Chicken
Text
Althea Müller
Ausgabe
Gott! Ich bin verliebt! So richtig, mit Fledermäusen im Bauch, Jumbojets im Gehirn und überhaupt. Ich kann nicht mehr essen, kann nicht mehr schlafen, und wenn ich von IHM rede, fange ich automatisch an, deppad zu grinsen. Die Mama verdreht die Augen und macht sich Sorgen, die Freundinnen wenden sich genervt ab. Ich aber sitze verträumt vor seinem Bild und schwelge. Er. Groß. Dünn. Dunkel. Mit geheimnisvollen Augen, eh klar. 18 Jahr’ alt, aber was soll’s. Er ist der, den ich immer haben wollte. Der mir wilde Nächte verspricht. Hat Feuer im Blut. Läuft immer auf der Überholspur. Live fast, die young und so. Oh Baby. Ich habe gebettelt, abgenommen, bin ihm überall hin gefolgt. Und jetzt. Endlich. Nach so langer Zeit voller Sehnsucht und Zweifeln gehört er mir. Und schon bald werden wir gemeinsam von hier abhauen. Nach uns die Sintflut, kein Blick zurück, nur er und ich und über uns die Sterne und vor uns die Ungewissheit. Ich sehe es vor mir. Ich spüre es. Bis jetzt. „Na guad“, sagt der nette Mann von der Werkstatt, „es tut mir leid, aber für DEN kriegen’S kein Pickerl mehr.“ Sagt es, dreht sich um und geht. Und lässt mich zurück mit den Trümmern meiner eben noch brennenden Liebe. Meinem grad erst gekauften, aber leider durch und durch hinichen schwarzen Mazda 323F mit Schlafaugen. Eben noch Traumprinz, jetzt in der Schrottpresse. Mit einer Träne im Gesicht streiche ich ihm ein letztes Mal zärtlich über seinen scheibenlosen Rahmen. Rostige Brocken fallen zitternd herab, winden sich am Boden, sterben lautlos. So wie mein Herz, das sich seine 108 PS einmal mehr in die Haar’ schmieren kann. Liebe ist grausam.