Stil-Blüten
Ausgabe
Eigentlich gelten sie als ausgestorben. Der Dandy. Der Flaneur. Was im Zeitalter der flächendeckenden Jogginghosen- und Kübelsaufapokalypse nicht weiter verwundert. Gibt es sie also noch: einzelne Widerstandsnester stilvollen Eigensinns? Menschen, deren Bekleidungshorizont über die bekannten zwei Buchstaben und deren Wortschatz über “Oida” hinaus gehen? Das Mfg hat ein paar von ihnen ausfindig gemacht.
„Being a dandy is a condition rather than a profession.“
(Sebastian Horsley)
Nähert man sich vom Kaiserwald aus zu Fuß dem Gasthof Akiwi (vormals Koll), kommt man nicht umhin, ein paar Schritte entlang der so genannten Vacano-Promenade zu tun. Diese Promenade, ein in Wahrheit holpriger Waldweg, ist nach dem nahezu völlig vergessenen Schriftsteller Emil Mario Vacano benannt, der zu Lebzeiten wohl eine der schillerndsten Gestalten der Stadt war. Geboren 1840 in Mährisch Schönberg und gestorben 1892 in Karlsruhe, verbrachte Vacano auch einige Jahre in St. Pölten und Wien, wo er unter anderem im Umfeld von Leopold von Sacher-Masoch verkehrte. Er trat zunächst als Zirkusartist und Kunstreiterin (!) auf, bevor er Kolportage-Romane, Schauergeschichten und Satiren zu verfassen begann. Ein mit der skandalumwitterten Tänzerin Lola Montez gemeinsam zusammen gestellter Ratgeber über Benehmensregeln „für die höheren Stände“ rundet ein zum Teil hübsch dekadentes Gesamtwerk ab, das aber bei Weitem nicht so glamourös war wie Vacanos Leben selbst. Er war ein Dandy, ein Flaneur, der es genoss, wortgewandt und gut gekleidet durch die Stadt zu spazieren, und das auf Wegen, die mitunter auch etwas abseits der damals geltenden bürgerlichen Normen lagen.
Das war vor etwa 150 Jahren.
Betritt man heute die Stadt St. Pölten, z. B. von Bahnhofsseite her, was trotz ÖBB auch eine Möglichkeit darstellt, wird man üblicher Weise erst einmal einer Traube zumeist junger Buben gewahr, die – nahezu ausnahmslos angetan mit schlabbrigen Jogginghosen und schief auf den Kopf geschraubten Baseballkappen – rhythmisch vor sich hin spucken, wenn sie einander nicht gerade “Oida!” ins Ohr brüllen oder, vornüber gebeugt, aufs Handy starren, um weitere Anweisungen aus Dumpfland zu empfangen.
Lässt man diese Herrschaften mit ihren weiblichen Bauchfrei-Begleiterscheinungen einmal rechts liegen und schlendert man die Kremserstraße entlang, zwischen all den ewig gleichen Filialen der ewig gleichen Ketten mit ihrem ewig gleichen Angebot, das inzwischen alle Städte dominiert, fällt ins Auge, dass auch hier, abseits der pubertären Spucknapf-Zonen, bei den entgegen kommenden Damen und Herren eine gewisse Gleichförmigkeit vorherrscht: des Outfits, der Gebärden, der Haltung. Und auch der Schreiber dieser Zeilen blickt an sich herab (Jeans und Berufsjugendlichen-T-Shirt) und muss sich leider eingestehen: Willkommen im Club der Uniformierten.
Gibt es sie also überhaupt noch: die charmant eitlen Dandys und Flaneure auf ihren städtischen Streifzügen, auf der Suche nach Eleganz, Glamour, Müßiggang und Eigensinn?
Und erst recht in St. Pölten?
