FC Sturm 19 – Eine (proletarische) St. Pöltner Legende
Text
Thomas Lösch
Ausgabe
Auch wenn es heutzutage unglaubwürdig klingt, ist die Geschichte des Fußballs eine bürgerliche. Nach Österreich kam der Fußball durch englische Landschaftsgärtner, die im Jahr 1894 den Verein „First Vienna“ gründeten.
Seine Heimat fand er im noblen Döbling auf der Hohen Warte. In den folgenden Jahren wurde auch das Proletariat vom Fußballvirus infiziert. 1915 war es auch in St. Pölten soweit: Inmitten des Ersten Weltkriegs gründeten fußballbegeisterte Jugendliche, die in der Zehn-Häuser-Wohnhausanlage (Arbeiterwohnhaus der Glanzstoff AG, Anm.) wohnten, den Fußballverein Austria Neuviehofen. In den ersten Jahren stammten sämtliche Funktionäre und Spieler aus dem genannten Wohnbau. Im Jahr 1919 wurde der Fußballklub in ASV Sturm 19 umbenannt. Sturm 19 war der erste explizite Arbeiterfußballverein in St. Pölten und spielte bis 1932 in der Liga des VAFÖ-West (freie Vereinigung der Amateur-Fußballvereine Österreichs), dem proletarischen Gegenstück zum bürgerlichen ÖFB, wobei er viermal Meister wurde.
Gelebte Zeitgeschichte
In den ersten Jahren verfügte Sturm 19 über keinen eigenen Platz und trug seine Spiele in Wagram aus. In den 1920er-Jahren wurde unter Bürgermeister Hubert Schnofl jenes Grundstück unweit der Zehn-Häuser angekauft, das bis zum letzten Tag des Vereinslebens Spiel- und Heimstätte von Sturm 19 war. In dieser Zeit verfügte der Verein neben Fußball auch über die Sektionen Schwerathletik, Handball und Blasmusik.
Der ASV Sturm 19 war Bestandteil der beeindruckenden sozialdemokratisch geprägten Arbeiterkultur der Zwischenkriegszeit. Untrennbar sind diese Jahre mit dem Namen Franz „Bimbo“ Binder verbunden, dem legendären „Rapidler“, der aus den Zehn-Häusern stammte und mit 15 Jahren seine Fußballerkarriere bei Sturm 19 begann.
In der Chronik des Vereins spiegeln sich auch hundert Jahre österreichische Zeitgeschichte. So hatte Sturm 19 in den Jahren des Austrofaschismus mit massivem Spieler- und Zuschauerschwund zu kämpfen, da sich die Vereinsführung an das neue System anzudienen versuchte, um nicht wie unzählige andere Vereine und Organisationen der Arbeiterbewegung verboten zu werden. Die antifaschistisch eingestellten bisherigen Fans goutierten diese Annäherung nicht und beschimpften die Spieler, belegt durch einen zeitgenössischen Brief, als „Kerzlschlecker und „Betschwestern“. Der austrofaschistische Bürgermeister Raab unterstützte den Verein, um sich so bei der Arbeiterklasse beliebt zu machen.
Im Jahr 1939 fand auf Geheiß der nationalsozialistischen Machthaber ein Freundschaftsspiel des nunmehrigen FC Sturm 19 mit Rapid Wien statt, wobei der nun schon international berühmte Binder im grün-weißen Dress auf seinen alten Sportplatz zurückkehrte. Mit solch inszenierten Veranstaltungen versuchte das NS-Regime die Arbeiterschaft in St. Pölten an sich zu binden.
Im Dritten Reich wurde Sturm 19 mit der Reichsbahnsportgemeinschaft (RSG) zusammengelegt. Während des Krieges wurden auf dem Sturm-19-Platz auch Spiele des LSV (Luftwaffensportverein) Markersdorf ausgetragen. Nach dem Kriegsende 1945 wurde der Verein unter dem alten Namen ASV Sturm 19 wiedergegründet.
Der Verein verlor jedoch in den folgenden Jahren viele gute Spieler, da die unter sowjetischer Verwaltung stehenden Betriebe Voith und Glanzstoff eigene Werksvereine (BSV Voith, FC Glanzstoff) gründeten, die, auch aufgrund größerer finanzieller Mittel, eine starke Konkurrenz darstellten. Durch die Gründung dieser Vereine versuchten die Kommunisten im Arbeiter-Sport Fuß zu fassen.
