LEERSTANDSABGABE
Text
Sascha Harold
, Johannes Mayerhofer
Ausgabe
Zahlreiche Städte und einige Bundesländer diskutieren über eine Leerstandsabgabe für dauerhaft leerstehende Wohnungen. Nun forderte auch der St. Pöltner Gemeinderat per Resolution mehrheitlich eine solche. Ist das eine gute Idee oder ineffektiver Quatsch? MFG hat nachgefragt.
Das Problem stetig steigender Mieten hat vielerorts ein Level erreicht, dass die Forderung nach einer Leerstandsabgabe immer lauter wird. Sie geht quer über Parteigrenzen hinweg. Die ÖVP-regierten Länder Steiermark und Salzburg sind ebenso dafür, wie das „rote Wien“. Auch auf der Städteebene werden die Befürworter eher durch lokale Betroffenheit, als durch Ideologie zusammengeschweißt. Nun positionierte sich auch St. Pölten im Befürworter-Lager. Im Gemeinderat fordern SPÖ, Grüne und Neos per Resolution vom Bund einen rechtlichen Rahmen zur Leerstandserhebung samt -abgabe. Steht eine Wohnung mehr als sechs Monate durchgehend leer, ohne dass sich der Eigentümer um Vermietung bemüht und keine andere zweckmäßige Nutzung oder Sanierung vorliegt, soll pro Quadratmeter ein abzuführender Geldbetrag festgelegt werden.
Kommunen stochern beim Thema Leerstand im Dunkeln
Wie passt dieser Vorgang zum sonst so stolzen Brustton, St. Pölten baue ja viel und der Leerstand werde generell überschätzt? Nach Berichten im vergangenen Jahr über 5.000 Leerstände in der Stadt, meldete sich SPÖ-Bürgermeister Matthias Stadler zu Wort und versicherte: es seien „nur 800“. „Das Phänomen ist hier noch überschaubar, wir wollen aber keinem Trend hinterherlaufen sondern früh Steuerungsmaßnahmen ergreifen“, erklärt er auf MFG-Anfrage. Auch St. Pölten sei vor der Kapitalflucht in den Wohnbausektor nicht verschont. Ein Überschuss an Wohneigentum, welches nicht zu leistbaren Preis dem Markt zugeführt wird, sei „ein Zeichen falscher Spar- und Anlagenpolitik.“ Stadler bemüht auch „grüne“ Töne: „Man darf auch den ökologischen Aspekt nicht außer Acht lassen. Stehen viele Wohnungen leer, aber sind nicht am Markt, müssen mehr leistbare Wohnungen errichtet werden, um den Bedarf abzudecken, was nicht ressourcenschonend ist“, so der Bürgermeister.
Auch bei den Grünen wolle man nicht, dass Wohnungen als „Beton-Sparbücher missbraucht werden.“ Jedoch spart man nicht mit Kritik am roten Mitstreiter. „In Städten wie Salzburg oder Innsbruck gibt es bereits Leerstandserhebungen, ohne einen bundesweiten rechtlichen Rahmen. Die SPÖ St. Pölten begründete die Abwesenheit einer solchen Erhebung in einer Anfragebeantwortung mit ,datenschutzrechtlichen Bedenken‘. Das ist keine zufriedenstellende Argumentation“, erklärt Christina Engel-Unterberger von den St. Pöltner Grünen.
Neos für Leerstandserhebung, Skepsis bezüglich Abgabe
Neben SPÖ und Grünen stimmte auch Nikolaus Formanek, der einzige Neos-Gemeinderat St. Pöltens, für die Resolution. Dieser wolle das aber nicht als Unterstützung von Steuern und Abgaben auf Eigentumssubstanz missverstanden wissen. Liberale Parteien und Politiker zählen ja gemeinhin zu den Gegnern solcher Maßnahmen. „Mir ging es um den Punkt der Leerstandserhebung. Ich möchte erst mal belastbare Zahlen darüber, wie groß das Ausmaß des Leerstandes ist und welche Gründe es dafür gibt, bevor weitergehende Maßnahmen beschlossen werden“, sagt Formanek. Auch er hat einen Seitenhieb für die Sozialdemokraten parat: „Mir ist schon klar, dass die SPÖ in so einen Antrag alles hineinpackt, was sie an politischen Forderungen hat. Ich hätte – so wie es ja oft gemacht wird – einen eigenen Antrag, reduziert auf die Leerstandserhebung, machen können.“ Über die Frage, ob eine Leerstandsabgabe ein probates Mittel zur Schaffung von mehr Wohnraum wäre, macht Formanek ein Fragezeichen. „Ich bin kein Experte, aber ich habe noch nie verstanden, dass möglicherweise sinnvolle Lenkungsaufgaben des Staates immer auf mehr Abgaben, Strafen und Kosten für die Betroffenen hinauslaufen müssen. Möglicherweise wäre ein Anreizsystem sinnvoller, als wieder mal Leute zur Kasse zu bitten“, zeigt sich der Liberale skeptisch.
