Hauptstadt Versteinerungen
Ausgabe
Vor 25 Jahren wurde St. Pölten zur Hauptstadt erhoben. Während sich die Politik angesichts dessen bei diversen Feierlichtkeiten heuer selbst auf die Schulter klopfte, blieb einer dezent im Hintergrund: Norbert Steiner, ehemals Vorstandsdirektor der mit der Umsetzung des Regierungsviertels und weiterer Hauptstadtbauten betrauten NÖ Landeshauptstadtplanungsgesellschaft.
Wir treffen den Topmanager am Flughafen Wien, wo er seit 2009 als Projektleiter des Skylink die Fäden zieht, nachdem er diese – als Krisenfeuerwehr geholt – zunächst entwirren und neu spannen musste. Am Security des Office Park, einem typischen Glaspalast der Marke „kalt-modern“ vorbei geht es in den 3. Stock, wo wir im „transparenten“ Besprechungsraum Platz nehmen. Steiner können wir zwar noch nicht sehen, dafür aber hören. Seine sonore Bassstimme ist eines seiner Markenzeichen, ebenso wie seine Geradlinigkeit und die Affinität für seine nunmehrige Heimatstadt St. Pölten, die er vor 25 Jahren über ein Jahrzehnt lang federführend mitgestaltete.
Sie waren Leiter der Stadtentwicklungsplanung in München bevor Sie nach St. Pölten wechselten. Wie verschlug es Sie in die Provinz?
Nach 15 Jahren in München hatte ich zunehmend begonnen, verschiedene Projekte nebenbei anzunehmen – für die OECD, im Iran, in den USA. Offensichtlich suchte ich Veränderung. Damals brachte mir mein Bruder ein Inserat aus dem KURIER mit, wo ein Projektleiter fürs Regierungsviertel gesucht wurde. Ich dachte anfangs natürlich, dass das ohnedies eine Scheinausschreibung ist, aber als mich mein Münchner Baustadtrat darauf ansprach, dass sich Hans Hollein bei ihm über mich erkundigt habe, wusste ich, dass die es tatsächlich ernst meinen. Hollein wurde in Folge ja ein treuer Wegbegleiter, er hat mir sehr viel beigebracht. Was zum Beispiel?
U. a. gab er mir den Rat, dass man bei einem solchen Großprojekt mit stetem „Konsenssuchen“ nicht weit kommen wird. (lacht) Naja, ich konnte mir dann ja nicht selten – bis zum Landeshauptmann hinauf – anhören: ‚Der Steiner ist ein sturer Hund!‘ Das wird uns Tirolern ja gerne nachgesagt. Aber es ist doch so: Wenn man von etwas überzeugt ist, muss man es auch durchziehen. Durchhaltevermögen und gute Nerven waren sicher Schlüsseleigenschaften für Ihren Job, oder?
Der Erwartungsdruck war enorm, die Leute dachten ja, dass wir jetzt nach dem Hauptstadtbeschluss wie eine Rakete abgehen. Aber zunächst mussten wir eine Bestandsaufnahme durchführen. Bald wurden Stimmen laut, die fragten ‚Was machen die Brüder eigentlich?‘ Das war schon eine kritische Zeit. Aber Siegfried Ludwig schenkte uns das Vertrauen, so dass wir das Projekt Schritt für Schritt entwickeln konnten. Und ist damit gut gefahren. Der Zeitplan wurde nicht nur unterschritten, sondern Sie blieben auch 24 Millionen Euro unter dem Voranschlag! Wie ist Ihnen dieses Kunststück gelungen?
Es war in gewisser Weise eine ideale Zeit. Parallel zum Hauptstadtprojekt stand die EXPO 1992 im Raum, die Bauindustrie befürchtete eine Überhitzung des Marktes – daher wurde vorsichtig kalkuliert, außerdem waren gute Preise auszuverhandeln. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Projekt zu keinem anderen Zeitpunkt finanzier- und umsetzbar gewesen wäre. Weder vorher, noch später. So betrachtet war es eine absolute Glückszeit! Auch für Sie? Was war denn das Besondere?
