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St. Pöltens gute Seite

Kreisverkehr

Text Johannes Reichl
Ausgabe 09/2021
Seit Start des MFG Magazins 2004 begleiten wir die Diskussion rund um die S34, und ich gestehe, dass ich mir bis heute kein Urteil anmaße, ob die Schnellstraße nun der richtige oder der falsche Weg ist.
Das hängt vielleicht auch mit einer nicht unmittelbaren Betroffenheit zusammen. Ich wohne am Kremserberg, vermeintlich weit entfernt, wenngleich auch dem Nordwesten dereinst eine Verkehrsdebatte blühen könnte, wenn nach S34 Realisierung die Westspange bis Vie­hofen weitergeführt werden soll. Was ich sagen möchte, und dies ist gar nicht als Vorwurf gemeint, sondern als nüchterner, allzumenschlicher Befund: Es regiert meist das Florianiprinzip „Heiliger St. Florian verschon‘ mein Haus, zünd‘ andere an.“ Wenn sich jetzt etwa Harlander, Stattersdorfer & Co., deren Straßen als B20 Ausweichrouten herhalten müssen, verständlicherweise für den Bau der S34 stark machen und damit Gegner der S34-Gegner auf der anderen Traisenseite sind, so wäre die Konstellation – hätte man den ursprünglichen Plan einer Osttrasse von der Anschlussstelle S33 über Brunn bis Wörth weiter verfolgt – wohl genau umgekehrt. Alle Protagonisten – Anrainer, Bauern, Wirtschaft – haben in der S34-Causa also ihre, wie mir scheint, sehr stichhaltigen und nachvollziehbaren Argumente. Und egal wie die Sache ausgeht – es wird Verlierer geben.
Der Verkehr auf der B20 wird dabei langfristig auch mit der S34 nicht überall weniger, sondern es verhält sich eher so wie in Sachen Erderwärmung: Man versucht den Kollaps – in dem Fall durch Verteilung der Verkehrsströme – zu verhindern. Faktum ist nämlich, dass der zusätzliche Verkehr „hausgemacht“ ist. Der Stadtteil St. Georgen entwickelt sich prächtig, es entsteht viel Wohnbau, was wiederum, wie es so schön heißt, Verkehr induziert. Zugleich wurde mittlerweile auch das Gewerbegebiet Industriezentrum NOE Central aufgeschlossen, in gewisser Weise ehemals ein Vabanquespiel der Stadt, denn wenn die S34 nicht kommt, würde das Areal, für das schon ein eigener Zubringer geschaffen wurde, quasi in der Luft hängen.
Der Grundfokus der Debatte müsste sich also eigentlich um die Frage drehen, wie man den Autoverkehr generell reduziert. Das heißt allen voran, wie man jene, für die es möglich ist – und das sind potenziell viele, weil die B20 parallel zur Traisental-Bahnstrecke verläuft – im wahrsten Sinne des Wortes auf Schiene bringt. Dazu bedarf es dementsprechender Infrastrukturmaßnahmen (zweite Spur, Elektrifizierung), kurzer S-Bahn-Takte, vieler Haltestellen, neuer Wagengarnituren etc. Das kostet viel Geld, keine Frage, aber man erwischt sich schon beim Gedanken, was man in diese Richtung wohl mit 208 Millionen Euro (so viel ist für die S34 veranschlagt) alles anstellen könnte.
Und tatsächlich wurde im Juni angekündigt, dass endlich in die Bahn investiert werden soll, was äußerst positiv wäre. Angesichts salbungsvoller, aber leerer Lippenbekenntnisse diverser Politiker in Vergangenheit hegt man aber noch so seine Zweifel, ob das Versprechen auch hält und vor allem, wann und wie es realisiert wird. Denn eines fragt man sich schon: Warum so spät? Wäre die Politik bereits früher auf den Zug aufgesprungen, würden wir heute vielleicht schon über eine Redimensionierung des S34-Projektes diskutieren können. Hätti-Wari ...
Ein klares Bekenntnis zur unmittelbaren Dringlichkeit des S-Bahn-Ausbaus im NÖ Zentralraum hätte man sich allen voran auch von der grünen Klimaschutz-Ministerin erwartet, stattdessen bekam die Stadt auf eine diesbezügliche Resolution eine weitere Larifari-Antwort ohne konkreten Planungshorizont. Das führt in gewisser Weise aber die gesamte Evaluierung der S34 ad absurdum, denn gar nichts tun ist gar keine Lösung. Und auch der Kanzler liegt mächtig falsch, wenn er in Sachen Umweltschutz treuherzig meint, dass eh alles ohne Verzicht vonstatten gehen wird. Wird es nicht. Zur Mobilitätswende müssen wir alle beitragen. Andernfalls werden wir uns wie bei der S34 weiterhin im Kreis drehen, bis im wahrsten Sinne des Wortes alles steht – nicht nur der Verkehr.