THOMAS AIGNER: Alles ist Geschichte
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Als Kind wollte Thomas Aigner eigentlich Privatdetektiv werden, „das war mir dann aber doch zu gefährlich“, lacht er. Stattdessen verschlug es ihn in einen gar nicht so artfremden Beruf: Er wurde Leiter des Diözesanarchivs St. Pölten.
Wie sind Sie eigentlich dazugekommen, Ihre Nase quasi vertiefend in die Geschichte zu stecken und Archivar zu werden?
Das Interesse war im Grunde genommen schon früh da – bereits während der Gymnasialzeit habe ich mich für Heimatgeschichte begeistert, insbesondere das bei uns situierte Kloster (Klein) Mariazell in Österreich hat mich fasziniert. Im Zuge dessen kam ich auch früh in Berührung mit alten Dokumenten, für die ich alsbald große Interesse entwickelte. Nach der Schule war dann klar, dass ich Geschichte studiere, zudem absolvierte ich den sogenannten Archivarkurs am Institut für Österreichische Geschichtsforschung.
Das Interesse war im Grunde genommen schon früh da – bereits während der Gymnasialzeit habe ich mich für Heimatgeschichte begeistert, insbesondere das bei uns situierte Kloster (Klein) Mariazell in Österreich hat mich fasziniert. Im Zuge dessen kam ich auch früh in Berührung mit alten Dokumenten, für die ich alsbald große Interesse entwickelte. Nach der Schule war dann klar, dass ich Geschichte studiere, zudem absolvierte ich den sogenannten Archivarkurs am Institut für Österreichische Geschichtsforschung.
Und landeten 1995 schließlich in St. Pölten. War das damals wie die Erfüllung eines Wunschtraumes?
Absolut, zumal dem damaligen Weihbischof Fasching das Archiv ein besonderes Anliegen war! In seine Zeit fällt auch die Übersiedlung in das neue Gebäude in der Klostergasse, und auch der Bischof hat die Institution immer gefördert. Das Diözesanarchiv St. Pölten ist ja wahrlich ein Paradies – es umfasst 424 Pfarrarchive, dann das Diözesanarchiv vorort sowie den herrlichen Bestand der alten Bibliothek aus dem 18. Jahrhundert! Und es deckt einen großen Raum ab, der nicht nur das Mostviertel, sondern auch das gesamte Waldviertel umfasst. Die Bestände reichen bis ins neunte Jahrhundert zurück!
Absolut, zumal dem damaligen Weihbischof Fasching das Archiv ein besonderes Anliegen war! In seine Zeit fällt auch die Übersiedlung in das neue Gebäude in der Klostergasse, und auch der Bischof hat die Institution immer gefördert. Das Diözesanarchiv St. Pölten ist ja wahrlich ein Paradies – es umfasst 424 Pfarrarchive, dann das Diözesanarchiv vorort sowie den herrlichen Bestand der alten Bibliothek aus dem 18. Jahrhundert! Und es deckt einen großen Raum ab, der nicht nur das Mostviertel, sondern auch das gesamte Waldviertel umfasst. Die Bestände reichen bis ins neunte Jahrhundert zurück!
Hat man damit nicht die Geschichte – da es doch heißt, dass diese früher v.a. von Klöstern festgehalten wurde – quasi ganz unmittelbar am Rockzipfel?
Das halte ich eher für einen Topos: Zwar waren Kirchen und Klöster, v.a. im Mittelalter, sicher DIE Hauptträger von Geschichtsschreibung, aber es gab sehr wohl auch schon damals weltliche Kanzleien, die ebenso Handschriften, Aufzeichnungen, Urkunden etc. ausstellten. Und darum geht es letztlich: um Verwaltung. Archive dienten der Rechtssicherheit, das ist ihre ursprünglichste Bestimmung. Es ging um An- und Verkäufe, Besitz, Taufen, Hochzeiten etc. – all dies wurde auf Urkunden, auf Zetteln festgehalten und gesammelt, und so entstanden die Archive. Der „Vorteil“ bzw. der Unterschied kirchlicher und klösterlicher Archive gegenüber weltlichen besteht nur darin, dass sie eine größere Kontinuität aufweisen. Für St. Pölten, das ja zuvor bereits zum Bistum Passau zählte, geht die durchgehende Geschichtsschreibung daher bis ins achte Jahrhundert zurück. Ähnliches gilt etwa für Stift Göttweig oder Stift Melk. Weltliche Archive und deren Bestand gingen hingegen vielfach verloren, etwa wenn die Güter ihre Besitzer wechselten oder ganze Geschlechter ausstarben. Im privaten Bereich ist dies ja nicht anders – irgendwann schmeißen die Erben die alten Dokumente in der Regel weg, wobei wir heute versuchen, gerade auch solche Zeitzeugnisse zu bewahren: Denn was verloren geht, das ist verloren!
