Nicht anders
Ausgabe
Erinnern Sie sich noch an den Slogan „Wien ist anders“? Jahrelang hechelte St. Pölten dieser Doktrin hinterher. Auch wir wollten „anders“, also wichtig, besonders sein. In einem Anflug von Ironie ließ ein origineller Kopf damals Pickerl unters Volks bringen, die den Passauer Wolf (unser Wappentier, einen St. Pöltner Wolf gibt es nicht) vor der Silhouette des Rathausplatzes zeigen, wie er gerade seinen Mantel lüftet. Darüber stand vielsagend: „St. Pölten ist ganz anders!“ Eine „Imagekampagne“, die bei mir – und ich war damals ein kleiner Stöpsel – bis heute hängen geblieben ist. Übrigens im Unterschied zu allem, was danach von offizieller Seite gekommen ist: zu bieder, zu brav, zu aufgesetzt. Dabei läge manches so nahe. „St. Pölten – Willkommen in der Provinz!“ „St. Pölten – Österreichs größtes Landeshauptdorf“ (© Wagner), „Wir sind klein, na und?!“ oder schlicht „St. Pölten ist nicht anders!“ Zu Glanzstoffzeiten hätte auch ein „St. Pölten – stinknormal!“ wunderbar gepasst. Um mich nicht falsch zu verstehen. Ich meine die Vorschläge alle ernst, weil sie wunderbar selbstironisch sind, Aufmerksamkeit erzielten und v.a. eines ausdrückten: Wir stehen dazu!
St. Pölten ist nicht anders, außergewöhnlich. Wir sind braver Durchschnitt. Welchem Wahn entspringt unser Minderwertigkeitskomplex, den wir so auffällig darunter leidend zur Schau tragen, dass selbst die ausländischen Journalisten im Zuge des Fritzl-Prozesses irgendwann entnervt wissen wollten: „Warum fragt ihr eigentlich immer, wie wir euch finden?“ Noch nie waren sie so ausgeprägt unausgeprägtem Selbstbewusstsein begegnet, und die Damen und Herren kommen auf der ganzen Welt herum.
Exemplarisch: Wir rühmen uns z. B. nicht der ersten, sondern der zweiten Fußgängerzone – und erzählen das auch noch bei Stadtführungen! Das ist schon wieder so skurril, dass man auch daraus einen treffenden Slogan basteln könnte: „Willkommen in der Stadt mit Österreichs zweitältester Fußgängerzone!“
St. Pölten war nie vorne mit dabei, aber immer mittendrin. Von uns gingen nie historische Umwälzungen oder Geistesströmungen aus, aber alle kamen hier an. Kelten, Römer, Bauernkriege (auf Seiten des Kaisers, nicht etwa der Revoluzzer), Franzosen, Bürgerkrieg, erster Weltkrieg, zweiter Weltkrieg, Widerstand, Judenverfolgung, Russenbesatzung, Befreiung, Wiederaufbau. „Wir sind alle“, könnte man frei nach der aktuellen Orange-Werbung sagen. St. Pölten ist die österreichischste Stadt der Republik, in unserem weit über 850 Jahre alten Antlitz spiegelt sich die gesamte Historie der Nation wieder. Warum gefällt uns aber die Orange-Botschaft, wenn wir sie im Fernsehen sehen, erschreckt uns jedoch, wenn wir uns selbst als das erkennen müssen, was wir sind: Nicht anders. Alle.
Wahrscheinlich hat es (auch) mit 1986 zu tun. Landeshauptstadt. Das war Fluch und Segen zugleich. Der Entwicklungsschub ist unübersehbar. Wir könnten, nein müssten gelassen, ja dankbar dafür sein! Gleichzeitig fühlten wir uns aber mit einem Mal verunsichert. Plötzlich waren wir wer, bzw. sollten wer sein, bzw. glaubten, wer sein zu müssen. Das macht gehörig Druck. Die Folge: Identitätsverwirrung, Überkompensation. Wir benehmen uns seither wie ein kleines Kind, das sich unentwegt produziert und nach Liebe und Anerkennung heischt: „Schau, das hab ich gemacht, und das, und das...“ und DAS nervt! Nach über 20 Jahren Hauptstadt sollten wir endlich erwachsen werden, und wissen wer wir sind: Schlicht und einfach St. Pölten. Andere mögen Bruckner, Mozart, Haydn oder Bachmann haben, wir haben Huber, Mayer und Müller. Ist doch nicht schlecht! Lösen wir also endlich die mentale Bremse im Kopf, dann können wir nämlich losfahren. Und zwar ganz entspannt – wie alle anderen auch!
St. Pölten ist nicht anders, außergewöhnlich. Wir sind braver Durchschnitt. Welchem Wahn entspringt unser Minderwertigkeitskomplex, den wir so auffällig darunter leidend zur Schau tragen, dass selbst die ausländischen Journalisten im Zuge des Fritzl-Prozesses irgendwann entnervt wissen wollten: „Warum fragt ihr eigentlich immer, wie wir euch finden?“ Noch nie waren sie so ausgeprägt unausgeprägtem Selbstbewusstsein begegnet, und die Damen und Herren kommen auf der ganzen Welt herum.
Exemplarisch: Wir rühmen uns z. B. nicht der ersten, sondern der zweiten Fußgängerzone – und erzählen das auch noch bei Stadtführungen! Das ist schon wieder so skurril, dass man auch daraus einen treffenden Slogan basteln könnte: „Willkommen in der Stadt mit Österreichs zweitältester Fußgängerzone!“
St. Pölten war nie vorne mit dabei, aber immer mittendrin. Von uns gingen nie historische Umwälzungen oder Geistesströmungen aus, aber alle kamen hier an. Kelten, Römer, Bauernkriege (auf Seiten des Kaisers, nicht etwa der Revoluzzer), Franzosen, Bürgerkrieg, erster Weltkrieg, zweiter Weltkrieg, Widerstand, Judenverfolgung, Russenbesatzung, Befreiung, Wiederaufbau. „Wir sind alle“, könnte man frei nach der aktuellen Orange-Werbung sagen. St. Pölten ist die österreichischste Stadt der Republik, in unserem weit über 850 Jahre alten Antlitz spiegelt sich die gesamte Historie der Nation wieder. Warum gefällt uns aber die Orange-Botschaft, wenn wir sie im Fernsehen sehen, erschreckt uns jedoch, wenn wir uns selbst als das erkennen müssen, was wir sind: Nicht anders. Alle.
Wahrscheinlich hat es (auch) mit 1986 zu tun. Landeshauptstadt. Das war Fluch und Segen zugleich. Der Entwicklungsschub ist unübersehbar. Wir könnten, nein müssten gelassen, ja dankbar dafür sein! Gleichzeitig fühlten wir uns aber mit einem Mal verunsichert. Plötzlich waren wir wer, bzw. sollten wer sein, bzw. glaubten, wer sein zu müssen. Das macht gehörig Druck. Die Folge: Identitätsverwirrung, Überkompensation. Wir benehmen uns seither wie ein kleines Kind, das sich unentwegt produziert und nach Liebe und Anerkennung heischt: „Schau, das hab ich gemacht, und das, und das...“ und DAS nervt! Nach über 20 Jahren Hauptstadt sollten wir endlich erwachsen werden, und wissen wer wir sind: Schlicht und einfach St. Pölten. Andere mögen Bruckner, Mozart, Haydn oder Bachmann haben, wir haben Huber, Mayer und Müller. Ist doch nicht schlecht! Lösen wir also endlich die mentale Bremse im Kopf, dann können wir nämlich losfahren. Und zwar ganz entspannt – wie alle anderen auch!