Wir hatten praktisch keine Vorgaben - abgesehen von der Übersiedlung der Landesregierung! Es gab weder einen fixen Standort, noch ein Siegerprojekt, noch ein fixes Programm. Ein Projekt derart in die Tiefe entwickeln zu dürfen, war schlicht einmalig – so eine Chance bekommst du pro Generation vielleicht einmal. Der Ansatz war ja, kein reines Verwaltungszentrum zu schaffen, sondern mehrere Funktionen zu erfüllen.
Ja, auch Sport und Kultur wurden wesentlich, wobei für die „Pflicht“ politisch sozusagen Ludwig und Pröll standen, während die „Kür“, also Sport und Kultur, v. a. von Liese Prokop sehr vorangetrieben wurde. Ich kann mich noch gut erinnern, als es um den Standort der Landessportschule ging und wir ihr Viehofen vorgeschlagen haben. „Im Glasscherbenviertel soll das sein?“, war ihre erste Reaktion. Heute ist das die tollste Freizeitgegend, eingebettet in die Seen, die Auen – alles in allem keine blöde Entscheidung. Auch der Standort fürs Regierungsviertel hat ohne Zweifel Charme. Es gab aber mehrere Varianten.
Es gab damals drei Standorte, die in die engere Wahl kamen: Die Variante am Fluss, dann der Bahnhof – da stand eine Überbauung zur Diskussion – sowie ein Areal westlich der B1, in etwa im Bereich des neuen XXXLutz. Dafür verlangte das Bundesheer allerdings irrsinnige Preise, zudem wollte man einen Neubau, das war nicht durchführbar. Geworden ist es die Flussvariante. Die beste Entscheidung Ihrer Meinung nach?
Von der Qualität her absolut, auch der schönste Standort. Wenn ich heute den Flußlauf der Traisen hinaufblicke, das Schiff anschaue, die B1a Brücke, dahinter die Tiefe des Raumes – das ist schon eine einmalige Gegend! Zudem bot der Standort enorme Entwicklungsmöglichkeiten rundherum, für Kulturbauten, Wirtschaftsgebäude, Wohnen. Wobei heute viele monieren, dass es keine Wohnungen direkt im Viertel gibt.
Kompakte Wohnanlagen waren rund um das Viertel vorgesehen, wie späterhin ja die Rainer-Siedlung. Auch die Fläche zum Hammerpark hin war ursprünglich für Wohnungen vorgesehen, wurde dann aber für andere Infrastruktureinrichtungen – die Sportplätze der Hauptschule – benötigt. Nach dem Motto „nachher ist man immer gescheiter“ wird dem Viertel heute manch Schwäche unterstellt. Die Anbindung zur Altstadt sei nicht ideal, außerdem sei generell nix los.
Schauen Sie sich das Regierungsviertel in Berlin an außerhalb der Dienstzeiten, oder gehen Sie an einem Sonntag auf den Rathausplatz anderer niederösterreichischer Städte – da werden Sie nicht viel Unterschiede zum Regierungsviertel finden. Und im Hinblick auf die Anbindung müssen die beiden Stadtteile primär in den Köpfen der Bürger zusammenwachsen.
Auch die Verkehrslösung ist okay. Wir kamen damals halt alle aus Großstädten, deshalb war es für uns die logischste Sache der Welt, dass der Verkehr unter die Erde muss. Aus heutiger Sicht muss man einräumen, dass es vielleicht besser gewesen wäre, die B1a direkt durch das Viertel zu führen. Möglicherweise auch im Hinblick auf die Belebung des Landhausboulvards? Als visionäre Einkaufs-Flaniermeile konzipiert mutierte er bald zur spröden Servicestraße, die die „Die Presse“ einmal zynisch „Boulvard Of Broken Dreams“ taufte.
