MFG - Bangend hoffend
Bangend hoffend


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Bangend hoffend

Text Johannes Reichl
Ausgabe 11/2004

St. Pöltner haben's schwer. Während die Burgenländer als die Deppen der Nation hingestellt werden (was sie ohne Zweifel nicht sind!), ist St. Pölten imagemäßig die Stinki- Town Österreichs. Dies geht auf die Kappe vor allem eines Unternehmens: Der Glanzstoff Austria GmbH im Norden der Stadt.

Nun keimen neue Hoffnungstriebe, dass es mit dem "faule Eier-Odem" in absehbarer Zeit so gut wie vorbei sein könnte: ermöglichen soll dies ein 80m hoher Schlot, um dessen Bewilligung der Betrieb beim Magistrat angesucht hat. Eine Reportage über eine "unendlichen Geschichte", welche die St. Pöltner skeptisch den neuen Schalmeientönen zuhören lässt, von denen sie zugleich so sehr hoffen, dass sie in Erfüllung gehen mögen.  Die Fakten 
Es sind vor allem zwei Substanzen, welche die Glanzstoff emittiert und welche sowohl gesundheitlich als auch in Sachen Geruch Problemstoffe darstellen: CS2 und H2S, wobei letzteres - Schwefelwasserstoff - "die eigentliche Stinkbombe ist.", wie der Leiter der Abteilung Technik und Umwelt der Glanzstoff, Ing. Alfred Plank erläutert. Der offizielle WHO-Schwellenwert für H2S liegt bei 7µg/m³, "für CS2 schwanken die Expertenmeinungen zwischen 20µg/m³ - 1 mg/m³", so Mag. Werner Knauder vom Institut für Meteorologie und Geodynamik. Derzeit liegt "die Glanzstoff über diesen Werten, wobei dies gebietsmäßig unterschiedlich ist und von der Ausblashöhe abhängt.", gibt Ing. Plank zu. Die Schadstoffe entstehen bei der Produktion von Viskose und technischen Garnen, die insbesondere in der Autoindustrie (Reifen, Keilriemen etc.) eingesetzt werden. Garne des zweitgrößten technischen Viskoseherstellers der Welt befinden sich aber auch auf der Ariane im Weltall sowie als Sicherheitsstreifen in den Euro-Banknoten.  Bittere "Wahlzuckerl" in Sachen Luft 
Dass sich St. Pölten heute überhaupt noch mit der Glanzstoff-Problematik herumschlagen muss, ist vor allem der Politik zu verdanken. Bereits Ende 1982 sollte die Fabrik zugesperrt werden. Intervention seitens Bundeskanzlers Dr. Bruno Kreisky sowie die Gründung einer Auffanggesellschaft sicherten den Fortbestand, Lenzing übernahm das Werk. Bürgermeister Hans Schickelgruber schrieb im Jänner 1983: "Durch das persönliche Engagement unseres Herren Bundeskanzlers Dr. Kreisky ist es gelungen, den Betrieb ... zu erhalten, was für St. Pölten ein echtes ,Christkind' bedeutet." Am 24. April fanden Nationalratswahlen statt. 1994 ein ähnliches Bild, wieder lag das Unternehmen am Boden. Der Gemeinderat verabschiedete eine einstimmige Resolution zur Erhaltung und schaltete Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky ein: mit Erfolg. Eine Liegenschaftsverwertungsgesellschaft wurde gegründet, in welche die Stadt immerhin 10% (über 35,5 Millionen Schilling) einbrachte. Bund und Land zahlten das Doppelte! Um die Bedenken der Glanzstoff- Gegner zu kalmieren, wurden dem Werk hinsichtlich der Umwelt Auflagen erteilt, und zwar seien, wie Bürgermeister a.D. Willi Gruber im Mai 1994 informierte: ,,-Die erforderlichen Maßnahmen zur Umweltverträglichkeit des Betriebes, insbesondere die völlige Beseitigung der Geruchsbelästigung der Bevölkerung bis zum 31. Dezember 1995 zu lösen. Im Oktober des Jahres wurde abermals der Nationalrat gewählt. Das Cover von ,,St. Pölten konkret" zierte damals das Bild eines hemdsärmeligen Franz Vranitzky auf Betriebsbesuch bei der Glanzstoff.  Was wurde getan seit 1995? 
