Chicken
Text
Althea Müller
Ausgabe
Meine Lieblingsfreundin Sil, die ist gar nicht so garstig und gemein, wie ich sie des Öfteren im Rahmen dieser Kolumne darstelle. Sie ist eine feinfühlige, geduldige und höchst liebevolle Person. Darüber hinaus beschäftigt sie sich viel weniger mit Shopping, Modelmaßen oder Schuhen, wie ich es oft in die Welt hinaus schreie, sondern engagiert sich für den Umweltschutz, die Kinder und das eine oder andre halt sonst noch. Außerdem ist sie wirklich erst Anfang Zwanzig und nicht nur, weil sie ihr wahres Alter offiziell vertuscht. Sie bäckt Kuchen für die Kirche und ihre Tätowierungen sind nur aufgemalt – mit Henna, weil das naturbelassener ist und wieder abgeht, wenn sie sich in ihrer Freizeit um ältere Menschen kümmert. Konkret liest sie ihnen vor. Aus richtigen Büchern. „Okay“, nickt Sil, „das ist in Ordnung, hier sind die 20 Mücken.“ Ich zähle unterm Tisch verstohlen die kleinen Scheine. Wir sitzen zwar in meiner Küche, aber alle Wände haben Sinnesorgane. „Sil“, zische ich, „das sind nur 10, äh, Flocken.“ – „Den Rest kriegst du, wenn der Text abgedruckt ist“, knurrt sie. Der Mops sitzt auf ihrem Schoß und starrt mich feindselig an. Vielleicht sollte ich ihn auch positiv erwähnen – er ist schließlich ganz ein braver Hund, der ein wasserdichtes Alibi hat für den Zeitpunkt, als einer meiner Leoplüsch-Hauspatschen sein Lebenslicht ausblies. „Wenn du raufgehst auf 30“, flüstere ich verschwörerisch, „schreib ich auch noch zwei Zeilen über den, äh, Köter.“ – „Gebongt“, kramt Sil in der 80ies Slangkiste. Vielleicht sollten wir ja alle auch nur aufhören, so viel fernzusehen. Vielleicht würden wir dann langsam sogar normal werden im Schädel.