MFG - SAG MIR, WO DIE GRÜNEN SIND …
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MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

SAG MIR, WO DIE GRÜNEN SIND …

Text Beate Steiner
Ausgabe 09/2020

Von der drittstärksten Kraft im Gemeinderat rutschten die St. Pöltner Grünen in die Bedeutungslosigkeit. Jetzt starten sie mit einem frischen Team neu durch und wollen nach der nächsten Wahl wieder aktiv mitgestalten.

In den St. Pöltner Gemeinderatssitzungen sitzt derzeit kein Grüner. Markus Hippmann wurde zwar mit grünen Stimmen ins Stadtparlament gewählt, ist aber seit dem Frühjahr 2020 freier Mandatar. Denn Hippmann hat nicht mehr für den Vorstand des neuen Teams kandidiert, das die St. Pöltner Grünen zur Gemeinderatswahl 2021 schicken.
Dem Neustart der Stadtpartei sind blühende und weniger rosige Zeiten vorangegangen – analog und zeitverschoben zu Aufstieg, Abstieg und Auferstehung der Grünen auf Bundesebene.
In St. Pölten waren die Grünen seit Anfang der 1990er-Jahre starke und einflussreiche Opposition im absolut roten Stadtparlament und  lange Zeit mit drei Mandatarinnen die drittstärkste Kraft. 2011 verabschiedeten sich die Chefinnen Silvia Buschenreiter und Sylvia Hehei aus der Politik, ihre Nachfolger verloren bei der Wahl ein Mandat.
Als Schicksalsjahr erwies sich dann 2015. Die politischen Parteien der niederösterreichischen Landeshauptstadt bereiteten sich auf die Gemeinderatswahlen vor. Besonders spannend sollte das für die Grünen werden, bei ihrem Stadtparteitag im September.
Denn damals, vor fünf Jahren, waren sich die Akteure im Vorstand alles andere als grün. Und es kam zum Eklat: Vier grüne Urgesteine, die die Partei nach ihren Vorstellungen in die Zukunft leiten wollten, verloren die Abstimmung, traten aus der Partei aus und 2016 mit der Liste dieKühnen.jetzt  bei der Gemeinderatswahl an. Das Ergebnis: DieKühnen.jetzt gewannen zwar kein Gemeinderatsleiberl, die Grünen verloren allerdings ein Mandat. Ein Gemeinderatssitz und 2,7 Prozent waren übrig, von 7,5 Prozent und drei Mandaten im Jahr 2001.

Neues Team mit konkreten Ideen

Die Neuen möchten stark in den Gemeinderat zurückkehren. „Wir wollen als Gruppe in den Gemeinderat und hoffen auf ein starkes Comeback“, sagt Sprecherin Christina Engel-Unterberger. Die 38-jährige Sozialarbeiterin kandidiert bei der Generalversammlung der Grünen im Herbst als Spitzenkandidatin. Als Vorstandskollegen stehen ihr der 21-jährige Fabian Schindelegger,  Paul Purgina als Finanzreferent sowie Walter Heimerl-Lesnik (er kandidierte einst für dieKühnen.jetzt) zur Seite.
Die Stadtpartei hat wie eh und je ein eigenes Statut. „Wir sind eine anerkannte Stadtorganisation, fühlen uns als Teil der grünen Bewegung und haben Support aus dem Bezirk und von der Landespartei“, betonen Engel-Unterberger und Schindelegger. Was einige Jahre nicht selbstverständlich war und was Landesgeschäftsführer Hikmet Arslan bestätigt: „Wir sind guter Hoffnung, dass es im nächsten St. Pöltner Gemeinderat wieder eine starke grüne Stimme geben wird.“ Hoffnung gibt dem Landespolitiker das junge Team rund um Frontfrau Christina Engel-Unterberger.
Wie aber ist es dieser und ihren Mitstreitern gelungen, an grüner Politik Interessierte zu finden – nach jahrelanger vergeblicher Suche? „Uns eint das Bewusstsein für grünes Leben. Die handelnden Personen, die Themen und die Organisation sind in einem ausgewogenen Verhältnis. Daher fühlen sich neue Leute eingeladen“, erklärt die Neo-Politikerin.
An der Lokalpolitik reizt Christina Engel-Unterberger, dass sie an der Stadtentwicklung mitwirken, konkrete Anliegen gestalten kann. „Ich interessiere mich für Lebensbedingungen. Und ich arbeite gern in Gruppen. Früher habe ich das nicht parteipolitisch gemacht.“ Auch Fabian Schindelegger lockt an der Lokalpolitik, dass Veränderungen unmittelbar und vor Ort sichtbar werden. „Und ich bin sehr gerne mit Leuten im Gespräch.“
Bei den Grünen haben die beiden ihren Platz gefunden, weil ihnen Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit wichtig sind und weil sie überzeugt sind, dass St. Pölten eine starke grüne Stimme braucht. Davon haben sich Christina Engel-Unterberger und Fabian Schindelegger auch live vor Ort und mittels Live-Streaming in Gemeinderatssitzungen überzeugt. „Für viele Themen bräuchte es einen ergänzenden Blick“, analysiert der gebürtige Neulengbacher Fabian Schindelegger, der seit zwei Jahren in St. Pölten wohnt.  Und er zählt grüne Schwerpunktthemen auf: „Transparenz, Klimaschutz, die Infrastruktur wächst nicht mit dem Bauboom mit. ‚Geht eh‘ ist für mich ein bisserl zu wenig und mutlos – das ist nicht mein Ansatz.“ Christina Engel-Unterberger dazu: „Es wird zwar immer wieder betont, dass St. Pölten eine grüne Stadt sei – aber darauf kann man sich nicht ausruhen, das alleine macht noch kein ambitioniertes Klimaschutzprogramm aus.“
Die gebürtige Grazerin, die schon in Australien, Polen und Irland gelebt hat und seit zehn Jahren begeisterte St. Pöltnerin ist, findet aber auch positive Ansätze in der lokalen Politik: „Das Kulturkonzept 2030, das Bürger und Bürger­innen einbezieht, ist gelungen. Daran könnte man sich auch in anderen Bereichen orientieren.“
30 Jahre Grüne in STP
Nächstes Jahr im Sommer feiern die St. Pöltner Grünen dann ihren 30. Geburtstag – in ihrem neuen Büro in der Wiener Straße 35. Und weil sich die  Grünen als zugängliche und kommunikationsfreudige Gruppe verstehen, steht der innovative Treffpunkt der Partei schon jetzt allen offen, so die grüne Frontfrau Christina Engel-Unterberger: „Wir freuen uns, dort mit den Menschen unserer Stadt ins Gespräch zu kommen. Und wir freuen uns, wenn jemand andockt.“

