Wenn die Lichter ausgehen
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Die Corona-Pandemie hat nicht nur die bedrohlichste Gesundheitskrise seit Ausbruch der Spanischen Grippe 1918 ausgelöst, sondern ist auch für die größte Wirtschaftskrise seit Ende des Zweiten Weltkriegs verantwortlich. Praktisch keine Branche, die nicht davon betroffen wäre, wobei es einige besonders schlimm erwischt hat. Wir besuchten fünf von ihnen.
Es ist frisch in den Hallen des VAZ dieser Tage, die Heizung ist heruntergedrosselt, die Fluchten der Hallen verschwinden irgendwo im Finstern. Nur die Notbeleuchtung brennt noch und weist – so auch die metaphorische Hoffnung – einen Weg nach draußen, raus aus dieser Situation. Zwischen Bühnenpodesten, Boxen und Lichtanlagen steht fast der gesamte Fuhrpark der Betreiberfirma NXP – die Kennzeichen sind abmontiert, die Autos von der Versicherung abgemeldet. Gespart wird, wo nur irgendwie möglich. Klarerweise auch beim Personal, die Mitarbeiter sind großteils in Kurzarbeit, entlassen wurde noch niemand. Dementsprechend ruhig, ja fast gespenstisch still ist es in den riesigen Hallen, wo sich sonst übers Jahr gut 550.000 Besucher tummeln. Geschäftsführer René Voak sitzt einsam in einer der Reihen und blickt auf die „tote“ Bühne, die noch von der letzten Veranstaltung steht. Abgebaut wurde noch nicht – wozu könnte man fragen, weitere Events stehen nicht an, Personal ist nicht vorhanden … und so geht es dem VAZ mit wenigen Ausnahmen seit März. „Mittlerweile gehen die Verschiebungen und Absagen in die Hunderte!“, konstatiert der Kulturmanager nüchtern. Ein Blick auf die VAZ-Homepage illustriert das „schön“ – ein bisschen fühlt man sich an diverse Katastrophenfilme erinnert, wo am Flughafen auf der Anzeigentafel ein Flug nach dem anderen auf „cancelled“ hüpft, nur dass es auf der VAZ Homepage „verschoben auf“ oder „abgesagt!“ heißt. Eine Situation, mit der VAZ-Betreiber NXP als österreichweiter Konzertveranstalter im Übrigen überall konfrontiert ist. Nicht nur die Veranstaltungen im VAZ fallen aus, auch die Österreich-Tournee der Shaolin-Mönche wurde „bereits zum dritten Mal“ verschoben, selbiges gilt für die Deutschland-Tournee von Thommy Ten & Amélie van Tass oder die Österreich-Termine des Kindermusicals Bibi Blocksberg „das wir zumindest vorm Lockdown noch in St. Pölten und Linz spielen konnten.“ Freilich mit angesagtem Minus, denn praktisch alle Veranstaltungen, die unter den coronabedingten Auflagen durchgeführt werden müssen, sind unrentabel. Ist ein Event auf mindestens 1.000 Personen ausgelegt und wird, wie z. B. in Niederösterreich bei Ampel Orange, auf 250 heruntergedrosselt (vom „Supergau“ 0 beim Lockdown reden wir noch gar nicht), geht sich die Rechnung schlicht nicht mehr aus. Dass Voak trotzdem mit Biegen und Brechen versucht, alles, was irgendwie möglich ist, umzusetzen, hat mit seinem Berufsethos zu tun und zugleich dem, was er „als das Salz des Lebens, die Momente des Glücks in einem Veranstalterleben“ bezeichnet. Einen diesbezüglichen Lichtblick bescherte ihm Bibi Blocksberg am Tag vor dem Lockdown. „Wenn du in die strahlenden Gesichter der Kinder schaust, die sich seit Monaten darauf gefreut haben, aufgeregt sind und sich extra verkleidet haben – da geht dir das Herz auf. Für die Kinder ginge eine Welt unter, wenn du von einem Tag auf den anderen absagst.“ Kunst und Kultur seien in diesem Sinne – man merkt Voaks Aversion gegen die diesbezügliche Begrifflichkeit und Diskussion – „natürlich ‚systemrelevant‘! Gerade in Krisenzeiten hat Kultur eine enorm wichtige Funktion als Katalysator und für die Psychohygiene“, ist er überzeugt. Im wirtschaftlichen Sinne treffe das nicht minder zu, wenn man an all die Künstler, Mitarbeiter und Zulieferbetriebe denke. „Und dann sagst du den Leuten: ‚Du bist nicht systemrelevant!‘ Das ist ja Irrsin, jeder ist systemrelevant, weil jeder ist ein Mensch!“
Die Politik – dies hält ihr Voak zugute – hat dies durchaus erkannt. Und auch wenn er, wie viele, unter manch bürokratischer Ehrenrunde stöhnt, nicht jeder salbungsvollen Ankündigung traut und ein Kommunikationstohuwabohu aus Ankündigungen, Verordnungen, Erlässen etc. ortet „welches die Menschen schlicht überfordert – wir sind ja keine Computer“, so ortet er doch „ein redliches Bemühen. Unsere Branche würde ohne die diversen Module längst darniederliegen.“ Das nähme auch Druck, „weil man weiß , dass man nicht allein ist und wir die Folgen vielleicht solange hinauszögern können, dass wir am Ende des Tages die Gesundheitskrise auch wirtschaftlich überleben.“ Ausgemacht ist das freilich nicht, auch wenn man auf eine solide „28-jährige Unternehmenssubstanz bauen könne, die jetzt halt vernichtet wird.“ Von der öffentlichen Hand nimmt man mögliche Förderungen und Zuschüsse in Anspruch, aber ewig wird man das nicht durchhalten, zumal „all diese Module jetzt einmal bis längstens März laufen – aber was ist dann?“ Hier wünscht sich Voak wie seine Kollegen „von der Politik vor allem Planbarkeit, dass man sich schon jetzt überlegt, wie es im März konkret weitergehen könnte. Denn es ist ja nicht so, dass du in der Kulturbranche einfach den Schalter wieder anmachst und alles läuft sofort wie zuvor.“
Just in dem Moment geht ein Licht im VAZ-Foyer an und ergießt sich in die düstere Halle herein – ein Fingerzeig? Noch gibt es ein Licht am Ende des Tunnels!
