MFG - Aus dem Orchestergraben
Aus dem Orchestergraben


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St. Pöltens gute Seite

Aus dem Orchestergraben

Text Johannes Reichl
Ausgabe 11/2015

Was für ein Zeichen! Die Wiener Philharmoniker, in Musik gegossener Nationalstolz jeden Österreichers, kaufen in St. Aegyd ein altes Gasthaus, um dort das „Wiener Philharmoniker Haus für Asylsuchende“ zu gründen! Über die Hintergründe sprachen wir mit Projektleiter Norbert Täubl, seines Zeichens Klarinettist des Orchesters, und eines zeigte sich: Da ist nicht nur ein Künstler, sondern vor allem ein Mensch, der nicht nur – stellvertretend für seine Kollegen – etwas sagen will, sondern vor allem auch etwas zu sagen hat. Mögen ihm viele zuhören!

Wie bzw. wann ist das Projekt Asylhaus eigentlich entstanden?
Der Verein ist im Sommer, als sich die Krisensituation zuspitzte, zu dem Entschluss gekommen, dass wir auch etwas auf die Beine stellen sollten. Es kristallisierte sich dann relativ rasch die Idee heraus, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, und zwar aktiv und längerfristig.
Zugleich war uns aber ebenso schnell bewusst, dass wir zwar aufgrund unser Popularität gut im Geldauftreiben sind, dass wir ein solches Haus aber nicht selbst führen können, sondern dafür einen kompetenten Partner mit dementsprechendem Know-how brauchen – so kam es zur Kooperation mit der Diakonie, für die wir das Haus ankaufen.
Fündig geworden ist man standortmäßig in St. Aegyd – warum gerade dort?
Das war Zufall. Ich hab mich im Bekanntenkreis umgehört, ob jemand ein geeignetes Objekt weiß, und da hat man mir gesagt, dass die Familie Stiefsohn in Pension geht und ihr Gasthaus zum Verkauf steht. Das ist ein Haus, das ich noch aus meiner Kindheit gut kenne – ich bin ja in St. Aegyd aufgewachsen – und es ist aufgrund seiner räumlichen Begebenheiten ideal für unsere Zwecke zu adaptieren.
In Folge haben wir mit der Familie Stiefsohn Gespräche geführt, weiters natürlich mit der Gemeinde, die gleichfalls Unterstützung signalisiert hat und hinter dem Projekt steht, was ja am wichtigsten ist, ebenso wie die Bevölkerung. Erst dann – als alles auf Schiene war – wurde das Ganze im Verein am 23. September beschlossen.
Wie kann man sich die Sitzung vorstellen – gabs da Einwände und wilde Debatten?
Überhaupt nicht. Der Beschluss fiel einstimmig aus und wurde mit Applaus bedacht, einfach weil alle überzeugt sind, dass das eine gute Sache ist.
Die nächste Frage war in Folge, wie wir das Geld aufstellen. Wir hätten natürlich irgendwo zweimal ein Benefizkonzert spielen können und hätten das Geld beisammen gehabt, aber das wollten wir nicht, sondern wir wollten ganz bewusst ein Zeichen setzen: Wir haben daher selbst eine Grundeinlage getätigt, als Verein, ebenso haben einzelne Mitglieder gespendet, und auch eine koreanische Firma hat sich eingebracht, so dass wir rasch ein Startkapital von rund 50.000 Euro beisammen hatten.
Nun kann man – direkt an die Diakonie unter dem entsprechenden Kennwert – für das Projekt spenden. Als dritter Baustein ist vor Kurzem eine Crowdfunding-Aktion gestartet – das ist auch für uns selbst ein neuer Weg, von dem wir gespannt sind, wie er funktioniert.
Schließlich gibt es am 5. Dezember im Festspielhaus St. Pölten, das uns dafür dankenswerter Weise das Haus und diverse Dienstleistungen zur Verfügung stellt, ein Benefizkonzert zugunsten des Projektes. (Infos siehe Kasten unten, Anm.)
Der direkte Ankauf eines Hauses zu sozialen Zwecken ist für die Philharmoniker aber auch eine neue Dimension des Engagements, oder?
