dank, dem erstaunten Schreiber dieser Zeilen noch heute die Besetzungen der kulturellen Events, die er über die Jahrzehnte gesehen hat, beinahe lückenlos aufzählen.
Weber lebt im Geiste der Personen, die als Sozialdemokraten, Christlich-Soziale und Kommunisten damals im 45er-Jahr, wie er sagt, „Berndorf aus dem Gatsch gezogen haben.“ Quer über alle Unterschiede der Religion, Hautfarbe hinweg sieht er sich den Menschenrechten verpflichtet: „… so ist jeder Mensch vor dem Gesetz gleich …“
Wenn er einen Bettler sieht, dann kauft er ihm etwas zu essen, wenn er afghanischen Flüchtlingskindern begegnet, versorgt er sie mit Spielzeug. Er lädt armenische Familien zu einem Kinobesuch eines Filmes, der sie mit ihrer Geschichte konfrontiert. „Menschen wie ich“, ist seine Devise, und denkt dabei auch immer wieder an seinen Onkel Franz Schmaldienst, der 1943 als Mitglied einer Untergrundbewegung und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus von der Gestapo hingerichtet wurde.
Aber so weit sind wir noch nicht. Der heute 80-Jährige macht 1954 zunächst einmal die Matura und will Deutsch und Geschichte studieren. Aber Geld ist knapp, daher ist er froh, als ihn sein Bruder Walter ins Voith-Kinderheim, das von der sowjetischen USIA-Verwaltung betrieben wird, als Erzieher holt. Ohne Ausbildung, aber mit unendlicher Herzenswärme, wird er zum beliebten Betreuer. Nach dem Staatsvertrag verliert er seinen Job und bewirbt sich bei der ÖBB. Trotz Einstufung als Kommunist, was ihm viele Nachteile bringt (Weber tritt später aus Protest gegen den Einmarsch in Prag 1968 aus der Partei aus), schafft er es bis zum Bahnhofsvorstand am St. Pöltner Alpenbahnhof.
Im Laufe seiner Bahnkarriere hilft er, auch wenn manchmal nicht ganz den strengen Regeln entsprechend, vielen Menschen. Dem bloßfüßigen Portugiesen, der nach Zürich wollte, oder dem Maler, der gar seine gemalte „Hl. Johanna“ bei ihm für seine Hilfestellung zurückgelassen hätte. Nicht bei Weber, denn Hilfsbereitschaft, ohne dafür eine Gegenleistung dafür zu verlangen, ist für ihn selbstverständlich.
„Mitte der 60er-Jahre hat mich dann mein Bruder zu den St. Pöltner Nachrichten geholt, da gab es keine Kulturseite. Die habe ich aufgebaut“, so Weber, der schon immer kunst- und kulturaffin war. Von da an ist er aus der gesellschaftlichen und kulturellen Szene in St. Pölten nicht mehr wegzudenken. Er sieht viel, erweitert seinen Horizont und kann, Gedächtnis sei Dank, dem erstaunten Schreiber dieser Zeilen noch heute die Besetzungen der kulturellen Events, die er über die Jahrzehnte gesehen hat, beinahe lückenlos aufzählen.
Weber lebt im Geiste der Personen, die als Sozialdemokraten, Christlich-Soziale und Kommunisten damals im 45er-Jahr, wie er sagt, „Berndorf aus dem Gatsch gezogen haben.“ Quer über alle Unterschiede der Religion, Hautfarbe hinweg sieht er sich den Menschenrechten verpflichtet: „… so ist jeder Mensch vor dem Gesetz gleich …“
Wenn er einen Bettler sieht, dann kauft er ihm etwas zu essen, wenn er afghanischen Flüchtlingskindern begegnet, versorgt er sie mit Spielzeug. Er lädt armenische Familien zu einem Kinobesuch eines Filmes, der sie mit ihrer Geschichte konfrontiert. „Menschen wie ich“, ist seine Devise, und denkt dabei auch immer wieder an seinen Onkel Franz Schmaldienst, der 1943 als Mitglied einer Untergrundbewegung und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus von der Gestapo hingerichtet wurde.