Dezember 1995 ist mittlerweile fast 9 Jahre her, die Abluftproblematik wurde definitiv nicht "vollständig beseitigt"! Es wurde etwas versprochen, was offensichtlich gar nicht zu halten war, was man Werk wie Politik gleichermaßen zum Vorwurf machen muss. Freilich darf man es nicht nur negativ sehen, immerhin wurde durch die "Vertragsklausel" ein Prozess in Gang gesetzt, dem sich heute weder die Glanzstoff noch die Behörde entziehen können. So gibt Ing. Plank zu, "dass die Glanzstoff bis 1994 in Sachen Abluft eigentlich überhaupt nichts getan hat." Mitte der 90'er wendete sich das Blatt. Ein Sanierungskonzept wurde vorgelegt, welches eine Lösung der Abluftproblematik in drei Stufen vorsieht. Zwei Anlagen und Stufe 3/1 sind mittlerweile verwirklicht, wofür das Unternehmen rund 10 Millionen Euro investierte. Tatsächlich wurden Verbesserungen erzielt. Offensichtlich wird dies, wenn eine Anlage ausfällt - dann ist der Gestank ungleich stärker wahrzunehmen. Von einer befriedigenden Lösung kann aber keinesfalls gesprochen werden, was Ing. Plank auch versteht. "Wenn es stinkt, stinkt es. Alles andere interessiert die Leute nicht!" Dass die Prognosen der Glanzstoff prinzipiell als seriös eingestuft werden, legt ein Bericht des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2002 nahe. Darin heißt es, dass nach Inbetriebnahme der Abluftreinigungsstufe 3/3 "der Gesamterfassungsgrad der H2S und CS2-hältigen Abgase von insgesamt 86% auf über 94% steigen soll."  Schlot als Lösung? 
Während Abluftreinigung 3 innerhalb von fünf Jahren umgesetzt werden soll, könnte - so die Hoffnung - ein 80m hoher Kunststoff-Schornstein bereits 2005 eine "Fast- Lösung" in Sachen Geruch bringen. Dr. Lothar Kloimstein von der Magistratsabteilung für Umweltschutz und Marktangelegenheiten erläutert das Prinzip: "Durch die Einleitung der Viskose-Abgase von der Faserproduktion (Schwefelwasserstoff und Schwefelkohlenstoff) und der Abluft (Schwefeldioxid) der beiden bereits bestehenden Abluftreinigungsanlagen kommt es infolge des Verdünnungseffekts zu einer Reduktion der Schadstoffe im Nahbereich, obwohl die Emissionsmenge gleich bleibt." Und das funktioniert? Laut Ing. Plank gibt es ein vergleichbares Anschauungsobjekt: Das Glanzstoff Werk im tschechischen Lovosice, wo seit den 60'er Jahren ein Riesenschlot die Abluft hinausbläst. "Dort hat es eigentlich nie Probleme mit der Geruchsbelästigung gegeben." Auf unseren fingierten Protestanruf im Böhmischen Werk hin gibt man sich tatsächlich einigermaßen verdutzt: "Geruchsbelästigung? Von einem Schaden wissen wir nichts." Was freilich an der ganzen Sache irritiert: Wenn das Stinkproblem - abgesehen vom gesundheitlichen - offensichtlich so "leicht" auf ein Minimalstmaß zu reduzieren ist: warum hat man es dann nicht schon längst getan? Ing. Plank zufolge gab es in den 70'er Jahren diesbezügliche Überlegungen, es wurde aber nie finanziert. Ein Trost ist das nicht wirklich: v.a., was war danach, und wo war die Politik, die sagte: zuerst die Imagescharte "Gestank" beseitigen und parallel dazu Schadstoffe reduzieren? Wie dem auch sei, das nunmehrige Schlotprojekt soll eine eklatante Verbesserung bringen, so prognostiziert es auch das Institut für Meteorologie und Geodynamik. Mag. Knauder: "Man kann davon ausgehen, dass die Konzentration der CS2 sowie bei H2S- lmission durch die Ausblashöhe bedeutend sinken wird. Die Geruchs-Häufigkeit wird geringer sein, zudem wird das Ausbreitungsgebiet beträchtlich kleiner - im Falle von H2S in etwa 100 Meter rund um den Schornstein. Bei CS2 hingegen kommt es zu einer größeren Verbreitung. Absolut wird man die Situation aber erst beurteilen können, wenn der Schlot tatsächlich realisiert ist." Eine 100% Lösung gibt es nach dem derzeitigen Stand der Technik jedenfalls nicht, wie Mag. Karl Gutkas von der für den Bescheid zuständigen Allgemeinen Verwaltung des Magistrates klarstellt: "Prinzipiell sagen die Sachverständigen, dass eine gewisse Restbelastung bleibt. Erlebnisse wie Höhe Nordbrücke, dass einem plötzlich der Atem aufgrund des Gestankes stockt, sollten aber der Vergangenheit angehören. Zudem gewährleistet der Schlot, dass - selbst wenn eine Anlage ausfällt - die Geruchsbelastung nicht unbedingt gemerkt wird. Dass man die Glanzstoff überhaupt nicht mehr und nie wieder riechen wird, ist aber eine Illusion."  Vier Gedanken, die im Hinblick auf die Glanzstoff erlaubt sein müssen, unter dem Aspekt: "Was wäre, wenn es die Geruchsproblematik nicht gegeben hätte" 
1. Ohne Zweifel wären mehr Bürger zugesiedelt, v.a. auch Landesbedienstete. Jeder zusätzliche Hauptwohnsitzer bringt der Kommune allein aus dem Finanzausgleich rund 800 Euro, und zwar pro Jahr!