OHNE KUNST & KULTUR WIRD’S STILL
Sein markantes Lachen hat Bluesman Mika Stokkinen noch nicht verloren „Ich bin einfach ein optimistischer Mensch“, meint der Strahlemann zur Begrüßung, auch wenn er im Rückblick auf das, was seit März so abgegangen ist, einräumt: „Das war schon eine richtige Watschen!“ Mika legt seine Gitarre auf den roten Teppich des spartanisch eingerichteten Proberaums. Von den Wänden lacht er sich, als Teil der legendären Rock’n’Roll Formation „The Ridin Dudes“ sozusagen selbst entgegen – Bilder aus rosigeren Tagen, als man mit Corona noch vorwiegend mexikanisches Bier und Lebensfreude assoziierte. Seitdem ist es für die Künstler dieses Landes steil bergab gegangen, akute Existenzbedrohung inklusive. „Anfangs war uns ja noch gar nicht so bewusst, was das jetzt wirklich heißt“, erinnert sich Mika zurück, der 2016 seinen „Brotberuf“ zugunsten seiner Profi-Musiker-Karriere endgültig an den Nagel gehängt hatte. Erst als nach drei vier Wochen immer mehr Absagen und Verschiebungen eintrudelten, „darunter auch wirklich große Sachen“, wurde dem Künstler wie vielen hierzulande flau im Magen. Von den damals rund 100 fixierten Gigs waren plötzlich nur mehr 20 übrig geblieben „und zwar jene, die wir schon vor dem Lockdown gespielt hatten.“ Die Einnahmen rasselten um gut 80% nach unten. Und die Aussichten für den Rest des Jahres sehen nicht besser aus, im Gegenteil: Aktuell sind von 25 fixierten Gigs nur mehr drei übrig geblieben. „Da beginnst du natürlich schon, wie’s mir Ende März ergangen ist, irgendwann zum – sorry für den Ausdruck – Hirnwichsen, wenn du allein zuhause hockst: Was mach ich jetzt, wenn das so bleibt?“ Mika kennt einige Kollegen, die mittlerweile auf Jobsuche sind – von der Kunst können sie nicht mehr leben, Reserven gibt es nicht: „Als Musiker bist du an sich eh gewohnt, mit weniger auszukommen, aber – so wie es damals anfangs aussah – mit gar nix, da ist deine Existenz schnell im Orsch.“ Heute ist er froh, dass er kein Einzelkämpfer ist, sondern mit René Grohs gemeinsam eine eigene Firma hat „was manches erleichtert“, insbesondere wohl diverse Förderungen anzuzapfen. So bekommt man etwa einen Fixkostenzuschuss, die Verwertungsgesellschaften LSG und AKM haben eine Überbrückungsfinanzierung ermöglicht, Sozialversicherung & Co. sind bis auf weiteres gestundet. Kurzum, Mika hängt wie viele andere am Tropf. Dass dieser überhaupt erst zum Fließen begann, dafür musste Manager René einen bürokratischen „Spießrutenlauf“ auf sich nehmen. „Ich habe zig Stunden mit Anträgen verbracht, viele musste ich wieder kübeln“, bläst er durch und fügt kopfschüttelnd hinzu „Du kommst dir halt schon ein bissl nach dem Motto vor: Wenn du dich auf den Staat verlassen musst, bist du verlassen.“ Soll heißen, dass die versprochenen und groß angekündigten Hilfestellungen erst mit reichlich Verspätung eintrudelten. „Für viele sicher zu spät. Finanz- und Wirtschaftskammer sind ja sofort zur Stelle, wenn es darum geht, etwas einzuzahlen. Da wirst du auch sofort als Künstler anerkannt. Sobald es aber in die umgekehrte Richtung geht, sie also dir etwas auszahlen sollen, musst du plötzlich ganz genau nachweisen, ob du wirklich Künstler bist.“ Letztendlich hat aber alles geklappt. Nach aktuellem Stand kommt man wenigstens „einmal bis März über die Runden“, schätzt Mika, der sich auch nicht hängen lässt. „Im ersten Moment hat man natürlich die Anwandlung: ‚Ah, jetzt hab ich wenigstens Zeit zum Durchschnaufen.‘ Aber in Wahrheit willst du ja produktiv sein.“ Am allerliebsten auf der Bühne, wie der Musiker gesteht, was aktuell aber nicht möglich ist. Deshalb hat man die Auftritte kurzerhand via Livestream online verlegt, durchaus erfolgreich: „Wir hatten bis zu 12.000 Aufrufe! Man beackert jetzt halt Kanäle, die man vorher vielleicht eh zu sehr vernachlässigt hat.“ Parallel dazu basteln die Dudes außerdem an einem Austropop-Album „wo jeder zuhause an den Songs feilt.“ Ob ich eine Kostprobe haben kann? Mika lässt sich nicht zweimal bitten, hebt die Gitarre vom Boden auf und schlägt ein paar Akkorde an. Dann gibt es doch ein paar positive Seiten der Pandemie – wann bekomme ich sonst schon ein Privatkonzert? Aber keine Frage, Vollblutkünstler wie Mika gehören so schnell wie möglich wieder auf die Bühne „weil dir diese Energie zum Publikum unglaublich abgeht!“ Und den Fans ergeht‘s umgekehrt nicht anders, weshalb der Slogan einer aktuellen Künstlerkampagne 100%ig zutrifft, den auch Mika zum Abschluss zitiert: „Ohne Kunst und Kultur wird’s still.“
ABSTURZ ODER ABFLUG?