Wohneigentümer und Spekulanten nicht in einen Topf werfen
Einigkeit besteht bei SPÖ, Grünen und Neos, dass eine pauschale Abgabe am Ziel vorbei ginge. Zwischen kleinen Privateigentümern und institutionellen Immobilienspekulanten liegen Welten. Die SPÖ sieht einen „ÖVP-Spin“, der kleine Wohnungseigentümer als Strohmannargument gegen eine Leerstandsabgabe missbrauchen würde. Während die Resolution bereits eine Leerstandsfrist von sechs Monaten nennt, will die SPÖ über Detailfragen wie die Höhe der Abgabe pro Quadratmeter noch nicht spekulieren. Das wäre „unseriös“. Die Grünen wollen eine regionale Differenzierung. „Es macht einen Unterschied, ob der Leerstand in einer Abwanderungsgemeinde, einem Tourismusgebiet oder einer wachsenden Stadt auftritt.“ So regelt das Land Salzburg im Entwurf zur Leerstandsabgabe die regional unterschiedliche Abgabehöhe. Die Gemeinden dürfen diese frei festlegen. Erfahrungen aus Städten wie Barcelona und Paris zeigen, dass eine Leerstandsabgabe allein wirkungslos bleiben kann. Positive, wenn auch keine phänomenalen Erfahrungen machte Berlin mit seinem „Zweckentfremdungsverbotsgesetz“, welches 2014 eingeführt und 2018 verschärft wurde. Ergebnis: 9.300 zuvor leerstehende oder zu Ferienzwecken genutzte Wohnungen sind nun wieder vermietet. Immobilienkonzerne verfügen jedoch über Tricks und Mittel, sich vor etwaigen Leerstandsabgaben und Bußgeldern zu drücken. Das Instrumentarium reicht von Scheinsanierungen, über Alibi-Inserate zu absurd hohen Preisen, um Vermietungswillen vorzutäuschen. Bei den Eigentümern handelt es sich außerdem oft um multinational agierende Netzwerke, deren Geschäftstätigkeit nur schwer zu durchblicken ist. Schon alleine die zuverlässige Erhebung des Leerstandes dürfte also keine leichte Aufgabe werden.
Bei den Grünen betont man jedenfalls, dass eine Leerstandsabgabe nur eine Maßnahme in einem Gesamtpaket sein könne. „Es braucht darüber hinaus Maßnahmen für mehr geförderten und gemeinnützigen Wohnbau. Das wirkt auch preissenkend für den privaten Sektor.“
ÖVP und FPÖ sehen aktuelles Mietrecht als Kernproblem
Skeptische bis stark ablehnende Töne zur Leerstands-Resolution sind von ÖVP und FPÖ zu hören. So sieht ÖVP-Stadtrat Mario Burger die „Unverletzlichkeit des Eigentums“ in Gefahr. „Wer eine Leerstandsabgabe fordert, lässt Respekt vor Eigentum vermissen.“ Aus seiner Sicht würde eine Leerstandsabgabe nicht nur keinen Vermietungseffekt haben, sondern auch administrative Kosten mit sich bringen. Drastischere Worte findet die FPÖ: Eine Leerstandsabgabe erinnere an „Enteignung und Kommunismus“. „Sie bestraft Bürger, die mit bereits versteuertem Einkommen Eigentum erwerben und enteignet diese schrittweise mit einer eigenen Steuer“, erklärt St. Pöltens FP-Chef Klaus Otzelberger seine Einschätzung. Nun gibt es bereits Substanzbesteuerung in Österreich, etwa die Grundsteuer. Was das spezifisch „Kommunistische“ an einer Leerstandsabgabe wäre, beantwortete Otzelberger zwar nicht. Jedoch liege das Problem seiner Sicht nach sowieso ganz woanders, nämlich beim aktuellen Mietrecht. „Die Gesetzeslage ist 40 Jahre alt und vermieterunfreundlich“, so Otzelberger und Burger fast im Gleichklang. Die Mietzinsrichtwerte seien für Otzelberger außerdem zu niedrig. Die Richtwerte begrenzen den Hauptmietzins (also Miete ohne Betriebskosten und Umsatzsteuer) und werden alle zwei Jahre angepasst. „Bei jeder Wohnung fallen Sanierungskosten an, was in Kombination mit dem niedrigen Richtwert eine Vermietung unrentabel macht“, meint Otzelberger. Die Argumentation spießt sich allerdings am Umstand, dass sich die beklagten Richtwerte vor allem auf Altbauwohnungen beziehen, die nach dem 2. Weltkrieg errichtet wurden, während der Leerstand auch in relativ neuen, frei finanzierten Objekten verbreitet ist.
