Florian Nährer – Erinnerungen an Nitsch
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Mit Hermann Nitsch starb im April diesen Jahres einer der renommiertesten und international anerkanntesten Künstler dieser Republik, der zugleich im eigenen Land bis zuletzt auch teils missverstanden oder bewusst angefeindet blieb. Wir plauderten mit Künstler Florian Nährer über seine Erinnerungen an den Meister, den er einige Jahre begleiten durfte.
Sie waren von 1998 bis 2000 Assistent von Hermann Nitsch in Prinzendorf. Welche Erinnerungen verbinden Sie damit? Was war Nitsch für ein Mensch? Was für ein Künstler?
Ich habe Nitsch als Teilnehmer des 6-Tage-Spiels im August 1998 in Prinzendorf kennen gelernt. Ab diesem Zeitpunkt war ich dann drei Jahre lang an seiner Seite und durfte viel von seiner Denk- und Lebensweise kennenlernen.
Nitsch war ein unglaublich großzügiger Mensch. Immer wieder hat er Bedürftigen hohe Geldsummen zugesteckt, ohne aber darüber zu sprechen. Über Geld sagte er einmal im Wirtshaus zu mir: „Ich brauch nur so viel Geld, dass ich meine Freunde zum Heurigen einladen kann“.
Was viele nicht wissen: Nitsch war ein großer Tierfreund. Nicht selten hat er die von seiner Ehefrau aufgestellten Rattenfallen mit einem Besenstil entschärft. Solche Geschichten gibt es unzählige. (lacht)
Wir haben aber auch sehr oft miteinander diskutiert und gestritten – uns im Anschluss aber auch immer wieder versöhnt. Das war anstrengend, aber auch sehr lehrreich.
Nitsch war ein intellektueller Künstler. 90 % seiner Arbeit fand am Schreibtisch statt. Wir verbrachten nur wenig Zeit mit Malen im Atelier. Die Schüttbilder entstanden fast ausschließlich bei großen Malaktionen.
Was hatten Sie alles zu tun? Welche Erinnerungen verknüpfen Sie an die Zeit mit Nitsch?
Meine Aufgaben in Prinzendorf – dem Schloss von Hermann und Rita Nitsch – waren sehr vielseitig. Von der Kommunikation mit Galerien im In- und Ausland bis zur Vorbereitung und Durchführung von Malaktionen/Aktionen, Ausstellungen und Konzertreisen reichte mein Arbeitsspektrum.
Am schönsten habe ich aber die Reise nach New York in Erinnerung. Ich fand es aufregend, die Altmeister der US-amerikanischen Fluxus- und Happeningbewegung kennen zu lernen. Nitsch und ich gingen fast täglich ins Metropolitan Museum, auch wenn wir nur wenig Zeit hatten. Über die Akademie der bildenden Künste habe ich mich für das 6-Tage-Spiel angemeldet. Ich war als Akteur bei den Aktionen tätig und auch als „Archivar“ für die Aktionsrelikte zuständig.
Diese besondere Woche im August 1998 war getragen von einem sehr starken Gemeinschaftsgefühl. Außerhalb der Schlossmauern tobten die Demonstranten. Eine gemischte Gruppe aus militanten Tierschützern, radikalen Christen und einem von der FPÖ organisierten Pensionistenausflug. Doch die lautstarke Gegnerschaft schweißte uns als Gemeinschaft noch stärker zusammen.
Besonders wird mir diese intensive Erfahrung von Leben und Tod, welche ein zentrales Moment in Nitschs Arbeit ist, in Erinnerung bleiben. Weder Film noch Fotos können diese Erfahrung letztlich wiedergeben.
Nitsch war in der Öffentlichkeit lange umstritten, von manchen auch angefeindet. Warum polarisierte er so bzw. warum fühlten sich manche von seiner Kunst angegriffen?
Der Hauptgrund, warum Nitsch so lange missverstanden wurde, liegt einzig und allein in der oberflächlichen Beschäftigung mit seinem Orgien Mysterien Theater.
Nehmen wir beispielsweise einen der Hauptkritikpunkte heraus: Die Schlachtung von Tieren in den Aktionen von Hermann Nitsch.
In Österreich werden Millionen Schweine auf engstem Raum gezüchtet und industriell geschlachtet, damit wirklich jeder sich sein tägliches Schnitzel leisten kann. Auch Nitsch verwendet Tiere zuerst für eine Aktion, aber im Anschluss werden die Tiere fachgerecht zerlegt und verzehrt. Kein Stück Fleisch wird verschwendet. Für ihn gehört das Töten des Tieres zum Essen dazu, um die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen. Erst der Tod ermöglicht das Leben. Außerdem ist die Kunst von Hermann Nitsch absichtlich von politischen Parteien missverstanden und missinterpretiert worden, um Wählerstimmen oder Popularität zu generieren.
Wenn Sie Nitsch, sein Kunstverständnis, seinen Zugang, seine Philosophie heute „erklären“ müssten – wie würden Sie dies tun? Was war das Originäre und Besondere, das ihn sogar bis ins Moma New York brachte?
Zeitlicher Ausgangspunkt für die Arbeit der Wiener Aktionisten ist die Kriegs- bzw. Nachkriegszeit in Österreich. Die Wunden des Krieges sichtbar zu machen und zu heilen ist wohl die kürzeste Zusammenfassung. Dies kommt sehr deutlich in den ganz frühen Körperarbeiten mit Heinz Cibulka zum Ausdruck .
Im Zentrum steht bei Nitsch immer die Lebensbejahung und ein intensives Leben. Abreaktion und Überwindung von Tabus und Dogmen jener Zeit sollten zu einem erfüllten Leben führen.
Der Künstler versteht sich nicht mehr nur als ein Produzent von Dekorativem, sondern als eine Art Schamane / Vermittler / Therapeut. Durch die Kunst kann man zur Erlösung und Reinigung – Katharsis – gelangen. Nitsch hat dualistisches Denken immer abgelehnt: Ein aufgeklaffter Tierkadaver kann ebenso schön sein wie ein Strauß Blumen. Die Österreicher haben sich mit Nitsch aber immer schwer getan. In anderen Ländern, wie etwa Italien, wird er schon seit Jahrzehnten hochverehrt und geschätzt.
Hat die Arbeit Nitschs auch Ihr eigenes Schaffen beeinflusst? So ja, inwiefern?
Für Nitsch musste gute Kunst immer spirituell sein. Ein Kunstwerk muss dich erfassen und berühren, es muss etwas mit dir machen. Das blieb bei mir hängen. Kunst als Wegweiser über unsere materielle Welt hinaus.
Sie waren zuletzt in St. Pölten gleich mehrfach präsent – was sind Ihre nächsten Projekte?
Gerade laufen noch bis Ende diesen Sommers einige Ausstellungen in St. Pölten, Wien und Kitzbühel.
Doch im Moment bereite ich mich schon wieder für die nächste Kunstmesse in Kopenhagen im August vor. Im Herbst folgen dann Ausstellungen im Palais Niederösterreich in Wien und eine Einzelausstellung in der Galerie Mathias Mayr in Innsbruck. Nächstes Jahr wird besonders spannend!