Der Besuch eines Reisebüros kann in Tagen wie diesen durchaus für ein bisschen Feelgood sorgen. Als ich „Gärtner Reisen“ in der Brunngasse betrete, lachen mir von den Wänden malerische Urlaubsbilder im Supersize-Format entgegen – ein Tempel in Myanmar, ein weißer Südseestrand, New York City. Ein leises Ziehen in der Brust macht sich bemerkbar, Reisesehnsucht, die aktuell freilich nur sehr eingeschränkt gestillt werden kann. Die Reisebüros wissen ein Trauerlied davon zu singen. Die Buchungen sind eingebrochen, die diversen Einschränkungen machen Reisen zu einer komplizierten Angelegenheit. Wie zur Bestätigung hängt Geschäftsführer Niclas Wright gerade am Telefon, als ich in sein Büro trete, und betreibt Troubleshooting. Es gilt Flüge für einen Kunden zu checken, der über Dubai anreist, in Italien einen Zwischenstopp einlegt, wo seine Kinder bleiben möchten, während er selbst weiter zurück nach Österreich reist. Drei Länder, drei unterschiedliche Reise- und Coronabestimmungen. „Zum Glück haben wir überall gute und direkte Ansprechpartner“, meint Wright, nachdem er aufgelegt hat, „das macht die Problemlösung einfacher.“ Ich stelle mir jene Gäste vor, die Flug und Hotel privat gecheckt haben und jetzt am Rande des Nervenzusammenbruchs in ewigen Telefonwarteschleifen gefangen sind, weil ein Flug gestrichen oder irgendwo eine neue Reisewarnung aufgepoppt ist. Wer weiß – um etwas Zweckoptimismus für die Reisebüro-Branche zu versprühen – vielleicht bleibt ja als positiver Nebeneffekt der Pandemie, dass wieder mehr Leute übers Reisebüro buchen, um sich diese Nervenschlachten zu ersparen. Wright selbst kann sich in diesem Sinne, wie er meint, ohnedies nicht beklagen „weil wir zu 90% Stammkunden haben.“ Diese halten ihm auch während der Krise die Treue. Stornierungen – wofür ohnedies die Reiseveranstalter einstünden – gebe es kaum, viele hätten ihre Reise einfach auf 2021 umgebucht oder Kreuzfahrten für 2022 fixiert, „wenn hoffentlich wieder alles vorbei ist.“ Geschäftsreisen, die zu einem Kernsegment zählen, hätten zwischenzeitig sogar wieder „ganz gut angezogen.“ Von Normalisierung im eigentlichen Sinne kann freilich keine Rede sein. „Wenn pro Tag eine Person ins Geschäft kommt, ist das schon viel!“, stellt Wright nüchtern fest, weshalb alle 22 Mitarbeiter in Kurzarbeit sind. An diesem Tag sind im Großraumbüro gerade einmal zwei Arbeitsplätze besetzt, die Öffnungszeiten hat man auf drei Stunden pro Tag eingedampft. „Die meisten arbeiten im Homeoffice, was sehr gut funktioniert.“ Jetzt bliebe mehr Zeit für Sachen wie Weiterbildung oder der Entwicklung neuer Geschäftsideen. Ein Kollege etwa tüftelt gerade an einem – „und da sind wir Vorreiter in Österreich“ – neuen direct connecting Tool von Geschäftskunden zu Airlines „so dass diese bessere Konditionen bekommen.“ Auch die Implementierung CO2 neutralen Reisens – indem man im Gegenzug Zertifikate für nachhaltige Investitionen erwirbt – ist ein Ziel, „um diesen Trend unseren Kunden zu ermöglichen.“ Überspitzt formuliert könnte man sagen, man versucht sich bei Laune zu halten, auch wenn die Gesamtsituation aktuell alles andere denn zum Lachen ist. „Im Privatkundenbereich haben wir sicher 85% gegenüber dem Vorjahresgeschäft eingebüßt“, so Wright „bei den Geschäftsreisenden ist es nicht so schlimm, da sind wir in etwa beim Umsatz von 25% gegenüber 2019.“ Also „nur“ minus 75% – werden Österreichs Unternehmer in der Krise demütig? Wright formuliert es stoisch: „Gärtner Reisen gibt es seit 60 Jahren. Wir bauen auf eine gute Grundsubstanz auf. Es gibt halt gute und schlechte Zeiten – jetzt sind wir leider gerade in einer schlechten, aber auch die werden wir überstehen!“ Wozu auch die diversen Programme des Staates beitragen. „Da dürfen wir uns wirklich nicht beschweren in Österreich. In Deutschland etwa gibt’s zwar auch ‚Unterstützung‘, nur da reden wir von Krediten, die zurückgezahlt werden müssen!“ Weniger nachvollziehbar sind ihm dahingegen manch Reisewarnungen. Im sommerlichen Kroatien-Bashing ortet er, wenn man es richtig heraushört, ebenso ein möglicherweise bewusstes Kalkül, wie im Fall „einer komischerweise just drei Wochen vor den Herbstferien aufpoppenden Reisewarnung für die Malediven. Da gibt es aber nur eine betroffene Hauptinsel, wohin du als Tourist gar nicht kommst, weil es direkt vom Flughafen per Boot oder Wasserflugzeug auf eine der 120-150 Nebeninseln geht.“ Ein Manöver, um die Bürger zum Österreich-Urlaub zu bewegen, frage ich suggestiv. „Oder man kennt sich einfach nicht aus. Jedenfalls völlig sinnbefreit – das haut das Geschäft zusammen“, zieht Wright die Stirn in Falten und erzählt aus eigener Erfahrung von einem Apulien-Aufenthalt „wo ich drei Formulare akribisch auszufüllen hatte – die hat mir bis heute niemand abgenommen. Die allgemeine Unsicherheit ist klarerweise wenig einladend, wenngleich Reisen aktuell durchaus seine Reize hat „weil es nicht nur billig ist – die Hotels freuen sich ja über jeden Gast – sondern auch besonders attraktiv: Wann erlebt man schon Venedig mit so wenig Touristen?“ Ach Venedig ...
Meine Reisesehnsucht meldet sich wieder. Als ich das Reisebüro verlasse, fällt mein Blick noch einmal auf den schönen Südseestrand. Keine Frage, es wird endlich Zeit für einen Abflug – und zwar zuallerst jenen des Virus in die ewigen Jagdgründe!
KEINE ZEIT ZU STERBEN
Geschäftsführer Mario Hueber führt uns durchs geschlossene Hollywood Megaplex-Kino im Norden der Stadt. Tausende Quadratmeter gähnende Leere, so als wäre die Katastrophe, Leitmotiv zahlreicher Filme, von der Leinwand ins reale Leben gesprungen. Wir marschieren vorbei an veralteten Filmplakaten und Pappaufstellern, und es fällt einem just das auf, was gar nicht da ist: der Geruch frisch gerösteten Popcorns, die Schlange vor den Kassen, das aufgeregte Gezappel der Kinder. An „Film ab“ ist während des zweiten Lockdowns nicht zu denken, Kinos müssen – wie im Frühling – geschlossen bleiben, eher schießt einem der mulmige Gedanke „The End“ durch den Kopf.
