Jugend voran
Ausgabe
International steht aktuell die Jugend im Rampenlicht. An den Umbrüchen im arabischen Raum ist sie ebenso federführend beteiligt, wie im Falle der Eruptionen sozialer Unzufriedenheit in Großbritannien, Spanien oder Chile. Wäre derlei auch in Österreich denkbar? Wie ticken die Jungen hierzulande, und wo versucht die offizielle Politik sie abzuholen? Eine Annäherung.
DIE Jugend – Abgesehen davon, dass die Adoleszenz, welche die Phase der geschlechtlichen Reife mit all ihren Wirren und dem Ausloten von Lebensentwürfen umfasst, erst im Laufe des 20. Jahrhunderts zusehends als eigene Lebensphase anerkannt und wahrgenommen wurde, ist der Begriff „Jugend“ an sich schon problematisch wie Elisabeth Ziegler vom Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend konstatiert. „Pauschalaussagen über eine Bevölkerungsgruppe, die in Österreich mehr als eine Million Menschen umfasst, sind nicht gerechtfertigt. Das einzige, was diese Menschen miteinander verbindet, ist das Alter!“ Noch pointierter formuliert es Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier: „Ein generelles Problem der Diskussion über die gesellschaftliche Gruppe Jugend ist, dass sie sich wenig sinnvoller Verallgemeinerungen bedient, die mehr verhüllen als sie sichtbar machen und erklären. ‚Die Jugend’ – darüber ist sich die Jugendforschung einig – gibt es nicht!“
Das heißt aber nicht, dass man als Erwachsener mit dieser Bevölkerungsgruppe keine Anknüpfungspunkte hätte, immerhin sind alle Älteren diesen Weg gegangen, wenn auch jeder auf seine eigene Art und Weise. Befremdlich muten daher (in St. Pölten angesichts des Festivalsgeschehens neuerdings sogar bei ehemals glühenden ‚Berufsjugendlichen’ beobachtbare) Denkmuster an, die sich einer an Alzheimer gemahnenden Sprachregelung á la „Wir waren aber nicht so!“ bedienen, was geradewegs im Klassiker aus dem Phrasenbuch „Früher war alles besser“ münde, was natürlich in einem Anflug von Selbstbeweihräuch erung (in Wahrheit Selbsttäuschung) suggerieren soll „Wir waren besser, braver, verantwortungsvoller...“ Nur stimmt das nicht!
Elisabeth Ziegler fordert daher völlig zurecht im Umgang mit Jugendlichen primär einmal die Eltern- und Großelterngeneration auf, „dass die Erwachsenen an die Zeit denken sollen, als sie selbst jung waren und die Hormone verrücktspielten“ und postuliert ein Aufeinanderzugehen auf Augenhöhe, „indem Erwachsene das Wörtchen ‚für’ durch ‚mit’ ersetzen, also Jugendliche in Problemlösungen oder Entscheidungsprozesse wirklich mit einbeziehen, sie ernstnehmen und respektieren.“ Unterschiede
Unterschiede zu früher gibt es, wie ja der Wandel einer Gesellschaft solche stets nach sich zieht, selbstverständlich – aber diese funktionieren sicher nicht nach dem Muster besser oder schlechter. Dr. Beate Großegger, wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Jugendkulturforschung, umschreibt die Generation der Jungend hierzulande wie folgt: „Die heutige Jugend ist enorm pragmatisch. Sie sucht nicht nach großen Wahrheiten und blickt nicht allzu visionär in die Zukunft, sondern konzentriert sich auf das Leben im Hier und Jetzt: Selbstbestimmt sein, das Leben genießen, sich auf die Dinge und vor allem auch die Menschen, die einem persönlich wichtig sind, konzentrieren.“
Auch im Hinblick auf die Herausforderungen wäre es wahrscheinlich müßig Aussagen wie „heute haben es Jugendliche leichter bzw. schlechter“ zu treffen. Fakt ist, so Großegger, dass die Gegenwartsgesellschaft Jugendliche mit zahlreichen Risiken konfrontiere, wobei Bildung und Arbeitsmarktchancen Schlüsselthemen darstellten. „Tatsache ist, dass für junge Menschen trotz immer höherer Bildungsabschlüsse ein langfristig sicherer Arbeitsplatz oft nicht mehr als ein frommer Wunsch bleibt. Bildung ist für Jugendliche heute Voraussetzung, aber noch lange keine Garantie, um in der Arbeitswelt gut Fuß fassen zu können. Diejenigen, die keine entsprechenden Abschlüsse vorweisen können, bleiben gänzlich außen vor.“ Gerade diese Disparität berge, auf die Spitze getrieben, sozialen Sprengstoff, wie er sich etwa im Falle der gewalttätigen Eruptionen in Teilen Europas entladen habe. Oder er bildet mit Unterfutter für revolutionäre Strömungen. „Die breite Mehrheit geht dennoch nicht auf die Barrikaden – zumindest gilt das in Österreich. Der Zeitgeist geht bei der österreichischen Jugend in eine andere Richtung: Man versucht sich in der Schule, am Ausbildungsplatz und im Beruf mit dem System bestmöglich zu arrangieren. Das heißt, man macht, so gut es eben geht, mit. In der Freizeit wird das, was einen ‚anstinkt’, dann durch eine teils exzessive Erlebniskultur kompensiert. Die Träume der Jugend sind in diesem Szenario mehr und mehr in den Bereich der Freizeit und des Privaten verbannt. Gesellschaftsutopien – das ist etwas für die Elterngeneration“, erläutert Großegger. Auch sie plädiert in diesem Zusammenhang für ein Ins-Gespräch-Kommen mit den jungen Menschen, um zu erfahren, was diese wirklich bewegt, was sie wirklich brauchen – sei es in Bezug auf Jugend-, Bildungs- oder Arbeitsmarktfragen. à la card
