MFG - Battlefield 2008: Mission große Pause
Battlefield 2008: Mission große Pause


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St. Pöltens gute Seite

Battlefield 2008: Mission große Pause

Text Kati Waldhart
Ausgabe 06/2008

Die Aufregung war groß. Besonders aufgeregt naturgemäß der Boulevard. Die Kronen Zeitung hatte sogar das Cover dafür über: „Mitschüler (14) spitalsreif geprügelt“, schrie die kleinformatige Seele der Nation am 10. Dezember – und zwar gleich österreichweit! – von der Titelseite. Darf man fragen, was denn so besonders daran sein soll, wenn ein 15-jähriger einen 14-jährigen verprügelt?

Liest man den Artikel kapiert selbst der Dümmste (und wohl auch ziemlich jeder Politiker), was denn da die Volksseele so zum Kochen bringt. 21 Mal wird im gegenständlichen Zeitungsbericht auf den „Migrationshintergrund“ des Täters hingewiesen. 15-jährige Kinder von „Serben“, „Albanern“ und „tschetschenischen Asylwerbern“ haben in der „explosiven Ladung“ der St. Pöltner Theodor Körner eine regelrechte „Prügelorgie“ unter „obszönen Beschimpfungen“ und „blinder Wut“ abgefeiert. Willkommen am Schlachtfeld Schule?
Natürlich sind Prügeleien von Minderjährigen ein klares Zeichen, dass etwas nicht stimmt. Die Frage ist nur was – und wie man darüber diskutiert. Man muss nicht bis zum ersten High School Massaker auf St. Pöltnerisch warten, bis man sich die Frage stellt, welche Dimension das „Gewalt-Thema“ für unsere Kinder und Jugend hat – und sich somit zwangsläufig auch auf den Schulalltag auswirkt.
Die erste Schwierigkeit ergibt sich schon mal beim Wort „Gewalt“. Ist das „Schneiden“ eines wenig beliebten Mitglieds der Klassengemeinschaft noch akzeptabel (getreu dem Motto: „So sind Kinder nun einmal“), oder schon ein Fall von psychischer Gewalt gegen einen Schwächeren? Und wenn dann die drei hübschen Mädels das hässlichste Mädchen der Klasse so richtig nieder-zicken? Ist das dann noch pubertärer Leichtsinn oder schon gemein-gefährliches Bullying, also das Aufeinanderlosgehen von mehreren gegen einen?
Leicht tun wir uns meist nur bei der ganz großen Erregung. Kinder, die einen Schüler im Keller ihrer Schule verprügeln bis diesem ein Zahn fehlt und er mehrere Prellungen davon trägt, ja das darf wohl als inakzeptabel durchgehen. Doch bewegt sich dieser widerliche Einzelfall noch in der statistischen Normalität der letzten Jahre und Jahrzehnte – oder handelt es sich um einen Indikator für einen gefährlichen Trend, der unsere Jugend immer brutaler werden lässt?

Gewaltig?
Einfach ist auch der Fall der 16-jährigen Brenda Ann Spencer. Sie inspirierte die Boomtown Rats rund um Bob Geldof zum weltweiten NummerEins-Hit „I Don’t Like Mondays“. Einem Satz, dem viele Schüler – aber auch Erwachsene – wohl vorbehaltlos zustimmen würden. Tell me why? Sag mir warum, wird da die 16-jährige Brenda gefragt. Ihre Antwort ist einfach: weil sie eben keine Montage mag! Darum hat sie am 29. Jänner 1979 aus dem Schlafzimmerfenster heraus auf den gegenüberliegenden Schulhof geschossen – und dabei den Direktor, den Hausmeister und einen Polizisten getötet. Und acht Schüler verletzt. Eindeutig böse. Aber auch ein gutes Beispiel dafür, dass es oft keine einfachen Antworten gibt.
Was muss überhaupt geschehen, damit sich Kinder gegenseitig Gewalt antun? Auch hier liefert der Boulevard rasch Antworten. Unter schwerem Tatverdacht stehen zuerst der „Ausländeranteil“ und in Folge „die Medien“. Zweifelsohne schaffen neue technische Möglichkeiten wie die Online-Videoplattform YouTube und Aufnahme-Features moderner Handys erst die Grundlage für die „innovativsten“ Formen der Gewalt, beispielsweise das Aufnehmen von Misshandlungen an Schwächeren – und in Folge das öffentliche Zur-Schau-Stellen des Unterlegenen. Man muss kein Psychologe sein um zu erkennen, dass es dabei primär um die Möglichkeit geht, den anderen zu demütigen. Beispiele für das sogenannte „happy slapping“ finden sich immer wieder in den Medien, erste Berichte gibt es aber bereits seit den 70er Jahren, also aus einer Zeit, lange vor YouTube oder dem bösen Web-2.0-Leben der heutigen Kids. Gerade aufgrund der Bizarrheit solcher Übergriffe gibt es intensive Debatten – verlässliches Zahlenmaterial liegt hingegen nicht vor.