Wir machen Fotos im neuen 4D-Kinosaal. Eine knappe Million Euro hat das Unternehmen erst im Vorjahr dafür locker gemacht – wie die je hereingespielt werden sollen bei geschlossenem Haus? Bislang komme man über die Runden, so Hueber. Keiner der rund 180 Mitarbeiter der Hollywood Megaplex-Gruppe in Österreich musste entlassen werden, die Belegschaft ist in Kurzarbeit. „Einige haben uns aber von sich aus verlassen, weil das geringere Einkommen während der Kurzarbeit für manche schlicht zu wenig ist, um über die Runden zu kommen“, zeigt er Verständnis. Die Abgänge hat man nicht nachbesetzt, so wie es generelle Strategie ist, alles, so weit wie möglich, runterzufahren. Selbst als man wieder öffnen durfte, hat man unter der Woche die Öffnungszeiten reduziert und ist nur am Wochenende Vollbetrieb gefahren. Der war aber ohnedies seit dem Frühling nur in Wellen möglich. „Als etwa im März der erste Lockdown kam, dachten wir ja noch, dass der Spuk nach zwei, drei Wochen erledigt sein wird.“ Ein Trugschluss, wie sich herausstellen sollte: Öffnen durften die Kinos erst wieder per 29. Mai, was in der Branche allerdings im ersten Moment auch nicht für Jubel, sondern vor allem Kopfschütteln sorgte, „weil wir daraus aus den Medien erfahren haben, 24 Stunden vor Inkrafttreten! Aber du kannst ja nicht ohne Vorlauf einfach wieder so aufsperren.“ Bis heute hat Hueber den Eindruck, dass die Regierung oftmals eher auf Verdacht, denn faktenbasiert agiert. Eine klare Strategie kann er nicht erkennen. „Die bräuchten wir aber, um planen zu können. Ganz ehrlich. Mir ist lieber, man sagt gleich, bis März müsst ihr geschlossen halten, wir helfen euch – was ja auch geschieht – dass ihr irgendwie über die Runden kommt, anstatt dass es zunächst noch kalmierend heißt, ein Lockdown ist die allerallerletzte Option, und eine Woche später ist er plötzlich doch da. So kannst du nicht wirtschaften.“
Im Frühjahr improvisierte man, indem man der in Vergessenheit geratenen Idee des Autokinos neues Leben einhauchte, in St. Pölten gemeinsam mit NXP etwa das AutoKunstKino auf die Beine stellte. „Das war schon wichtig – für uns und die Kinofans.“ Und es war ein Erfolg. „Medial hatten wir die größte Resonanz überhaupt in der Geschichte unseres Betriebes, und das Feedback der Besucher war zu 99,9% positiv“, zieht Hueber zufrieden Bilanz. Die prekäre Gesamtsituation der Kinos konnte die Initiative freilich nur teilweise lindern, und spätestens seit der Global Player Cineworld per Oktober seine 600 Spielstätten in den USA und Großbritannien bis auf weiteres geschlossen hat, ist offensichtlich, wie schlimm die Situation wirklich ist – mit weitreichenden Auswirkungen auch auf Österreich. „Cineworld hat in den jeweiligen Ländern einen Marktanteil von 25% bis 30%. Wenn so ein Player ausfällt, macht es auch für die Studios keinen Sinn, neue Filme zu lancieren“, beschreibt Hueber das Dilemma „zumal die Studiobosse in den Corona Hotspots New York und L.A. sitzen. Wenn dort sozusagen die Welt untergeht, wird das für die ganze Welt angenommen.“
Selbst als sich also in Europa die Lage im Sommer zwischenzeitig entspannte, kam man kaum an neue Filmware heran – die Starts der potentiellen Kassenschlager wurden immer wieder verschoben. „Wir versuchen uns derweil mit älteren und vorwiegend europäischen Produktionen über Wasser zu halten, aber Tatsache ist: Ohne die Blockbuster, ohne neue Filme können wir auf lange Sicht nicht überleben“, umreißt Hueber die Situation. Was fatale Folgen auf die Gesamtgesellschaft hätte, wie er überzeugt ist, „denn Kunst und Kultur in all ihren Facetten ist genauso lebensnotwendig wie etwa der Supermarkt! Und eines muss uns schon klar sein“, fügt er ernst hinzu: „Alles, was schließt, schließt für immer!“
Noch ist es aber nicht so weit. Aktuell ruhen alle Hoffnungen der Branche auf dem Start des neuen James Bond Streifens Ende März. Der berühmteste Agent der Welt mit der Lizenz zum Töten muss jetzt also auch noch die Kinobranche an sich retten – seine vielleicht schwierigste Mission bislang. Aber wie lautet der Filmtitel so schön, was wir einmal als positives Omen interpretieren: „Keine Zeit zu sterben“.
BLOOD ON THE DANCEFLOOR
Was machten im Frühling nicht für Gerüchte die Runde: Das La Boom sei in Konkurs. Es sei verkauft worden. Geschäftsführer Andreas Brandstetter verlege sein Fischereigeschäft dorthin etc. „Die skurrilste Geschichte war, dass ich das Excalibur gekauft hätte – diesbezüglich hat mich sogar eine Redakteurin der Ybbser NÖN angerufen“, muss der Gastronom noch heute lachen, auch wenn manches wohl eher zum Weinen ist. Denn geschlossen hat das La Boom natürlich, wie ein Schild auf der Eingangstür verrät, wenngleich man auch Mut macht: „Wir kommen zurück!“
Drinnen wird’s noch trister. Wo sonst Schweiß und Endorphine in der Luft liegen, fette Sounds aus den Boxen wabern und hunderte Tanz- und Kontaktwütige das Leben feiern, „brüllen“ einem Stille und Leere entgegen. Bars und Dancefloor liegen verwaist im Dämmerlicht, alles wirkt – wenn schon nicht tot – so doch wie eingefroren. Anfang März war die La Boom Welt noch heil. Das St. Pöltner Kultlokal war gesteckt voll gewesen, ebenso wie Brandstetters zweite Disco, das Till in Neulengbach. „Bei der Nachbesprechung am Mittwoch darauf waren wir richtig euphorisch“, erinnert sich Brandstetter, bis die Meldung von der „maximal 100 Leute indoor-Regelung“ ins Meeting platzte und die Feierlaune verdarb. „Seitdem, also acht Monaten, haben wir geschlossen“, rechnet der Gastronom vor und gibt sich auch keiner Illusion hin, dass sich daran so schnell etwas ändern könnte. „In Wahrheit – so die Hoffnung – gehen wir von einer Wiederöffnung frühestens im Frühling/Sommer nächsten Jahres aus.“ Dazwischen liegt, doppelt bitter, die „Highseason. Es war heuer schon eigenartig, zu Halloween zuhause zu sitzen im Wissen, dass das LaBoom jetzt voll wäre.“
Tatsächlich hat von den am schlimmsten betroffenen Branchen die Nachtgastronomie die ultimative „Arschkarte“ gezogen. Denn als nach dem ersten Lockdown allmählich wieder gelockert und geöffnet wurde, die Infektionszahlen gegen null gingen, blieb die Sperrstunde dennoch unverändert bei ein Uhr. „Bei uns geht es aber erst so ab halb eins richtig los und es wird dann bis in die frühen Morgenstunden gefeiert“, erläutert Brandstetter das Dilemma „ein Konzept mit Sitzplätzen und anderen Öffnungszeiten wäre daher widersinnig gewesen, weil das La Boom nunmal vom Spaßfaktor und der Party lebt, ein Nachtlokal ist.“
Trotzdem wollte er gegen Ende des Sommers seinen Gästen zumindest so etwas wie eine La Boom-Slim-Version kredenzen und kündigte unter dem Motto „halbtags feiern“ ein Revival an – ausgeklügeltes Sicherheitskonzept inklusive. Alles war angerichtet, die Reservierungstelefone liefen heiß „so dass wir nach nur zwei Tagen komplett ausgebucht waren“, als eine neue Verordnung die Ausschank an Bars untersagte und damit auch diesen Hoffnungsschimmer verblassen ließ. „Schau dir unser Lokal an“, zeigt der Wirt ringsum „das besteht zu 80% aus Bars!“ Schweren Herzens musste er die Veranstaltungsreihe wieder absagen, für die Gäste eine bittere Pille. „Vor allem für die jüngsten Gäste ist der Lockdown eine riesige, auch psychische Belastung. Mit 16 Jahren ist normalerweise die Zeit, wann du erstmals fortgehen darfst, neue Erfahrungen sammelst. Das ist ein wichtiger Entwicklungsprozess. Das fällt jetzt komplett flach – die Jugend verliert ein ganzes Jahr“, ist er überzeugt. Eine Analogie der Teenager ortet er diesbezüglich übrigens mit der quasi gegenüberliegenden Alterskohorte, den Senioren. „Wir betreiben ja auch das ‚Punschkrapferl‘, das während der Lockdowns ebenfalls schließen muss. Dort sind viele ältere Personen Stammgäste, die kommen täglich zu uns, unterhalten sich, haben eine Ansprache – fällt das weg, ist das für viele wirklich schlimm!“ Senioren wie Junge gleichermaßen hätten mit der Isolation und Langeweile besonders zu kämpfen.
