MFG - Die Leiden des jungen Säufers
Die Leiden des jungen Säufers


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Die Leiden des jungen Säufers

Text Althea Müller
Ausgabe 05/2006

„Alkoholiker? Geh bitte! Geltungsbedürftig bist, das ist alles! Da, ich lad dich ein. Sauf aus!“ Diese vernichtende Diagnose inklusive ebenso vernichtendem Hilfsangebot stellt für gewöhnlich der typische Freund des typischen (jungen) Trinkers, sobald dieser die vage Vermutung äußert, ein Problem mit dem beinah täglichen Konsum promillehältigen Gesöffs zu haben. Warum?

Erstens: weil Alkohol, bitteschön, nix Schlimmes ist. Vielmehr ein gesellschaftliches Muss, billiger Zeitvertreib, vergnüglicher Stimmungsaufheller. Durch’s Saufen kommen d’Leut z’samm. Arm, wer da nicht mithalten kann oder will. Und selbst schuld! Was ist ein Weekend schon wert ohne das samstägliche Blackout und den sonntäglichen Kater? Vom Leichenschmaus zum     Birthday Bash – ohne Wein kann’s nicht sein.
Zweitens: wo kämen wir denn da hin, wenn sich plötzlich ein jeder Gedanken um seinen Bier- und Schnapskonsum machen würde? Wie würde man denn dastehen, so als besoffene Barfly, wenn die Leute ringsum sich auf einmal nur noch an ihren Pagoflascherln festhalten?

Geliebte Droge!
Von allen Drogen ist der Alk (natürlich neben seinem besten Freund Nikotin) die gesellschaftsfähigste Droge in Österreich: schließlich ist der Stoff legal. Und erschwinglich. Die Vorstellung einer hübschen Einladung zur kollektiven Koksprobe wirkt grotesk – ersetzt man jedoch Koksprobe mit Weinverkostung, wird diese Vorstellung zum Normalsten der Welt. Was wiederum kein Wunder ist in einer Welt, die Biersorten aufgrund stylisher Etiketten zum Kultobjekt erhebt, Lokale mit 10 Cent- oder PayOneDrinkTwo-Parties locken lässt und diverse Cocktails aufgrund von Movies und Zickenserien zum Must der Saison macht. Eine Flasche Wein als Mitbringsel ist nie verkehrt. Mit einem Coke-Rausch kommst nicht weit. Bist a Mann oder a Luschn? Mit einem Almdudler gibt’s ka Anstoßen. Ex oder nie wieder Sex. Schwachsinnigkeiten à la carte – im österreichischen Volksmund fest verankert ...

Spaßbremse
Wochenend-, Spiegel-, Frust- und Heimlich-Trinkern ist eines gemein: übermäßiger und unvorsichtiger Konsum der flüssigen Droge kann und wird Folgen haben. Mit unter anderem Gastritis, Fettleber, Leberschaden, schmerzhaften Lähmungen der Beine, Hepatitis oder Schrumpfung des Kleinhirns und Verlust an Zellsubstanz rächt sich der Körper, mit Psychosen, Suizidversuchen etc. die Seele. Von Verkehrsunfällen und Körperverletzungen, die auf Promille im Blut zurückgehen, mal ganz abgesehen ... Weiß eh jeder. Das Problem daran, dass wir das alle „ja eh wissen“: ein einziger Vollrausch kann eine oder mehrere der oben genannten Konsequenzen mit sich bringen – und dann ist es zu spät. Reue bringt keine Zellen zurück. Und macht Tote auch nicht wieder lebendig.

Tipps am Rande
  • BUCH: 
Stephen King, „Das Monstrum - Tommyknockers“ (Heyne Verlag)
OK, eigentlich geht es um böse Außerirdische. Doch die wirklichkeitsgetreuen, übelkeiterregenden Beschreibungen der Rausch- und Katerzustände von Hauptfigur und Schwerstalkoholiker Gard nehmen ein Drittel der Handlung ein und haben mit dem Alien-Horror nichts zu tun.