Zeit der Pension
In seiner Pension ist er schwer beschäftigt, er gibt literarische Lesungen, tritt als Nikolaus auf, initiiert und unterstützt Mahnmale für Widerstandskämpfer und sucht jederzeit humorvolle und tiefgehende Gespräche. Das kann manchmal auch anstrengend sein, fordernd – als Scheherazade hätte er keinerlei Probleme tausend und eine Nacht zu erzählen – aber es ist in den meisten Fällen befruchtend.
Dass er dabei noch immer für seine Familie – Frau Eva, vier Kinder Gerhard, Irene, Sascha und Nadja, vier Enkelkinder Beate, die Drillinge Bettina, Stefan und Bernhard – jede Menge Zeit aufbringt, ist auch aufgrund seines fortgeschrittenen Alters eine Sensation.
Helmut Webers Geschichte ist auf den ersten Blick eine vermeintlich ganz normale und zugleich eine ganz besondere, weil der Mensch dahinter ein außergewöhnlicher ist: Erstens erzählt seine Geschichte anhand eines Einzelnen die Historie eines ganzen Landes, zweitens erzählt sie davon, dass man mit Menschlichkeit viel bewirken kann und drittens, dass soziales und gesellschaftspolitisches Engagement auch im privaten Bereich sinnvoll ist und die Humanisten und kritischen Geister zum Glück noch nicht ausgestorben sind … und … und …
Wie sagt Weber schmunzelnd, wenn er einmal, was nicht oft vorkommt, seinen Unmut zeigen will: „Du hast Begräbnisverbot!“ Ich, der ihn bei den St. Pöltner Nachrichten als junger Kulturredakteur kennenlernen durfte und seit Jahren als Freund begleiten darf, verbiete mir ohnedies die nächsten zwanzig Jahre sein Begräbnis, weil, so wie Helmut geistig und körperlich fit ist, er wahrscheinlich meines erleben wird.
In seiner Pension ist er schwer beschäftigt, er gibt literarische Lesungen, tritt als Nikolaus auf, initiiert und unterstützt Mahnmale für Widerstandskämpfer und sucht jederzeit humorvolle und tiefgehende Gespräche. Das kann manchmal auch anstrengend sein, fordernd – als Scheherazade hätte er keinerlei Probleme tausend und eine Nacht zu erzählen – aber es ist in den meisten Fällen befruchtend.
Dass er dabei noch immer für seine Familie – Frau Eva, vier Kinder Gerhard, Irene, Sascha und Nadja, vier Enkelkinder Beate, die Drillinge Bettina, Stefan und Bernhard – jede Menge Zeit aufbringt, ist auch aufgrund seines fortgeschrittenen Alters eine Sensation.
Helmut Webers Geschichte ist auf den ersten Blick eine vermeintlich ganz normale und zugleich eine ganz besondere, weil der Mensch dahinter ein außergewöhnlicher ist: Erstens erzählt seine Geschichte anhand eines Einzelnen die Historie eines ganzen Landes, zweitens erzählt sie davon, dass man mit Menschlichkeit viel bewirken kann und drittens, dass soziales und gesellschaftspolitisches Engagement auch im privaten Bereich sinnvoll ist und die Humanisten und kritischen Geister zum Glück noch nicht ausgestorben sind … und … und …
Wie sagt Weber schmunzelnd, wenn er einmal, was nicht oft vorkommt, seinen Unmut zeigen will: „Du hast Begräbnisverbot!“ Ich, der ihn bei den St. Pöltner Nachrichten als junger Kulturredakteur kennenlernen durfte und seit Jahren als Freund begleiten darf, verbiete mir ohnedies die nächsten zwanzig Jahre sein Begräbnis, weil, so wie Helmut geistig und körperlich fit ist, er wahrscheinlich meines erleben wird.