FABIAN SCHINDELEGGER
•    21 Jahre, aufgewachsen in Neulengbach, wohnt seit zwei Jahren in St. Pölten: „Ich fühle mich sehr wohl hier.“
•    Verwaltungsassistent
•    Mitarbeiter im Büro von Vizekanzler Werner Kogler
•    ehrenamtlicher Sanitäter beim Roten Kreuz

CHRISTINA ENGEL-UNTERBERGER
•    38 Jahre, geboren in Graz, seit zehn Jahren in St. Pölten: „Jetzt fühle ich mich zugehörig, um auch zu gestalten.“
•    Als Sozialarbeiterin tätig gewesen im Strafvollzug, im Flüchtlingsbereich, in der Jugendarbeit, in der Bundesjugendvertretung: „Das hat mich sehr geprägt.“
•    Dozentin an der FH St. Pölten

GRÜNE BLÜTEZEIT
Drei Damen machten Anfang der 2000er-Jahre rhetorisch und inhaltlich starke Ansagen im absolut roten Gemeinderat. 2001 wurden die Grünen drittstärkste Partei, zogen in den Stadtsenat ein. Silvia Buschenreiter, Elke Kellner und Sylvia Hehei erinnern sich.
Silvia Buschenreiter war von 1991 bis 2011 im Gemeinderat, kandidierte vier Mal als Spitzenkandidatin. Als ihre größten Erfolge verbucht sie den autofreien Rathausplatz, die Müllbehandlungsanlage, die Verhinderung einer Müllverbrennung in der Glanzstofffabrik, das Radfahren durch die Innenstadt und, dass sie in der Dauerdebatte ums Bussys­tem nicht lockergelassen hat. Ein Erlebnis ist ihr besonders in Erinnerung: „Stadtrat Nasko war Vorsitzender des recht obskuren Nordkorea-Österreich-Freundschaftsvereins. In meiner ersten Gemeinderatsperiode durfte ich noch Anfragen stellen. Meine Anfrage, wie Nasko mit politischer Repression und unglaublicher Hungersnot im ‚befreundeten’ Land umgeht, endete mit einem Wutanfall des Stadtrats und einem hektischen Hammertrommeln des Bürgermeisters. Bald darauf wurden Anfragen ebenso aus der Stadtverfassung gestrichen wie Wortprotokolle. Letztere musste man übrigens von einem altertümlich-monströsen Wiedergabegerät selbst transkribieren.“
Elke Kellner war von 2001 bis 2006 Gemeinderätin in St. Pölten. Sie verbucht das Jugendzentrum, die Subvention fürs Cinema Paradiso und die Debatte über partizipative Kulturpolitik auf ihr Konto. „Sich in einer Demokratie zu engagieren und auch Verantwortung zu übernehmen, hat für mich einen sehr hohen Stellenwert. Gerade in der Kommunalpolitik kann man viel Sachpolitisches einbringen und Dinge zum Besseren verändern. In meiner Zeit als St. Pöltner Gemeinderätin habe ich viele engagierte Menschen kennengelernt und durfte bei einigen Projekten, wie dem Jugendzentrum oder Cinema Paradiso, zur Realisierung beitragen. Vor allem habe ich mich – als jüngste Gemeinderätin der Stadt – für eine modernere und stärker partizipative Kulturpolitik und Stadtentwicklung eingesetzt. Das kam beim damaligen Kulturstadtrat und vielen SPÖ Gemeinderatskollegen und -kolleginnen oft nicht so gut an – es kam zu teilweise recht untergriffigen Zwischenrufen während meiner Reden. Ich denke, das würde heute in dieser Form nicht mehr toleriert – auch ein Erfolg!“
Sylvia Hehei saß von 2001 bis 2011 im Gemeinderat. Sie leitete den Kontrollausschuss, brachte Transparenz ins Stadtbudget und forderte eine nachhaltige Finanzplanung. „Jenseitig war jede Sitzungsvorbereitung: Dank einer uralten Geschäftsordnung mussten Unterlagen im Vorraum der Magistratsdirektion eingesehen werden, wollte man genaue Zitate oder Daten, mussten diese abgeschrieben werden. Nach zehn Jahren gab’s den großen Reformschritt: Im Vorraum stand plötzlich ein Kopierer mit Einzelblatteinzug. Dafür waren Tisch und Stuhl weg ...“
Als grüne Kommunalpolitikerin wieder engagieren möchte sich keine der drei Frauen.