Um diesen wesentlichen Fragen nachzugehen, lenkt der Schreiber seine Schritte Richtung Akiwi, wo er sich mit vier Menschen treffen wird, die ihm bei der Beantwortung dessen behilflich sein sollen. Gemeinsam will man daran gehen, diese aus dem 19. Jahrhundert stammenden Typologien auf ihre Relevanz im beginnenden dritten Jahrtausend abzuklopfen. Denn Schriftsteller wie Oscar Wilde, Lord Byron oder besagter Vacano, Dandys und Flaneure längst vergangener Jahre, prägten ohne Zweifel ihre Zeit – in unseren Tagen jedoch hört man nur noch vereinzelt von Nachfahren wie etwa dem laut Eigendefinition „letzten lebenden britischen Dandy“ Sebastian Horsley.
Im patinagetränkten Akiwi hat sich schon eine illustre Gesellschaft versammelt: der Schauspieler Fritz Humer, der Musiker und Graphiker Filius (bürgerlich Martin Schnabl), der bildende Künstler Walter Berger sowie Melley, ihres Zeichens – auch – Akt- und Fetischmodel.
Auf jeden Fall Menschen, die auffallen in dieser Stadt: über ihre Kleidung, ihre Haltung, ihren Stil. Und natürlich über ihre Kreativität, ohne die St. Pölten um einiges ärmer wäre.
„Style has little to do with wealth, it is a way of being yourself in a hostile and indifferent world. To be ‘well dressed’ is not to have expensive clothes or the ‘right’ clothes. You can wear rags, as long as they suit you. Style is not elegance but consistency.“
(Horsley)
Kleidung als Selbstdarstellung? No na, ist man versucht zu sagen. Doch so einfach ist’s nicht.
„Ich sehe mich überhaupt nicht als Dandy.“ Meint Fritz Humer gleich zu Beginn. „Meine einzige stilistische Konsistenz ist die Inkonsistenz.“ Doch er relativiert postwendend: „Natürlich bin ich als Schauspieler eitel. Und irgendwie versucht man natürlich bunter zu sein als der Rest.“
Was Melley sofort aufgreift. Sie, der sowieso ein ausgeprägter Hang zur Selbstdarstellung eigen ist, würde „nie ungeschminkt außer Haus gehen.“ Und auch die Kleidung (Wallendes oder sehr, sehr Kurzes) darf sich nicht im 08/15-Bereich bewegen. Gleichgültig, ob in St. Pölten oder im kürzlich besuchten Madrid: „Die Leute fotografieren die Sehenswürdigkeiten – und mich!“ Was Melley in die Nähe des zitierten Sebastian Horsley rückt, der sich geradezu persönlich beleidigt fühlt, wenn er übergangen wird – und sei’s von einer Grippe.
Und Filius setzt nach: Der von ihm bevorzugte 60ies-Stil mit seinen klaren, smarten Linien verhelfe ihm zu einem italophilen Lebensgefühl, wie es aus einem Antonioni- oder Fellini-Film jener Zeit stammen könnte. „Jeder Tag ein bisschen Urlaub!“ Ihm ist wichtig, für sich einen Job kreiert zu haben, den er „im Kaffeehaus beginnen kann, mit einer Zeitung, einem Kaffee oder, wenn mir danach ist, mit einem Prosecco.“ Dass das nicht unbedingt mit galoppierender Geldvermehrung Hand in Hand geht, nimmt er in Kauf. Was das abendliche Ausgehen betrifft, so schwärmt er von den 80er Jahren, als man sich – auch als Mann – mindestens eine Stunde vorm Spiegel begutachtet und das passende Outfit gewählt habe, wohingegen heutzutage die Menschen am Abend das gleiche langweilige Gewand anhätten wie untertags. Was schade sei. „Es ist doch wunderbar, einen Tag zu inszenieren.“ Vom Märchen, schöne Kleidung müsse in erster Linie auch angenehm zu tragen sein, solle man sich allerdings verabschieden: „Ein guter Anzug darf eigentlich gar nicht bequem sein.“ Auf welche Kleidungsauswahl aber es auch immer hinauslaufe, es zähle, „dass du du bist – sonst nichts.“ Denn eins gehöre immer wieder klargestellt: Dandytum habe nichts mit Wohlstand oder gar Reichtum zu tun. „Zu teuren Schuhen kann sich auch ein Billigst-Anzug von Humana gut machen.“ Zur grassierenden Einheitsmode? „Das ist doch in Wahrheit ein einziger großer Scheißhaufen!“
„Real elegance is in the mind.”