Das halte ich eher für einen Topos: Zwar waren Kirchen und Klöster, v.a. im Mittelalter, sicher DIE Hauptträger von Geschichtsschreibung, aber es gab sehr wohl auch schon damals weltliche Kanzleien, die ebenso Handschriften, Aufzeichnungen, Urkunden etc. ausstellten. Und darum geht es letztlich: um Verwaltung. Archive dienten der Rechtssicherheit, das ist ihre ursprünglichste Bestimmung. Es ging um An- und Verkäufe, Besitz, Taufen, Hochzeiten etc. – all dies wurde auf Urkunden, auf Zetteln festgehalten und gesammelt, und so entstanden die Archive. Der „Vorteil“ bzw. der Unterschied kirchlicher und klösterlicher Archive gegenüber weltlichen besteht nur darin, dass sie eine größere Kontinuität aufweisen. Für St. Pölten, das ja zuvor bereits zum Bistum Passau zählte, geht die durchgehende Geschichtsschreibung daher bis ins achte Jahrhundert zurück. Ähnliches gilt etwa für Stift Göttweig oder Stift Melk. Weltliche Archive und deren Bestand gingen hingegen vielfach verloren, etwa wenn die Güter ihre Besitzer wechselten oder ganze Geschlechter ausstarben. Im privaten Bereich ist dies ja nicht anders – irgendwann schmeißen die Erben die alten Dokumente in der Regel weg, wobei wir heute versuchen, gerade auch solche Zeitzeugnisse zu bewahren: Denn was verloren geht, das ist verloren!
Archive haben sich extrem gewandelt: Vielfach hat man – wohl durch Filme wie „Im Namen der Rose“ verankert – den Mönch vor Augen, der per Hand Chroniken verfasst. Die wohl wertvollsten Bände?
Natürlich, ganz einfach weil es im 11./12./13. Jahrhundert prinzipiell noch gar nicht so viele Schriften gab. Es wurde noch aufwendig auf kostbares Pergament geschrieben, vorher noch auf sogenannte Wachstafeln. Die Massenüberlieferung setzte erst mit dem 15. Jahrhundert ein, also mit der Einführung des Papiers sowie des Buchdrucks. Dies war eine absolute Revolution, ähnlich wie wir sie gerade mit der Digitalisierung erleben.
Natürlich, ganz einfach weil es im 11./12./13. Jahrhundert prinzipiell noch gar nicht so viele Schriften gab. Es wurde noch aufwendig auf kostbares Pergament geschrieben, vorher noch auf sogenannte Wachstafeln. Die Massenüberlieferung setzte erst mit dem 15. Jahrhundert ein, also mit der Einführung des Papiers sowie des Buchdrucks. Dies war eine absolute Revolution, ähnlich wie wir sie gerade mit der Digitalisierung erleben.
Womit wir in der Gegenwart gelandet sind. Hätten Sie eine solche Revolution, als Sie 1995 am Archiv begannen, für möglich gehalten?
Nein, das war absolut nicht vorhersehbar. Bei den ersten Scans, die ich machte, dachte ich mir noch, was soll das – ich hab doch ohnedies die Originale zur Verfügung? Heute muss ich sagen: Digitalisierung ist ein Wahnsinn im positiven Sinne! Der Nutzer sucht nicht mehr nach Zetteln, sondern nach Daten – das muss gut organisiert werden, weshalb dem Informationsmanagement eine ganz wichtige Rolle zukommt. Das Tolle ist, dass man die jeweiligen Datensätze mit weiteren, verwandten verknüpfen kann – und zwar nicht nur innerhalb der Institution, sondern auch mit jenen anderer Häuser! Dadurch werden die sozusagen ehemals isolierten Inseln global vernetzt, jedes kleine Archiv kann mitintegriert werden. Ein banales Beispiel: Ein Waldviertler muss heute nicht mehr nach St. Pölten ins Archiv kommen, um zu forschen, sondern macht es daheim vom Computer aus. Und er findet unter seinem Schlagwort vielleicht nicht nur Dokumente, die sagen wir in St. Pölten liegen, sondern auch den Hinweis, dass es welche auch in Oberwölbling oder in Prag gibt. Noch angenehmer wird es für Menschen aus anderen Ländern. Ein US-Bürger kann heute von zuhause aus über seine niederösterreichischen Ahnen forschen. Zudem kommt es zu einer stärkeren Vernetzung der User untereinander!