Publicity und Budget
Womit wir generell bei der Problematik zum Thema „Gewalt“ sind. Wo sind die handfesten empirischen Daten, anhand deren man Trends erkennen und fundiert reagieren könnte?
Als der Verein Neustart im Frühjahr eine Online-Umfrage veröffentlicht hatte, in der die Experten zum Thema Opfer- und Täterhilfe Alarm schlugen, so waren sich die Verantwortlichen bei Neustart wohl einer „g’scheiten“ Publicity sicher. Da kann es schon passieren, dass selbst der öffentlich-rechtliche ORF NÖ titelt „Studie: Gewalt an Schulen nimmt zu“. In Wahrheit ist es keine Studie, sondern eine Umfrage mit dem Ziel die verantwortlichen Politiker auf das Thema aufmerksam zu machen. Wenn laut dieser Neustart-Umfrage rund 80 Prozent der Befragten (Schüler, Eltern, Lehrer) angeben „Ja, Gewalt ist ein Problem“, dann unterstreicht das wohl die Forderung von Neustart und anderen Trägereinrichtungen nach Budgetmitteln für Schulsozialarbeitsprojekte.
Unumstritten ist bei allen Experten auch, dass Gewalt an Schulen natürlich ein Thema ist. Und ja, natürlich hat sich die Jugend geändert, man muss nur die Dimension und den Zeitabschnitt betrachten. Dass die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte auch mit sich bringen, dass sich die heutigen Kids anders verhalten als ihre Eltern ist wohl klar. Dass der Themenbereich einer umfangreichen Integration von Kindern – auch der zweiten und dritten Generation – in die „österreichische“ Gesellschaft natürlich besonderes Engagement aller Beteiligten verlangt, ist klar. Renate Pokorny von Neustart weist darauf hin, dass Kinder von Asylsuchenden oft traumatisierende Erlebnisse verkraften müssen. Die Themen „Gewalt an Schule“ und „Ausländeranteil“ in einen Topf zu schmeißen sei aber nicht der richtige Weg: „Auch der 14-jährige Österreicher hat einiges drauf, wenn er nicht weiß, wohin mit seiner Wut.“
Ziel von Schulsozialarbeit ist oft die individuelle Arbeit in Gruppen. Dabei geht es beispielsweise um das Erkennen von Gruppendynamiken. Man sucht sich den Rädelsführer und findet so Zugang zu mehreren Jugendlichen. Oft geht es auch um präventive Aufklärung, etwa wenn Polizisten grundsätzliche Informationen geben, was eigentlich legal ist und wann man sich strafbar macht. Renate Pokorny: „Es ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche lernen, wohin sie ihre Aggression kanalisieren, wie sie mit der Aggression umgehen.“

