MFG - STP Die Electrocity
STP Die Electrocity


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

STP Die Electrocity

Ausgabe 09/2010

Wie kollektives Nörgeln und Jammern, ein Bürgermeisterwechsel und ein Club eine Stadt verändern können – und so manchem Sohn dieser Stadt eine internationale Karriere ermöglichte.

St. Pölten beheimatet eine der größten Electroszenen Österreichs. „Klingt komisch, is aber so.“ Diese begann wie in anderen Städten als kleine Underground-Bewegung und wuchs kontinuierlich, bis schließlich die elektronische Musik massentauglich wurde. St. Pölten hat das Seinige in Österreich dazu beigetragen.

MADE IN STP
Ein Phänomen, das viele aufgrund des gleichnamigen Festivals geographisch in Wiesen verorten, ist in Wahrheit ein St. Pöltner Gewächs, das mittlerweile in ganz Österreich über verschiedene Veranstaltungen und Verflechtungen gedeiht: Die Marke Urban Art Forms (www.uaf.at) wurde 2004 gegründet und ist in ihrer Grundidee made in STP. UAF Mastermind Christian Lakatos ist St. Pöltner, der sich u.a. in grauer Vorzeit im Warehouse seine ersten Sporen verdiente und der, wenn das UAF Festival auch fern der Heimat reüssiert, mittlerweile auch festivalmäßig indirekt in die Hauptstadt zurückgekehrt ist: Der Nightpark beim Frequency-Festival ist auch Terra UAF!
Den festivalmäßigen sowie publikumsmanifesten Höhepunkt der hiesigen Entwicklung der Electro-Szene stellt ohne Zweifel das Beatpatrol-Festival dar, das 2009 gelauncht wurde und nach nur zwei Jahren bereits 27.000 Elektronikfans nach STP-E-CITY (formerly known as STP Rockcity) lockte. Kein Wunder bei über 100 Acts aus ALLEN – und dies ist wohl das Besondere – Genres in Sachen Elektronik.