  • FILM: 
Betty Thomas „28 Days“ (Columbia Tristar Home Entertainment)Sandra Bullocks Erfahrungen als (anfangs) absolut uneinsichtige Alkoholikerin mit ihrem Partylöwen-Partner, ihrer enttäuschten Schwester sowie den Mitklienten und Ärzten einer Entzugsklinik sind jedes Kopfschütteln und – ja! - jede Träne wert. ERNÜCHTERNDE ZAHLEN MADE IN AUT
Der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch lag 2005 bei Bier bei 29,8 und bei Wein bei 108,3 Liter.
2004 wurden 42.657 Verkehrsunfälle, bei denen Alkohol im Spie(ge)l war, ermittelt.
Als Folge von Alkoholkonsum nahmen sich im selben Jahr 1.909 Personen das Leben, erlitten 22 eine Vergiftung und erkrankten 2.241 an chronischer Leberkrankheit und –zirrhose.                                  (Quelle: AKIS auf www.api.or.at)

ERSTE HILFE
Beratungsstelle für Alkoholprobleme in St. Pölten
Linzer Straße 10-12 – jeden Montag, 16-19 Uhr (keine Voranmeldung nötig!)
Tel.: 02742/333-2518
Ein weiblicher sowie männlicher Dipl.-Sozialarbeiter und eine Ärztin vom Anton-Proksch-Institut Kalksburg betreuen als Team kostenlos und diskret jeden Montag Abend Alkoholiker und deren Angehörige. Beratende Erstgespräche und Anamnese-Aufarbeitung führen bei Bedarf zum Arztgespräch. Auf Wunsch werden stationäre Termine im A-P-Institut (s.u.) koordiniert. Auch die ambulante Nachbehandlung stationärer Patienten erfolgt in der Linzer Straße. Die Hilfe beginnt manchmal übrigens schon im Wartezimmer, wo sich Betroffene ungezwungen austauschen können. Anonyme Alkoholiker – „Einigkeit, Dienst und Genesung“
Um bei den (1935 in den USA von den wohl berühmtesten Alkoholikern Bill und Bob gegründeten) AA willkommen zu sein, muss man nur eines vorweisen: die Bereitschaft, mit dem Trinken aufhören zu wollen (EINIGKEIT). Das Gemeinschaftsgefühl, kleine Aufgaben (Kaffee-DIENST ...) und die unterschiedlichen Erzählungen wirken sich heilsam auf Alkoholkranke und Angehörige aus. Die Freiwilligkeit und Anonymität machen den Erfolg (GENESUNG) dieser Selbsthilfegruppe aus. Infos inkl. aller, auch        niederösterreichischer Meetings:
www.anonyme-alkoholiker.at

Interview: PROBLEMKIND? - MUSS STATT GENUSS
Wir wollten von einer Fachfrau erfahren, wann es beim Thema Trinken eigentlich kritisch wird – Andrea Zechel, Dipl. Sozialarbeiterin der Beratungsstelle für Alkoholprobleme in StP Rockcity stand Rede und Antwort.

Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe?
Zu uns kommen vorwiegend Erwachsene sowie deren Angehörige. Viele werden von ihren Haus- oder Fachärzten zu uns überwiesen, manche kommen durch mediale Ausschreibungen oder finden übers Internet zu uns.

Wann sollte man bei sich selbst oder anderen hellhörig werden, was den Alkoholkonsum betrifft?
Immer dann, wenn Alkohol zum Muss wird, also z.B. wenn das Mittagessen ohne das Glas Bier nicht schmeckt und das Ausgehen ohne etwas zu trinken nicht denkbar ist. Man kann sich selber testen, etwa indem man sich ein Monat Abstinenz auferlegt und sich dabei beobachtet – wenn es sehr schwer fällt, nichts zu trinken bzw. nicht ans Trinken zu denken, und wenn man richtig darauf wartet, dass die trockene Zeit endlich überstanden ist, liegt sicherlich ein Problem vor. Auch, Alkohol als „Medizin“ gegen schlechte Stimmung, Traurigkeit, Schüchternheit oder Schlaflosigkeit einzusetzen und in Belastungssituationen als Spannungs- und Problemlöser zu missbrauchen, ist kritisch.

Stichwort „Ausgehen“: gerade als Jugendlicher ist es oft schwierig, „Nein“ zu sagen.
Für jüngere Leute gilt dasselbe wie für ältere: bei besonderen Anlässen ein Glas zu trinken, ist Genuss. Sich regelmäßig dem Gruppenzwang zu unterwerfen und bei jeder Gelegenheit zu trinken, um nicht als lächerlicher Außenseiter dazustehen aber kann in die Sucht führen. Selbstbewusstsein kann und muss man lernen. Nein zu sagen ebenfalls.