Nein, das war absolut nicht vorhersehbar. Bei den ersten Scans, die ich machte, dachte ich mir noch, was soll das – ich hab doch ohnedies die Originale zur Verfügung? Heute muss ich sagen: Digitalisierung ist ein Wahnsinn im positiven Sinne! Der Nutzer sucht nicht mehr nach Zetteln, sondern nach Daten – das muss gut organisiert werden, weshalb dem Informationsmanagement eine ganz wichtige Rolle zukommt. Das Tolle ist, dass man die jeweiligen Datensätze mit weiteren, verwandten verknüpfen kann – und zwar nicht nur innerhalb der Institution, sondern auch mit jenen anderer Häuser! Dadurch werden die sozusagen ehemals isolierten Inseln global vernetzt, jedes kleine Archiv kann mitintegriert werden. Ein banales Beispiel: Ein Waldviertler muss heute nicht mehr nach St. Pölten ins Archiv kommen, um zu forschen, sondern macht es daheim vom Computer aus. Und er findet unter seinem Schlagwort vielleicht nicht nur Dokumente, die sagen wir in St. Pölten liegen, sondern auch den Hinweis, dass es welche auch in Oberwölbling oder in Prag gibt. Noch angenehmer wird es für Menschen aus anderen Ländern. Ein US-Bürger kann heute von zuhause aus über seine niederösterreichischen Ahnen forschen. Zudem kommt es zu einer stärkeren Vernetzung der User untereinander!
Das heißt die Wissenschaft ist gar nicht der „Hauptkunde“, sondern eher Private?
Wir sind ein öffentliches Archiv und machen keinen Unterschied zwischen Privatperson und Wissenschaftler, wobei die historische Forschung an sich – das sei auch betont – gar nicht unsere oberste Priorität ist. Als Archiv geht es eher darum, für die Zugänglichkeit und Verwahrung von Informationen zu sorgen – in diesem Sinne unterstützen wir die Wissenschaft bei ihrer Arbeit bzw. eben auch den privaten Nutzer. Tatsächlich macht Ahnenforschung heute sicher den größten Teil der Abfragen aus, und es ist für die Nachfahren mit großen Glücksmomenten verbunden, wenn man etwas findet.
Wir sind ein öffentliches Archiv und machen keinen Unterschied zwischen Privatperson und Wissenschaftler, wobei die historische Forschung an sich – das sei auch betont – gar nicht unsere oberste Priorität ist. Als Archiv geht es eher darum, für die Zugänglichkeit und Verwahrung von Informationen zu sorgen – in diesem Sinne unterstützen wir die Wissenschaft bei ihrer Arbeit bzw. eben auch den privaten Nutzer. Tatsächlich macht Ahnenforschung heute sicher den größten Teil der Abfragen aus, und es ist für die Nachfahren mit großen Glücksmomenten verbunden, wenn man etwas findet.
Und was sind die Glücksmomente im Leben eines Archivars – die Arbeit stellt man sich ja ein bisserl verstaubt und einsam vor?
Am aufregendsten sind Funde, mit denen man so nicht rechnet. Nehmen wir Klein Mariazell, das mich ja schon als Kind begeisterte. Als ich hier in St. Pölten meine Arbeit begann, standen auf einem Kasten in meinem Büro vier Schachteln, die mich zunächst nicht sonderlich interessiert haben. Monatelang sind sie so dagestanden, bis ich eines Tages mal raufgeklettert bin, um nachzusehen, was drinnen ist. Und was finde ich? Verschollen geglaubte Akten über Klein Mariazell aus dem 16. Jahrhundert! Das war schon fast schicksalhaft, weshalb ich in Folge auch, obwohl ich das ursprünglich gar nicht vorgehabt hatte, über Klein Mariazell meine Dissertation schrieb. Und solche Erlebnisse hast du immer wieder einmal, wenn etwa auf alten Dachböden verschollene Dokumente auftauchen oder in einem alten Pfarrhof, wie mir ebenfalls einmal passiert – in einer unscheinbaren Bonbonniere Schachtel plötzlich eine Urkunde aus dem 13. Jahrhundert schlummert. Das sind schon absolute Sternstunden!
