Braucht es die Traisental-schnellstraße S34?
Text
Georg Renner
, Jakob Winter
Ausgabe
GEORG RENNER
Der Wilhelmsburger arbeitet als Journalist bei der „Kleinen Zeitung“.
„Wer im Ortszentrum wohnt, dürfte bald kein Auto mehr brauchen.“
Die S34 – als Wilhelmsburger quasi „meine“ Schnellstraße – ist so ein Thema, bei dem ich merke, wie sich meine Meinung schleichend ändert. Ich habe das Projekt über Jahre verteidigt; als jemand, der die meisten Tage auf der B20 unterwegs ist, weiß ich um den Graben, der sich durch St. Georgen und Spratzern zieht. Der Gedanke, das über eine Umfahrungsstraße abseits der Ortschaften zu lindern, scheint mir schlüssig.
Aber je länger ich darüber nachdenke, umso mehr frage ich mich auch, ob es diese Schnellstraße wirklich braucht.
Denn das mittlere Traisental gäbe eigentlich eine gute Modellregion dafür ab, wie man Mobilität im suburbanen Raum in Zukunft organisieren könnte: Die Ortschaften – Spratzern, St. Georgen, Wilhelmsburg, Traisen, Lilienfeld – sind fein säuberlich aufgefädelt an Straße, Schiene und Radweg. Und: die Ortskerne relativ kompakt.
Jetzt wird kaum jemand vernünftiger sagen, dass Straßen in einer nicht näher definierten Mobilitätszukunft keine Rolle spielen werden. Aber die Idee, dass jemand, der nicht in einer weit außen liegenden Siedlung wohnt, sondern im zentralen Wohngebiet einer Gemeinde, ein Auto eigentlich nur ausnahmsweise brauchen sollte, scheint mir ressourcentechnisch ebenso verfolgenswert wie machbar.
Mir scheint realistisch, dass in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren das autonome Auto Realität wird. Damit lässt sich das „last mile“ Problem günstig und effizient lösen – also die Frage, wie man schnell zum nächsten Öffi-Knotenpunkt kommt. Wer für eine solche Zukunft plant, muss eine Entlastungs-Schnellstraße wie die S34 in Frage stellen – und sich stattdessen überlegen, wie man die öffentlichen Verbindungen so ausbaut, dass die Leute, die in den Ortstkernen wohnen, gar kein Auto mehr brauchen, um in der Region von A nach B zu kommen.
Wenn das wirkt, fällt auch die Überlastung der B20 weg – und damit der Ausgangspunkt für die S34 an sich.
JAKOB WINTER
Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.
„Hoffnung auf evidenzbasierte Entscheidungsgrundlage“
Ganz ehrlich: Ich habe mir noch keine abschließende Meinung zur S34 gebildet. Die Sache ist ja auch alles andere als einfach gelagert. Und doch gibt es für Unentschlossene wie mich eine gute Nachricht.
Auf der einen Seite stehen die Bewohner des Traisentals, die in Ermangelung eines dichten Öffi-Netzes vielfach auf ihr Auto angewiesen sind – und mit der Mariazellerstraße derzeit eine Strecke vorfinden, die gleichermaßen anfällig für Staus wie Unfälle ist. Auf der anderen Seite zwingt uns der Klimawandel dazu, neue Straßenbauprojekte kritisch zu hinterfragen. Insbesondere dann, wenn – wie im Fall der S34 – die ersten Pläne dafür aus den 1970er-Jahren stammen.
Seither hat sich einiges getan: Die Sorge vor einer rasanten Erderwärmung ist zu einem der wichtigsten politischen Themen aufgestiegen. Und sogar bei der Asfinag gab es einen Bewusstseinswandel. Als zentrales Argument für den Bau der Schnellstraße führt die Autobahngesellschaft ausgerechnet diesen Punkt an: „Weniger Verkehr und mehr Lebensqualität entlang der B20 Mariazeller Straße“. Man darf davon ausgehen, dass eine zusätzliche Schnellstraße insgesamt mehr Verkehr bedingen würde. Wenn aber selbst die Asfinag in ihrer PR die Verkehrsberuhigung in den Fokus rückt, zeigt das nur, wie unpopulär motorisierter Individualverkehr geworden ist.
Das heißt freilich nicht, dass deshalb jedes Straßenbauprojekt zu verteufeln wäre. Der Bahnhof Tullnerfeld macht nur Sinn, weil Zubringerstraßen und großzügige Parkflächen dazu gebaut wurden. In Einzelfällen können neue Straßen sicher auch Staus vermeiden und damit CO2-Ausstöße verringern. Doch das müssen Straßenbauverfechter heute penibel nachweisen, wenn sie nicht als Betonierer dastehen wollen.
Was also tun mit der S34? Ich halte den Klimacheck für sinnvoll, den die grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler im Juni allen Straßenbauprojekten der Asfinag verordnet hat. Bleibt zu hoffen, dass das Gutachten eine evidenzbasierte Entscheidungsgrundlage bietet – und keine plumpe Agitation wird. Im Herbst wissen wir mehr.