Ein solcher Ansatz, über einen Umweg ins Gespräch und in Tuchfühlung mit den Jungen zu kommen, ist laut St. Pöltens Bürgermeister Matthias Stadler die neue „City SUPA Card“ für alle 14 bis 24 jährigen Bürger der Stadt. „Die City SUPA Card soll die Verbundenheit der Jugendlichen mit ihrer Heimatstadt St. Pölten zum Ausdruck bringen.“ Auffallend ist bei der neuen Karte der überproportionale Fokus auf die Freizeitgestaltung. Außerdem hatte ihre Präsentation kürzest vor der Wahl (im Zuge derer erstmals auch Jugendliche ab 16 Jahren wahlberechtigt waren) den schalen Beigeschmack, dass es primär einmal weniger um die Jugendlichen selbst, als vielmehr um ihre Stimmen ging. Der zuständige Jugendkoordinator Wolfgang Matzl stellt diesbezüglich zwar eine „gewisse schiefe Optik“ nicht in Abrede, erklärt aber „dass wir die Karte noch unbedingt vor den Sommerferien bringen wollten. Das hatte mit der Wahl rein gar nichts zu tun!“ Insbesondere der vergünstigte Eintritt ins Sommerbad sollte die ganzen Ferien hindurch mit der Karte in Anspruch genommen werden können. Die in den Ferien geschlossene Aquacity sowie das Stadtmuseum, als die einzigen damals weiteren fixen Angebote, wären für die Jugendlichen wohl auch nicht der große Burner gewesen. Matzl verteidigt den Beginn mit eingeschränktem Angebot: „Ich habe bisher gute Erfahrungen mit Projekten gemacht, die klein beginnen. Jetzt gilt es, das Projekt als Ganzes wachsen zu lassen. Wachstum bedeutet hierbei auch gleich Qualitätskontrolle.“
Gespräche mit anderen Betrieben würden schon intensiv geführt. Noch im Herbst soll der nächste Schwung an Angeboten präsentiert werden, wobei deren regionaler Charakter auch die Attraktivität der Karte ausmachen werde, „denn was interessiert einen St. Pöltener eine Vergünstigung in Horn?“ Image durch Kultur
So nett die CitySUPACard ist, stellt sich doch die Frage, was eigentlich aus dem vor Jahren mit großem Tamtam (übrigens ebenfalls kurz vor einer Wahl) präsentierten, thematisch sozusagen „globaleren“ Jugendentwicklungsplan geworden ist? Verstaubt er, wie so viele andere Positions- und Richtungspapiere, in irgendeiner Schublade im Rathaus? Also alles – um Didi Kühbauer zu zitieren – für die Würscht?! Matzl widerspricht. „Es war wichtig, damals alle an einen Tisch zu bringen. Die Kontakte, die ich damals geknüpft habe, helfen mir heute noch in meiner täglichen Arbeit weiter.“ Und wie sieht es mit konkreten Ergebnissen aus? „Vieles aus dem Jugendentwicklungsplan wurde ja umgesetzt, z. B. das Sternschnuppen-Taxi. Manche Ziele hingegen waren zu hoch gesteckt.“ Matzl fügt pragmatisch hinzu: „Man kann niemals etwas zu 100 Prozent umsetzen. Der Jugendentwicklungsplan dient aber noch heute den Entscheidungsträgern als Leitfaden.“
Ein Aspekt, der damals als explizite Zielsetzung in den Fokus gerückt worden war, betraf die Verbesserung des angeknacksten Images der Stadt. „Damals war das Sudern ja gerechtfertigt“, erinnert sich Matzl. Ein mögliches Vehikel zur Imagekorrektur hatte sich auch schnell herauskristallisiert: „Image kann man am besten durch Kultur korrigieren, und so entstanden verschiedenste kulturelle Einrichtungen.“ Nach Matzl sei es daher auch kein Zufall, dass etwa große Festivals wie Frequency oder Beatpatrol heute in St. Pölten stattfinden. Die Festivals also indirekter Ausfluss des Jugendentwicklungsplanes? Das scheint dann doch ein bisschen hoch gegriffen, immerhin werden die Festivals von privaten Veranstaltern auf eigenes Risiko in St. Pölten umgesetzt, den Impuls dazu gab sicher nicht der Jugendentwicklungsplan. Was allerdings zutreffen mag, ist eine prinzipiell positive Haltung der Politiker dazu, ein generell offeneres Jugendklima, das sich aus den Erkenntnissen des Jugendentwicklungsplanes und des Wissens um die Bedürfnisse der Jungen entwickelte. Dies würde heißen, was ja nicht zu unterschätzen ist, dass der Jugendentwicklungsplan v. a. bei den Erwachsenen Folgen zeitigte, ein Umdenken in Gang gesetzt worden ist.