Am aufregendsten sind Funde, mit denen man so nicht rechnet. Nehmen wir Klein Mariazell, das mich ja schon als Kind begeisterte. Als ich hier in St. Pölten meine Arbeit begann, standen auf einem Kasten in meinem Büro vier Schachteln, die mich zunächst nicht sonderlich interessiert haben. Monatelang sind sie so dagestanden, bis ich eines Tages mal raufgeklettert bin, um nachzusehen, was drinnen ist. Und was finde ich? Verschollen geglaubte Akten über Klein Mariazell aus dem 16. Jahrhundert! Das war schon fast schicksalhaft, weshalb ich in Folge auch, obwohl ich das ursprünglich gar nicht vorgehabt hatte, über Klein Mariazell meine Dissertation schrieb. Und solche Erlebnisse hast du immer wieder einmal, wenn etwa auf alten Dachböden verschollene Dokumente auftauchen oder in einem alten Pfarrhof, wie mir ebenfalls einmal passiert – in einer unscheinbaren Bonbonniere Schachtel plötzlich eine Urkunde aus dem 13. Jahrhundert schlummert. Das sind schon absolute Sternstunden!
Nun gibt es Menschen, die auch meinen, „Wozu brauch ma des?“ Was halten Sie denen entgegen?
Dass es einfach wichtig ist zu wissen, wo man her kommt, um sich – auch seelisch – zu verorten. Hierfür stellen Archive eine unabdingbare Einrichtung dar, weil im Grunde genommen darin das Gedächtnis der Menschheit überliefert ist. Und was wäre der Mensch ohne Gedächtnis, ohne Geschichtswissen? Geschichte ist das Fundament, auf dem wir stehen. Alles ist Geschichte!
DIÖZESANARCHIV
Das Diözesanarchiv St. Pölten verwahrt das Schriftgut aus der Verwaltung der Diözese, deren Dekanaten und Pfarren und bezieht sich auf das heutige Diözesangebiet, also den westlichen Teil Niederösterreichs (Wald- und Mostviertel). Die dem Archiv angeschlossene Diözesanbibliothek beinhaltet Handschriften und gedruckte Werke vom Beginn des 13. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Das älteste Stück ist ein Fragment aus dem neunten Jahrhundert, weitere herausragende Exponate sind u.a. eine Bibelhandschrift aus dem 13. Jahrhundert, ein Exemplar der Schedelschen Weltchronik, die Errichtungsbulle des Bistums Wiener Neustadt (1469) oder die Urkunde zur Ernennung des späteren Kardinals Dr. Franz König zum Bischof Koadjutor von St. Pölten (1952), die Eintragungen der Taufen von Egon Schiele und Kaiser Karl I., oder der Hochzeit von Jakob Prandtauer.
Weitere Infos unter www.dasp.at
Dass es einfach wichtig ist zu wissen, wo man her kommt, um sich – auch seelisch – zu verorten. Hierfür stellen Archive eine unabdingbare Einrichtung dar, weil im Grunde genommen darin das Gedächtnis der Menschheit überliefert ist. Und was wäre der Mensch ohne Gedächtnis, ohne Geschichtswissen? Geschichte ist das Fundament, auf dem wir stehen. Alles ist Geschichte!
DIÖZESANARCHIV
Das Diözesanarchiv St. Pölten verwahrt das Schriftgut aus der Verwaltung der Diözese, deren Dekanaten und Pfarren und bezieht sich auf das heutige Diözesangebiet, also den westlichen Teil Niederösterreichs (Wald- und Mostviertel). Die dem Archiv angeschlossene Diözesanbibliothek beinhaltet Handschriften und gedruckte Werke vom Beginn des 13. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Das älteste Stück ist ein Fragment aus dem neunten Jahrhundert, weitere herausragende Exponate sind u.a. eine Bibelhandschrift aus dem 13. Jahrhundert, ein Exemplar der Schedelschen Weltchronik, die Errichtungsbulle des Bistums Wiener Neustadt (1469) oder die Urkunde zur Ernennung des späteren Kardinals Dr. Franz König zum Bischof Koadjutor von St. Pölten (1952), die Eintragungen der Taufen von Egon Schiele und Kaiser Karl I., oder der Hochzeit von Jakob Prandtauer.
Weitere Infos unter www.dasp.at