(Horsley)
Der passionierte Anzugträger und Radfahrer Walter Berger, bildender Künstler und Gestalter des an ein Spinnennetz gemahnenden Radnetzes Y Nr. 1 in der St. Pöltner Innenstadt, sieht sich selbst weniger als Dandy sondern vielmehr als Abkömmling des klassischen Flaneurs, ein Begriff, dem er sogar das Foyer des Flaneurs im KWI-Haus in der Fuhrmannsgasse gewidmet hat. Flanieren, das hat auch immer mit bewusster Langsamkeit zu tun – und mit genauer Beobachtung. Schon der 1969 verstorbene Philosoph Theodor W. Adorno, der sich seinerzeit eingehend mit dem Flaneurbegriff beschäftigt hat, meinte dazu: „Dem Gewühl enthoben behauptet er seinen Rang als Beobachter, als Zuschauer.“
Doch „dafür ist St. Pölten im Grunde zu klein.“ Sagt Berger: „Und es gibt ja auch nichts zu sehen.“ Wo Großstädte vielleicht noch über den einen oder anderen „abweichlerischen“ Straßenzug verfügten, seien die kleinen und mittelgroßen Geschäfte, die für ästhetische Vielfalt sorgen, hierorts dem wirtschaftlichen Kahlschlag durch Handelsketten zum Opfer gefallen: „Alles gleich, kein Aha-Erlebnis! Zum Vergleich: In der äußeren Währinger Straße in Wien zum Beispiel gibt’s noch individuelle Geschäfte mit individuellen Auslagen, Spiegelungen – das hat Zauber, das ist Theater.“ Und weiter: „Auch in St. Pölten hat’s das gegeben. Die Auslage eines Maßschneiders – das war sexy. Aber es gibt hier keine Maßschneider mehr.“
Humer greift den von Berger ins Spiel gebrachten „Beobachter“ auf, mit dem er sich gut identifizieren könne: „Als Schauspieler sollte man ja abseits der Bühne ein Beobachter sein anstatt im Zentrum der Beobachtung zu stehen.“ Mit Worten als Kleidung der Gedanken, wie es Oscar Wilde formulierte? „Schauspiel und Theater im Allgemeinen ist für mich das Sichtbarmachen von Fantasien,“ meint Humer, nickt und lacht: „Aber ganz halte ich die Beobachterrolle dann eh nicht durch. Ich stehe halt gerne im Rampenlicht.“
Was Wasser auf Melleys Mühlen ist. Sie bezeichnet ihren Lifestyle sowieso als „kultivierten Egoismus“. Und liebt es, in Dilettantismus zu schwelgen. Was für sie nichts Negatives darstellt: Sie modelt, macht Musik, malt, schreibt und versucht dabei, „möglichst wenig nachzudenken“. Aber „wer wie eine Diva behandelt werden will, muss sich auch wie eine Diva benehmen.“
Dass derlei Aussagen der Häme Übelgesinnter Tür und Tor öffnen, ist ihr bewusst. Und im Übrigen völlig egal. In eine ähnliche Kerbe schlägt Filius, wenn er erwähnt, wie Melley übrigens, adligen Geblüts zu sein. Nicht, dass die beiden damit hausieren gingen, aber: Es ist halt da. Und warum, meint Melley, solle man nicht dazu stehen? Filius, oder komplett Filius de la Croix, sieht sich selbst im Grunde als Romantiker. Obgleich in der Ausübung seiner Kunst das genaue Gegenteil vom Dilettanten schätzt auch er es, die Dinge „einfach auf mich zukommen zu lassen“. Das umfasse eben auch extreme „Highs“ und „Lows“. Und „Selbstverliebtheit und Selbstmitleid müssen Hand in Hand gehen.“ Das alles abgeschmeckt mit hemmungsloser Genusssucht: „Hammer!”