St. Pölten habe sich überhaupt, so ist Matzl überzeugt, sehr zum Positiven entwickelt und sei auch für die Jugendlichen attraktiver geworden. „Es gibt super Veranstaltungen, in einigen Bereichen hat sich die Stadt sogar zur Szenehochburg hochgeschwungen.“ Das Freizeit- und Kulturangebot sei bestechend, die Lebensqualität hoch. „St. Pölten ist keine Großstadt und auch kein kleines Provinzdorf – es ist von beidem eine gute Mischung“, schwärmt er. Klein, aber fein
Sehen das die Jugendlichen ebenso? Wenn man sich bei den diversen Studien- und Lehrlingsvertretern umhört, entsteht zumindest der Eindruck, dass nicht mehr alles, wie früher oft gehört, „Oasch is!“ Zwiespältig ist das Verhälntis von Cornelia Seiwald, ihres Zeichens ehemalige Jahrgangsvertreterin sowie stellvertretende Studiengangsvertreterin der Fachhochschule St. Pölten, zu ihrem Studienort. „St. Pölten gehört nicht unbedingt zu meinen beliebtesten Reisezielen.“ Die Stadt sei etwas verschlafen, zudem liege alles zu weit auseinander. „Außerdem fehlt die Anerkennung der FH, obwohl die einiges zu bieten hat!“ Unter dem Motto „klein aber fein“ hätte St. Pölten aber durchaus auch liebenswerte Seiten, etwa den netten Stadtkern, die FH selbst, das Seengebiet oder das kulinarische Angebot.
In dieselbe Kerbe schlägt Verena Vogl, stellvertretende FH-Vorsitzende der Studierendenvertretung: „St. Pölten kann zwar nicht mit Pekings Nachtleben und New Yorks Einkaufsmöglichkeiten mithalten, hat aber tolle Seen, eine großartige FH und einen wunderschönen neuen Bahnhof.“ Die Stadt solle sich ihres Erachtens nach einfach noch ein bisschen besser verkaufen. Auch die Freizeitmöglichkeiten sowie das Angebot zur Abendgestaltung sollten weiter ausgebaut werden.
Stefan Bartl, Jugendsekretär der Gewerkschaft der Bau-Holz Arbeiter, konstatiert, „dass ein regelrechter Ruck durch die Stadt gegangen ist. Mir gefällt die kulturelle Vielfalt, die es hier gibt – ohne aber schwerwiegende Probleme zu erzeugen.“ Er hebt außerdem die weltoffene Stimmung der hiesigen Jugendlichen hervor sowie St. Pöltens Status als Jugendkultur- und Festivalhauptstadt. Auch der öffentliche Verkehr kommt bei Bartl gut weg, während Alexander Kaindl, Schulsprecher der HAK, genau hier noch Nachholbedarf ortet. Zwar sei die Situation gegenüber früher bedeutend besser, „aber es fehlen öffentliche Busse an Abenden und sonntags. Ein Problem ist auch der zu kleine Arbeitsmarkt“, und die Sogwirkung durch Wien sei unübersehbar. „Was machen junge Leute, wenn sie studieren wollen? Sie ziehen nach Wien.“ Kaindl möchte aber nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. „Es ist falsch, einer Großstadt nach zu eifern, die man nie sein wird.“ So betrachtet würde St. Pölten oft schlechter gemacht, als es eigentlich ist. Bessere Öffi-Verbindungen wünscht sich auch Ramona Sauer, stellvertretende Jugendvertrauensrätin der ÖBB Lehrwerkstätte, außerdem mehr Lokale und Clubs. Auch Benjamin Jaquemar, Schulsprecher des BORGs, sieht diesbezüglich Nachholbedarf und wünscht sich „eine an Wochenenden belebtere Innenstadt mit einem größeren Lokalangebot“. Auf der Postivseite vermerkt er die Seen und die Traisen. Nach Revolution klingt dies alles nicht, was aber nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass auch hierzulande die Politik und Erwachsenenwelt noch mehr gefordert ist, bestmögliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. Als Schlüsselressource wird hierbei – auch seitens der Jugend – insbesondere Bildung betrachtet. Sie öffnet Perspektiven, sie beeinflusst auch direkt das eigene Selbstverständnis. So schreibt der Sozialwissenschaftler Rudolf Richter im „6. Bericht der Lage der Jugend“ davon, dass vor allem spezialisierte Bildungsverläufe, also frühe Entscheidungen für einen bestimmten Schulzweig, die Zukunft beeinflussen. Und laut einer Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft, Jugend und Familie hat sich gezeigt, dass die Jugendlichen umso zuversichtlicher in die Zukunft blicken, desto höher der Bildungsabschluss ist. Prinzipiell zeichnet die Studie das Bild einer mehrheitlich zukunftsoptimistischen Jugend in Österreich – keine Spur einer desillusionierten „no future generation“! Strengen wir uns gemeinsam – also mit den Jugendlichen – an, dass es auch so bleibt! Infos zum Thema:
Insgesamt leben in St. Pölten ca. 6.000 Menschen zwischen 15 und 24 Jahren (ca. 12% der Gesamtbevölkerung). Darüber hinaus gilt St. Pölten als Schul- und Hochschulstadt. So besuchen knapp 1600 Schüler eine Hauptschule, 100 das Polytechnikum, 150 eine Sonderschule. Weitere 3700 Jugendliche lernen in den Fachschulen, 5900 besuchen Höhere Schulen, 1700 studieren an St. Pöltens Hochschulen. Zudem arbeiten 1300 Lehrlinge im Stadtgebiet. Während jeder dritte Schüler der Höheren Schulen im Bezirk mit Hauptwohnsitz gemeldet ist, sind es bei Fachschülern und Studenten nur rund ein Zehntel. Ingrid Kromer
Aus dem 6. Bericht zur Lage der Jugend in Österreich
Bei der heutigen Jugendgeneration sind Werte mehrdimensional organisiert, sodass ein gleichwertiges Nebeneinander von verschiedenen Wertebereichen möglich wird.