Ein Fehler war sicher, den Speisepavillon getrennt von den Geschäften zu errichten. Und wir haben schlicht das urbane Potenzial der Beamtenschaft überschätzt. Während 2.000 Leute auf der Baustelle gearbeitet haben, hatte der Boulevard keine Probleme. Als dann plötzlich 3.000 Beamte einzogen, kamen die Geschäfte ins Trudeln. Die Beamten gaben kein Geld aus oder flanierten, sondern fuhren nach dem Dienst sofort mit dem Wiesel nach Hause. Insgesamt überwiegen die Vorteile aber bei weitem. Dazu genügt auch ein Blick auf die nackten Zahlen.
Es gibt diverse ex-post Analysen, die klar belegen, dass – mit Ausnahme des Bevölkerungsanstieges – die damaligen Prognosen im Hinblick auf wirtschaftliche Effekte, Nachhaltigkeit etc. praktisch alle eingetroffen sind.
Andere Hauptstädte, wie z. B. Potsdam, haben sich jedenfalls viel schwerer getan. In Brasilia stand überhaupt gleich 30 Jahre lang der Grundstein einsam und verlassen in der Gegend herum, bevor etwas passierte. Da herrschte in Niederösterreich schon ein anderer Drive. Was war eigentlich hinsichtlich der Projektabwicklung das Geheimnis des Erfolges?
Ich bin ein Verfechter der Politik des gläsernen Projektes, dass also alles transparent ist und offengelegt wird. Das hat, denke ich, ganz gut funktioniert. Es herrschte eine gute Zusammenarbeit mit dem Land als Bauherr, ebenso mit der St. Pöltner Bevölkerung, die voll hinter dem Projekt gestanden ist. Natürlich gab es mit dem Trupp am Bau bisweilen Matches, aber ich habe damals ein Abendbüro im Gasthaus „Mühle“ eingerichtet, wo man sich nach Dienstschluss kollegial bei einem Bier zusammengesetzt und ausgesprochen hat. Alles in allem war es immer ein Miteinander, alle haben sich identifiziert mit dem Hauptstadt-Projekt.
Zur Person:
Norbert Steiner: Der Mann fürs Gro(ß)be
Norbert Steiner denkt in größeren Maßstäben. Dabei hat dies weniger mit der stattlichen Körpergröße des 1942 in Garmisch Partenkirchen geborenen, freilich in Tirol – wie am gutturralen R unschwer erkennbar – sozialisierten Wahl-St. Pöltners zu tun, als vielmehr mit seinen Arbeitsprojekten, die sämtlich ohne die Begriffe Hektar und Großbaustelle nicht auszukommen scheinen.
Nach Absolvierung der HTL in Innsbruck und des Architekturstudiums an der TU Wien verschlug es Steiner in die im Olympiafieber liegenden Boomtown München, die er die nächsten 15 Jahre, zuletzt als Leiter der räumlichen Entwicklungsplanung, entscheidend mitprägte. 1987 ereilte ihn der Ruf aus St. Pölten, Steiner wurde Vorstandsvorsitzender der NÖ Landeshauptstadtplanungsgesellschaft (NÖPLAN) und wickelte das Regierungsviertel, den Kulturbezirk sowie andere Großbauten des Landes ab. Ganz ohne Budgetexplosion und Skandale! 1999 wechselte Steiner zu den ÖBB und wurde Projektleiter der Bahnhofsoffensive, im Zuge derer auch St. Pöltens hässliches Bahnhofsentlein nach Jahren des Schattendaseins endlich zum Schwan mutieren durfte. „Als höchstes Verdienst rechne ich mir beim St. Pöltner Bahnhof an, dass die Durchfahrt gefallen ist“, lacht Steiner eingedenk des Widerstandes der Kaufmannschaft, die bereits ihr Armageddon gekommen sah. War danach der Wechsel in den Ruhestand geplant, so kam es erstens anders, und zweitens als Steiner dachte. 