Nicht minder gilt dies für die Gastronomie, in der es überhaupt ums Überleben geht: „Natürlich ist die Situation existenzgefährdend, aber wir werden es überstehen“, gibt sich Brandstetter zweckoptimistisch. Nicht nur die solide Grundsubstanz des Unternehmens lässt ihn hoffen, sondern auch die staatlichen Hilfen wie Kurzarbeit und Fixkostenzuschuss. Zudem könne er mit seinem Fischereigeschäft „Monster Fish“ sowie dem „Punschkrapferl“ noch auf weitere Betriebe bauen, „wo wir wenigstens ein bisschen beschäftigt sind.“ Denn das gehe ihm und seinem Team am meisten ab „das gemeinsame Arbeiten.“ Und natürlich die Gäste, denen er Mut zuspricht. „Wir werden es schaffen und hoffentlich 2021 wieder gemeinsam Party feiern!“
Dieses Feiern wird sich dann nach der langen Durststrecke nicht nur süßer und wichtiger denn je anfühlen, sondern es auch tatsächlich sein, weil es eine große Hoffnung zum Ausdruck bringt: Die Krise ist vorüber! Es gibt ein Leben nach Corona!
Die Politik – dies hält ihr Voak zugute – hat dies durchaus erkannt. Und auch wenn er, wie viele, unter manch bürokratischer Ehrenrunde stöhnt, nicht jeder salbungsvollen Ankündigung traut und ein Kommunikationstohuwabohu aus Ankündigungen, Verordnungen, Erlässen etc. ortet „welches die Menschen schlicht überfordert – wir sind ja keine Computer“, so ortet er doch „ein redliches Bemühen. Unsere Branche würde ohne die diversen Module längst darniederliegen.“ Das nähme auch Druck, „weil man weiß , dass man nicht allein ist und wir die Folgen vielleicht solange hinauszögern können, dass wir am Ende des Tages die Gesundheitskrise auch wirtschaftlich überleben.“ Ausgemacht ist das freilich nicht, auch wenn man auf eine solide „28-jährige Unternehmenssubstanz bauen könne, die jetzt halt vernichtet wird.“ Von der öffentlichen Hand nimmt man mögliche Förderungen und Zuschüsse in Anspruch, aber ewig wird man das nicht durchhalten, zumal „all diese Module jetzt einmal bis längstens März laufen – aber was ist dann?“ Hier wünscht sich Voak wie seine Kollegen „von der Politik vor allem Planbarkeit, dass man sich schon jetzt überlegt, wie es im März konkret weitergehen könnte. Denn es ist ja nicht so, dass du in der Kulturbranche einfach den Schalter wieder anmachst und alles läuft sofort wie zuvor.“
Just in dem Moment geht ein Licht im VAZ-Foyer an und ergießt sich in die düstere Halle herein – ein Fingerzeig? Noch gibt es ein Licht am Ende des Tunnels!
OHNE KUNST & KULTUR WIRD’S STILL
Sein markantes Lachen hat Bluesman Mika Stokkinen noch nicht verloren „Ich bin einfach ein optimistischer Mensch“, meint der Strahlemann zur Begrüßung, auch wenn er im Rückblick auf das, was seit März so abgegangen ist, einräumt: „Das war schon eine richtige Watschen!“ Mika legt seine Gitarre auf den roten Teppich des spartanisch eingerichteten Proberaums. Von den Wänden lacht er sich, als Teil der legendären Rock’n’Roll Formation „The Ridin Dudes“ sozusagen selbst entgegen – Bilder aus rosigeren Tagen, als man mit Corona noch vorwiegend mexikanisches Bier und Lebensfreude assoziierte. Seitdem ist es für die Künstler dieses Landes steil bergab gegangen, akute Existenzbedrohung inklusive. „Anfangs war uns ja noch gar nicht so bewusst, was das jetzt wirklich heißt“, erinnert sich Mika zurück, der 2016 seinen „Brotberuf“ zugunsten seiner Profi-Musiker-Karriere endgültig an den Nagel gehängt hatte. Erst als nach drei vier Wochen immer mehr Absagen und Verschiebungen eintrudelten, „darunter auch wirklich große Sachen“, wurde dem Künstler wie vielen hierzulande flau im Magen. Von den damals rund 100 fixierten Gigs waren plötzlich nur mehr 20 übrig geblieben „und zwar jene, die wir schon vor dem Lockdown gespielt hatten.“ Die Einnahmen rasselten um gut 80% nach unten. Und die Aussichten für den Rest des Jahres sehen nicht besser aus, im Gegenteil: Aktuell sind von 25 fixierten Gigs nur mehr drei übrig geblieben. „Da beginnst du natürlich schon, wie’s mir Ende März ergangen ist, irgendwann zum – sorry für den Ausdruck – Hirnwichsen, wenn du allein zuhause hockst: Was mach ich jetzt, wenn das so bleibt?“ Mika kennt einige Kollegen, die mittlerweile auf Jobsuche sind – von der Kunst können sie nicht mehr leben, Reserven gibt es nicht: „Als Musiker bist du an sich eh gewohnt, mit weniger auszukommen, aber – so wie es damals anfangs aussah – mit gar nix, da ist deine Existenz schnell im Orsch.“ Heute ist er froh, dass er kein Einzelkämpfer ist, sondern mit René Grohs gemeinsam eine eigene Firma hat „was manches erleichtert“, insbesondere wohl diverse Förderungen anzuzapfen. So bekommt man etwa einen Fixkostenzuschuss, die Verwertungsgesellschaften LSG und AKM haben eine Überbrückungsfinanzierung ermöglicht, Sozialversicherung & Co. sind bis auf weiteres gestundet. Kurzum, Mika hängt wie viele andere am Tropf. Dass dieser überhaupt erst zum Fließen begann, dafür musste Manager René einen bürokratischen „Spießrutenlauf“ auf sich nehmen. „Ich habe zig Stunden mit Anträgen verbracht, viele musste ich wieder kübeln“, bläst er durch und fügt kopfschüttelnd hinzu „Du kommst dir halt schon ein bissl nach dem Motto vor: Wenn du dich auf den Staat verlassen musst, bist du verlassen.“ Soll heißen, dass die versprochenen und groß angekündigten Hilfestellungen erst mit reichlich Verspätung eintrudelten. „Für viele sicher zu spät. Finanz- und Wirtschaftskammer sind ja sofort zur Stelle, wenn es darum geht, etwas einzuzahlen. Da wirst du auch sofort als Künstler anerkannt. Sobald es aber in die umgekehrte Richtung geht, sie also dir etwas auszahlen sollen, musst du plötzlich ganz genau nachweisen, ob du wirklich Künstler bist.“ Letztendlich hat aber alles geklappt. Nach aktuellem Stand kommt man wenigstens „einmal bis März über die Runden“, schätzt Mika, der sich auch nicht hängen lässt. „Im ersten Moment hat man natürlich die Anwandlung: ‚Ah, jetzt hab ich wenigstens Zeit zum Durchschnaufen.‘ Aber in Wahrheit willst du ja produktiv sein.