MFG - Who’s Afraid Of The Pirates?
Who’s Afraid Of The Pirates?


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Who’s Afraid Of The Pirates?

Text Johannes Reichl
Ausgabe 06/2012

So ihre Gedanken über die Piraten machen sich nolens volens auch die Stadtpolitiker. Spätestens seit dem Einzug der neuen Kraft ins Innsbrucker Stadtparlament muss bewusst sein, dass es sich nicht nur um ein überregionales Phänomen handelt.

Nach außen hin strahlen St. Pöltens Mandatare Gelassenheit aus. Gefährdet fühlt sich niemand durch die Piraten. Zum einen, wie etwa FP Klubobmann Klaus Otzelberger glaubt, weil „die Piraten im linken Lager fischen“, also ohnedies in dem der Mitbewerber. Zum anderen, wie Bürgermeister Matthias Stadler einräumt, „bei Gemeinderatswahlen schon immer, diverse Listen angetreten sind. Das ist nichts Neues auf Kommunalebene.“ Vizebürgermeister Matthias Adl ortet gerade darin sogar einen Vorteil. „Kommunalpolitiker sind einfach näher am Bürger dran. Und das ist eigentlich schon eine ganz gute Antwort auf eine Bewegung wie die Piraten, die sich anonymer, insbesondere im Netz entfaltet.“
Das heißt aber nicht, dass man die neue Gruppierung nicht ernst nimmt, wie die grüne Frontfrau Nicole Buschenreiter klarstellt. „Als politisch interessierte Bürgerin haben auch politische Mitbewerber meine Aufmerksamkeit.“ Dennoch, und dieses Mantra beten alle Parteien, konzentriere man sich primär auf die eigene Partei. „Die Grünen werden weiterhin ihre Anliegen – Umwelt, Partizipation, Nachhaltigkeit – vertreten.“ Otzelberger argumentiert in seltener Übereinstimmung ähnlich: „Die FPÖ wird weiterhin konsequent den eingeschlagenen Weg weitergehen. Da wir die Bürger ernst nehmen und uns deren Sorgen und Problemen widmen, sind wir auch erfolgreich.“
Damit schneidet er zugleich eine der naheliegenden Wurzeln des „Phänomens Piraten“ an, dass sich nämlich viele Bürger von den „Altparteien“ vielfach nicht mehr ernst genommen fühlen. „Nichts ist derzeit frustrierender, als die Reaktion der etablierten Politik auf Krisen aller Art. Nur logisch, wenn da Bewegungen weltweit neu entstehen“, ist Buschenreiter überzeugt.
Matthias Stadler wiederum ortet eine gewisse Vielschichtigkeit des Phänomens. Zum einen speise es sich aus der aktuellen Transparenz- und Korruptionsdebatte in Österreich selbst, zum anderen „geht es aber auch um eine generelle Zeitströmung, der Forderung nach uneingeschränkter Freiheit und Transparenz.“ Diesbezüglich würden zwei Ansätze aufeinanderprallen: Einerseits, wie es die Piraten als praktisch einzigem Programmpunkt fordern, die völlige Freiheit im Netz, „auf der anderen Seite stellen sich aber ebenso Fragen wie jene nach geistigem Eigentum, Cyberkriminalität u. ä.“ Fragen, die nicht mehr an Ländergrenzen enden, „sondern nur durch ein weltweites Regelwerk gelöst werden könnten.“ Und genau das bringe die etablierte Politik auf Nationalebene unter Druck. Allerdings auch, wie Adl überzeugt ist, die Piraten selbst. „Die totale Transparenz ist halt nicht so einfach, wie die Streitigkeiten innerhalb der Piraten über den Umgang mit persönlichen Daten ihrer Vertreter gezeigt haben. Es stimmt sicher, dass die etablierten Parteien ihre eigenen Strukturen hinterfragen müssen, aber umgekehrt zeigt sich, dass es ganz ohne Strukturen eben auch nicht geht.“ Und die Theorie, so ist Bürgermeister Stadler überzeugt, sei halt ein anderes Paar Schuhe als die Realität. „Jetzt gibt es einen Hype, aber letztlich werden auch solche Strömungen daran gemessen werden, welches Programm sie umsetzen.“
Matthias Adl setzt die Ursprünge des aktuellen Hypes tiefschwelliger an. „Wenn ich im Umgang mit politischen Parteien negative Erfahrungen mache, werde ich eher geneigt sein, Bewegungen wie den Piraten näherzutreten.“ Deshalb sei Gebot der Stunde eine Bewegung der Parteien auf die Wähler zu, Teilhabe, persönliche Gespräche. „Da können sich die Bundespolitiker durchaus ein Scheiberl von der Kommunalpolitik abschneiden.“
Damit befindet man sich aber auch direkt im Fahrwasser der aktuellen Generaldebatte um „mehr Demokratie“. Nicole Buschenreiter hat diesbezüglich ganz konkrete Vorstellungen. „Ich persönlich bin für eine radikale Reform des österreichischen Staatswesens: Weg mit den neun Landesgesetzgebungen, mehr klare nationale Zielvorgaben in allen Politikbereichen, dafür größtmögliche Subsidiarität in allen Belangen – Stichwort Schulautonomie. Weiters Bürgerforen sowie Volksbefragungen auf Gemeindeebene zu wesentlichen Themen. Und mehr direkte Demokratie.“ Die „Patenschaft“ für letztere reklamiert quasi Klaus Otzelberger für seine Partei. „Die FPÖ tritt schon seit langem für mehr direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild ein.“
Dem widerspricht auch nicht Matthias Adl, wenngleich er relativiert. „Es wird ja gerne unser Nachbar Schweiz zitiert. Nur dort gibt es ebenfalls Parteien! Ich denke, wir brauchen von beidem etwas, darauf läuft es letztlich hinaus, und damit hätten die Piraten, selbst wenn es sie dann vielleicht gar nicht mehr geben mag, jedenfalls ihren Dienst an der Demokratie getan!“