Not in my backyard – Nicht in meiner Nachbarschaft!
Text
Georg Renner
, Jakob Winter
Ausgabe
GEORG RENNER
Der Wilhelmsburger arbeitet als Journalist bei der „Kleinen Zeitung“.
Die gute Nachricht zuerst: Noch nie in der Geschichte waren Österreichs Bürgerinnen und Bürger so engagiert, wenn es um die Gestaltung ihres gemeinsamen Lebensraums geht. Die schlechte: Für jedes unsinnige Vorhaben, das so verhindert worden ist, gibt es mindestens ein anderes, das in Summe gesellschaftlich sinnvoll wäre, aber ebenfalls wegen Protesten nicht stattfinden kann. Windkraftwerksbetreiber wissen, wovon die Rede ist.
Nicht immer ist es so eindeutig, wer auf der falschen Seite der Geschichte steht. Des einen Mannes NIMBY (ein „not in my backyard“-Aktivist) ist des anderen Mannes Freiheitskämpfer, könnte man sagen: Die umstrittene S34 etwa wäre B20-Anrainern eine Entlastung, für die betroffenen Bauern im Westen der Stadt dagegen eine Zumutung. Wer jetzt sagt, dass Verhinderer zu viele Rechte haben, verkennt die Lage: Diese Rechte und Verfahren gibt es eben genau dazu, abzuwägen, welche Interessen den Vorrang haben sollen – jene von Nachbarn und Umweltschützern oder jene der Bauherren, an deren Projekte meistens ebenfalls öffentliches Interesse besteht.
Mit dem EU-Beitritt und dem aus der Union kommenden UVP-Recht haben Bürgerinitiativen plötzlich weitreichendes Gehör gefunden: Sie können bei Behörden ihre Bedenken einbringen, Gutachten beantragen und Projekte ganz zu Fall bringen. Das ist grundsätzlich eine gute Errungenschaft. Politik und Projektwerber sind so gezwungen, auf Anrainer und gesellschaftliche Anliegen Rücksicht zu nehmen – und genau zu argumentieren, warum ihr Bau nötig ist.
Nichts mehr zu bauen kann genausowenig eine Option sein wie diese Rechte abzuschwächen. Was es braucht, sind kompetente, flotte Behörden, damit Verfahren keine Jahrzehnte dauern, auf der einen Seite. Auf der anderen geht es darum, potenzielle Gegner möglichst früh an Bord zu holen, indem man ihre Anliegen ernst nimmt, sie einbezieht und aufklärt, was sie von dem Projekt haben. Das ist ein Lern- und Umdenkprozess – hat aber die Chance, am Ende ein gutes, besseres Projekt genehmigt zu bekommen, mit dem alle einverstanden sind.
JAKOB WINTER
Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.
Irgendwann muss ich recherchieren, wie viele Haushalte man mit dem Strom versorgen hätte können, der nicht erzeugt wurde, weil Bürgerinitiativen den Bau von Windparks verhindert haben.
These: Es sind sehr viele. Wer nach Initiativen sucht, die gegen den Strom aus der Luft mobil machen, wird schnell fündig. Sie alle haben dasselbe Motto: Stromproduktion gerne, aber sicher nicht vor unserer Haustüre.
Für solche Initiativen hat sich ein spöttisches Kürzel eingebürgert: NIMBY − „not in my backyard“. Die NIMBYs haben einen Lauf: In den drei westlichsten Bundesländern steht überhaupt kein Windrad, im Rest des Landes geht der Ausbau oft nur schleppend voran.
Und nicht nur bei der Windkraft legen sich die NIMBYs quer: Kaum werden Pläne von Wohnhausanlagen oder neuen Straßenabschnitten bekannt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich eine Initiative findet, die das Projekt torpediert. Es wäre allerdings zu einfach, Bürgerinitiativen pauschal als Querulanten abzukanzeln. Letztlich verwirklichen die Aktivisten nur eines: Ihr demokratisches Recht auf freie Meinungsäußerung.
Die Befürworter von sauberem Strom könnten sich einmal fragen: Warum gibt es eigentlich fast nur Initiativen von Gegnern? Und es ist auch kein Naturgesetz, dass Bürgermeister und Landeshauptleute vor jeder Initiative in die Knie gehen. Manchmal lohnt es sich, umstrittene Projekte durchzuboxen.
Eine Ironie der Geschichte ist jedenfalls, dass die Bundesregierung unter grüner Beteiligung den NIMBYs eines ihrer wichtigsten Instrumente beschnitt: Prüfverfahren über die Umweltverträglichkeit von Bauvorhaben wurden beschleunigt – Einsprüche sind nun nicht mehr so leicht möglich. Eine sinnvolle Sache. Bloß ist die NIMBY-Dichte unter den Grünen selbst sehr hoch. Die Partei war gegen Projekte wie Eisenbahn-Tunnel oder das Murkraftwerk in Graz. Umweltschutz war der Partei oft wichtiger als Klimaschutz. Ministerin Leonore Gewessler tickt da zum Glück anders. Vielleicht weiß sie, wie viel grüner Strom durch NIMBYs verhindert wurde.