Freundeskreis und Familie liegen mit rund 70 Prozent nach Wichtigkeit des Lebensbereichs an oberster Stelle. In der komplexen Welt bietet die soziale Nahwelt Überschaubarkeit, emotionale Geborgenheit und Aufgehobensein.
Das Verhältnis zur Politik kann laut der Studie EUYOUPART als distanziert beschrieben werden. Es überwiegt Frustration und Kritik am politischen System. Jugendliche vermissen konstruktive Auseinandersetzungen mit Problemen, wobei vor allem aus ihrer Sicht die Interessen der Jugendlichen negiert werden. Ideologien haben an Glaubwürdigkeit verloren. Jugendliche ziehen es vor, autonom zu bleiben und sich ihre eigene Weltsicht, moralische Standards und politische Identität zu kreieren.
Interview: Matthias Rohrer, Institut für Jugendkulturforschung
Sind die Eruptionen jugendlicher Gewalt wie jene in Großbritannien auch in Österreich denkbar?
In dieser Form noch nicht. Wir haben hier eine ganz andere Situation. Der Jugend geht es wirtschaftlich besser. Es ist eine wesentlich kleinere Gruppe von Jugendlichen, die wirtschaftlich und sozial am Rande der Gesellschaft steht.
Die Proteste in London und Frankreich sind von Jugendlichen getragen, die wenig Zukunftsaussichten haben. Im Gegensatz zu Großbritannien und Frankreich haben wir in Österreich ein besseres soziales Auffangnetz, man rutscht nicht so leicht durch. Aber es wird immer grobmaschiger. Die steigende Jugendarbeitslosigkeit ist ein Problem, auch wenn wir noch die geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa aufweisen. Wird hier nicht gegen gesteuert, kann es in 10, 15 Jahren auch bei uns so weit kommen. Was ist an den Vorurteilen dran, Jugendliche seien exzessiver als früher? Stichwort Komatrinker?
Es gibt den Hang zu exzessiveren Freizeiterlebnissen. Diese dienen aber der Kompensation: Der Druck auf Jugendliche wird immer stärker. Es wird in der Schule mehr verlangt, dazu zählt der unsichere Arbeitsmarkt. Bildung war früher noch eine Jobgarantie, heutzutage heißt Matura und Studium nicht, dass man Arbeit findet. Das ist aber ganz klar von der Protestschiene zu trennen. Die Jugendlichen, die über die Stränge schlagen, sind eine kleine Minderheit, die aber medial aufgebauscht wird. Warum wählen Jugendliche im Gegensatz zu älteren Generationen öfter populistische Parteien?
Das Verständnis von Politik und Gesellschaft hat sich verändert. Die Vorstellung eines politikinteressierten Jugendlichen gilt so nicht mehr. Wir befinden uns in der sogenannten „postideologischen Zeit“, in der es nicht mehr anfänglich um Inhalte geht, sondern rein um das Auftreten. Die populistischen Parteien, die oft im rechten Eck zu finden sind, aber nicht nur, sind hier fortschrittlicher als die „klassischen“. Viel dramatischer ist aber, dass die größte Gruppe die Nichtwähler sind, also der Großteil der Personen überhaupt nicht erreicht wird. Was ist der Grund für die Politikverdrossenheit? Warum erreicht die Politik die Jungen nicht?
Es gibt zwei große Gründe: Einerseits Politik für Jugendliche: Es gibt keine politische Lobby für Jugendliche. Sie sind außerdem die kleinste Wahlgruppe. Gerade im Hinblick einer überalternden Gesellschaft wird kaum Politik für Junge gemacht. Über die Anhebung der Pensionen wird diskutiert, was zweifelsohne ein wichtiges Thema ist, aber über Themen, die Jugendliche betreffen, wird nicht gesprochen. Dafür ist die Gruppe zu uninteressant. Man übersieht aber, dass somit eine Altersgruppe geschaffen wird, die maßlos enttäuscht ist.