Laut Berger sei Dandyismus allerdings ein veralteter Begriff. Filius hält dagegen und spricht vom Künstler/Dandy als „Borderliner“, der er auch sei. Davon hält Humer wiederum überhaupt nichts: „Ich bin kein Borderliner!” Sagt der Perpetuum-Mime dann schon etwas laut. Und meint abschließend: „Der Dandy ist etwas Großstädtisches. Seine Bühne ist die Welt – und nicht St. Pölten.“
„The dandy himself is both revolutionary and illusionist who makes you believe in something that does not exist.“
(Horsley)
Wahrscheinlich hat Humer recht. Vielleicht ist ein wie auch immer geartetes Dandytum heute sowieso nur noch in der Imagination möglich: als schöner Schein, als Schau-Spiel, als bewusst gelebter Anachronismus, der aber auch immer ein Gegengewicht zum uns umgebenden Reality-Einheitsbrei darstellt, der den Idioten zum Maß aller Dinge erhoben hat. Doch „was die Erde in ihrer wirtschaftlichen und ihrer rechtlichen Ordnung dem Künstler und Dichter vorenthält, das holt er sich in der Gestalt des Müßiggängers vom Himmel herab,“ so Adorno.
Denn auch darum geht’s: Ein wenig den Überblick bewahren. Die Welt im Flanieren gleichsam neu entdecken. Und gelegentlichen Müßiggang als Teil eines erfüllten Lebens akzeptieren.
Was – trotz Bergers Verdikt – auch in St. Pölten möglich sein sollte.
Nicht nur auf der Vacano-Promenade.
Meinungen zum Thema:
Melley:
„Egal ob in St. Pölten oder Madrid. Die Leute Fotografieren die Sehenswürdigkeiten - und mich!“
Fritz Humer:
„Der Dandy ist etwas grossstädtisches. Seine Bühne ist die Welt und nicht St. Pölten.“
(Sebastian Horsley)
Nähert man sich vom Kaiserwald aus zu Fuß dem Gasthof Akiwi (vormals Koll), kommt man nicht umhin, ein paar Schritte entlang der so genannten Vacano-Promenade zu tun. Diese Promenade, ein in Wahrheit holpriger Waldweg, ist nach dem nahezu völlig vergessenen Schriftsteller Emil Mario Vacano benannt, der zu Lebzeiten wohl eine der schillerndsten Gestalten der Stadt war. Geboren 1840 in Mährisch Schönberg und gestorben 1892 in Karlsruhe, verbrachte Vacano auch einige Jahre in St. Pölten und Wien, wo er unter anderem im Umfeld von Leopold von Sacher-Masoch verkehrte. Er trat zunächst als Zirkusartist und Kunstreiterin (!) auf, bevor er Kolportage-Romane, Schauergeschichten und Satiren zu verfassen begann. Ein mit der skandalumwitterten Tänzerin Lola Montez gemeinsam zusammen gestellter Ratgeber über Benehmensregeln „für die höheren Stände“ rundet ein zum Teil hübsch dekadentes Gesamtwerk ab, das aber bei Weitem nicht so glamourös war wie Vacanos Leben selbst. Er war ein Dandy, ein Flaneur, der es genoss, wortgewandt und gut gekleidet durch die Stadt zu spazieren, und das auf Wegen, die mitunter auch etwas abseits der damals geltenden bürgerlichen Normen lagen.
Das war vor etwa 150 Jahren.