Schneller am Thema
Tatsache ist jedenfalls, dass physische Gewalt (Körperverletzungen) zum größten Teil noch immer ein männliches Phänomen darstellt, obwohl in letzter Zeit auch vermehrt Mädchen und junge Frauen handgreiflich werden. Traditionsgemäß stellen alle Untersuchungen und Studien fest, dass Frauen öfters zu psychischer Gewalt wie üble Nachrede oder Verbreitung von Gerüchten greifen. Im Rahmen einer Generationenvergleichsstudie des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur kamen die Autoren zum Schluss, dass keine empirischen Befunde vorliegen, die auf einen generellen Anstieg von Gewalt hinweisen. Das Ausmaß physischer Gewalt sei tendenziell rückläufig, verbale und psychische Aggression am Vormarsch.
Häufig ist auch davon zu lesen, dass die sogenannte Aggressionsbereitschaft zunehme, also heutzutage jemand schneller mal körperlich aggressiv wird. Astrid Ebenberger ist seit dem Herbst 2006 Direktorin einer der vier Körner-Hauptschulen in St. Pölten, zuvor war sie in einer Landschule tätig, „aber ich würde zwischen den Schulen keine gravierenden Unterschiede sehen“. Dass die Kids heute gewaltbereiter sind, ist für sie aber evident. Ebenberger: „Ein Grund dafür ist sicher in der verstärkten ‚Individualisierung’ der Gesellschaft zu sehen, bis hin zum Begriff der ‚Ich-AG’. Da wird man einerseits selbstbewusster, andererseits versucht man sich auch schneller zu behaupten bzw. zu verteidigen.“ Ihre Schule sieht sie im Einklang mit anderen: „Wir verzeichnen wie überall kleinere Vorfälle. Ich denke aber, dass es diese auch früher gab. Vieles wird heute nur anders genannt, man ist schneller am Thema“, so die Direktorin. Auf die oft zitierten „Ausländerkinder“ angesprochen meint sie, dass gerade bei diesen das soziale Umfeld der Familie oft sehr gut „funktioniere“ – mit positiven Auswirkungen auf das Verhalten von Kindern, nicht zuletzt im Schulbetrieb.

Probleme? Nein, danke!
Lehrer und Direktoren sind bei diesem Thema sowieso nicht zu beneiden. Läuft etwas zufriedenstellend, wird es als selbstverständlich hingenommen. Gibt es Probleme, beklagen viele die „unfähigen“ Lehrer, die aber – so scheint es mitunter – oft die Probleme unfähiger Eltern ausbaden. Bei seriöser Betrachtung muss man die Schülerin und den Schüler nämlich auch als Individuum sehen, das außerhalb der Schule genug Zeit für dumme Ideen hat. Besonders deutlich wird dies am Drogenthema.
Immer wieder wird berichtet, dass der Erstkontakt von jungen Menschen mit diversen Suchtmitteln früher passiert. Das betrifft nicht nur jene Substanzen, mit denen der Staat gutes Geld verdient (Alkohol und Nikotin), sondern auch die illegalen Drogen, bezeichnenderweise „Freizeitdrogen“ genannt. Welchen Einfluss sollen Schulen denn auf das Freizeitverhalten ihrer Schüler nehmen können? Na hoffentlich keinen, da sollte das individuelle Umfeld wie Familie und Freundeskreis eher greifen. Obwohl diese natürlich lang nicht so schön zu veranschaulichen sind, wie ein düsterer Schulhof.
Rupert Zeitlhofer ist Direktor des Gymnasiums in der Josefstraße, ein heillos überfülltes Haus mit über 1.000 Schülern, geringem Ausländeranteil, aber dem dringenden Wunsch nach Geld zum Ausbau der Schule. Mit endenwollender Begeisterung steht er uns Rede und Antwort und bringt es gleich mal zum Mitschreiben für alle auf den Punkt: „Wir haben kein Gewaltproblem!“ Verständlich, einerseits plagt ihn die Maturavorbereitungsarbeit, andererseits sind Medien beim Thema „Schule und Gewalt“ die natürlichen Feinde der Direktionen, welche auf das Image ihres Hauses zu achten haben.
Brav wird dann aufgezählt, wie wenig Vorkommnisse es im eigenen Haus gibt und wie normal man im Vergleich zu anderen Schulen liege. Sollte sich mal eine Verschlechterung des Klassenklimas zeigen, so wird mit  besonderen Angeboten reagiert, etwa einem „Sozialen Tag“. Auch eine Schulsozialarbeiterin ist in der Josefstraße tätig, seit zwei Jahren, in denen Cornelia Letschka vom Institut Ko.m.m. (Konflikte miteinander meistern) wenig Veränderung festgestellt hat. Kernaussage: „Es geht nicht anders zu, als in anderen Schulen.“
Dies bestätigt auch eine Publikation des Ministeriums, dass in allgemein höher bildenden Schulen deutlich weniger körperliche Gewalt zum Tragen kommt. Und gerade die körperliche Gewalt hat es halt an sich, dass man damit Titelseiten füllt, obwohl die Unfallzahlen laut Schülerstatistik der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) in den letzten Jahren keine Steigerung von Unfällen im Zusammenhang mit Raufereien in Schulpausen verzeichnen konnte. Das viel diffizilere Mobbing ist dagegen schon weniger schön darstellbar. Mobbing nannten die Eltern übrigens früher Hänseln. Und – seien wir ehrlich – wen von uns plagt denn heute noch das schlechte Gewissen diesbezüglich?

