geschichte schreiben
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Es „passieren“ mitunter Ausgaben, die durchzieht so etwas wie ein roter Faden, der – ich gebe es offen zu – gar nicht immer so geplant ist. Ich frage mich dann stets, ob das Kreisen um bestimmte Themen, die sich in verschiedenen Artikeln herausschälen, bloßem Zufall, einer unterbewussten Manipulation jener Gedanken, die mich gerade beschäftigen, oder doch eher so etwas wie einer gesamtgesellschaftlichen Stimmung geschuldet sind, die in der Luft liegt. Diesmal waren es Demokratie, Freiheit, Toleranz, Verantwortung – das ganze Arsenal also, das wir so gerne (und völlig zurecht!) als unseren Wertekanon bezeichnen.
Augenscheinlich wurde mir das beim Betrachten des Faksimiles des österreichischen Staatsvertrages im neuen „Haus der Geschichte“, wobei mich noch mehr der Stift daneben in Bann zog: Jene Füllfeder, mit der Leopold Figl das Konvolut unterzeichnete. Nur ein kleines Schreibwerkzeug, elf hingekrakelte Buchstaben, mit denen der damalige Außenminister aber im wahrsten Sinne des Wortes „Geschichte schrieb“, was er auch verbal mit den berühmten drei Worten „Österreich ist frei“ auf den Punkt brachte.
Nur zehn Jahre zuvor hatte er zu Weihnachten 1945 noch fast flehentlich an sein Volk appelliert „Glaubt an dieses Österreich!“, und weitere zehn Jahre vorher war Österreich nach bürgerkriegsähnlichem Dauerzustand endgültig in ein autoritäres Regime geschlittert. Das wird an anderer Stelle des Musuems, in der Ausstellung „Die umkämpfte Republik. Österreich von 1918-1938“, mit ziemlicher Wucht vor Augen geführt – sie endet mit dem Ende „Österreichs“, seiner Eingliederung ins Deutsche Reich. Auf einer Videowall zum Ausgang hin sieht man die brennende St. Pöltner Synagoge, die einen mit einem beklemmenden Gefühl entlässt, aber auch mit einer einfachen Einsicht: Freiheit, Souveränität, Nächstenliebe – also Humanität – sind nichts Selbstverständliches. Sie müssen, wie es Universitätsprofessor Anton Burger im Interview (S. 42) formuliert, „immer wieder aufs Neue erkämpft werden. Es genügt nicht allein, dass sie irgendwo – etwa in der Verfassung, den allgemeinen Menschenrechten etc. – aufgeschrieben stehen, sondern wir müssen sie leben! Andernfalls mutiert die Rede von der Würde des Menschen zum zahnlosen Papiertiger.“ Was freilich gar nicht immer so einfach ist, weil die Demokratie als Lebensmodell, das unseren Wertekanon sozusagen in ein politisches Vollzugsmodell gießt, immer wieder von Phänomenen herausgefordert wird, die an ihren Grundfesten selbst kratzen. Wie weit etwa darf Toleranz gegenüber Intoleranz gehen (Islamismusdebatte/Religionsfreiheit), wie weit dürfen wir die Freiheit um der Freiheit selbst willen beschränken (Terrorismusbekämpfung/Sicherheit) – und ab wann übersehen wir es vielleicht, so dass die Situation kippt und das, was uns bislang unantastbar erschien, plötzlich in Scherben vor uns liegt oder zumindest massiv bedroht ist.
Wer sich wieder, wie jüngst eine Umfrage zutage förderte, nach „dem starken Mann“ sehnt (immerhin 43% der Befragten in Österreich), mag einen Blick in die Geschichtsbücher werfen oder auch nur in die nähere Umgebung – nach Ungarn, Polen, die Türkei – wo gemeinhin Selbstverständliches wie Rede- und Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz, ja Gewaltentrennung als solche suzkzessive ausgehöhlt werden.
Wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir unsere demokratischen Möglichkeiten festigen, ja leben. Kurzum, setzen wir unser Kreuz auf den Wahlzettel. Denn nur so mutiert obig erwähnter Papiertiger ganz im Gegenteil zu einem mächtigen Instrument der Souveränität, der Freiheit und des Bekenntnisses zu unseren Werten. Anton Burger spricht diesbezüglich von „Mitverantwortung“, die jeder einzelne von uns trägt. Und einer Sache sollten wir uns auch bewusst sein: Wir alle schreiben Geschichte.
Augenscheinlich wurde mir das beim Betrachten des Faksimiles des österreichischen Staatsvertrages im neuen „Haus der Geschichte“, wobei mich noch mehr der Stift daneben in Bann zog: Jene Füllfeder, mit der Leopold Figl das Konvolut unterzeichnete. Nur ein kleines Schreibwerkzeug, elf hingekrakelte Buchstaben, mit denen der damalige Außenminister aber im wahrsten Sinne des Wortes „Geschichte schrieb“, was er auch verbal mit den berühmten drei Worten „Österreich ist frei“ auf den Punkt brachte.
Nur zehn Jahre zuvor hatte er zu Weihnachten 1945 noch fast flehentlich an sein Volk appelliert „Glaubt an dieses Österreich!“, und weitere zehn Jahre vorher war Österreich nach bürgerkriegsähnlichem Dauerzustand endgültig in ein autoritäres Regime geschlittert. Das wird an anderer Stelle des Musuems, in der Ausstellung „Die umkämpfte Republik. Österreich von 1918-1938“, mit ziemlicher Wucht vor Augen geführt – sie endet mit dem Ende „Österreichs“, seiner Eingliederung ins Deutsche Reich. Auf einer Videowall zum Ausgang hin sieht man die brennende St. Pöltner Synagoge, die einen mit einem beklemmenden Gefühl entlässt, aber auch mit einer einfachen Einsicht: Freiheit, Souveränität, Nächstenliebe – also Humanität – sind nichts Selbstverständliches. Sie müssen, wie es Universitätsprofessor Anton Burger im Interview (S. 42) formuliert, „immer wieder aufs Neue erkämpft werden. Es genügt nicht allein, dass sie irgendwo – etwa in der Verfassung, den allgemeinen Menschenrechten etc. – aufgeschrieben stehen, sondern wir müssen sie leben! Andernfalls mutiert die Rede von der Würde des Menschen zum zahnlosen Papiertiger.“ Was freilich gar nicht immer so einfach ist, weil die Demokratie als Lebensmodell, das unseren Wertekanon sozusagen in ein politisches Vollzugsmodell gießt, immer wieder von Phänomenen herausgefordert wird, die an ihren Grundfesten selbst kratzen. Wie weit etwa darf Toleranz gegenüber Intoleranz gehen (Islamismusdebatte/Religionsfreiheit), wie weit dürfen wir die Freiheit um der Freiheit selbst willen beschränken (Terrorismusbekämpfung/Sicherheit) – und ab wann übersehen wir es vielleicht, so dass die Situation kippt und das, was uns bislang unantastbar erschien, plötzlich in Scherben vor uns liegt oder zumindest massiv bedroht ist.
Wer sich wieder, wie jüngst eine Umfrage zutage förderte, nach „dem starken Mann“ sehnt (immerhin 43% der Befragten in Österreich), mag einen Blick in die Geschichtsbücher werfen oder auch nur in die nähere Umgebung – nach Ungarn, Polen, die Türkei – wo gemeinhin Selbstverständliches wie Rede- und Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz, ja Gewaltentrennung als solche suzkzessive ausgehöhlt werden.
Wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir unsere demokratischen Möglichkeiten festigen, ja leben. Kurzum, setzen wir unser Kreuz auf den Wahlzettel. Denn nur so mutiert obig erwähnter Papiertiger ganz im Gegenteil zu einem mächtigen Instrument der Souveränität, der Freiheit und des Bekenntnisses zu unseren Werten. Anton Burger spricht diesbezüglich von „Mitverantwortung“, die jeder einzelne von uns trägt. Und einer Sache sollten wir uns auch bewusst sein: Wir alle schreiben Geschichte.