Betritt man heute die Stadt St. Pölten, z. B. von Bahnhofsseite her, was trotz ÖBB auch eine Möglichkeit darstellt, wird man üblicher Weise erst einmal einer Traube zumeist junger Buben gewahr, die – nahezu ausnahmslos angetan mit schlabbrigen Jogginghosen und schief auf den Kopf geschraubten Baseballkappen – rhythmisch vor sich hin spucken, wenn sie einander nicht gerade “Oida!” ins Ohr brüllen oder, vornüber gebeugt, aufs Handy starren, um weitere Anweisungen aus Dumpfland zu empfangen.
Lässt man diese Herrschaften mit ihren weiblichen Bauchfrei-Begleiterscheinungen einmal rechts liegen und schlendert man die Kremserstraße entlang, zwischen all den ewig gleichen Filialen der ewig gleichen Ketten mit ihrem ewig gleichen Angebot, das inzwischen alle Städte dominiert, fällt ins Auge, dass auch hier, abseits der pubertären Spucknapf-Zonen, bei den entgegen kommenden Damen und Herren eine gewisse Gleichförmigkeit vorherrscht: des Outfits, der Gebärden, der Haltung. Und auch der Schreiber dieser Zeilen blickt an sich herab (Jeans und Berufsjugendlichen-T-Shirt) und muss sich leider eingestehen: Willkommen im Club der Uniformierten.
Gibt es sie also überhaupt noch: die charmant eitlen Dandys und Flaneure auf ihren städtischen Streifzügen, auf der Suche nach Eleganz, Glamour, Müßiggang und Eigensinn?
Und erst recht in St. Pölten?
Um diesen wesentlichen Fragen nachzugehen, lenkt der Schreiber seine Schritte Richtung Akiwi, wo er sich mit vier Menschen treffen wird, die ihm bei der Beantwortung dessen behilflich sein sollen. Gemeinsam will man daran gehen, diese aus dem 19. Jahrhundert stammenden Typologien auf ihre Relevanz im beginnenden dritten Jahrtausend abzuklopfen. Denn Schriftsteller wie Oscar Wilde, Lord Byron oder besagter Vacano, Dandys und Flaneure längst vergangener Jahre, prägten ohne Zweifel ihre Zeit – in unseren Tagen jedoch hört man nur noch vereinzelt von Nachfahren wie etwa dem laut Eigendefinition „letzten lebenden britischen Dandy“ Sebastian Horsley.
Im patinagetränkten Akiwi hat sich schon eine illustre Gesellschaft versammelt: der Schauspieler Fritz Humer, der Musiker und Graphiker Filius (bürgerlich Martin Schnabl), der bildende Künstler Walter Berger sowie Melley, ihres Zeichens – auch – Akt- und Fetischmodel.
Auf jeden Fall Menschen, die auffallen in dieser Stadt: über ihre Kleidung, ihre Haltung, ihren Stil. Und natürlich über ihre Kreativität, ohne die St. Pölten um einiges ärmer wäre.
„Style has little to do with wealth, it is a way of being yourself in a hostile and indifferent world. To be ‘well dressed’ is not to have expensive clothes or the ‘right’ clothes. You can wear rags, as long as they suit you. Style is not elegance but consistency.“
(Horsley)
Kleidung als Selbstdarstellung? No na, ist man versucht zu sagen. Doch so einfach ist’s nicht.
„Ich sehe mich überhaupt nicht als Dandy.“ Meint Fritz Humer gleich zu Beginn. „Meine einzige stilistische Konsistenz ist die Inkonsistenz.“ Doch er relativiert postwendend: „Natürlich bin ich als Schauspieler eitel. Und irgendwie versucht man natürlich bunter zu sein als der Rest.“
Was Melley sofort aufgreift. Sie, der sowieso ein ausgeprägter Hang zur Selbstdarstellung eigen ist, würde „nie ungeschminkt außer Haus gehen.“ Und auch die Kleidung (Wallendes oder sehr, sehr Kurzes) darf sich nicht im 08/15-Bereich bewegen. Gleichgültig, ob in St. Pölten oder im kürzlich besuchten Madrid: „Die Leute fotografieren die Sehenswürdigkeiten – und mich!“ Was Melley in die Nähe des zitierten Sebastian Horsley rückt, der sich geradezu persönlich beleidigt fühlt, wenn er übergangen wird – und sei’s von einer Grippe.