Andererseits die Einbindung von Jugendlichen in die Politik: Man muss auf Jugendliche zugehen, sie fragen, was sie wollen. Es wird meist von oben herab entschieden. Wenn Jugendliche eingebunden werden, dann meist aus den Parteivorfeldorganisationen. Das führt zu Desinteresse und es verankert sich das Bild, dass sich Politik nicht um die Jugendlichen kümmert. Wenn wir mit den Jugendlichen reden, hören wir oft: „Es bringt eh nix!“
Meinungen zum Thema:
Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier:
„‚Die Jugend’ – darüber ist sich die Jugendforschung einig – gibt es nicht!“ Alexander Kaindl, Schulsprecher HAK:
„Was machen junge Leute, wenn sie studieren wollen? Sie ziehen nach Wien.“ Verena Vogl, FH St. Pölten:
„St. Pölten kann zwar nicht mit Pekings Nachtleben und New Yorks Einkaufsmöglichkeiten mithalten, hat aber tolle Seen, eine großartige FH und einen wunderschönen neuen Bahnhof.“ Beate Großegger, Institut für Jugendforschung:
„Die heutige Jugend ist enorm pragmatisch. Sie sucht nicht nach großen Wahrheiten und blickt nicht allzu visionär in die Zukunft, sondern konzentriert sich auf das Leben im Hier und Jetzt.“ Jugendforscher Matthias Rohrer:
„Die Jugendlichen, die über die Stränge schlagen, sind eine kleine Minderheit, die aber medial aufgebauscht wird.“ Jugendkoordinator Wolfgang Matzl über den Jugendentwicklungsplan St. Pölten:
„Man kann niemals etwas zu 100 Prozent umsetzen. Der Jugendentwicklungsplan dient aber noch heute den Entscheidungsträgern als Leitfaden.“
Das heißt aber nicht, dass man als Erwachsener mit dieser Bevölkerungsgruppe keine Anknüpfungspunkte hätte, immerhin sind alle Älteren diesen Weg gegangen, wenn auch jeder auf seine eigene Art und Weise. Befremdlich muten daher (in St. Pölten angesichts des Festivalsgeschehens neuerdings sogar bei ehemals glühenden ‚Berufsjugendlichen’ beobachtbare) Denkmuster an, die sich einer an Alzheimer gemahnenden Sprachregelung á la „Wir waren aber nicht so!“ bedienen, was geradewegs im Klassiker aus dem Phrasenbuch „Früher war alles besser“ münde, was natürlich in einem Anflug von Selbstbeweihräuch erung (in Wahrheit Selbsttäuschung) suggerieren soll „Wir waren besser, braver, verantwortungsvoller...“ Nur stimmt das nicht!
Elisabeth Ziegler fordert daher völlig zurecht im Umgang mit Jugendlichen primär einmal die Eltern- und Großelterngeneration auf, „dass die Erwachsenen an die Zeit denken sollen, als sie selbst jung waren und die Hormone verrücktspielten“ und postuliert ein Aufeinanderzugehen auf Augenhöhe, „indem Erwachsene das Wörtchen ‚für’ durch ‚mit’ ersetzen, also Jugendliche in Problemlösungen oder Entscheidungsprozesse wirklich mit einbeziehen, sie ernstnehmen und respektieren.“ Unterschiede
Unterschiede zu früher gibt es, wie ja der Wandel einer Gesellschaft solche stets nach sich zieht, selbstverständlich – aber diese funktionieren sicher nicht nach dem Muster besser oder schlechter. Dr. Beate Großegger, wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Jugendkulturforschung, umschreibt die Generation der Jungend hierzulande wie folgt: „Die heutige Jugend ist enorm pragmatisch. Sie sucht nicht nach großen Wahrheiten und blickt nicht allzu visionär in die Zukunft, sondern konzentriert sich auf das Leben im Hier und Jetzt: Selbstbestimmt sein, das Leben genießen, sich auf die Dinge und vor allem auch die Menschen, die einem persönlich wichtig sind, konzentrieren.“
Auch im Hinblick auf die Herausforderungen wäre es wahrscheinlich müßig Aussagen wie „heute haben es Jugendliche leichter bzw. schlechter“ zu treffen. Fakt ist, so Großegger, dass die Gegenwartsgesellschaft Jugendliche mit zahlreichen Risiken konfrontiere, wobei Bildung und Arbeitsmarktchancen Schlüsselthemen darstellten. „Tatsache ist, dass für junge Menschen trotz immer höherer Bildungsabschlüsse ein langfristig sicherer Arbeitsplatz oft nicht mehr als ein frommer Wunsch bleibt. Bildung ist für Jugendliche heute Voraussetzung, aber noch lange keine Garantie, um in der Arbeitswelt gut Fuß fassen zu können. Diejenigen, die keine entsprechenden Abschlüsse vorweisen können, bleiben gänzlich außen vor.“ Gerade diese Disparität berge, auf die Spitze getrieben, sozialen Sprengstoff, wie er sich etwa im Falle der gewalttätigen Eruptionen in Teilen Europas entladen habe. Oder er bildet mit Unterfutter für revolutionäre Strömungen. „Die breite Mehrheit geht dennoch nicht auf die Barrikaden – zumindest gilt das in Österreich. Der Zeitgeist geht bei der österreichischen Jugend in eine andere Richtung: Man versucht sich in der Schule, am Ausbildungsplatz und im Beruf mit dem System bestmöglich zu arrangieren. Das heißt, man macht, so gut es eben geht, mit. In der Freizeit wird das, was einen ‚anstinkt’, dann durch eine teils exzessive Erlebniskultur kompensiert. Die Träume der Jugend sind in diesem Szenario mehr und mehr in den Bereich der Freizeit und des Privaten verbannt. Gesellschaftsutopien – das ist etwas für die Elterngeneration“, erläutert Großegger. Auch sie plädiert in diesem Zusammenhang für ein Ins-Gespräch-Kommen mit den jungen Menschen, um zu erfahren, was diese wirklich bewegt, was sie wirklich brauchen – sei es in Bezug auf Jugend-, Bildungs- oder Arbeitsmarktfragen. à la card