Ja, das ist durchaus Neuland für uns, vor allem insofern, dass wir bis jetzt Geld sozusagen immer „nur“ abgeliefert haben und den Leuten, denen wir es übergaben, vertraut haben, dass sie damit etwas Gutes machen. Diesmal sind wir aber viel unmittelbarer beteiligt und gefordert – durch unsere Patenschaft werden wir das Projekt Asylhaus auf lange Sicht aktiv begleiten. Was gleich geblieben ist, ist der generelle Anspruch, dass wir als Orchester für eine gewisse Qualität stehen, die wir auch in jenen Bereichen nachhaltig leben wollen, die sozusagen „nur“ Nebenfronten unseres Wirkens darstellen. Uns geht es also sicher nicht um billige PR, sondern wir möchten mit diesem Projekt wirklich helfen – und zwar gescheit und auf solide Art und Weise. Außerdem möchten wir vielleicht ein Muster geben, wie derartige Projekte funktionieren können: Dass man also Kompetenz mit Geld ausstattet, das Ganze von der Bevölkerung akzeptiert und mitgetragen wird, und so auf Sicht etwas Überlebensfähiges und Nachhaltiges entstehen kann.
Es gibt ja bisweilen die Koketterie von Künstlern, die sich engagieren, aber zugleich bezweifeln, ob sie wirklich etwas bewirken können. Wie beurteilen Sie das?
Also das glaube ich nicht, man kann durchaus etwas anstoßen – und genau das tun wir mit diesem Schritt, weil wir es als öffentliche Institution in gewisser Weise auch als gesellschaftliche Verpflichtung betrachten, uns zu positionieren. Was mir eher auffällt ist, dass unsere Volksvertreter, die Verantwortlichen leider viel zu wenig Stellung beziehen. Die schleichen eher nur herum, trauen sich keine klaren Aussagen zu treffen – die einzige Ausnahme bildete bislang eigentlich Bürgermeister Michael Häupl, der uneingeschränkt gesagt hat „da tua ma wos!“ Die anderen verstecken sich hingegen hinter geschliffener PR. Das ist aber ein Riesenproblem, denn gerade die Vorbildwirkung der Verantwortlichen, von „denen da oben“, wäre wichtig, würde den Menschen Mut machen, Orientierung geben. Wenn da aber nichts kommt, entsteht unweigerlich Verunsicherung in der Bevölkerung – das ist wie in einer Familie, wenn der Papa auch alle im Unklaren lässt und sich denkt „das wird schon irgendwie vorbeigehen.“ Nur, das geht eben nicht vorbei, man muss schon klar Farbe bekennen und aktiv werden – wir hoffen halt, dass auch unser Schritt da ein bisschen mithilft, Bewusstsein zu schaffen.
Bewusstsein wofür?
Dass man einen normalen menschlichen Standpunkt einnehmen kann, ja muss, ohne Angst zu haben, dass das sozusagen nicht gut ankommt oder falsch sein könnte. Wir reden in letzter Zeit immer groß von unseren Werten – dann müssen wir uns aber bitteschön auch ganz klar dazu bekennen und sie leben – und die umfassen eben Menschlichkeit, Solidarität, christliche Grundsätze wie Nächstenliebe. Da kann ich doch nicht zuschauen angesichts des Leides direkt vor unseren Augen – oder so tun, als müssten das andere lösen, die Türken, die Amis, die EU, wer auch immer. Da ist auch jeder Einzelne gefordert. Menschlichkeit kann nicht falsch sein
Umgekehrt bildet ja gerade die „Wertedebatte“ die Projektionsfläche für Ängste, demnach wir uns eben sozusagen abschotten müssen, weil es sonst zu einem Clash der Kulturen kommen könnte.
Also wir sind der Überzeugung, dass die Herausforderungen zu bewältigen sind. Wir selbst sind ja ein gutes Beispiel. In unserem Orchester sind nicht nur Österreicher, sondern wir haben Mitglieder aus Australien, Albanien, Neuseeland etc. 40 bis 50 Kollegen haben Migrationshintergrund, es gibt 20 verschiedene Reisepässe – und trotzdem sind wir eine gewachsene Einheit und das Zusammenleben funktioniert gut. Das ist kein Widerspruch! Man braucht keine Angst vor einem „Werteverlust“ haben. Gerade weil wir als Philharmoniker Werte und eine lange Tradition besitzen, die auch die jeweils neuen Mitglieder akzeptieren, und gerade weil wir uns dieser Tradition auch ganz selbstverständlich bewusst sind, bringt uns etwas Neues nicht aus der Ruhe oder macht uns Angst. Wir müssen uns nicht zur Wehr setzen gegen DAS andere, sondern wir begreifen gerade umgekehrt, dass das Vorhandene durch diese neuen Aspekte und Einflüsse bereichert und befruchtet wird. Das erst macht unsere besondere Qualität aus, dass Kollegen Dinge miteinbringen, die bei uns so gar nicht beheimatet sind. Tradition lebt letztlich davon, dass sie belebt wird – sonst wären wir ein Museum und kein lebendiger Organismus.
