MFG - You’ve got a match
You’ve got a match


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

You’ve got a match

Text Dominik Leitner
Ausgabe 02/2018

Kinder und Jugendliche suchen oft jemanden zum Zuhören, zum Reden oder zum Aufschauen. Der Verein „Big Brothers Big Sisters“ sucht deshalb Mentorinnen und Mentoren, die diese Aufgabe übernehmen – seit kurzem auch in St. Pölten.

Die Idee ist nicht ganz neu: Bereits vor 113 Jahren wurde der Verein in den USA gegründet. Schon damals war es das Ziel, in dem direkten Mentoringprogramm die individuellen Potentiale der Kinder zu fördern. So auch beim Ableger in Österreich: Seit 2011 gibt es das Programm – seit Oktober 2016 auch außerhalb von Wien, nämlich in St. Pölten. Von Beginn an war der Psychologe Oliver Wenninger in Österreich zuständig.
Im Gespräch erzählt er, dass auch sein eigener Weg nicht der geradlinigste war: Mit 15 hat er die Schule abgebrochen, danach eine Lehre absolviert und viele Jahre als Maskenbildner für Theater und Film gearbeitet. Schließlich entschied er sich, im zweiten Bildungsweg Psychologie zu studieren. Seit über fünf Jahren steht er nun dem Verein vor und erzählt mit Begeisterung von der bisher erfolgten Arbeit sowie den Zukunftsplänen.
Obwohl Big Brothers Big Sisters kaum Geld in Werbung investiert, erfährt der Verein ständig Zulauf: So kennen bereits viele Lehrer das Programm und empfehlen es weiter, außerdem meldet sich in Wien die MA 11, das „Amt für Jugend und Familie“, mit potentiellen Kindern und Jugendlichen. Viele Familien kommen auf Empfehlung anderer Eltern und Jugendlicher, die bereits im Programm sind. Prinzipiell kann sich jedes Kind anmelden – tatsächlich kommen viele aber aus schwierigen Verhältnissen, machen vielleicht gerade eine schwierige Phase in ihrem Umfeld durch und brauchen deshalb Unterstützung sowie eine helfende Hand von außen.
Bunt gemischt – bei Jung und Alt
Oliver Wenninger und seine Kollegen sind es dann, die mit jedem einzelnen Kind (den sogenannten Mentees) und jedem potentiellen Mentor zahlreiche Gespräche führen.
Doch wer sind diese Kinder und Jugendlichen genau, wer die Erwachsenen? Im Jahresbericht 2016 bietet der Verein Einblick in die soziodemografischen Werte: So sind 80 Prozent aller Mentees zwischen 10 und 18 Jahren alt. Fast zwei Drittel der Kinder wachsen in Ein-Eltern-Familien auf, ein Viertel mit beiden Eltern. Die Hälfte der Kinder und Jugendlichen besitzt Migrationshintergrund, fünfzehn Prozent der Mentees haben Fluchthintergrund. Speziell für sie hat Big Brothers Big Sisters mit „You & Me – Junge Flüchtlinge im Leben begleiten“ ein spezielles Programm entwickelt.
Von den ehrenamtlichen Mentoren sind fast 70 Prozent zwischen 20 und 39 Jahren alt. Fast drei Viertel sind berufstätig, der Rest sind Studierende, Menschen in Ausbildung oder Pensionisten. Zudem weisen auch bei den Erwachsenen 30 Prozent einen Migrationshintergrund auf.
Wobei es letztlich sozusagen auf den Mix ankommt: Denn abseits aller Zahlen und Fakten gibt es natürlich ganz unterschiedliche Charaktere, und hier setzt eine Aufgabe des Psychologenteams an: Das passende Tandem zusammenzuschließen. Daher unterhalten sie sich mit den Kindern und deren Eltern bzw. Erziehungsberechtigten ebenso wie mit den fertig ausgebildeten Mentoren und versuchen ähnliche Interessen, ähnlichen Humor etc. herauszufiltern. V. a. orientiert man sich an den Bedürfnissen der Kinder.
Dieser Prozess des sogenannten „Matchings“ wird sehr ernst genommen: „Die gute ‚Passung‘ wird nicht hintangestellt, selbst wenn ein Kind zum Beispiel schon lange auf der Warteliste ist. Es geht uns echt darum, dass das Tandem wirklich gut zusammenpasst“, erklärt Wenninger.
"Das ist nicht nur ein Gewinn für das Kind, sondern für beide." OLIVER WENNINGER
Bestätigte Wirkung
Die Grundidee hinter der Initiative ging anno dazumal vom New Yorker Gerichtsschreiber Ernest Coulter aus, der die steigende Anzahl jugendlicher Straftäter senken wollte.
Heute bestätigen wissenschaftliche Studien den Erfolg von Mentoring: So haben Teilnehmer des Programms eine um ein Drittel geringere Wahrscheinlichkeit für Alkohol- und Drogenmissbrauch als in Vergleichsgruppen, ein besseres Verhältnis zu Eltern und Gleichaltrigen. Das US-amerikanische Marktforschungsinstitut Harris International hat 2009 zudem festgestellt, dass 77% der Teilnehmer einen besseren schulischen Erfolg aufweisen.
Aktuell führt auch die Sigmund Freud Privatuniversität Wien eine Langzeitstude über die Wirksamkeit des Programms in Österreich durch. An dieser Studie nimmt auch die FH-Professorin Rosa von Suess, eine der Mentorinnen in St. Pölten, teil: Sie ist seit Juni 2017 Mentorin bei Big Brothers Big Sisters, weil ihr „soziales Engagement für junge Menschen wichtig ist.“ Gemeinsam mit ihrem Mentee Janaa, einem neunjährigen Mädchen, bildet sie das 200. Tandem in Österreich. Von Suess ist überzeugt, dass man positiv auf den Mentee einwirken kann. So erzählt sie, „dass die Lehrerin von Janaa etwa Fortschritte in Mathematik festgestellt hat. In unserer wohlwollenden Beziehung lässt sich in Bezug auf das Lernen sehr schnell viel erreichen.“
Mit Janaa würde sie „ein perfektes Team bilden. Wir beide recherchieren sehr gerne und suchen gerne Antworten auf Fragen, die sich uns im Alltag stellen“, erzählt von Suess und spricht auch über den Austausch der Mentoren untereinander: „Ich kenne mittlerweile alle Mentoren aus St. Pölten und einige aus Wien. Wir alle sind immer wieder erstaunt, wie es das Big Brothers Big Sisters-Team schafft, dass das Matching so gut funktioniert.“
"Wir alle sind immer wieder erstaunt, wie gut das Matching funktioniert." ROSA VON SUESS

Immer auf der Suche

Aktuell gibt es über 220 Tandems, der Bedarf ist aber höher – weitere Jugendliche stehen auf der Warteliste. Deshalb ist Big Brothers Big Sisters nach wie vor auf Suche nach Mentoren, insbesondere auch Männern. Die nächste Möglichkeit, sich über das Projekt zu informieren, das von der ERSTE Stiftung und der Privatstiftung der Sparkasse NÖ Mitte West AG unterstützt wird, gibt es am 21. März in der Sparkasse Domgasse 5 beim sogenannten „Big Talk – ein Gespräch unter Mentor/innen und allen die es werden wollen!“ Voranmeldung unter mentoring@BigBrothers-BigSisters.at!
www.bigbrothers-bigsisters.at