“ Am allerliebsten auf der Bühne, wie der Musiker gesteht, was aktuell aber nicht möglich ist. Deshalb hat man die Auftritte kurzerhand via Livestream online verlegt, durchaus erfolgreich: „Wir hatten bis zu 12.000 Aufrufe! Man beackert jetzt halt Kanäle, die man vorher vielleicht eh zu sehr vernachlässigt hat.“ Parallel dazu basteln die Dudes außerdem an einem Austropop-Album „wo jeder zuhause an den Songs feilt.“ Ob ich eine Kostprobe haben kann? Mika lässt sich nicht zweimal bitten, hebt die Gitarre vom Boden auf und schlägt ein paar Akkorde an. Dann gibt es doch ein paar positive Seiten der Pandemie – wann bekomme ich sonst schon ein Privatkonzert? Aber keine Frage, Vollblutkünstler wie Mika gehören so schnell wie möglich wieder auf die Bühne „weil dir diese Energie zum Publikum unglaublich abgeht!“ Und den Fans ergeht‘s umgekehrt nicht anders, weshalb der Slogan einer aktuellen Künstlerkampagne 100%ig zutrifft, den auch Mika zum Abschluss zitiert: „Ohne Kunst und Kultur wird’s still.“
ABSTURZ ODER ABFLUG?
Der Besuch eines Reisebüros kann in Tagen wie diesen durchaus für ein bisschen Feelgood sorgen. Als ich „Gärtner Reisen“ in der Brunngasse betrete, lachen mir von den Wänden malerische Urlaubsbilder im Supersize-Format entgegen – ein Tempel in Myanmar, ein weißer Südseestrand, New York City. Ein leises Ziehen in der Brust macht sich bemerkbar, Reisesehnsucht, die aktuell freilich nur sehr eingeschränkt gestillt werden kann. Die Reisebüros wissen ein Trauerlied davon zu singen. Die Buchungen sind eingebrochen, die diversen Einschränkungen machen Reisen zu einer komplizierten Angelegenheit. Wie zur Bestätigung hängt Geschäftsführer Niclas Wright gerade am Telefon, als ich in sein Büro trete, und betreibt Troubleshooting. Es gilt Flüge für einen Kunden zu checken, der über Dubai anreist, in Italien einen Zwischenstopp einlegt, wo seine Kinder bleiben möchten, während er selbst weiter zurück nach Österreich reist. Drei Länder, drei unterschiedliche Reise- und Coronabestimmungen. „Zum Glück haben wir überall gute und direkte Ansprechpartner“, meint Wright, nachdem er aufgelegt hat, „das macht die Problemlösung einfacher.“ Ich stelle mir jene Gäste vor, die Flug und Hotel privat gecheckt haben und jetzt am Rande des Nervenzusammenbruchs in ewigen Telefonwarteschleifen gefangen sind, weil ein Flug gestrichen oder irgendwo eine neue Reisewarnung aufgepoppt ist. Wer weiß – um etwas Zweckoptimismus für die Reisebüro-Branche zu versprühen – vielleicht bleibt ja als positiver Nebeneffekt der Pandemie, dass wieder mehr Leute übers Reisebüro buchen, um sich diese Nervenschlachten zu ersparen. Wright selbst kann sich in diesem Sinne, wie er meint, ohnedies nicht beklagen „weil wir zu 90% Stammkunden haben.“ Diese halten ihm auch während der Krise die Treue. Stornierungen – wofür ohnedies die Reiseveranstalter einstünden – gebe es kaum, viele hätten ihre Reise einfach auf 2021 umgebucht oder Kreuzfahrten für 2022 fixiert, „wenn hoffentlich wieder alles vorbei ist.“ Geschäftsreisen, die zu einem Kernsegment zählen, hätten zwischenzeitig sogar wieder „ganz gut angezogen.“ Von Normalisierung im eigentlichen Sinne kann freilich keine Rede sein. „Wenn pro Tag eine Person ins Geschäft kommt, ist das schon viel!“, stellt Wright nüchtern fest, weshalb alle 22 Mitarbeiter in Kurzarbeit sind. An diesem Tag sind im Großraumbüro gerade einmal zwei Arbeitsplätze besetzt, die Öffnungszeiten hat man auf drei Stunden pro Tag eingedampft. „Die meisten arbeiten im Homeoffice, was sehr gut funktioniert.“ Jetzt bliebe mehr Zeit für Sachen wie Weiterbildung oder der Entwicklung neuer Geschäftsideen. Ein Kollege etwa tüftelt gerade an einem – „und da sind wir Vorreiter in Österreich“ – neuen direct connecting Tool von Geschäftskunden zu Airlines „so dass diese bessere Konditionen bekommen.“ Auch die Implementierung CO2 neutralen Reisens – indem man im Gegenzug Zertifikate für nachhaltige Investitionen erwirbt – ist ein Ziel, „um diesen Trend unseren Kunden zu ermöglichen.“ Überspitzt formuliert könnte man sagen, man versucht sich bei Laune zu halten, auch wenn die Gesamtsituation aktuell alles andere denn zum Lachen ist. „Im Privatkundenbereich haben wir sicher 85% gegenüber dem Vorjahresgeschäft eingebüßt“, so Wright „bei den Geschäftsreisenden ist es nicht so schlimm, da sind wir in etwa beim Umsatz von 25% gegenüber 2019.“ Also „nur“ minus 75% – werden Österreichs Unternehmer in der Krise demütig? Wright formuliert es stoisch: „Gärtner Reisen gibt es seit 60 Jahren. Wir bauen auf eine gute Grundsubstanz auf. Es gibt halt gute und schlechte Zeiten – jetzt sind wir leider gerade in einer schlechten, aber auch die werden wir überstehen!“ Wozu auch die diversen Programme des Staates beitragen. „Da dürfen wir uns wirklich nicht beschweren in Österreich. In Deutschland etwa gibt’s zwar auch ‚Unterstützung‘, nur da reden wir von Krediten, die zurückgezahlt werden müssen!“ Weniger nachvollziehbar sind ihm dahingegen manch Reisewarnungen. Im sommerlichen Kroatien-Bashing ortet er, wenn man es richtig heraushört, ebenso ein möglicherweise bewusstes Kalkül, wie im Fall „einer komischerweise just drei Wochen vor den Herbstferien aufpoppenden Reisewarnung für die Malediven. Da gibt es aber nur eine betroffene Hauptinsel, wohin du als Tourist gar nicht kommst, weil es direkt vom Flughafen per Boot oder Wasserflugzeug auf eine der 120-150 Nebeninseln geht.“ Ein Manöver, um die Bürger zum Österreich-Urlaub zu bewegen, frage ich suggestiv. „Oder man kennt sich einfach nicht aus. Jedenfalls völlig sinnbefreit – das haut das Geschäft zusammen“, zieht Wright die Stirn in Falten und erzählt aus eigener Erfahrung von einem Apulien-Aufenthalt „wo ich drei Formulare akribisch auszufüllen hatte – die hat mir bis heute niemand abgenommen. Die allgemeine Unsicherheit ist klarerweise wenig einladend, wenngleich Reisen aktuell durchaus seine Reize hat „weil es nicht nur billig ist – die Hotels freuen sich ja über jeden Gast – sondern auch besonders attraktiv: Wann erlebt man schon Venedig mit so wenig Touristen?“ Ach Venedig ...