Und Filius setzt nach: Der von ihm bevorzugte 60ies-Stil mit seinen klaren, smarten Linien verhelfe ihm zu einem italophilen Lebensgefühl, wie es aus einem Antonioni- oder Fellini-Film jener Zeit stammen könnte. „Jeder Tag ein bisschen Urlaub!“ Ihm ist wichtig, für sich einen Job kreiert zu haben, den er „im Kaffeehaus beginnen kann, mit einer Zeitung, einem Kaffee oder, wenn mir danach ist, mit einem Prosecco.“ Dass das nicht unbedingt mit galoppierender Geldvermehrung Hand in Hand geht, nimmt er in Kauf. Was das abendliche Ausgehen betrifft, so schwärmt er von den 80er Jahren, als man sich – auch als Mann – mindestens eine Stunde vorm Spiegel begutachtet und das passende Outfit gewählt habe, wohingegen heutzutage die Menschen am Abend das gleiche langweilige Gewand anhätten wie untertags. Was schade sei. „Es ist doch wunderbar, einen Tag zu inszenieren.“ Vom Märchen, schöne Kleidung müsse in erster Linie auch angenehm zu tragen sein, solle man sich allerdings verabschieden: „Ein guter Anzug darf eigentlich gar nicht bequem sein.“ Auf welche Kleidungsauswahl aber es auch immer hinauslaufe, es zähle, „dass du du bist – sonst nichts.“ Denn eins gehöre immer wieder klargestellt: Dandytum habe nichts mit Wohlstand oder gar Reichtum zu tun. „Zu teuren Schuhen kann sich auch ein Billigst-Anzug von Humana gut machen.“ Zur grassierenden Einheitsmode? „Das ist doch in Wahrheit ein einziger großer Scheißhaufen!“
„Real elegance is in the mind.”
(Horsley)
Der passionierte Anzugträger und Radfahrer Walter Berger, bildender Künstler und Gestalter des an ein Spinnennetz gemahnenden Radnetzes Y Nr. 1 in der St. Pöltner Innenstadt, sieht sich selbst weniger als Dandy sondern vielmehr als Abkömmling des klassischen Flaneurs, ein Begriff, dem er sogar das Foyer des Flaneurs im KWI-Haus in der Fuhrmannsgasse gewidmet hat. Flanieren, das hat auch immer mit bewusster Langsamkeit zu tun – und mit genauer Beobachtung. Schon der 1969 verstorbene Philosoph Theodor W. Adorno, der sich seinerzeit eingehend mit dem Flaneurbegriff beschäftigt hat, meinte dazu: „Dem Gewühl enthoben behauptet er seinen Rang als Beobachter, als Zuschauer.“
Doch „dafür ist St. Pölten im Grunde zu klein.“ Sagt Berger: „Und es gibt ja auch nichts zu sehen.“ Wo Großstädte vielleicht noch über den einen oder anderen „abweichlerischen“ Straßenzug verfügten, seien die kleinen und mittelgroßen Geschäfte, die für ästhetische Vielfalt sorgen, hierorts dem wirtschaftlichen Kahlschlag durch Handelsketten zum Opfer gefallen: „Alles gleich, kein Aha-Erlebnis! Zum Vergleich: In der äußeren Währinger Straße in Wien zum Beispiel gibt’s noch individuelle Geschäfte mit individuellen Auslagen, Spiegelungen – das hat Zauber, das ist Theater.“ Und weiter: „Auch in St. Pölten hat’s das gegeben. Die Auslage eines Maßschneiders – das war sexy. Aber es gibt hier keine Maßschneider mehr.“