Der Wilhelmsburger arbeitet als Journalist bei der „Kleinen Zeitung“.
„Wer im Ortszentrum wohnt, dürfte bald kein Auto mehr brauchen.“
Die S34 – als Wilhelmsburger quasi „meine“ Schnellstraße – ist so ein Thema, bei dem ich merke, wie sich meine Meinung schleichend ändert. Ich habe das Projekt über Jahre verteidigt; als jemand, der die meisten Tage auf der B20 unterwegs ist, weiß ich um den Graben, der sich durch St. Georgen und Spratzern zieht. Der Gedanke, das über eine Umfahrungsstraße abseits der Ortschaften zu lindern, scheint mir schlüssig.
Aber je länger ich darüber nachdenke, umso mehr frage ich mich auch, ob es diese Schnellstraße wirklich braucht.
Denn das mittlere Traisental gäbe eigentlich eine gute Modellregion dafür ab, wie man Mobilität im suburbanen Raum in Zukunft organisieren könnte: Die Ortschaften – Spratzern, St. Georgen, Wilhelmsburg, Traisen, Lilienfeld – sind fein säuberlich aufgefädelt an Straße, Schiene und Radweg. Und: die Ortskerne relativ kompakt.
Jetzt wird kaum jemand vernünftiger sagen, dass Straßen in einer nicht näher definierten Mobilitätszukunft keine Rolle spielen werden. Aber die Idee, dass jemand, der nicht in einer weit außen liegenden Siedlung wohnt, sondern im zentralen Wohngebiet einer Gemeinde, ein Auto eigentlich nur ausnahmsweise brauchen sollte, scheint mir ressourcentechnisch ebenso verfolgenswert wie machbar.
Mir scheint realistisch, dass in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren das autonome Auto Realität wird. Damit lässt sich das „last mile“ Problem günstig und effizient lösen – also die Frage, wie man schnell zum nächsten Öffi-Knotenpunkt kommt. Wer für eine solche Zukunft plant, muss eine Entlastungs-Schnellstraße wie die S34 in Frage stellen – und sich stattdessen überlegen, wie man die öffentlichen Verbindungen so ausbaut, dass die Leute, die in den Ortstkernen wohnen, gar kein Auto mehr brauchen, um in der Region von A nach B zu kommen.
Wenn das wirkt, fällt auch die Überlastung der B20 weg – und damit der Ausgangspunkt für die S34 an sich.
JAKOB WINTER
Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.
„Hoffnung auf evidenzbasierte Entscheidungsgrundlage“
Ganz ehrlich: Ich habe mir noch keine abschließende Meinung zur S34 gebildet. Die Sache ist ja auch alles andere als einfach gelagert. Und doch gibt es für Unentschlossene wie mich eine gute Nachricht.
Auf der einen Seite stehen die Bewohner des Traisentals, die in Ermangelung eines dichten Öffi-Netzes vielfach auf ihr Auto angewiesen sind – und mit der Mariazellerstraße derzeit eine Strecke vorfinden, die gleichermaßen anfällig für Staus wie Unfälle ist. Auf der anderen Seite zwingt uns der Klimawandel dazu, neue Straßenbauprojekte kritisch zu hinterfragen. Insbesondere dann, wenn – wie im Fall der S34 – die ersten Pläne dafür aus den 1970er-Jahren stammen.
Seither hat sich einiges getan: Die Sorge vor einer rasanten Erderwärmung ist zu einem der wichtigsten politischen Themen aufgestiegen. Und sogar bei der Asfinag gab es einen Bewusstseinswandel. Als zentrales Argument für den Bau der Schnellstraße führt die Autobahngesellschaft ausgerechnet diesen Punkt an: „Weniger Verkehr und mehr Lebensqualität entlang der B20 Mariazeller Straße“. Man darf davon ausgehen, dass eine zusätzliche Schnellstraße insgesamt mehr Verkehr bedingen würde. Wenn aber selbst die Asfinag in ihrer PR die Verkehrsberuhigung in den Fokus rückt, zeigt das nur, wie unpopulär motorisierter Individualverkehr geworden ist.
Das heißt freilich nicht, dass deshalb jedes Straßenbauprojekt zu verteufeln wäre. Der Bahnhof Tullnerfeld macht nur Sinn, weil Zubringerstraßen und großzügige Parkflächen dazu gebaut wurden. In Einzelfällen können neue Straßen sicher auch Staus vermeiden und damit CO2-Ausstöße verringern. Doch das müssen Straßenbauverfechter heute penibel nachweisen, wenn sie nicht als Betonierer dastehen wollen.
Was also tun mit der S34? Ich halte den Klimacheck für sinnvoll, den die grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler im Juni allen Straßenbauprojekten der Asfinag verordnet hat. Bleibt zu hoffen, dass das Gutachten eine evidenzbasierte Entscheidungsgrundlage bietet – und keine plumpe Agitation wird. Im Herbst wissen wir mehr.