2009 wurde er kurzerhand reaktiviert und als Leiter des gehörig trudelnden Skylink-Projekts des Wiener Flughafens angeheuert, um als Krisenfeuerwehr ein völliges Fiasko zu verhindern. Allen Unkenrufen zum Trotz, die Steiner ein Scheitern prophezeiten, legte der Manager all seine Erfahrung und Persönlichkeit in die Waagschale und machte tabula rasa: Sprich „Neustart“ samt kompletter Neuausschreibung! Seitdem ist es medial ruhiger um die Baustelle geworden, ja sie nähert sich ihrer Fertigstellung. Ob dies das letzte große Projekt des 69-Jährigen sein wird - who knows? Zwar räumt Steiner im Hinblick auf die Branche ein, dass „die Vergabegesetze und das drumherum immer blöder werden“, die gute alte Handschlagqualität zusehends verloren gehe, aber das gewisse Prickeln verspürt er noch immer. „Da ist schon immer ein Nervenkitzel, die Herausforderung, zu beweisen, dass etwas geht. Und wenn dann ein Projekt abgeschlossen wird, ist das ein unbezahlbarer, unbeschreiblicher Moment.“ Das Projektgeschäft ist überhaupt Steiners Sache, „weil es spannend ist, man etwas gestalten kann, Teamarbeit zählt, und man immer wieder etwas Neues lernt!“
Sein schönstes Projekt dürfte wohl, so darf gemutmaßt werden, die Landeshauptstadt-Umsetzung gewesen sein. Als Indiz möge man nicht nur den Umstand werten, dass sich Steiner mittlerweile in der Rainersiedlung quasi Aug in Aug zum von ihm mitgeschaffenen Regierungsviertel angesiedelt hat, sondern als feiner Zeichner seine ganz persönlichen Glückwünsche zum 25-Jahr-Jubiläum vorgelegt hat: „Hauptstadt Versteinerungen“. Dabei kann man den Titel durchaus wörtlich nehmen, dass Steiner St. Pölten nämlich tatsächlich ver-steinert hat, was freilich nichts mit Statik oder Starre zu tun hat, als vielmehr deren Gegenteil: Dynamik, Aufbruch und Anstoß einer in Stein manifestierten umgesetzten Vision namens „Hauptstadt“, die als perpetuum mobile bis heute und auf Jahrzehnte hinaus wohlstandsfördernd und –sichernd für die Stadt fortschwingt. HARD FACTS „NÖ Landhaus“ :
Architekt (Leitprojekt): DI Ernst Hoffmann
Grundstücksfläche : 216.929 m²
Verbaute Fläche: 20.246 m²
Straßen und Plätze: 35.000 m²
Bruttorauminhalt: 798.347 m³
Parkplätze: 1.250
Baugrubenaushub: 223.000 m³
Betonmenge: 220.900 m³
Stahlbedarf: 16.259.734 kg
Schalungsfläche: 448.600 m²
Baukosten (gesamt): 494 Mio. € Kurzabriss
Projekt Regierungsviertel
1986 Erhebung St. Pöltens zur Landeshauptstadt, Gründung NÖPLAN
1987 Start der Standortuntersuchungen, Vorbereitung Architekturwettbewerb
1988 Standortentscheidung für Errichtung an der Traisen; Start des Grundstückserwerbs (72 ha)
1989 Internationaler Architekturwettbewerb, 1. Preis: Architekt Ernst Hoffmann
1991 Einreichung Baupläne und Beginn Bauverhandlungen „NÖ Landhaus“
1992 Spatenstich „NÖ Landhaus“, Beauftragung Leitprojekt für den „NÖ Kulturbezirk“
1994 Baubeginn „NÖ Kulturbezirk“
1996 Eröffnung Ausstellungshalle (Shedhalle) , Übersiedlungsbeginn der ersten 600 Landesbediensteten von Wien nach St. Pölten, Eröffnung „NÖ Landhausviertel“ Bauabschnitt I, Klangturm, Landhausboulevard
