Chicken
Text
Althea Müller
Ausgabe
„Klettern zu gehen war echt eine gute Idee“, sage ich begeistert und schließe die Spindtür, „hat Spaß gemacht!“ – „Stop“, sagt Lieblingsfreundin Sil tonlos, „das hier war nur die Umkleide. Jetzt geht’s erst in die Halle. Komm. Und dämpf die Zigarette aus.“ Missmutig wie eine Dreijährige beim Hofer trotte ich hinter ihr her. Und bleibe an der Saftbar hängen. „Wie du dich anstellst“, zischt Sil und zieht mich relativ grob vom Grapefruitcocktail weg. Ok. Das hier ist also die Kletterwand. Was Sil nicht weiß: Ich bin eigentlich die Königin der Kletterer. Freeclimbing nennt sich das, was ich schon seit Jahren in den Bergen, Tälern und Auen betreibe. Zumindest im Kopf. Aber wie schon André Heller sagte... „Rauf“, herrscht Sil mich an und verjagt die goldenen Gedanken. „Und keine Angst“, presst sie zwischen gefletschten Zähnen hervor, „ich SICHERE dich.“ Wir wollen uns den Mittelteil ersparen, der sich irgendwo zwischen pädagogisch wertvoll und zutiefst beschämend einordnen lässt. Enden tut alles mit mir, an einem Seil in der Luft hängend, laut „Ich hasse das alles“ schreiend. Zurück in der Umkleide ist Sil zufrieden: „Für den Anfang gar nicht schlecht – peinlich, aber gar nicht schlecht“, sagt sie, während ich mir weinend die engen Schuhe von den blutigen Aschenputtelzehen peele. Hauptsache, Mrs. Sportass ist glücklich. Geschwächt lehne ich mich nach hinten. Wo sich die Kante der offenen Spindtür tief zwischen meine Schulterblätter bohrt. Mein erschöpfter Schrei ist lautlos. „Na toll“, sagt Sil, „jetzt kann ich dich auch noch nach Hause TRAGEN.“ Klettern zu gehen war echt eine gute Idee.