Kultur des Hinschauens
Lassen wir also die Direktoren mal kurz in Ruhe und fragen einen, der es wissen muss. Wolfgang Matzl, selber gelernter Sozialarbeiter, erfahren mit dem Betreiben eines Jugendzentrums, derzeit Jugendkoordinator der Stadt St. Pölten und somit oberster Vernetzer zum Thema Jugend. Im Fall der Körnerschule letzten Winter wurde beispielsweise eine Helferkonferenz – unter Beisein der mobilen Streetworker von Nordrand – einberufen, welche alle Beteiligten an einen Tisch gebracht hat und für einen anständigen Informationsfluss sorgte. Matzl: „Wir wollten Klarheit schaffen und hatten Erfolg.“
Generell findet Matzl, „dass die Gewalt nicht unbedingt gestiegen ist, sie ist nur mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Die Gesellschaft hat sich von einer Kultur des Wegschauens hin zu einer Kultur des Hinschauens bewegt.“ Gewalt an Schulen hat es schon immer gegeben, nur „früher haben die Direktoren einfach behauptet, dass es sie nicht gäbe“. Dagmar Hutterer ist Direktorin der Polytechnischen Schule in St. Pölten. Zum Thema angesprochen meint die Direktorin: „Direkt an der Schule gibt es keine offensichtliche Gewalt. So viele Pausen haben die Schüler ja gar nicht.“ Welch schönes Beispiel für den schwierigen Prozess hin zur Gewalt des Hinschauens und der Wahrung des Rufs einer Schule, die mitunter auch in den regionalen Revolverblättern auftaucht.
Zurück zum Drogenthema. Wolfgang Matzl meint, dass dieses im Zusammenhang mit dem Bereich Schule vernachlässigbar ist, da in der Schule der Konsum nur äußerst selten vorkomme. „Auch das alte Märchen vom Dealer, der vor der Schule wartet ist Humbug, es hat wirklich keine Relevanz.“ Laut Matzls aktuellen Daten stagniert der Konsum von harten Drogen, der Konsum von Cannabis hingegen steigt. Erstkonsum passiere im Schnitt mit 16 Jahren, die untere Latte befindet sich bei 13 bis 14 Jahren, vereinzelte 11-jährige Erstkonsumenten seien nur Ausreißer in der Statistik.
Bleibt die Frage, wie man mit dem Thema der Gewalt an Schulen umgehen soll. Die Antwort scheint „Schulsozialarbeit“. Jede Schule, die etwas auf sich hält, hat mittlerweile erkannt, dass manche Probleme oft nicht „intern“ gelöst werden können. Beziehungsweise haben erkannt, dass externe Fachleute mehr Sinn machen, als das Verdrängen von Problemen. Ähnlich wie große Betriebe zunehmend den Wert von Sozialarbeitern im Betrieb erkennen, so bietet sich gerade im menschlichen Minenfeld der Pubertät genug Spielraum für Legionen von Sozialarbeitern, deren Einsatz in der Regel nicht von der Nachfrage, sondern vom Budget begrenzt wird.
Young ist ein unabhängiger Verein, der mit der Einrichtung „x-point“ in 20 Schulen in NÖ präsent ist. In St. Pölten betreuen die Schulsozialarbeit als Träger der Landesjugendwohlfahrt die Otto Glöckel Volksschule, die Körner Hauptschulen I bis IV, HAK/HASCH, BRG/BORG und die HTL. Young-Leiterin Margot Müller scheint damit wohl wie keine zweite berufen über die wahren Ausmaße der Gewalt an St. Pöltens Schulen zu urteilen. „Grundsätzlich nennen wir nicht Daten von einzelnen Schulen, wir sehen nur den gesamten Trend“, antwortet Müller verschwiegen und professionell auf die Frage nach möglichen Hot Spots in St. Pölten. Natürlich sei die Arbeit in Volksschulen generell präventiver als in Hauptschulen. Bei der Arbeit mit den Jüngsten geht es oft darum überhaupt mal den Wortschatz zu entwickeln, mit dem man Aggression verarbeitet. „In der Volksschule wird die eigene Welt oft noch als ‚normal’ gesehen. Wir kümmern uns auch zunehmend um einen inter-kulturellen Zugang, verschicken beispielsweise Elternbriefe in drei verschiedenen Sprachen“, so Müller.