1997 Spatenstich „ORF-Landesstudio NÖ“, 1. Festsitzung im „Landtagsschiff“, Eröffnung „Festspielhaus“, „NÖ Landesbibliothek“, „NÖ Landesarchiv“
1998 Eröffnung der Landesakademie
2002 Eröffnung „NÖ Landesmuseum“ Ausgewählte statistische Zahlen:
Bevölkerung
1986: 50.419
2010: 52.027 Betriebe
1981: 1.798
2010: 3.359 Beschäftigte
1981: 26.758
2010: 43.000 Kommunalsteuer
1986: 6.127.840,5
2010: 23.126.936,5 Nächtigungszahlen
1986: 48.078
2010: 142.590
Nach 15 Jahren in München hatte ich zunehmend begonnen, verschiedene Projekte nebenbei anzunehmen – für die OECD, im Iran, in den USA. Offensichtlich suchte ich Veränderung. Damals brachte mir mein Bruder ein Inserat aus dem KURIER mit, wo ein Projektleiter fürs Regierungsviertel gesucht wurde. Ich dachte anfangs natürlich, dass das ohnedies eine Scheinausschreibung ist, aber als mich mein Münchner Baustadtrat darauf ansprach, dass sich Hans Hollein bei ihm über mich erkundigt habe, wusste ich, dass die es tatsächlich ernst meinen. Hollein wurde in Folge ja ein treuer Wegbegleiter, er hat mir sehr viel beigebracht. Was zum Beispiel?
U. a. gab er mir den Rat, dass man bei einem solchen Großprojekt mit stetem „Konsenssuchen“ nicht weit kommen wird. (lacht) Naja, ich konnte mir dann ja nicht selten – bis zum Landeshauptmann hinauf – anhören: ‚Der Steiner ist ein sturer Hund!‘ Das wird uns Tirolern ja gerne nachgesagt. Aber es ist doch so: Wenn man von etwas überzeugt ist, muss man es auch durchziehen. Durchhaltevermögen und gute Nerven waren sicher Schlüsseleigenschaften für Ihren Job, oder?
Der Erwartungsdruck war enorm, die Leute dachten ja, dass wir jetzt nach dem Hauptstadtbeschluss wie eine Rakete abgehen. Aber zunächst mussten wir eine Bestandsaufnahme durchführen. Bald wurden Stimmen laut, die fragten ‚Was machen die Brüder eigentlich?‘ Das war schon eine kritische Zeit. Aber Siegfried Ludwig schenkte uns das Vertrauen, so dass wir das Projekt Schritt für Schritt entwickeln konnten. Und ist damit gut gefahren. Der Zeitplan wurde nicht nur unterschritten, sondern Sie blieben auch 24 Millionen Euro unter dem Voranschlag! Wie ist Ihnen dieses Kunststück gelungen?
Es war in gewisser Weise eine ideale Zeit. Parallel zum Hauptstadtprojekt stand die EXPO 1992 im Raum, die Bauindustrie befürchtete eine Überhitzung des Marktes – daher wurde vorsichtig kalkuliert, außerdem waren gute Preise auszuverhandeln. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Projekt zu keinem anderen Zeitpunkt finanzier- und umsetzbar gewesen wäre. Weder vorher, noch später. So betrachtet war es eine absolute Glückszeit! Auch für Sie? Was war denn das Besondere?
Wir hatten praktisch keine Vorgaben - abgesehen von der Übersiedlung der Landesregierung! Es gab weder einen fixen Standort, noch ein Siegerprojekt, noch ein fixes Programm. Ein Projekt derart in die Tiefe entwickeln zu dürfen, war schlicht einmalig – so eine Chance bekommst du pro Generation vielleicht einmal. Der Ansatz war ja, kein reines Verwaltungszentrum zu schaffen, sondern mehrere Funktionen zu erfüllen.