Ein solcher Ansatz, über einen Umweg ins Gespräch und in Tuchfühlung mit den Jungen zu kommen, ist laut St. Pöltens Bürgermeister Matthias Stadler die neue „City SUPA Card“ für alle 14 bis 24 jährigen Bürger der Stadt. „Die City SUPA Card soll die Verbundenheit der Jugendlichen mit ihrer Heimatstadt St. Pölten zum Ausdruck bringen.“ Auffallend ist bei der neuen Karte der überproportionale Fokus auf die Freizeitgestaltung. Außerdem hatte ihre Präsentation kürzest vor der Wahl (im Zuge derer erstmals auch Jugendliche ab 16 Jahren wahlberechtigt waren) den schalen Beigeschmack, dass es primär einmal weniger um die Jugendlichen selbst, als vielmehr um ihre Stimmen ging. Der zuständige Jugendkoordinator Wolfgang Matzl stellt diesbezüglich zwar eine „gewisse schiefe Optik“ nicht in Abrede, erklärt aber „dass wir die Karte noch unbedingt vor den Sommerferien bringen wollten. Das hatte mit der Wahl rein gar nichts zu tun!“ Insbesondere der vergünstigte Eintritt ins Sommerbad sollte die ganzen Ferien hindurch mit der Karte in Anspruch genommen werden können. Die in den Ferien geschlossene Aquacity sowie das Stadtmuseum, als die einzigen damals weiteren fixen Angebote, wären für die Jugendlichen wohl auch nicht der große Burner gewesen. Matzl verteidigt den Beginn mit eingeschränktem Angebot: „Ich habe bisher gute Erfahrungen mit Projekten gemacht, die klein beginnen. Jetzt gilt es, das Projekt als Ganzes wachsen zu lassen. Wachstum bedeutet hierbei auch gleich Qualitätskontrolle.“
Gespräche mit anderen Betrieben würden schon intensiv geführt. Noch im Herbst soll der nächste Schwung an Angeboten präsentiert werden, wobei deren regionaler Charakter auch die Attraktivität der Karte ausmachen werde, „denn was interessiert einen St. Pöltener eine Vergünstigung in Horn?“ Image durch Kultur
So nett die CitySUPACard ist, stellt sich doch die Frage, was eigentlich aus dem vor Jahren mit großem Tamtam (übrigens ebenfalls kurz vor einer Wahl) präsentierten, thematisch sozusagen „globaleren“ Jugendentwicklungsplan geworden ist? Verstaubt er, wie so viele andere Positions- und Richtungspapiere, in irgendeiner Schublade im Rathaus? Also alles – um Didi Kühbauer zu zitieren – für die Würscht?! Matzl widerspricht. „Es war wichtig, damals alle an einen Tisch zu bringen. Die Kontakte, die ich damals geknüpft habe, helfen mir heute noch in meiner täglichen Arbeit weiter.“ Und wie sieht es mit konkreten Ergebnissen aus? „Vieles aus dem Jugendentwicklungsplan wurde ja umgesetzt, z. B. das Sternschnuppen-Taxi. Manche Ziele hingegen waren zu hoch gesteckt.“ Matzl fügt pragmatisch hinzu: „Man kann niemals etwas zu 100 Prozent umsetzen. Der Jugendentwicklungsplan dient aber noch heute den Entscheidungsträgern als Leitfaden.“
Ein Aspekt, der damals als explizite Zielsetzung in den Fokus gerückt worden war, betraf die Verbesserung des angeknacksten Images der Stadt. „Damals war das Sudern ja gerechtfertigt“, erinnert sich Matzl. Ein mögliches Vehikel zur Imagekorrektur hatte sich auch schnell herauskristallisiert: „Image kann man am besten durch Kultur korrigieren, und so entstanden verschiedenste kulturelle Einrichtungen.“ Nach Matzl sei es daher auch kein Zufall, dass etwa große Festivals wie Frequency oder Beatpatrol heute in St. Pölten stattfinden. Die Festivals also indirekter Ausfluss des Jugendentwicklungsplanes? Das scheint dann doch ein bisschen hoch gegriffen, immerhin werden die Festivals von privaten Veranstaltern auf eigenes Risiko in St. Pölten umgesetzt, den Impuls dazu gab sicher nicht der Jugendentwicklungsplan. Was allerdings zutreffen mag, ist eine prinzipiell positive Haltung der Politiker dazu, ein generell offeneres Jugendklima, das sich aus den Erkenntnissen des Jugendentwicklungsplanes und des Wissens um die Bedürfnisse der Jungen entwickelte. Dies würde heißen, was ja nicht zu unterschätzen ist, dass der Jugendentwicklungsplan v. a. bei den Erwachsenen Folgen zeitigte, ein Umdenken in Gang gesetzt worden ist.
St. Pölten habe sich überhaupt, so ist Matzl überzeugt, sehr zum Positiven entwickelt und sei auch für die Jugendlichen attraktiver geworden. „Es gibt super Veranstaltungen, in einigen Bereichen hat sich die Stadt sogar zur Szenehochburg hochgeschwungen.“ Das Freizeit- und Kulturangebot sei bestechend, die Lebensqualität hoch. „St. Pölten ist keine Großstadt und auch kein kleines Provinzdorf – es ist von beidem eine gute Mischung“, schwärmt er. Klein, aber fein
Sehen das die Jugendlichen ebenso? Wenn man sich bei den diversen Studien- und Lehrlingsvertretern umhört, entsteht zumindest der Eindruck, dass nicht mehr alles, wie früher oft gehört, „Oasch is!“ Zwiespältig ist das Verhälntis von Cornelia Seiwald, ihres Zeichens ehemalige Jahrgangsvertreterin sowie stellvertretende Studiengangsvertreterin der Fachhochschule St. Pölten, zu ihrem Studienort. „St. Pölten gehört nicht unbedingt zu meinen beliebtesten Reisezielen.“ Die Stadt sei etwas verschlafen, zudem liege alles zu weit auseinander. „Außerdem fehlt die Anerkennung der FH, obwohl die einiges zu bieten hat!“ Unter dem Motto „klein aber fein“ hätte St. Pölten aber durchaus auch liebenswerte Seiten, etwa den netten Stadtkern, die FH selbst, das Seengebiet oder das kulinarische Angebot.