Auf einem guten Weg
Doch was ist Schulsozialarbeit überhaupt? „Es geht um ein freiwilliges Angebot für Kinder und Jugendliche, das ist unsere primäre Zielgruppe. In weiterer Folge können sich natürlich auch Lehrer und Eltern an uns wenden, aber hauptsächlich geht es darum, die Schüler zu erreichen.“ Der Bogen der Tätigkeiten spannt sich laut Müller dabei von präventiven Vorträgen, über Projektideen für die Freizeit, bis hin zu heiklen Fällen wie Verdacht auf sexuellen Missbrauch. Die Schulsozialarbeiter haben eine Sonderstellung, sie sind nicht „irgendwelche“ Lehrer oder Erwachsene, sondern Vertrauenspersonen. Generell muss eine Schule bereit sein, sich für Schulsozialarbeit zu öffnen. „Es ist ein längerer Prozess“, so Müller, „man muss sich natürlich aneinander gewöhnen.“ Zwischen Hauptschulen und AHS gäbe es laut einer Studie nur minimale Abweichungen, „Mobbing passiert an einer höheren Schule natürlich anders als in einer Hauptschule – es ist aber falsch zu denken, dass es weniger schmerzvoll wäre“. Generell ist der Verein mit der Entwicklung des Problembewusstseins und der Strukturen in NÖ zufrieden. Müller: „Man kann schon sagen, dass wir in NÖ mit den rechtlichen Grundlagen und der Zusammenarbeit zwischen Jugendwohlfahrt und Schule auf einem guten Weg sind. Derzeit wird Schulsozialarbeit zwar erst etabliert, aber NÖ hat hier eine Vorreiterrolle. Wichtig sind nun die Einführung von Standards und einer Qualitätssicherung.“
Die Stadt St. Pölten gibt laut eigenen Angaben pro Schüler und Schuljahr 15 Euro für die Tätigkeiten der Schulsozialarbeit des Vereins Young aus, weitere 30 Euro kommen vom Land NÖ.
Derzeit verbringen die Young-Sozialarbeiter mehr Stunden an Hauptschulen als an den AHS. Müller: „Wenn es für die AHS mehr Budget gäbe und wir dort mehr Zeit verbringen würden, dann wären es aber natürlich auch mehr Fälle in den höher bildenden Schulen.“
Zu welchen Themen arbeiten die Sozialarbeiter eigentlich mit den Schülern? Margot Müller: „Themen wie Drogen kommen selten vor. Das Top-Thema ist Freundschaft und Lernen, gefolgt von Gewalt. Sehr häufig spielen aber die Problemlagen Familie, Trennung, Scheidung, Mobbing auch mit hinein.“ Eine genaue Statistik der Sozialarbeiter dokumentiert, welche „Problemlagen“, die Jugendlichen wirklich beschäftigen – und bei genauem Hinsehen wird klar, dass dies nicht in sich isolierte „Schulthemen“ wie Gewalt, Drogenkonsum oder Ausländeranteil sind, sondern dass auch das soziale Umfeld insgesamt zu Problemen führt, die dann mitunter aggressiv im Schulalltag ausgelebt werden. Erwähnenswert scheint auch eine Statistik, wonach jedes vierte Mädchen und jeder achte Bub zwischen dem 1. und 16. Lebensjahr Opfer von sexueller Gewalt wird. Ein gesellschaftliches Problem, dass nach wie vor tabuisiert wird.
Eine seriöse Auseinandersetzung mit Möglichkeiten der Gewalt-Prävention scheint also das Gebot der Stunde. Panikmache und Hysterie – bis hin zur medialen Ankündigung, dass Väter nunmehr vor der Schule wache stehen würden – tragen wohl nichts zu einem besseren Klassenklima bei. Achja. Die Jugend war bekanntlich schon immer die schlechteste aller Zeiten. Zumindest seit Sokrates. Es gibt also Hoffnung. Anfangen könnten die Erwachsenen.