Ist Musik diesbezüglich vielleicht ein besonderer Nährboden, der als exemplarisches Muster dienen könnte, wie Völkerverständigung und Integration funktionieren können?
Feststeht: Musik kennt keine Grenzen. Sie dringt durch alle Zäune, die manche jetzt aufziehen möchten, ja selbst durch Mauern! Das ist eine Sprache, die auf der ganzen Welt verstanden wird und zur Verständigung dient. Sie ist auch oft sehr emotional und daher etwas, das uns miteinander verbinden kann – und das meine ich gar nicht nur in einem prosaischen Sinne, sondern durchaus ganz konkret: Wir als Musiker leben und erleben dieses Phänomen auf einer normalen menschlichen Ebene immerzu – wir sind gut 100 Tage im sogenannten Ausland unterwegs! Vielleicht haben wir daher auch eine andere Affinität zu dem Thema, einen anderen Blickwinkel. Und ich glaube es ist wichtig, dass wir diesen auch weitergeben und vermitteln, auch darauf hinweisen, dass Zusammenleben möglich ist. Man muss dafür nur – das ist das Gebot der Stunde – eine gute Basis schaffen. und diesbezüglich sind die Verantwortlichen gefordert. Ich hoffe jedenfalls, dass man nicht Fehler wie in der Vergangenheit begeht, als durch mangelnde Integration zum Teil Ghettos entstanden sind, sondern dass man die Neuankömmlinge willkommen heißt, mitnimmt, integriert. So betrachtet muss man die aktuelle Krise auch als Chance begreifen, gleich jetzt die richtigen Weichen für ein gutes Zusammenleben in Zukunft zu stellen.
Sie haben die Reisetätigkeit der Philharmoniker angesprochen. Europa steht gerade geschockt unter dem Eindruck der Anschläge in Paris. Wie gehen eigentlich die Philharmoniker mit dieser Bedrohung um – schwingt da auf Reisen manchmal eine gewisse Angst mit, selbst Opfer zu werden?
Also mich persönlich hat das nie sonderlich beeindruckt, aber natürlich gibt es Kollegen, die bisweilen Angst haben oder Ressentiments und sagen: „Da fahr ich nicht hin!“ Terror gab es aber immer schon, das ist nicht die erste Bedrohung. Ich erinnere mich an die Wellen in den 70er- und 80er-Jahren, oder später während der Irakkriege, als Konzerte von uns in den USA abgesagt wurden. Wir spielten auch während der 2. Intifada in Jerusalem. Wir wissen also, dass es keine heile Welt gibt, und es gibt immer wieder Momente, wo einem der Gedanke durch den Kopf geht: „Das könnte mein letzter Flug sein.“ Aber wenn es so käme, dann wäre es wohl Schicksal. Ich habe jedenfalls auf unseren Reisen viele Dinge erlebt und gesehen. Der Terror ist schlimm und die Anschläge in Paris, wo wir jetzt in Europa hautnah diese Gräuel erlebt haben, sollte uns auch bewusst machen, dass die Flüchtlinge eben genau davor fliehen, weil sie in ihrer Heimat tagtäglich diesen Wahnsinn erleben.
Vielleicht noch eine persönliche Frage zum Abschluss – Sie sind ja wie das fleißige Eichhörnchen für die Aktion unterwegs. Hat dieser Prozess auch mit Ihnen selbst etwas „gemacht“?
Also ich habe von der Auseinandersetzung innerlich sicher profitiert. Man schreibt viele Leute an, redet viel, stellt manches in Frage, sieht manches neu. Entscheidend ist, dass jeder von uns die Möglichkeit hat zu helfen, wobei gerade das Geben etwas ist, das in unserer Gesellschaft leider ein bisschen verloren gegangen zu sein scheint. Wir sind alle auf uns selbst fokussiert, jeder schaut, wie er selbst zu mehr kommt, mehr kaufen kann. Aber ich denke, es gibt da ein Maß, über das man nicht hinausgehen sollte, weil man sonst die Bodenhaftung verliert. Man sollte also durchaus hinterfragen, ob ich das wirklich alles „verdiene“, was ich verdiene, oder ob ich das wirklich alles so unbedingt brauche, von dem ich glaube, dass es wichtig ist – das zweite Auto, das vierte Fahrrad, was auch immer. Oder ob ich meinen Reichtum nicht auch teile mit Menschen, die nicht einmal das Notwendigste haben – nicht genug zu essen, kein Dach über dem Kopf, keine Perspektive.