Ja, auch Sport und Kultur wurden wesentlich, wobei für die „Pflicht“ politisch sozusagen Ludwig und Pröll standen, während die „Kür“, also Sport und Kultur, v. a. von Liese Prokop sehr vorangetrieben wurde. Ich kann mich noch gut erinnern, als es um den Standort der Landessportschule ging und wir ihr Viehofen vorgeschlagen haben. „Im Glasscherbenviertel soll das sein?“, war ihre erste Reaktion. Heute ist das die tollste Freizeitgegend, eingebettet in die Seen, die Auen – alles in allem keine blöde Entscheidung. Auch der Standort fürs Regierungsviertel hat ohne Zweifel Charme. Es gab aber mehrere Varianten.
Es gab damals drei Standorte, die in die engere Wahl kamen: Die Variante am Fluss, dann der Bahnhof – da stand eine Überbauung zur Diskussion – sowie ein Areal westlich der B1, in etwa im Bereich des neuen XXXLutz. Dafür verlangte das Bundesheer allerdings irrsinnige Preise, zudem wollte man einen Neubau, das war nicht durchführbar. Geworden ist es die Flussvariante. Die beste Entscheidung Ihrer Meinung nach?
Von der Qualität her absolut, auch der schönste Standort. Wenn ich heute den Flußlauf der Traisen hinaufblicke, das Schiff anschaue, die B1a Brücke, dahinter die Tiefe des Raumes – das ist schon eine einmalige Gegend! Zudem bot der Standort enorme Entwicklungsmöglichkeiten rundherum, für Kulturbauten, Wirtschaftsgebäude, Wohnen. Wobei heute viele monieren, dass es keine Wohnungen direkt im Viertel gibt.
Kompakte Wohnanlagen waren rund um das Viertel vorgesehen, wie späterhin ja die Rainer-Siedlung. Auch die Fläche zum Hammerpark hin war ursprünglich für Wohnungen vorgesehen, wurde dann aber für andere Infrastruktureinrichtungen – die Sportplätze der Hauptschule – benötigt. Nach dem Motto „nachher ist man immer gescheiter“ wird dem Viertel heute manch Schwäche unterstellt. Die Anbindung zur Altstadt sei nicht ideal, außerdem sei generell nix los.
Schauen Sie sich das Regierungsviertel in Berlin an außerhalb der Dienstzeiten, oder gehen Sie an einem Sonntag auf den Rathausplatz anderer niederösterreichischer Städte – da werden Sie nicht viel Unterschiede zum Regierungsviertel finden. Und im Hinblick auf die Anbindung müssen die beiden Stadtteile primär in den Köpfen der Bürger zusammenwachsen.
Auch die Verkehrslösung ist okay. Wir kamen damals halt alle aus Großstädten, deshalb war es für uns die logischste Sache der Welt, dass der Verkehr unter die Erde muss. Aus heutiger Sicht muss man einräumen, dass es vielleicht besser gewesen wäre, die B1a direkt durch das Viertel zu führen. Möglicherweise auch im Hinblick auf die Belebung des Landhausboulvards? Als visionäre Einkaufs-Flaniermeile konzipiert mutierte er bald zur spröden Servicestraße, die die „Die Presse“ einmal zynisch „Boulvard Of Broken Dreams“ taufte.
Ein Fehler war sicher, den Speisepavillon getrennt von den Geschäften zu errichten. Und wir haben schlicht das urbane Potenzial der Beamtenschaft überschätzt. Während 2.000 Leute auf der Baustelle gearbeitet haben, hatte der Boulevard keine Probleme. Als dann plötzlich 3.000 Beamte einzogen, kamen die Geschäfte ins Trudeln. Die Beamten gaben kein Geld aus oder flanierten, sondern fuhren nach dem Dienst sofort mit dem Wiesel nach Hause. Insgesamt überwiegen die Vorteile aber bei weitem. Dazu genügt auch ein Blick auf die nackten Zahlen.