2. Der Tourismus käme stärker zum Tragen, weil die schönen Seiten der Stadt nicht durch die negativen Imagefaktoren Krenn und Gestank übertüncht würden. Jeder Urlaubsgast ließ 2002 in NÖ laut Statistik Österreich im Schnitt über 50 Euro/Tag.
3. Das "Glasscherbenviertel" im Norden wäre wohl nicht das "Glasscherbenviertel" geworden, weil es als Wohnraum attraktiver gewesen und somit mehr in die Infrastruktur investiert worden wäre.
4. Die Bürger würden sich mit ihrer Stadt mehr identifizieren. Man tut sich halt leichter, wenn einem ein Fremder sagt: "Ah, St. Pölten, die wunderschöne barocke Innenstadt, Prandtauer - ich weiß schon.", anstatt "Ihh, St. Pölten. Das ist dort, wo es immer nach faulen Eiern riecht?" Das kratzt am Selbstwertgefühl! Was wäre wenn, spielt es freilich nicht. Die Glanzstoff existiert, es arbeiten 450 Mitarbeiter dort, die Situation ist wie sie ist - darf es aber nicht bleiben! Deswegen ist uns allen zu wünschen, dass die Rechnung der Glanzstoff aufgeht und St. Pölten bald aufatmen kann.  Interview mit Ing. Plank, Leiter Umwelt & Technik der Glanzstoff Austria "Je dünner die Suppe, desto schwieriger" mfg: Der Glanzstoff wird vorgeworfen, das man erst tätig wird, wenn Druck von außen kommt, etwa im Falle der Abluftreinigung 3.  Ing. Plank: Wir verzögern nichts. Es hat nur keinen Sinn, etwas sofort zu realisieren, wenn man weiß, dass es bei längerem Forschungszeitraum zu einer besseren Lösung kommt. Wir betreiben auf dem Gebiet Entwicklungsarbeit, Anlage 1 + 2 waren Prototypen. Wir haben in diesem Bereich den Stand der Technik weltweit neu definiert. Unser Problem bei Abluftreinigung 3: Je dünner die Suppe wird, desto schwieriger ist es, sie zu reinigen.  mfg: Wenn der Schornstein bewilligt wird, soll die Geruchsbelästigung bereits im nächsten Jahr auf ein Minimum sinken. Seien wir optimistisch und nehmen an, die Rechnung geht auf: Was würde dies für die Glanzstoff bedeuten?  Ing. Plank: Wir hoffen damit endlich aus den negativen Schlagzeilen herauszukommen. Ich bin auch überzeugt, dass wenn der Schwefelgeruch weg ist, andere Emittenten Probleme bekommen werden. Heute ist es ja so: Egal, was riecht - es ist immer die Glanzstoff! Manche behaupten sogar satirisch, dass der Wein im Traisental so gut wächst, weil die Schwefelung der Glanzstoff so optimal ist!  mfg: Als Glanzstoff-Mitarbeiter muss man für das Werk immer Rede und Antwort stehen. Wie geht man mit dem Druck um?  Ing. Plank: Heute ist es nicht mehr so ein Problem, weil ich jedem ehrlich sagen kann, dass wir etwas gegen die Situation tun. Und ich kann Ergebnisse vorweisen, die dies bestätigen: der Reinigungsgrad liegt mittlerweile bei über 80%, wir emittieren heute 20 Tonen weniger Schwefelstoff - früher ist das alles ungefiltert rausgegangen.