In dieselbe Kerbe schlägt Verena Vogl, stellvertretende FH-Vorsitzende der Studierendenvertretung: „St. Pölten kann zwar nicht mit Pekings Nachtleben und New Yorks Einkaufsmöglichkeiten mithalten, hat aber tolle Seen, eine großartige FH und einen wunderschönen neuen Bahnhof.“ Die Stadt solle sich ihres Erachtens nach einfach noch ein bisschen besser verkaufen. Auch die Freizeitmöglichkeiten sowie das Angebot zur Abendgestaltung sollten weiter ausgebaut werden.
Stefan Bartl, Jugendsekretär der Gewerkschaft der Bau-Holz Arbeiter, konstatiert, „dass ein regelrechter Ruck durch die Stadt gegangen ist. Mir gefällt die kulturelle Vielfalt, die es hier gibt – ohne aber schwerwiegende Probleme zu erzeugen.“ Er hebt außerdem die weltoffene Stimmung der hiesigen Jugendlichen hervor sowie St. Pöltens Status als Jugendkultur- und Festivalhauptstadt. Auch der öffentliche Verkehr kommt bei Bartl gut weg, während Alexander Kaindl, Schulsprecher der HAK, genau hier noch Nachholbedarf ortet. Zwar sei die Situation gegenüber früher bedeutend besser, „aber es fehlen öffentliche Busse an Abenden und sonntags. Ein Problem ist auch der zu kleine Arbeitsmarkt“, und die Sogwirkung durch Wien sei unübersehbar. „Was machen junge Leute, wenn sie studieren wollen? Sie ziehen nach Wien.“ Kaindl möchte aber nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. „Es ist falsch, einer Großstadt nach zu eifern, die man nie sein wird.“ So betrachtet würde St. Pölten oft schlechter gemacht, als es eigentlich ist. Bessere Öffi-Verbindungen wünscht sich auch Ramona Sauer, stellvertretende Jugendvertrauensrätin der ÖBB Lehrwerkstätte, außerdem mehr Lokale und Clubs. Auch Benjamin Jaquemar, Schulsprecher des BORGs, sieht diesbezüglich Nachholbedarf und wünscht sich „eine an Wochenenden belebtere Innenstadt mit einem größeren Lokalangebot“. Auf der Postivseite vermerkt er die Seen und die Traisen. Nach Revolution klingt dies alles nicht, was aber nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass auch hierzulande die Politik und Erwachsenenwelt noch mehr gefordert ist, bestmögliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. Als Schlüsselressource wird hierbei – auch seitens der Jugend – insbesondere Bildung betrachtet. Sie öffnet Perspektiven, sie beeinflusst auch direkt das eigene Selbstverständnis. So schreibt der Sozialwissenschaftler Rudolf Richter im „6. Bericht der Lage der Jugend“ davon, dass vor allem spezialisierte Bildungsverläufe, also frühe Entscheidungen für einen bestimmten Schulzweig, die Zukunft beeinflussen. Und laut einer Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft, Jugend und Familie hat sich gezeigt, dass die Jugendlichen umso zuversichtlicher in die Zukunft blicken, desto höher der Bildungsabschluss ist. Prinzipiell zeichnet die Studie das Bild einer mehrheitlich zukunftsoptimistischen Jugend in Österreich – keine Spur einer desillusionierten „no future generation“! Strengen wir uns gemeinsam – also mit den Jugendlichen – an, dass es auch so bleibt! Infos zum Thema:
Insgesamt leben in St. Pölten ca. 6.000 Menschen zwischen 15 und 24 Jahren (ca. 12% der Gesamtbevölkerung). Darüber hinaus gilt St. Pölten als Schul- und Hochschulstadt. So besuchen knapp 1600 Schüler eine Hauptschule, 100 das Polytechnikum, 150 eine Sonderschule. Weitere 3700 Jugendliche lernen in den Fachschulen, 5900 besuchen Höhere Schulen, 1700 studieren an St. Pöltens Hochschulen. Zudem arbeiten 1300 Lehrlinge im Stadtgebiet. Während jeder dritte Schüler der Höheren Schulen im Bezirk mit Hauptwohnsitz gemeldet ist, sind es bei Fachschülern und Studenten nur rund ein Zehntel. Ingrid Kromer
Aus dem 6. Bericht zur Lage der Jugend in Österreich
Bei der heutigen Jugendgeneration sind Werte mehrdimensional organisiert, sodass ein gleichwertiges Nebeneinander von verschiedenen Wertebereichen möglich wird.
Freundeskreis und Familie liegen mit rund 70 Prozent nach Wichtigkeit des Lebensbereichs an oberster Stelle. In der komplexen Welt bietet die soziale Nahwelt Überschaubarkeit, emotionale Geborgenheit und Aufgehobensein.