Es gibt diverse ex-post Analysen, die klar belegen, dass – mit Ausnahme des Bevölkerungsanstieges – die damaligen Prognosen im Hinblick auf wirtschaftliche Effekte, Nachhaltigkeit etc. praktisch alle eingetroffen sind.
Andere Hauptstädte, wie z. B. Potsdam, haben sich jedenfalls viel schwerer getan. In Brasilia stand überhaupt gleich 30 Jahre lang der Grundstein einsam und verlassen in der Gegend herum, bevor etwas passierte. Da herrschte in Niederösterreich schon ein anderer Drive. Was war eigentlich hinsichtlich der Projektabwicklung das Geheimnis des Erfolges?
Ich bin ein Verfechter der Politik des gläsernen Projektes, dass also alles transparent ist und offengelegt wird. Das hat, denke ich, ganz gut funktioniert. Es herrschte eine gute Zusammenarbeit mit dem Land als Bauherr, ebenso mit der St. Pöltner Bevölkerung, die voll hinter dem Projekt gestanden ist. Natürlich gab es mit dem Trupp am Bau bisweilen Matches, aber ich habe damals ein Abendbüro im Gasthaus „Mühle“ eingerichtet, wo man sich nach Dienstschluss kollegial bei einem Bier zusammengesetzt und ausgesprochen hat. Alles in allem war es immer ein Miteinander, alle haben sich identifiziert mit dem Hauptstadt-Projekt.
Zur Person:
Norbert Steiner: Der Mann fürs Gro(ß)be
Norbert Steiner denkt in größeren Maßstäben. Dabei hat dies weniger mit der stattlichen Körpergröße des 1942 in Garmisch Partenkirchen geborenen, freilich in Tirol – wie am gutturralen R unschwer erkennbar – sozialisierten Wahl-St. Pöltners zu tun, als vielmehr mit seinen Arbeitsprojekten, die sämtlich ohne die Begriffe Hektar und Großbaustelle nicht auszukommen scheinen.
Nach Absolvierung der HTL in Innsbruck und des Architekturstudiums an der TU Wien verschlug es Steiner in die im Olympiafieber liegenden Boomtown München, die er die nächsten 15 Jahre, zuletzt als Leiter der räumlichen Entwicklungsplanung, entscheidend mitprägte. 1987 ereilte ihn der Ruf aus St. Pölten, Steiner wurde Vorstandsvorsitzender der NÖ Landeshauptstadtplanungsgesellschaft (NÖPLAN) und wickelte das Regierungsviertel, den Kulturbezirk sowie andere Großbauten des Landes ab. Ganz ohne Budgetexplosion und Skandale! 1999 wechselte Steiner zu den ÖBB und wurde Projektleiter der Bahnhofsoffensive, im Zuge derer auch St. Pöltens hässliches Bahnhofsentlein nach Jahren des Schattendaseins endlich zum Schwan mutieren durfte. „Als höchstes Verdienst rechne ich mir beim St. Pöltner Bahnhof an, dass die Durchfahrt gefallen ist“, lacht Steiner eingedenk des Widerstandes der Kaufmannschaft, die bereits ihr Armageddon gekommen sah. War danach der Wechsel in den Ruhestand geplant, so kam es erstens anders, und zweitens als Steiner dachte. 