MFG - "Zuhören ist Macht"


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St. Pöltens gute Seite

"Zuhören ist Macht"

Text Eva Seidl
Ausgabe 11/2006

Folke Tegetthoff ist Initiator des Erzählkunstfestivals fabula Niederösterreich, das im September 2007 in St. Pölten, Krems, Schallaburg, Langenlois und Waidhofen/Ybbs stattfindet. Im Gespräch erläutert der Erzähler, warum sein Festival eigentlich absurd ist und wie wichtig das Zuhören im Alltag ist.

Was bedeutet Erzählen in der heutigen Zeit überhaupt, welcher Stellenwert kommt ihm in Zeiten von TV, Telekommunikation & Internet zu?
Gerade in dieser Zeit, gerade weil unsere gesamte Gesellschaft so mehr und mehr abhängig wird von all diesen Medien, genau aus dem Grund ist es wichtig, die Menschen wieder zum Erzählen und Zuhören zu bringen. Wobei ich da gar nicht unbedingt von Märchen spreche, sondern auch von Alltagskommunikation. Bei meiner Arbeit geht es darum, die Menschen für das Zuhören zu sensibilisieren, und die Geschichte ist die klarste Form, um die Menschen zum Zuhören zu bringen.

Sie kreieren die „Schule des Zuhörens“. Wie funktioniert dies? Ist Zuhören in unserer Gesellschaft noch möglich?
Auch da gilt meine Antwort auf die erste Frage: Gerade weil wir in einer Zeit leben, wo die Fähigkeit zum Zuhören immer geringer wird und unsere ganze Welt primär eine visuelle geworden ist und die Akustik darunter leidet, ist Zuhören so wichtig. Mit der Erfindung des Buchdrucks hat der Wandel von der akustischen zur visuellen Welt begonnen, jetzt stehen wir auf einem Höhepunkt. Wenn Kinder über Handys und Computer kommunizieren, wird die direkte Kommunikation immer schwieriger, weil es dafür Umstände und Hintergründe braucht. Bei direkter Kommunikation muss man seinen Egoismus zurückstecken und auf den anderen eingehen. Als Zuhörer habe ich eine große Macht, ich kann signalisieren „das interessiert mich nicht“, oder ich kann aufmachen und sagen „ich höre dir zu“. Unsere Gesellschaft ist darauf aufgebaut, nur den Sprechenden wichtig zu nehmen. Man sagt eher, „der hat was zu sagen“ als „der kann gut zuhören“. Das Zuhören wird als etwas Passives wahrgenommen und wird deshalb nicht so wichtig genommen.
Genau das möchte ich umkehren: Bei der Schule des Zuhörens haben die Zuhörer die Macht. Wenn Sie zum Beispiel jetzt während ich spreche etwas essen oder gleichzeitig fernsehen, dann hat das, was ich gesagt habe, keine Macht. Ich erkläre meinen Zuhörern ihre Macht. Um diese Bewusstmachung der Macht des Zuhörens geht es bei der Schule des Zuhörens.

Sie kommen auf der ganzen Welt herum – gibt es Länder, wo die Tradition des Erzählens noch mehr Bedeutung besitzt?
Natürlich, wobei man da unterscheiden muss. Das eine ist die Bedeutung des Erzählens als Bühnenkunst, das andere die Bedeutung im Alltag. Ein Erzählkunstfestival muss es nur geben, weil das natürliche Erzählen nicht mehr funktioniert. Es ist eigentlich absurd, dass die Menschen am Abend zu einer Veranstaltung kommen, um zuzuhören.
Mein Ziel ist es, den Menschen etwas für den Alltag mitzugeben, nicht sie zu unterhalten. Es gibt Unterschiede. Dort, wo die modernen Medien noch nicht so ausgereift sind, im Orient zum Beispiel, funktioniert das Erzählen noch im Alltag. Deshalb glauben die Leute, dass es im Orient noch mehr Geschichten gibt, obwohl es eigentlich viel weniger sind als bei uns.
Diese Gesellschaften, auch die asiatischen - speziell Indien - das sind fantastische Zuhörer, weil das Geschichtenerzählen dort Teil des Alltags ist. Auch im angelsächsischen Raum ist das Geschichtenerzählen viel wichtiger, dort gibt es so genannte Storytellers. Im europäischen Raum ist diese Tradition seit drei Generationen komplett verstummt, sie wurde durch die Kriegserlebnisse zum Verstummen gebracht. Lange Zeit hatte man nur vom Krieg zu erzählen und die nachfolgende Generation – zu der auch ich gehöre – wollte das nicht hören. In anderen Kulturen wird das ganz anders gehandhabt, dort steht man hinter seiner Geschichte.

Wie sind Sie selbst zum Erzählen bzw. zu dem Erzählfestival gekommen?
Eigentlich durch meinen Erstberuf als Schriftsteller. Als ich mich zum Schreiben von Märchen entschlossen habe, war mir klar, wenn ich schreibe, muss ich auch erzählen. Ich habe es ohne eine Schauspielausbildung einfach gemacht, neun Jahre später (1988) kam dann die Idee zum Festival, weil ich in meiner Heimat der Erzählkunst eine neue Plattform geben wollte.