Vanillepudding zur Lektüre
Ausgabe
Manfred Wieninger ist keiner, der groß auf die Pauke haut – hat er auch nicht notwendig. Denn während manch anderer „Schriftsteller“ am Egotrip wandelt, arbeitet Wieninger lieber und hat sich damit klammheimlich in die Oberliga der österreichischen Autorenschaft geschrieben.
Wir treffen den Schriftsteller beim Griechen, wohin er offensichtlich alle Journalisten bestellt. „Mit dem Wieninger machst ein Interview? Da geht’s ihr sicher ins Rhodos!“, meinte sodenn ein befreundeter Journalist im Vorfeld. Und genau so ist es. Pünktlich um 11.45 Uhr finden wir uns dort zum Mittagstisch ein. „Das ist irgendwie mein Ersatzgriechenland hier. Seit meiner Maturareise schwärm ich von dem Land, wenn ich auch nie wieder hingekommen bin“, erklärt Wieninger sein grecophiles Faible und nimmt einen Schluck Samos. „Der ist aber nix für jedermann. Ein sehr süßer Wein. Grünen Veltliner und Riesling mag ich aber nicht. Die sind mir viel zu sauer!“ Dabei ist es nicht so, dass der Autor, der etwa auch Reiseberichte für die ZEIT verfasst, nicht in der Weltgeschichte herumkommt „aber meine Destinationen sind jene Orte, die ich im Zuge der Lesereisen besuche oder wohin ich meine Frau bei ihren wissenschaftlichen Forschungen begleite.“ Das schwankt dann je nachdem zwischen brasilianischem Urwald, wo Gattin Christiane eine österreichische Sprachinsel entdeckt hat, oder seinen Vortragsstopps in Städten wie Dresden, Bukarest oder zuletzt Singen in Bayern, wo Wieninger bei der Criminale, dem größten deutschsprachigen Kriminalfestival als Autor geladen war. „Das Festival veranstaltet das Syndikat, eine Sammelbewegung von Krimifans. Im letzten Jahr waren wir in Wien – das war ganz witzig, weil wir da u. a. von der WEGA auf einen Schießstand eingeladen wurden.“ Und so ballerten ca. 200 Krimiautoren Dirty Harry like mit 45’er Colts, STG 77 oder abgeschnittenen Pump Guns um sich. Frontrecherche quasi. „Ich bin alles andere denn ein Waffennarr, aber es war witzig, mal die ganzen Klischees gebrochen zu sehen, von wegen man schießt so lockerflockig einen 45’er einhändig aus der Hüfte. Der fliegt dir bestenfalls über den Kopf“, lacht Wieninger. Das Schießen offenbarte ihm aber auch einen Bruch der Geschlechterrollen. „Wir bekamen sieben Schuss Munition. Nach dem Abfeuern tat mir meine Schulter weh. Meine Frau hingegen bat den Instruktor, ob er ihr nochmals nachladen kann!“ Verkehrte Welt? So wie sie in Wieningers Büchern unentwegt durchschimmert. Nichts ist, wie man glaubt... und ohne es zu wollen, sind wir schon bei Krimis und Schießeisen gelandet, dabei wollten wir es ja quasi langsam angehen.
Harland
Also zurück zum Start, bevor wir uns – mit Wieningers Romankulisse „angesaugt“ – gänzlich selbst auf den Leim gehen und die fiktive Welt auf die reale projizieren. Unter diesem Aspekt wäre nämlich auch anstatt des Griechen ein Treffen in einem abgeschmuddelten Tankstellen-Café, die in Wieningers Romanen immer wieder Schauplatz sind, schlüssiger gewesen. Oder beim Würstlstand. Jene Tschecherl mit zwielichtigen bis gescheiterten Existenzen, die am Rand der Kleinstadt liegen, jenem Mikrokosmos, wo Wieninger seine Geschichten verortet und damit eine völlig neue Kulisse in die deutschsprachige Krimi-Literatur eingeführt hat. „Krimis spielen für gewöhnlich ja entweder in der Großstadt oder am Land. Ich hingegen hab versucht, mich dazwischen zu positionieren, wollte einen Provinzroman schreiben – über die Vororte mit ihren Ausfallsstraßen, ihren irrwitzigen Fachmarktzentren, den vielen Stilen nebeneinander, wo die Bewohner keine Bauern sind, aber auch nichts mit den Bürgern des 1. Wiener Bezirks gemein haben, sondern wo sich suburbane Gestalten herumtreiben, diese ganz eigene prekäre Mischung.“ Kurzum, Wieninger schreibt, wie man unschwer schließen kann, über seine Heimatstadt. Dass St. Pölten dabei zum fiktiven Städtchen „Harland“ mutiert, hat vor allem mit der Erzählökonomie zu tun. „Man braucht schon allein aus kompositorischen Gründen eine geänderte Topographie. So kann sich kein pingeliger Leser beklagen, dass etwas ‚falsch’ verortet ist. Ich habs mir sozusagen einfach gemacht“, lächelt der Autor unschuldig, und fügt hinzu: „Aber natürlich ist Harland zu – ich schätze einmal – 80% St. Pölten. Die Hauptstadt ist nicht so urban, sie ist aber auch nicht so ländlich. Hier kenne ich mich aus. Hier kann ich auf einen großen Fundus aus Anekdoten und Geschichte zurückgreifen, auch wenn das meiste in den Büchern natürlich erfunden ist.“ Und es ist eine Stadt, die ganz kommod ist: „Ich leb‘ ja sozusagen selbst in der nördlichen Vorstadt – und ich leb gern dort! Ich würde mit nichts und niemandem tauschen, will weder einen Bauernhof in Karlstetten noch eine Wohnung am Wiener Kohlmarkt!“