2009 wurde er kurzerhand reaktiviert und als Leiter des gehörig trudelnden Skylink-Projekts des Wiener Flughafens angeheuert, um als Krisenfeuerwehr ein völliges Fiasko zu verhindern. Allen Unkenrufen zum Trotz, die Steiner ein Scheitern prophezeiten, legte der Manager all seine Erfahrung und Persönlichkeit in die Waagschale und machte tabula rasa: Sprich „Neustart“ samt kompletter Neuausschreibung! Seitdem ist es medial ruhiger um die Baustelle geworden, ja sie nähert sich ihrer Fertigstellung. Ob dies das letzte große Projekt des 69-Jährigen sein wird - who knows? Zwar räumt Steiner im Hinblick auf die Branche ein, dass „die Vergabegesetze und das drumherum immer blöder werden“, die gute alte Handschlagqualität zusehends verloren gehe, aber das gewisse Prickeln verspürt er noch immer. „Da ist schon immer ein Nervenkitzel, die Herausforderung, zu beweisen, dass etwas geht. Und wenn dann ein Projekt abgeschlossen wird, ist das ein unbezahlbarer, unbeschreiblicher Moment.“ Das Projektgeschäft ist überhaupt Steiners Sache, „weil es spannend ist, man etwas gestalten kann, Teamarbeit zählt, und man immer wieder etwas Neues lernt!“
Sein schönstes Projekt dürfte wohl, so darf gemutmaßt werden, die Landeshauptstadt-Umsetzung gewesen sein. Als Indiz möge man nicht nur den Umstand werten, dass sich Steiner mittlerweile in der Rainersiedlung quasi Aug in Aug zum von ihm mitgeschaffenen Regierungsviertel angesiedelt hat, sondern als feiner Zeichner seine ganz persönlichen Glückwünsche zum 25-Jahr-Jubiläum vorgelegt hat: „Hauptstadt Versteinerungen“. Dabei kann man den Titel durchaus wörtlich nehmen, dass Steiner St. Pölten nämlich tatsächlich ver-steinert hat, was freilich nichts mit Statik oder Starre zu tun hat, als vielmehr deren Gegenteil: Dynamik, Aufbruch und Anstoß einer in Stein manifestierten umgesetzten Vision namens „Hauptstadt“, die als perpetuum mobile bis heute und auf Jahrzehnte hinaus wohlstandsfördernd und –sichernd für die Stadt fortschwingt. HARD FACTS „NÖ Landhaus“ :
Architekt (Leitprojekt): DI Ernst Hoffmann
Grundstücksfläche : 216.929 m²
Verbaute Fläche: 20.246 m²
Straßen und Plätze: 35.000 m²
Bruttorauminhalt: 798.347 m³
Parkplätze: 1.250
Baugrubenaushub: 223.000 m³
Betonmenge: 220.900 m³
Stahlbedarf: 16.259.734 kg
Schalungsfläche: 448.600 m²
Baukosten (gesamt): 494 Mio. € Kurzabriss
Projekt Regierungsviertel
1986 Erhebung St. Pöltens zur Landeshauptstadt, Gründung NÖPLAN
1987 Start der Standortuntersuchungen, Vorbereitung Architekturwettbewerb
1988 Standortentscheidung für Errichtung an der Traisen; Start des Grundstückserwerbs (72 ha)
1989 Internationaler Architekturwettbewerb, 1. Preis: Architekt Ernst Hoffmann
1991 Einreichung Baupläne und Beginn Bauverhandlungen „NÖ Landhaus“
1992 Spatenstich „NÖ Landhaus“, Beauftragung Leitprojekt für den „NÖ Kulturbezirk“
1994 Baubeginn „NÖ Kulturbezirk“
1996 Eröffnung Ausstellungshalle (Shedhalle) , Übersiedlungsbeginn der ersten 600 Landesbediensteten von Wien nach St. Pölten, Eröffnung „NÖ Landhausviertel“ Bauabschnitt I, Klangturm, Landhausboulevard
1997 Spatenstich „ORF-Landesstudio NÖ“, 1. Festsitzung im „Landtagsschiff“, Eröffnung „Festspielhaus“, „NÖ Landesbibliothek“, „NÖ Landesarchiv“
1998 Eröffnung der Landesakademie
2002 Eröffnung „NÖ Landesmuseum“ Ausgewählte statistische Zahlen:
Bevölkerung
1986: 50.419
2010: 52.027 Betriebe
1981: 1.798
2010: 3.359 Beschäftigte
1981: 26.758
2010: 43.000 Kommunalsteuer
1986: 6.127.840,5
2010: 23.126.936,5 Nächtigungszahlen
1986: 48.078
2010: 142.590