Der Wilhelmsburger arbeitet als Journalist bei der „Kleinen Zeitung“.
Die gute Nachricht zuerst: Noch nie in der Geschichte waren Österreichs Bürgerinnen und Bürger so engagiert, wenn es um die Gestaltung ihres gemeinsamen Lebensraums geht. Die schlechte: Für jedes unsinnige Vorhaben, das so verhindert worden ist, gibt es mindestens ein anderes, das in Summe gesellschaftlich sinnvoll wäre, aber ebenfalls wegen Protesten nicht stattfinden kann. Windkraftwerksbetreiber wissen, wovon die Rede ist.
Nicht immer ist es so eindeutig, wer auf der falschen Seite der Geschichte steht. Des einen Mannes NIMBY (ein „not in my backyard“-Aktivist) ist des anderen Mannes Freiheitskämpfer, könnte man sagen: Die umstrittene S34 etwa wäre B20-Anrainern eine Entlastung, für die betroffenen Bauern im Westen der Stadt dagegen eine Zumutung. Wer jetzt sagt, dass Verhinderer zu viele Rechte haben, verkennt die Lage: Diese Rechte und Verfahren gibt es eben genau dazu, abzuwägen, welche Interessen den Vorrang haben sollen – jene von Nachbarn und Umweltschützern oder jene der Bauherren, an deren Projekte meistens ebenfalls öffentliches Interesse besteht.
Mit dem EU-Beitritt und dem aus der Union kommenden UVP-Recht haben Bürgerinitiativen plötzlich weitreichendes Gehör gefunden: Sie können bei Behörden ihre Bedenken einbringen, Gutachten beantragen und Projekte ganz zu Fall bringen. Das ist grundsätzlich eine gute Errungenschaft. Politik und Projektwerber sind so gezwungen, auf Anrainer und gesellschaftliche Anliegen Rücksicht zu nehmen – und genau zu argumentieren, warum ihr Bau nötig ist.
Nichts mehr zu bauen kann genausowenig eine Option sein wie diese Rechte abzuschwächen. Was es braucht, sind kompetente, flotte Behörden, damit Verfahren keine Jahrzehnte dauern, auf der einen Seite. Auf der anderen geht es darum, potenzielle Gegner möglichst früh an Bord zu holen, indem man ihre Anliegen ernst nimmt, sie einbezieht und aufklärt, was sie von dem Projekt haben. Das ist ein Lern- und Umdenkprozess – hat aber die Chance, am Ende ein gutes, besseres Projekt genehmigt zu bekommen, mit dem alle einverstanden sind.
JAKOB WINTER
Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.
Irgendwann muss ich recherchieren, wie viele Haushalte man mit dem Strom versorgen hätte können, der nicht erzeugt wurde, weil Bürgerinitiativen den Bau von Windparks verhindert haben.
These: Es sind sehr viele. Wer nach Initiativen sucht, die gegen den Strom aus der Luft mobil machen, wird schnell fündig. Sie alle haben dasselbe Motto: Stromproduktion gerne, aber sicher nicht vor unserer Haustüre.
Für solche Initiativen hat sich ein spöttisches Kürzel eingebürgert: NIMBY − „not in my backyard“. Die NIMBYs haben einen Lauf: In den drei westlichsten Bundesländern steht überhaupt kein Windrad, im Rest des Landes geht der Ausbau oft nur schleppend voran.
Und nicht nur bei der Windkraft legen sich die NIMBYs quer: Kaum werden Pläne von Wohnhausanlagen oder neuen Straßenabschnitten bekannt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich eine Initiative findet, die das Projekt torpediert. Es wäre allerdings zu einfach, Bürgerinitiativen pauschal als Querulanten abzukanzeln. Letztlich verwirklichen die Aktivisten nur eines: Ihr demokratisches Recht auf freie Meinungsäußerung.
Die Befürworter von sauberem Strom könnten sich einmal fragen: Warum gibt es eigentlich fast nur Initiativen von Gegnern? Und es ist auch kein Naturgesetz, dass Bürgermeister und Landeshauptleute vor jeder Initiative in die Knie gehen. Manchmal lohnt es sich, umstrittene Projekte durchzuboxen.
Eine Ironie der Geschichte ist jedenfalls, dass die Bundesregierung unter grüner Beteiligung den NIMBYs eines ihrer wichtigsten Instrumente beschnitt: Prüfverfahren über die Umweltverträglichkeit von Bauvorhaben wurden beschleunigt – Einsprüche sind nun nicht mehr so leicht möglich. Eine sinnvolle Sache. Bloß ist die NIMBY-Dichte unter den Grünen selbst sehr hoch. Die Partei war gegen Projekte wie Eisenbahn-Tunnel oder das Murkraftwerk in Graz. Umweltschutz war der Partei oft wichtiger als Klimaschutz. Ministerin Leonore Gewessler tickt da zum Glück anders. Vielleicht weiß sie, wie viel grüner Strom durch NIMBYs verhindert wurde.