Das Verhältnis zur Politik kann laut der Studie EUYOUPART als distanziert beschrieben werden. Es überwiegt Frustration und Kritik am politischen System. Jugendliche vermissen konstruktive Auseinandersetzungen mit Problemen, wobei vor allem aus ihrer Sicht die Interessen der Jugendlichen negiert werden. Ideologien haben an Glaubwürdigkeit verloren. Jugendliche ziehen es vor, autonom zu bleiben und sich ihre eigene Weltsicht, moralische Standards und politische Identität zu kreieren.
Interview: Matthias Rohrer, Institut für Jugendkulturforschung
Sind die Eruptionen jugendlicher Gewalt wie jene in Großbritannien auch in Österreich denkbar?
In dieser Form noch nicht. Wir haben hier eine ganz andere Situation. Der Jugend geht es wirtschaftlich besser. Es ist eine wesentlich kleinere Gruppe von Jugendlichen, die wirtschaftlich und sozial am Rande der Gesellschaft steht.
Die Proteste in London und Frankreich sind von Jugendlichen getragen, die wenig Zukunftsaussichten haben. Im Gegensatz zu Großbritannien und Frankreich haben wir in Österreich ein besseres soziales Auffangnetz, man rutscht nicht so leicht durch. Aber es wird immer grobmaschiger. Die steigende Jugendarbeitslosigkeit ist ein Problem, auch wenn wir noch die geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa aufweisen. Wird hier nicht gegen gesteuert, kann es in 10, 15 Jahren auch bei uns so weit kommen. Was ist an den Vorurteilen dran, Jugendliche seien exzessiver als früher? Stichwort Komatrinker?
Es gibt den Hang zu exzessiveren Freizeiterlebnissen. Diese dienen aber der Kompensation: Der Druck auf Jugendliche wird immer stärker. Es wird in der Schule mehr verlangt, dazu zählt der unsichere Arbeitsmarkt. Bildung war früher noch eine Jobgarantie, heutzutage heißt Matura und Studium nicht, dass man Arbeit findet. Das ist aber ganz klar von der Protestschiene zu trennen. Die Jugendlichen, die über die Stränge schlagen, sind eine kleine Minderheit, die aber medial aufgebauscht wird. Warum wählen Jugendliche im Gegensatz zu älteren Generationen öfter populistische Parteien?
Das Verständnis von Politik und Gesellschaft hat sich verändert. Die Vorstellung eines politikinteressierten Jugendlichen gilt so nicht mehr. Wir befinden uns in der sogenannten „postideologischen Zeit“, in der es nicht mehr anfänglich um Inhalte geht, sondern rein um das Auftreten. Die populistischen Parteien, die oft im rechten Eck zu finden sind, aber nicht nur, sind hier fortschrittlicher als die „klassischen“. Viel dramatischer ist aber, dass die größte Gruppe die Nichtwähler sind, also der Großteil der Personen überhaupt nicht erreicht wird. Was ist der Grund für die Politikverdrossenheit? Warum erreicht die Politik die Jungen nicht?
Es gibt zwei große Gründe: Einerseits Politik für Jugendliche: Es gibt keine politische Lobby für Jugendliche. Sie sind außerdem die kleinste Wahlgruppe. Gerade im Hinblick einer überalternden Gesellschaft wird kaum Politik für Junge gemacht. Über die Anhebung der Pensionen wird diskutiert, was zweifelsohne ein wichtiges Thema ist, aber über Themen, die Jugendliche betreffen, wird nicht gesprochen. Dafür ist die Gruppe zu uninteressant. Man übersieht aber, dass somit eine Altersgruppe geschaffen wird, die maßlos enttäuscht ist.
Andererseits die Einbindung von Jugendlichen in die Politik: Man muss auf Jugendliche zugehen, sie fragen, was sie wollen. Es wird meist von oben herab entschieden. Wenn Jugendliche eingebunden werden, dann meist aus den Parteivorfeldorganisationen. Das führt zu Desinteresse und es verankert sich das Bild, dass sich Politik nicht um die Jugendlichen kümmert. Wenn wir mit den Jugendlichen reden, hören wir oft: „Es bringt eh nix!“
Meinungen zum Thema:
Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier:
„‚Die Jugend’ – darüber ist sich die Jugendforschung einig – gibt es nicht!“ Alexander Kaindl, Schulsprecher HAK:
„Was machen junge Leute, wenn sie studieren wollen? Sie ziehen nach Wien.“ Verena Vogl, FH St. Pölten:
„St. Pölten kann zwar nicht mit Pekings Nachtleben und New Yorks Einkaufsmöglichkeiten mithalten, hat aber tolle Seen, eine großartige FH und einen wunderschönen neuen Bahnhof.“ Beate Großegger, Institut für Jugendforschung:
„Die heutige Jugend ist enorm pragmatisch. Sie sucht nicht nach großen Wahrheiten und blickt nicht allzu visionär in die Zukunft, sondern konzentriert sich auf das Leben im Hier und Jetzt.“ Jugendforscher Matthias Rohrer:
„Die Jugendlichen, die über die Stränge schlagen, sind eine kleine Minderheit, die aber medial aufgebauscht wird.“ Jugendkoordinator Wolfgang Matzl über den Jugendentwicklungsplan St. Pölten:
„Man kann niemals etwas zu 100 Prozent umsetzen. Der Jugendentwicklungsplan dient aber noch heute den Entscheidungsträgern als Leitfaden.“