Meine Reisesehnsucht meldet sich wieder. Als ich das Reisebüro verlasse, fällt mein Blick noch einmal auf den schönen Südseestrand. Keine Frage, es wird endlich Zeit für einen Abflug – und zwar zuallerst jenen des Virus in die ewigen Jagdgründe!
KEINE ZEIT ZU STERBEN
Geschäftsführer Mario Hueber führt uns durchs geschlossene Hollywood Megaplex-Kino im Norden der Stadt. Tausende Quadratmeter gähnende Leere, so als wäre die Katastrophe, Leitmotiv zahlreicher Filme, von der Leinwand ins reale Leben gesprungen. Wir marschieren vorbei an veralteten Filmplakaten und Pappaufstellern, und es fällt einem just das auf, was gar nicht da ist: der Geruch frisch gerösteten Popcorns, die Schlange vor den Kassen, das aufgeregte Gezappel der Kinder. An „Film ab“ ist während des zweiten Lockdowns nicht zu denken, Kinos müssen – wie im Frühling – geschlossen bleiben, eher schießt einem der mulmige Gedanke „The End“ durch den Kopf.
Wir machen Fotos im neuen 4D-Kinosaal. Eine knappe Million Euro hat das Unternehmen erst im Vorjahr dafür locker gemacht – wie die je hereingespielt werden sollen bei geschlossenem Haus? Bislang komme man über die Runden, so Hueber. Keiner der rund 180 Mitarbeiter der Hollywood Megaplex-Gruppe in Österreich musste entlassen werden, die Belegschaft ist in Kurzarbeit. „Einige haben uns aber von sich aus verlassen, weil das geringere Einkommen während der Kurzarbeit für manche schlicht zu wenig ist, um über die Runden zu kommen“, zeigt er Verständnis. Die Abgänge hat man nicht nachbesetzt, so wie es generelle Strategie ist, alles, so weit wie möglich, runterzufahren. Selbst als man wieder öffnen durfte, hat man unter der Woche die Öffnungszeiten reduziert und ist nur am Wochenende Vollbetrieb gefahren. Der war aber ohnedies seit dem Frühling nur in Wellen möglich. „Als etwa im März der erste Lockdown kam, dachten wir ja noch, dass der Spuk nach zwei, drei Wochen erledigt sein wird.“ Ein Trugschluss, wie sich herausstellen sollte: Öffnen durften die Kinos erst wieder per 29. Mai, was in der Branche allerdings im ersten Moment auch nicht für Jubel, sondern vor allem Kopfschütteln sorgte, „weil wir daraus aus den Medien erfahren haben, 24 Stunden vor Inkrafttreten! Aber du kannst ja nicht ohne Vorlauf einfach wieder so aufsperren.“ Bis heute hat Hueber den Eindruck, dass die Regierung oftmals eher auf Verdacht, denn faktenbasiert agiert. Eine klare Strategie kann er nicht erkennen. „Die bräuchten wir aber, um planen zu können. Ganz ehrlich. Mir ist lieber, man sagt gleich, bis März müsst ihr geschlossen halten, wir helfen euch – was ja auch geschieht – dass ihr irgendwie über die Runden kommt, anstatt dass es zunächst noch kalmierend heißt, ein Lockdown ist die allerallerletzte Option, und eine Woche später ist er plötzlich doch da. So kannst du nicht wirtschaften.“
Im Frühjahr improvisierte man, indem man der in Vergessenheit geratenen Idee des Autokinos neues Leben einhauchte, in St. Pölten gemeinsam mit NXP etwa das AutoKunstKino auf die Beine stellte. „Das war schon wichtig – für uns und die Kinofans.“ Und es war ein Erfolg. „Medial hatten wir die größte Resonanz überhaupt in der Geschichte unseres Betriebes, und das Feedback der Besucher war zu 99,9% positiv“, zieht Hueber zufrieden Bilanz. Die prekäre Gesamtsituation der Kinos konnte die Initiative freilich nur teilweise lindern, und spätestens seit der Global Player Cineworld per Oktober seine 600 Spielstätten in den USA und Großbritannien bis auf weiteres geschlossen hat, ist offensichtlich, wie schlimm die Situation wirklich ist – mit weitreichenden Auswirkungen auch auf Österreich. „Cineworld hat in den jeweiligen Ländern einen Marktanteil von 25% bis 30%. Wenn so ein Player ausfällt, macht es auch für die Studios keinen Sinn, neue Filme zu lancieren“, beschreibt Hueber das Dilemma „zumal die Studiobosse in den Corona Hotspots New York und L.A. sitzen. Wenn dort sozusagen die Welt untergeht, wird das für die ganze Welt angenommen.“
Selbst als sich also in Europa die Lage im Sommer zwischenzeitig entspannte, kam man kaum an neue Filmware heran – die Starts der potentiellen Kassenschlager wurden immer wieder verschoben. „Wir versuchen uns derweil mit älteren und vorwiegend europäischen Produktionen über Wasser zu halten, aber Tatsache ist: Ohne die Blockbuster, ohne neue Filme können wir auf lange Sicht nicht überleben“, umreißt Hueber die Situation. Was fatale Folgen auf die Gesamtgesellschaft hätte, wie er überzeugt ist, „denn Kunst und Kultur in all ihren Facetten ist genauso lebensnotwendig wie etwa der Supermarkt! Und eines muss uns schon klar sein“, fügt er ernst hinzu: „Alles, was schließt, schließt für immer!“
Noch ist es aber nicht so weit. Aktuell ruhen alle Hoffnungen der Branche auf dem Start des neuen James Bond Streifens Ende März. Der berühmteste Agent der Welt mit der Lizenz zum Töten muss jetzt also auch noch die Kinobranche an sich retten – seine vielleicht schwierigste Mission bislang. Aber wie lautet der Filmtitel so schön, was wir einmal als positives Omen interpretieren: „Keine Zeit zu sterben“.