Was wird nun aus der St. Pöltner Resolution? Wird Türkis-Grün sich des Themas annehmen? Während die St. Pöltner Grünen auf das Regierungsprogramm verweisen, in dem „der Leerstand erhoben und mobilisiert“ werden soll, erwartet sich Burger von der Resolution keinen großen Effekt auf die Bundespolitik. Ob das sich – zumindest momentan – abzeichnende Pandemieende dazu führt, dass die Bundesregierung sich auch wieder verstärkt solchen Themen widmen kann, bleibt abzuwarten.
Wie teuer soll Wohnen sein?
Letztlich läuft die Debatte rund um eine mögliche Leerstandsabgabe auf die Grundfrage leistbaren Wohnens hinaus, wobei wohl außer Streit steht, dass jedes Gemeinwesen Priorität darauf legt, leistbaren Wohnraum zu schaffen bzw. die Preisentwicklung im Rahmen zu halten. Über die Wege, wie das erreicht werden kann, besteht freilich schon weniger Klarheit. Während die einen stärkere Regulierung in Form von Mietobergrenzen und Vergemeinschaftung von Bauflächen fordern, sehen die anderen stärkere Bautätigkeit als Schlüssel zu erschwinglichem Wohnraum. Wie sehen Branchenvertreter das Thema und wie steht es generell um das Thema Wohnen in Niederösterreich? Wer einen Blick auf die Zahlen wirft, sieht deutlich: Wohnen wurde in den letzten Jahren deutlich teurer. Der Statistik Austria zufolge sind die Nettomieten in Österreich von 2005 bis 2020 um durchschnittlich 3,4 Prozent pro Jahr gestiegen. Zum Vergleich: Die Inflation lag im selben Zeitraum nur bei durchschnittlich rund 1,8 Prozent.
Liegt es an mangelnder Bautätigkeit, dass die Preise überdurchschnittlich stark gestiegen sind? Wieder hilft ein Blick auf die Daten. Zwischen 2010 und 2020 ist die Zahl der österreichischen Haushalte um etwa 364.000 gewachsen, besonders stark dabei die Zweipersonenhaushalte. Im selben Zeitraum wurden österreichweit mehr als 500.000 neue Wohnungen geschaffen, dabei sind Erweiterungen bestehender Gebäude noch gar nicht berücksichtigt. Davon abziehen muss man Wohnungsabgänge, etwa durch abgerissene Häuser, doch selbst dann bleibt die Bilanz positiv – es werden also mehr Wohnungen neu gebaut, als benötigt werden. Haben wir es also mit einem Leerstand zu tun, der die Preise in die Höhe treibt? So einfach sei das nicht, meint etwa Georg Edlauer, Obmann des Fachverbands der Immobilien- und Vermögenstreuhänder der Wirtschaftskammer Österreich: „Ein sogenannter ‚struktureller Leerstand‘ in der Größenordnung von mind. 5% ist volkswirtschaftlich notwendig, um in einem funktionierenden Markt die Preise nicht ausufern zu lassen.“ Die aktuelle Debatte komme für ihn, angesichts eines durch gewerbliche Bauträger geschaffenen Überangebots an Mietwohnungen, zur Unzeit.
