Chicken
Text
Althea Müller
Ausgabe
Wer keinen Gott mehr hat, braucht zumindest Götzen. Meine sind um die 20 cm groß, wuschelig und hauptberuflich Meerschweinchen. (Alle Stylettos unter euch, die Schlangen etc. haben, können jetzt bitte zum Lesen aufhören, ja, dankeschön.) Diese zwei Tiere haben das alleinige Privileg, mich jederzeit tyrannisieren zu dürfen, ohne dass ich deshalb grollen würde. Ich kaufe für sie immer noch 1st-Class-Gemüse, wenn ich mich mangels Kleingeld nur noch von verdorbenem Joghurt ernähre. Und wenn sie quieken, springe ich selbst dann sofort auf, wenn ich gerade mit der neuesten, männerverachtenden Frauenzeitschrift sowie einer Großpackung Mini-MilkyWay auf der Couch liege. Sie sind die einzigen Wesen, vor denen ich (nüchtern, ähem) freiwillig in die Knie gehe. Gestern z.B. besorgte ich die superteuren Körner. DIE nämlich. Mr. Watson (nachtschwarz, strubbelig, gerissen) trippelte misstrauisch heran, um zu schnuppern. Mit einer gezielten Pfotenbewegung fegte er dann verächtlich die Schüssel um. Körner überall. Gleich folgte Emily (aufgrund ihrer grazilen Schönheit zweifellos eine dreifärbige Dita van Teese), besah sich das Chaos – und kotete nach einigen Sekunden angestrengten Nachdenkens auf meine liebevoll besorgten Gaben. So schenkte ich ihnen demütigst jenes Vollkornweckerl, das ich eigentlich selbst hatte frühstücken wollen. Danach fühlte ich mich besser. Die Schweinchen auch. Sollte ich jemals alt werden, bin ich sicher eine jener dünnen Damen, die kettenrauchend kleine Hündchen am Schoß wiegen und mit Lindorkugeln füttern. Aber das schreckt mich nicht. Denn: Es ist lächerlich sagt der Stolz. Es ist was es ist, sagt die Liebe.