BLOOD ON THE DANCEFLOOR
Was machten im Frühling nicht für Gerüchte die Runde: Das La Boom sei in Konkurs. Es sei verkauft worden. Geschäftsführer Andreas Brandstetter verlege sein Fischereigeschäft dorthin etc. „Die skurrilste Geschichte war, dass ich das Excalibur gekauft hätte – diesbezüglich hat mich sogar eine Redakteurin der Ybbser NÖN angerufen“, muss der Gastronom noch heute lachen, auch wenn manches wohl eher zum Weinen ist. Denn geschlossen hat das La Boom natürlich, wie ein Schild auf der Eingangstür verrät, wenngleich man auch Mut macht: „Wir kommen zurück!“
Drinnen wird’s noch trister. Wo sonst Schweiß und Endorphine in der Luft liegen, fette Sounds aus den Boxen wabern und hunderte Tanz- und Kontaktwütige das Leben feiern, „brüllen“ einem Stille und Leere entgegen. Bars und Dancefloor liegen verwaist im Dämmerlicht, alles wirkt – wenn schon nicht tot – so doch wie eingefroren. Anfang März war die La Boom Welt noch heil. Das St. Pöltner Kultlokal war gesteckt voll gewesen, ebenso wie Brandstetters zweite Disco, das Till in Neulengbach. „Bei der Nachbesprechung am Mittwoch darauf waren wir richtig euphorisch“, erinnert sich Brandstetter, bis die Meldung von der „maximal 100 Leute indoor-Regelung“ ins Meeting platzte und die Feierlaune verdarb. „Seitdem, also acht Monaten, haben wir geschlossen“, rechnet der Gastronom vor und gibt sich auch keiner Illusion hin, dass sich daran so schnell etwas ändern könnte. „In Wahrheit – so die Hoffnung – gehen wir von einer Wiederöffnung frühestens im Frühling/Sommer nächsten Jahres aus.“ Dazwischen liegt, doppelt bitter, die „Highseason. Es war heuer schon eigenartig, zu Halloween zuhause zu sitzen im Wissen, dass das LaBoom jetzt voll wäre.“
Tatsächlich hat von den am schlimmsten betroffenen Branchen die Nachtgastronomie die ultimative „Arschkarte“ gezogen. Denn als nach dem ersten Lockdown allmählich wieder gelockert und geöffnet wurde, die Infektionszahlen gegen null gingen, blieb die Sperrstunde dennoch unverändert bei ein Uhr. „Bei uns geht es aber erst so ab halb eins richtig los und es wird dann bis in die frühen Morgenstunden gefeiert“, erläutert Brandstetter das Dilemma „ein Konzept mit Sitzplätzen und anderen Öffnungszeiten wäre daher widersinnig gewesen, weil das La Boom nunmal vom Spaßfaktor und der Party lebt, ein Nachtlokal ist.“
Trotzdem wollte er gegen Ende des Sommers seinen Gästen zumindest so etwas wie eine La Boom-Slim-Version kredenzen und kündigte unter dem Motto „halbtags feiern“ ein Revival an – ausgeklügeltes Sicherheitskonzept inklusive. Alles war angerichtet, die Reservierungstelefone liefen heiß „so dass wir nach nur zwei Tagen komplett ausgebucht waren“, als eine neue Verordnung die Ausschank an Bars untersagte und damit auch diesen Hoffnungsschimmer verblassen ließ. „Schau dir unser Lokal an“, zeigt der Wirt ringsum „das besteht zu 80% aus Bars!“ Schweren Herzens musste er die Veranstaltungsreihe wieder absagen, für die Gäste eine bittere Pille. „Vor allem für die jüngsten Gäste ist der Lockdown eine riesige, auch psychische Belastung. Mit 16 Jahren ist normalerweise die Zeit, wann du erstmals fortgehen darfst, neue Erfahrungen sammelst. Das ist ein wichtiger Entwicklungsprozess. Das fällt jetzt komplett flach – die Jugend verliert ein ganzes Jahr“, ist er überzeugt. Eine Analogie der Teenager ortet er diesbezüglich übrigens mit der quasi gegenüberliegenden Alterskohorte, den Senioren. „Wir betreiben ja auch das ‚Punschkrapferl‘, das während der Lockdowns ebenfalls schließen muss. Dort sind viele ältere Personen Stammgäste, die kommen täglich zu uns, unterhalten sich, haben eine Ansprache – fällt das weg, ist das für viele wirklich schlimm!“ Senioren wie Junge gleichermaßen hätten mit der Isolation und Langeweile besonders zu kämpfen.
Nicht minder gilt dies für die Gastronomie, in der es überhaupt ums Überleben geht: „Natürlich ist die Situation existenzgefährdend, aber wir werden es überstehen“, gibt sich Brandstetter zweckoptimistisch. Nicht nur die solide Grundsubstanz des Unternehmens lässt ihn hoffen, sondern auch die staatlichen Hilfen wie Kurzarbeit und Fixkostenzuschuss. Zudem könne er mit seinem Fischereigeschäft „Monster Fish“ sowie dem „Punschkrapferl“ noch auf weitere Betriebe bauen, „wo wir wenigstens ein bisschen beschäftigt sind.“ Denn das gehe ihm und seinem Team am meisten ab „das gemeinsame Arbeiten.“ Und natürlich die Gäste, denen er Mut zuspricht. „Wir werden es schaffen und hoffentlich 2021 wieder gemeinsam Party feiern!“
Dieses Feiern wird sich dann nach der langen Durststrecke nicht nur süßer und wichtiger denn je anfühlen, sondern es auch tatsächlich sein, weil es eine große Hoffnung zum Ausdruck bringt: Die Krise ist vorüber! Es gibt ein Leben nach Corona!