Fischen im Nebel
Das größte Problem ist derzeit die Datenlage. So genau weiß niemand, wie die Situation rund um etwaige Leerstände eigentlich aussieht. Das ist auch der Grund, warum es auch Branchenvertreter für richtig erachten, hier aktiv zu werden. Jürgen Huber ist Standortleiter Niederösterreich der österreichweit tätigen Hudej Zinshäuser Gruppe und seit 2000 in der Immobilienbranche tätig. Die Erhebung der Leerstände hält er für richtig: „Die Erhebung der Wohnungsleerstände ist für mich persönlich und beruflich sehr sinnvoll. Valide Daten helfen der Stadt, richtig zu planen und der Immobilienwirtschaft, nicht am Bedarf vorbei zu entwickeln.“ Geht es darum, Leerstände mit einer Abgabe zu sanktionieren, geht Huber mit den Plänen der Stadt jedoch nicht mehr d‘accord: „Hier vertrete ich klar die Meinung, dass ein Eigentümer das Recht haben muss, eine Wohnung nicht zu vermieten. Gründe für Leerstände gibt es viele. Mit einer Leerstandsabgabe wird beispielsweise auch ein Hausbesitzer bestraft, der bewusst nicht nachvermietet, um sein Objekt durchgreifend zu sanieren.“ Hier spricht Huber einen Punkt an, der selbst von Befürwortern einer stärkeren Regulierung des Wohnungsmarktes nicht zufriedenstellend gelöst wird. Wann ist ein Leerstand gerechtfertigt und wann nicht? Viele Fragen dieser Art wären bei der Einführung einer solchen Abgabe zu klären und würden unvermeidlich zu einem hohen Verwaltungsaufwand führen.
Dem stimmt auch Isabella Stickler, Obfrau des gemeinnützigen Bauträgers Alpenland zu. Zunächst hält sie allerdings fest: „Wohnraum soll zum Wohnen da sein und nicht als Investitions- oder Spekulationsobjekt gehalten werden.“ In einer möglichen Leerstandsabgabe sieht sie aber sogar eine Gefahr für leistbares Wohnen, denn diese könnten, so Stickler, die Wohnkosten weiter erhöhen, dann nämlich, wenn Konzerne die Mehrkosten einfach in die Mietkosten einrechnen. „Die Leerstandserhebung sollte im Idealfall leerstehende Wohnungen sichtbar machen und diese wieder in den Markt zurückführen und dadurch die angespannte Lage lindern“, so Stickler weiter.
Lage angespannt?
Doch wie angespannt ist die Lage am St. Pöltner Wohnungsmarkt derzeit? Laut Mietervereinigung sind vor allem Jungfamilien und Alleinerzieher von einem Mangel an leistbarem Wohnraum betroffen. „Jeder siebente Niederösterreicher ist aktuell von den Wohnkosten finanziell bereits überlastet oder stark belastet – das betrifft 225.000 Menschen im Land“, heißt es dort. Anders sieht das Edlauer: „Durch die erhebliche Neubautätigkeit sind gut ausgestattete Mietwohnungen kaum teurer geworden. Das umgekehrte Bild zeigt sich bei Eigentumswohnungen in St. Pölten: Im Zuge der Neubautätigkeit wurde anteilig wenig Wohnungseigentum geschaffen. Die erhöhte Nachfrage aufgrund des Zuzugs und der Gegebenheiten auf dem Kapitalmarkt führte zu einem Preisanstieg in diesem Segment.“ Auch Huber sieht hier ein Problem und stimmt überein, dass sich Neubauten vor allem aus Miet- und geförderten Wohnungen von Genossenschaften zusammensetzen, die Auswahl an Wohnungen zum Sofortkauf aber überschaubar sei.
Die richtige Waffe?
Ob die Leerstandsabgabe etwas zu leistbarem Wohnen beiträgt, darf bezweifelt werden. Zu unklar ist derzeit die genaue Ausgestaltung, zu hoch wäre vermutlich der administrative Aufwand gegenüber dem erwarteten Nutzen. Dass die Idee des „Betongolds“, von der immer wieder die Rede ist, aus Bewohnersicht nicht immer günstig ist, liegt allerdings auf der Hand. Auch bei Alpenland beobachtet man diesbezügliche Entwicklungen in Niederösterreich kritisch: „Der Trend, dass gewerbliche Bauträger und Entwickler außerhalb von Wien vermehrt – um nicht zu sagen aggressiv – Grundstücke in NÖ einkaufen, verstärkt sich. Das betrifft mittlerweile nicht mehr das Umland von Wien, sondern zieht sich weiter ins Land hinein. Auch St. Pölten ist davon stark betroffen“, führt Stickler aus. Obwohl die tatsächliche Umsetzung einer Leerstandsabgabe also eher kritisch gesehen wird, bringt sie die involvierten Akteure zumindest dazu, zu diskutieren, wie die Gestaltung des Wohnungsmarktes aussehen sollte. Denn bei aller Berechtigung für Investmentmöglichkeiten, sollte ein menschliches Grundbedürfnis, wie es das Wohnen ist, wohl nicht (ausschließlich) Gegenstand von Preisspekulationen sein.