Mir fällt dazu eine persönliche Geschichte ein: Ich kann mich noch gut erinnern, als ich als Kind erfuhr, dass es kein Christkind gibt. Da war ich sehr traurig im ersten Moment. Als ich dann aber beim nächsten Weihnachtsfest zum ersten Mal selbst meinen Eltern etwas schenken konnte, war das eine ganz neue Erfahrung für mich, die mir Riesenspaß und Freude bereitet hat. Etwas schenken zu können, es gern zu tun, ist mindestens genauso schön, wie selbst beschenkt zu werden!
HAUS FÜR ASYLSUCHENDE
Die Wiener Philharmoniker kaufen in St. Aegyd das ehemalige Gasthaus Stiefsohn an, um dort ein Asylwohnhaus zu etablieren. Betreiben wird es die Diakonie, die Philharmoniker werden ihre Patenschaft aber auch nach dem Kauf aktiv weiterführen, u.a. in Form von Benefiz-Kammerkonzerten u.ä.
Insgesamt sollen bis zu 16 Personen (vier Familien) in vier Wohneinheiten unterkommen. Der ehemalige Gastraum soll u.a. für Sprachkurse und als Ort der Begegnung dienen. Die Projektsumme beträgt rund 250.000 Euro (Adaption, Umbau, Kaufpreis). Wer das Projekt der Philharmoniker unterstützen möchte, hat dazu mehrere Möglichkeiten:
1) Sie spenden der DIAKONIE (Diakonie Flüchtlingsdienst, IBAN: AT97 2011 1287 2204 5678, Spendenzweck: Wiener Philharmoniker Haus).
2) Sie besuchen das Benefizkonzert am 5. Dezember im Festspielhaus St. Pölten (s. Kasten).
3) Sie beteiligen sich am Crowdfunding, das bis 7. Jänner läuft, unter https://wemakeit.com/projects/wiener-philharmoniker-haus Mit dabei sein kann man bereits ab 20 Euro, für die man eine Stofftasche mit einem Slogan erhält. Für 40 Euro gibt es Karten zu Generalproben des Orchesters, für 100 Euro ist man zur Eröffnung des Hauses eingeladen. Weiters gibt es u.a. VIP-Tickets für das Sommernachtskonzert (200 Euro) und Stehplatzkarten für das Neujahrskonzert (500 Euro). Auch Tagesausflüge gemeinsam mit naturbegeisterten Philharmonikern stehen zur Auswahl (250 Euro). Für 2.500 Euro kann man eine von vier Patenschaften für eine Flüchtlingsfamilie übernehmen.
UNTERBRINGUNG ASYLWERBER NÖ, STATUS 19.11.2015
Seit unserer letzten Ausgabe (September), als die Kritik an zu wenig Plätzen und zögerlichen Gemeinden am höchsten war, konnten in Niederösterreich 114 neue Quartiere geschaffen werden. Angesichts nach wie vor steigender Asylwerberzahlen ist das auch unbedingt notwendig: So wurden im September 1.293, im Oktober 1.516 und im November (Stand 19.11) bisher 918 Personen in die NÖ Grundversorgung übernommen. Insgesamt werden derzeit 13.188 Asylwerber durch Bund und Land in Niederösterreich betreut, 10.844 davon befinden sich in der Grundversorgung des Landes. Davon sind wiederum rund 65 % in organisierten Quartieren und 35 % privat untergebracht. Die Zahl der unbegleitet minderjährigen Flüchtlinge in der Grundversorgung liegt derzeit bei 770.
Hatten bis Ende April erst 34% der niederösterr. Kommunen Asylwerber aufgenommen, so sind es mittlerweile 59%! 4.000 neue Plätze wurden geschaffen, bis Jahresende sollen noch rund 2.000 weitere folgen, so dass Niederösterreich mit Ende des Jahres bis zu 13.000 Plätze zur Verfügung stellen kann.
BENEFIZKONZERT 5. DEZEMBER
Am 5. Dezember findet im Festspielhaus ein Benefizkonzert zugunsten des „Wiener Philharmonikerhauses für Asylsuchende“ statt. Dieses wird von Mitgliedern der Wiener Philharmoniker, Solotänzern des Staatsopernballetts, Michael Schade, Valentina Naforniţa uvm. bestritten. „Das Programm wird ein ur­österreichisches sein, von Mozart bis Schubert, ebenso – dem völkerverbindenden Gedanken entsprechend – wird es aber zum Beispiel auch Balkanmusik, einen Derwischtanz und ähnliches geben!“, verrät Norbert Täubl, der zudem auf einen Grundgedanken verweist. „Der Abend soll symbolisch für einen Fluchtweg stehen, wird sozusagen im Dunklen, Düsteren beginnen und sich zur Helligkeit, zum Licht hin bewegen, wo alles gut ausgeht!“ Tickets gibt es im Festspielhaus St. Pölten, www.festspielhaus.at