Humer greift den von Berger ins Spiel gebrachten „Beobachter“ auf, mit dem er sich gut identifizieren könne: „Als Schauspieler sollte man ja abseits der Bühne ein Beobachter sein anstatt im Zentrum der Beobachtung zu stehen.“ Mit Worten als Kleidung der Gedanken, wie es Oscar Wilde formulierte? „Schauspiel und Theater im Allgemeinen ist für mich das Sichtbarmachen von Fantasien,“ meint Humer, nickt und lacht: „Aber ganz halte ich die Beobachterrolle dann eh nicht durch. Ich stehe halt gerne im Rampenlicht.“
Was Wasser auf Melleys Mühlen ist. Sie bezeichnet ihren Lifestyle sowieso als „kultivierten Egoismus“. Und liebt es, in Dilettantismus zu schwelgen. Was für sie nichts Negatives darstellt: Sie modelt, macht Musik, malt, schreibt und versucht dabei, „möglichst wenig nachzudenken“. Aber „wer wie eine Diva behandelt werden will, muss sich auch wie eine Diva benehmen.“
Dass derlei Aussagen der Häme Übelgesinnter Tür und Tor öffnen, ist ihr bewusst. Und im Übrigen völlig egal. In eine ähnliche Kerbe schlägt Filius, wenn er erwähnt, wie Melley übrigens, adligen Geblüts zu sein. Nicht, dass die beiden damit hausieren gingen, aber: Es ist halt da. Und warum, meint Melley, solle man nicht dazu stehen? Filius, oder komplett Filius de la Croix, sieht sich selbst im Grunde als Romantiker. Obgleich in der Ausübung seiner Kunst das genaue Gegenteil vom Dilettanten schätzt auch er es, die Dinge „einfach auf mich zukommen zu lassen“. Das umfasse eben auch extreme „Highs“ und „Lows“. Und „Selbstverliebtheit und Selbstmitleid müssen Hand in Hand gehen.“ Das alles abgeschmeckt mit hemmungsloser Genusssucht: „Hammer!”
Laut Berger sei Dandyismus allerdings ein veralteter Begriff. Filius hält dagegen und spricht vom Künstler/Dandy als „Borderliner“, der er auch sei. Davon hält Humer wiederum überhaupt nichts: „Ich bin kein Borderliner!” Sagt der Perpetuum-Mime dann schon etwas laut. Und meint abschließend: „Der Dandy ist etwas Großstädtisches. Seine Bühne ist die Welt – und nicht St. Pölten.“
„The dandy himself is both revolutionary and illusionist who makes you believe in something that does not exist.“
(Horsley)
Wahrscheinlich hat Humer recht. Vielleicht ist ein wie auch immer geartetes Dandytum heute sowieso nur noch in der Imagination möglich: als schöner Schein, als Schau-Spiel, als bewusst gelebter Anachronismus, der aber auch immer ein Gegengewicht zum uns umgebenden Reality-Einheitsbrei darstellt, der den Idioten zum Maß aller Dinge erhoben hat. Doch „was die Erde in ihrer wirtschaftlichen und ihrer rechtlichen Ordnung dem Künstler und Dichter vorenthält, das holt er sich in der Gestalt des Müßiggängers vom Himmel herab,“ so Adorno.
Denn auch darum geht’s: Ein wenig den Überblick bewahren. Die Welt im Flanieren gleichsam neu entdecken. Und gelegentlichen Müßiggang als Teil eines erfüllten Lebens akzeptieren.
Was – trotz Bergers Verdikt – auch in St. Pölten möglich sein sollte.
Nicht nur auf der Vacano-Promenade.
Meinungen zum Thema:
Melley:
„Egal ob in St. Pölten oder Madrid. Die Leute Fotografieren die Sehenswürdigkeiten - und mich!“
Fritz Humer:
„Der Dandy ist etwas grossstädtisches. Seine Bühne ist die Welt und nicht St. Pölten.“