Fruchtbares Biotop
St. Pölten gilt zudem als „Brutstätte“ sehr bekannter und erfolgreicher Künstler. Markus Wagner alias „Krooked“ bildet mit „Camo“ das wohl bekannteste Kollektiv, dessen Spuren sich in die Traisenstadt zurückverfolgen lassen. Der geborene Hohenberger ging in die HTL in St. Pölten und verbrachte auch viele Wochenenden in der Stadt. „Aufgrund der Musik und meines Studiums zog ich aber nach Wien“, berichtet er über eine abgeflaute Beziehung. „Die Anfänge machte ich aber in St. Pölten.“ Seine Karriere, die er im Alter von 13 Jahren mit dem Produzieren begann, führte ihn mittlerweile in die ganze Welt. Die Drum’n’Bass-Szene in St. Pölten sieht er positiv: „Sie ist durchaus gesund für eine Stadt mit dieser Anzahl an Einwohnern.“
Robert Stefan, alias Rob STP, u. a. Part von Body & Soul, ist einer Meinung: „St. Pölten hat im Elektronikbereich gemessen an der Einwohnerzahl so viel hervorgebracht wie keine andere Stadt in Österreich! Die Hälfte der wirklich erfolgreichen österreichischen Produzenten im Bereich Drum’n’Bass kommt aus St. Pölten. Diese Szene hatte großen Einfluss auf die österreichische, welche wiederum maßgeblichen Einfluss auf die internationale Szene hat.“
Einen Grund für den Erfolg der St. Pöltener Community vermutet Rob STP im obligatorischen Jammern und Nörgeln: „Der kollektive Minderwertigkeitskomplex der St. Pöltener – speziell früher – trieb viele Kunstschaffende und Veranstalter dazu, sich wirklich ins Zeug zu legen und hart zu arbeiten. Früher wurde man ja mitleidig belächelt, wenn man sagte, man sei aus St. Pölten.“ Ohne Grund war die Häme freilich nicht: „Wir hatten ja auch wirklich nichts. Eine strukturierte Jugendkulturszene oder gar Clubszene existierte nicht, es gab ein paar Beisln und vereinzelt gute Initiativen“, sinniert Rob STP über die Zustände noch zur Jahrtausendwende. Ein wesentlicher Schritt vorwärts war seines Erachtens der Bürgermeisterwechsel, da nun die Jugendkultur mehr aufblühe und beispielsweise sehr gut ausgestattete Räumlichkeiten zum Proben und Arbeiten zur Verfügung gestellt bekam. Dies trage auch Früchte: „Die St. Pöltener Kunst- und Kulturschaffenden sind insgesamt selbstbewusster und erfolgreicher geworden.“
Zu dem Gros dieser erfolgreichen Kunst- und Kulturschaffenden aus St. Pölten gehört zweifelsohne auch DJ Olivarez, sozusagen ein Vertreter der älteren Garde sowie einer anderen „Fraktion“: House. Hinter diesem Namen verbirgt sich Oliver Ginner, der in St. Pölten aufwuchs, wo er ab 1985 in Clubs und Diskotheken auflegte. Während seine Kinder und Freunde sich noch immer in town weilen, fand er selbst den Weg nach Wien. „Man hat in St. Pölten eine ganz andere Lebensqualität, die ich erst in den letzten vier Jahren, seitdem ich fix nach Wien gezogen bin, so richtig zu schätzen gelernt habe“, vergleicht er die Bundes- mit der Landeshauptstadt. Dass sich die Electroszene derart entwickeln konnte, führt er v. a. auf ein paar Personen zurück: „Es war immer extrem schwierig hier in diese Richtung was zu unternehmen. Doch seit dem es das Warehouse mit seinem Cottage Club gibt und Megaevents wie das Beatpatrol stattfinden, ist St. Pölten zum internationalen Pflaster, für mich quasi zu einer Weltstadt geworden. Das hat man Visionären wie Norbert Bauer, René Voak und auch DJ Little John zu verdanken. Denn hätten diese nicht die Ausdauer, die Risiko-freude und v. a. das nötige Fingerspitzengefühl gehabt, würde sich bis heute hier noch nichts abspielen.“ Gegenüber Wien sieht er sogar einen Vorteil: „Jetzt kann man hier einen so qualtitiv guten Sound spielen, das geht zum Teil nicht mal mehr in Wien. Die Bundeshauptstadt ist eventtechnisch und musikalisch völlig übersättigt.“
Weitere Aushängeschilder der St. Pöltener Szene sind Starkstrom, London Bass, besagter DJ Little John oder „The Shit Is Coming Home“. Über deren Erfolg und Eigenart meint Christoph Schipp, aka Dr. Proctor: „Unser Erfolg liegt wahrscheinlich in der Härte und Vielfalt unserer DJ-Sets, aber auch unserer Clubs, die wir in STP und Wien veranstalten. Wir versuchen ein Gesamtkonzept zu bieten, bestehend aus exzellenter Musik, visueller Befriedigung und exzessiver Party. Interaktion mit dem Publikum steht bei uns ganz oben. Weiters ist es uns ganz wichtig, den Kontakt innerhalb der Szene und den anderen Veranstaltern zu halten und somit die Szene an sich zu pushen. “

In Da Club
Die Erfolgsgeschichte der Electroszene in St. Pölten ist unweigerlich auch mit dem Warehouse verbunden, welches im Jahr 2004 seine Pforten öffnete. Rob STP hebt die Bedeutung der Einrichtung hervor: „Das Warehouse und dessen zahlreiche Veranstaltungen in und um St. Pölten haben bewirkt, dass sich vieles etablierte, wodurch die Szene wirklich stark und solide geworden ist.“ Norbert Bauer, seines Zeichens Warehouse-Chef, ist sich der Entwicklungshilfe bewusst: „Von Anfang an konnten wir damit Künstlern eine Bühne bieten.“ Und es waren eben auch St. Pöltener Künstler, die das Warehouse gar als Sprungbrett ins internationale Geschäft nutzten. „Krooked zum Beispiel war oft im Warehouse – noch als NoName. Nun ist er ein internationaler Shootingstar“, freut sich Bauer. Und Electro ist natürlich nicht gleich Electro: „Es gibt unterschiedliche Schienen im Warehouse, um den verschiedenen Musikstilen innerhalb der elektronischen Musik gerecht zu werden. So findet derzeit in St. Pölten zwar Drum’n’Bass den meisten Anklang, mit dem Cottage Club decken wir beispielsweise aber auch das Genre House ab, während VierMalVier Minimal Techno sowie Samsara Goa und Trance zum Besten geben.“
Vielleicht sieht auch so mancher stets nörgelnde St. Pöltener die Stadt aus einem anderen Blickwinkel – es hat sich vieles verändert, man ist kein weißer Fleck mehr auf der Landkarte. Oder, wie DJ Olivarez so treffend formulierte: „Früher kannte man unsere schöne Stadt hauptsächlich wegen des Gestanks der Glanzstoff.“