Aufstieg und Fall
Während der BSV Voith zum Ahnherrn des Erstligisten SKN wurde, fusionierte im Dezember 1989 der FC Glanzstoff mit Sturm 19, und der neue Verein spielte für einige Jahre unter dem Namen FC Glanzstoff-Sturm 19. Im Jahr 1995 wurde Frenkie Schinkels als Spielertrainer verpflichtet, und in der Saison 1996/97 wurde Sturm 19 zum dritten Mal Meister der 2. Landesliga, wodurch er in die höchste niederösterreichische Spielklasse aufstieg. Am 11. Juni 1998 wurde Sturm 19 niederösterreichischer Cupsieger.
Im Jahr 2007 stieg Sturm 19 erneut in die 1. Landesliga auf. In der darauffolgenden Saison musste der Verein jedoch aus finanziellen Gründen (infolge dramatischen Einbruchs der Zuschauerzahlen) in die 2. Klasse Traisental zwangsabsteigen.
Der letzte große Event des FC Sturm 19 fand am 12. Oktober 2013 statt, als im Rahmen eines Freundschaftsspiels gegen Rapid Wien die Umbenennung des Sportplatzes in „Franz-Bimbo-Binder-Sportanlage“ stattfand. Im September 2016 verlor Sturm 19 aus finanziellen Gründen seine Lizenz, und der Spielbetrieb wurde eingestellt.
Mit dem Ende des Vereins verloren neben den Spielern der Kampfmannschaft auch viele Kinder und Jugendliche ihre Trainingsmöglichkeit. Zudem ging ein Integrationsanker im Viertel verloren. Da schon seit über hundert Jahren ein hoher Anteil der Bewohner des nahegelegenen Mühlwegs und der Herzogenburger Straße Immigranten sind, war der Sturm-19-Platz ein willkommener Treffpunkt der neu zugezogenen mit den alteingesessenen Bewohnern. Für viele Menschen war der FC Sturm 19 nicht nur ein Fußballverein, sondern der bestimmende Teil ihrer Lebenswelt. Mit dem Ende dieses Traditionsvereins starb ein Stück lebendiger St. Pöltner Geschichte.
Umgestaltung zum Park
Im September 2020 beschloss der Gemeinderat, dass der ehemalige Fußballplatz in einen Park umgewandelt werden soll. Zugleich rief man die Bevölkerung auf, Namensvorschläge einzubringen. Wenig überraschend fiel die Wahl schließlich auf „Sturm-19-Park“. So lebt die Erinnerung dieses für die Geschichte unserer Stadt so wichtigen Vereins zumindest im Namen fort.
Gelebte Zeitgeschichte
In den ersten Jahren verfügte Sturm 19 über keinen eigenen Platz und trug seine Spiele in Wagram aus. In den 1920er-Jahren wurde unter Bürgermeister Hubert Schnofl jenes Grundstück unweit der Zehn-Häuser angekauft, das bis zum letzten Tag des Vereinslebens Spiel- und Heimstätte von Sturm 19 war. In dieser Zeit verfügte der Verein neben Fußball auch über die Sektionen Schwerathletik, Handball und Blasmusik.
Der ASV Sturm 19 war Bestandteil der beeindruckenden sozialdemokratisch geprägten Arbeiterkultur der Zwischenkriegszeit. Untrennbar sind diese Jahre mit dem Namen Franz „Bimbo“ Binder verbunden, dem legendären „Rapidler“, der aus den Zehn-Häusern stammte und mit 15 Jahren seine Fußballerkarriere bei Sturm 19 begann.
In der Chronik des Vereins spiegeln sich auch hundert Jahre österreichische Zeitgeschichte. So hatte Sturm 19 in den Jahren des Austrofaschismus mit massivem Spieler- und Zuschauerschwund zu kämpfen, da sich die Vereinsführung an das neue System anzudienen versuchte, um nicht wie unzählige andere Vereine und Organisationen der Arbeiterbewegung verboten zu werden. Die antifaschistisch eingestellten bisherigen Fans goutierten diese Annäherung nicht und beschimpften die Spieler, belegt durch einen zeitgenössischen Brief, als „Kerzlschlecker und „Betschwestern“. Der austrofaschistische Bürgermeister Raab unterstützte den Verein, um sich so bei der Arbeiterklasse beliebt zu machen.