Infos zum Thema:
Gewalt: Der Begriff bezeichnet von seiner Wurzel her das „Verfügen-Können über das innerweltliche Sein“. Der Begriff bezeichnet ursprünglich rein das Vermögen zur Durchführung einer Handlung und beinhaltet kein Urteil über deren Rechtmäßigkeit. Gewalt wird aber zumeist gebraucht, wenn mit Zwang – vor allem physischem – etwas durchgesetzt wird.
Mobbing: Mobbing oder Mobben (von englisch „mob“, Meute, Gesindel, Pöbel, Bande) steht im engeren Sinn für Psychoterror am Arbeitsplatz mit dem Ziel, den Betroffenen aus dem Betrieb hinauszuekeln. Im weiteren Sinn bedeutet Mobbing, einen Kollegen ständig zu schikanieren, quälen und verletzen, beispielsweise in der Schule oder am Arbeitsplatz.
Bullying: Bullying steht für ein weniger subtiles Verhalten als Mobbing, wobei körperliche Gewalt oder deren Androhung eine wichtige Rolle spielt. Bullying spielt sich eher psychologisch als physisch ab.
Happy Slapping: Als Happy Slapping (engl. etwa für „fröhliches Dreinschlagen“) wird ein grundloser Angriff auf unbekannte Passanten bezeichnet. Der Angreifer läuft dabei auf sein Opfer zu und schlägt ihm ins Gesicht, mitunter werden Opfer auch zusammengeschlagen. Üblicherweise wird der Angriff von einem weiteren Beteiligten mit einer Handy- oder Videokamera gefilmt. Die Aufnahmen werden anschließend im Internet veröffentlicht oder per Mobiltelefon verbreitet.

„Gift für Gesellschaft!“
Der Haupttäter der Prügel-Attacke in der Körner Hauptschule wurde Ende Mai zu 18 Monaten verurteilt, sechs davon unbedingt. Bei Richtern und Anwälten schrillen immer mehr die Alarmglocken.
18 Monate Haft ist eine hohe Strafe, insbesondere wenn der vorstrafenfreie Täter erst 15 Jahre alt ist und somit 30 Monate die Höchststrafe wäre. Richter Kodynski: „Mildernde Umstände waren, dass es scheinbar im Vorfeld eine Provokations-SMS gegeben hat, obwohl nicht genau geklärt werden konnte, wer diese abgesandt hat.“ Viel bedeutender wiegen jedoch die erschwerenden Gründe. Abgesehen vom Übergriff auf den 14-jährigen Schüler gab es sieben weitere Delikte, davon offene Aggression ohne nachvollziehbaren Anlass. Kodynski: „Scheinbar reichte dem Täter schon die bloße Existenz des Opfers, um seine Aggression auszuleben.“ Selbst nach einer einmonatigen U-Haft schaffte es der Haupttäter während des Volksfests wieder auffällig zu werden, das Verfahren dazu ist noch am Laufen, bei einer neuerlichen Verurteilung würde auch die teilbedingte Haft aus der Körner-Causa aufgehoben werden.
Christian Hirtzberger vertrat den Haupttäter und kann zum konkreten Fall aufgrund der anwaltlichen Verschwiegenheit keine Auskunft geben, jedoch berichtet er allgemein aus seiner beruflichen Erfahrung: „Die Brutalität ist bedenklich, das Individuum zählt nichts.“ Richter Kodynski: „Unbestritten: die Brutalität nimmt zu. Früher hielt man sich an ‚Unterwerfungsgesten‘, heute wird hingegen fröhlich hingetreten.“ Hirtzberger: „Das Grundproblem ist immer das gleiche: mangelnder Respekt vor dem Anderen. Das ist das Gift, an dem unsere Gesellschaft leidet, egal ob Körperverletzung oder Eigentumsdelikte. In gewissen Milieus, oft mit Migrationshintergrund, ist diese Problematik dramatisch, da hilft kein Verleugnen.“ Hirtzberger ergänzt, in letzter Zeit habe er viel über Motive von Gewalttätern nachgedacht. Sein Bruder ist Hannes Hirtzberger, der vergiftete Bürgermeister aus Spitz.