Im Jahr 1939 fand auf Geheiß der nationalsozialistischen Machthaber ein Freundschaftsspiel des nunmehrigen FC Sturm 19 mit Rapid Wien statt, wobei der nun schon international berühmte Binder im grün-weißen Dress auf seinen alten Sportplatz zurückkehrte. Mit solch inszenierten Veranstaltungen versuchte das NS-Regime die Arbeiterschaft in St. Pölten an sich zu binden.
Im Dritten Reich wurde Sturm 19 mit der Reichsbahnsportgemeinschaft (RSG) zusammengelegt. Während des Krieges wurden auf dem Sturm-19-Platz auch Spiele des LSV (Luftwaffensportverein) Markersdorf ausgetragen. Nach dem Kriegsende 1945 wurde der Verein unter dem alten Namen ASV Sturm 19 wiedergegründet.
Der Verein verlor jedoch in den folgenden Jahren viele gute Spieler, da die unter sowjetischer Verwaltung stehenden Betriebe Voith und Glanzstoff eigene Werksvereine (BSV Voith, FC Glanzstoff) gründeten, die, auch aufgrund größerer finanzieller Mittel, eine starke Konkurrenz darstellten. Durch die Gründung dieser Vereine versuchten die Kommunisten im Arbeiter-Sport Fuß zu fassen.
Aufstieg und Fall
Während der BSV Voith zum Ahnherrn des Erstligisten SKN wurde, fusionierte im Dezember 1989 der FC Glanzstoff mit Sturm 19, und der neue Verein spielte für einige Jahre unter dem Namen FC Glanzstoff-Sturm 19. Im Jahr 1995 wurde Frenkie Schinkels als Spielertrainer verpflichtet, und in der Saison 1996/97 wurde Sturm 19 zum dritten Mal Meister der 2. Landesliga, wodurch er in die höchste niederösterreichische Spielklasse aufstieg. Am 11. Juni 1998 wurde Sturm 19 niederösterreichischer Cupsieger.
Im Jahr 2007 stieg Sturm 19 erneut in die 1. Landesliga auf. In der darauffolgenden Saison musste der Verein jedoch aus finanziellen Gründen (infolge dramatischen Einbruchs der Zuschauerzahlen) in die 2. Klasse Traisental zwangsabsteigen.
Der letzte große Event des FC Sturm 19 fand am 12. Oktober 2013 statt, als im Rahmen eines Freundschaftsspiels gegen Rapid Wien die Umbenennung des Sportplatzes in „Franz-Bimbo-Binder-Sportanlage“ stattfand. Im September 2016 verlor Sturm 19 aus finanziellen Gründen seine Lizenz, und der Spielbetrieb wurde eingestellt.
Mit dem Ende des Vereins verloren neben den Spielern der Kampfmannschaft auch viele Kinder und Jugendliche ihre Trainingsmöglichkeit. Zudem ging ein Integrationsanker im Viertel verloren. Da schon seit über hundert Jahren ein hoher Anteil der Bewohner des nahegelegenen Mühlwegs und der Herzogenburger Straße Immigranten sind, war der Sturm-19-Platz ein willkommener Treffpunkt der neu zugezogenen mit den alteingesessenen Bewohnern. Für viele Menschen war der FC Sturm 19 nicht nur ein Fußballverein, sondern der bestimmende Teil ihrer Lebenswelt. Mit dem Ende dieses Traditionsvereins starb ein Stück lebendiger St. Pöltner Geschichte.
Umgestaltung zum Park
Im September 2020 beschloss der Gemeinderat, dass der ehemalige Fußballplatz in einen Park umgewandelt werden soll. Zugleich rief man die Bevölkerung auf, Namensvorschläge einzubringen. Wenig überraschend fiel die Wahl schließlich auf „Sturm-19-Park“. So lebt die Erinnerung dieses für die Geschichte unserer Stadt so wichtigen Vereins zumindest im Namen fort.