Kindheit
In diesem St. Pölten, und damit lösen wir uns kurzzeitig aus dem literarischen Kontext, wird Wieninger 1963 geboren. Nicht im Norden, „sondern im Süden. Dabei hab ich einen exotischen Hintergrund, weil meine Familie eigentlich aus Eggenburg kommt – wir gehören sozusagen zur Weinviertler Diaspora.“
In St. Pölten wächst er mit seinem Bruder und seiner Schwester in einem, wie man herauszuhören meint, behüteten Elternhaus auf. Der Vater arbeitet bei der Gebietskrankenkasse, die Mama ist Hausfrau. Manfreds liebstes Hobby ist „Kicken bis zum Umfallen auf der benachbarten Traisenwiese, also quasi auf der ehemaligen Mülldeponie, die dort früher war.“ Zumindest bis ins Alter von 15 Jahren, „dann haben sich die Vorlieben verändert, wurde das weibliche Geschlecht interessant.“ Literatur, wie man sich vielleicht klischeehaft ausmalt, spielt im Wieninger Haushalt hingegen keine großartige Rolle. „Wir hatten im Wohnzimmer das obligatorische Bücherboard mit dem üblichen bürgerlichen Lesefutter der 50’er Jahre. Von Waggerl bis hin zu einer Reihe skandinavischer Autoren, die damals im Trend lagen. Ich hab das alles gelesen, außer Mommsens ‚Römische Geschichte‘, das war ein Riesenwälzer, den hab ich nicht gepackt!“ Dennoch gibt es in gewisser Weise sehr wohl eine erzählerische Frühprägung, und zwar durch den Großvater. „Er war Tischlermeister in Eggenburg, ein großer Pazifist. Dennoch hatte er eine Waffe – seine Sprache!“ Der Kriegsgegner entgeht nicht dem Schicksal seiner Zeit, und so erzählt er seinem Enkel viel vom Bürgerkrieg sowie vom verhassten Weltkrieg, weckt damit im Buben auch schon früh das Interesse für Geschichte. Und er weiß von manch Kriminalfall zu berichten, der sich in Eggenburg ereignete. Eine Story ist Wieninger dabei besonders im Gedächtnis geblieben. „Er war auch Erzieher, führte die Tischlerwerkstatt im Erziehungsheim der Stadt Wien, das in Eggenburg situiert war. Dorthin hat man sozusagen die schwierigen Wiener Kinder abgeschoben. Einmal gab es Mordalarm. Die Kinder und Jugendlichen mussten ja Anstaltskleidung tragen, nur am Wochenende durfte man zivil gehen, daher war Zivilkleidung sehr begehrt. Ein Bursche hatte recht schöne Sachen, da haben ihn zwei Kollegen ermordet. Erst drei Jahre später wurde er in der Senkgrube des Heims gefunden. Solche Sachen hat Großvater auch berichtet, sehr sachlich und sehr trocken.“ Und er erzählt Geschichten über Eggenburg, für Wieninger ein ganz besonderer Zauberort der Kindheit. „Wir waren ja praktisch jedes Wochenende, jeden Sommer dort. Eggenburg war für mich sehr exotisch, eine mittelalterliche Burgstadt mit erhaltener Stadtmauer, das bäuerliche Umfeld, das war schon sehr anziehend. Als Neunjähriger hab ich etwa begonnen, als ‚Archäologe’ Ritter auszugraben. Meine Großeltern waren bei all dem sehr geduldig, haben mich überallhin begleitet. Nur am Samstag hatte ich Sendepause. Da haben sie sich Heinz Conrads im Fernsehen angeschaut.“
Down on earth
In den heimatlichen Gefilden St. Pöltens durchläuft Wieninger die klassische Schulkarriere. Nach der Grillparzer Volkschule besucht er das Gymnasium in der Josefstraße „Damals ist mir gar nicht aufgefallen, was für eine gute Schule das eigentlich ist“. Danach inskribiert er Medizin an der Uni Wien. „Das war defintiv die falsche Wahl! Das einzige, das mir Spaß gemacht hat, waren die Sezierkurse – ich hätt’ monatelang sezieren können.“ Der Rest hingegen ödet den Studiosus an, so dass er das Studium nach eineinhalb Jahren schmeißt. Auch den anschließenden Präsenzdienst leistet der Pazifist mit wenig Enthusiasmus ab, wenngleich er auch hier eine, für einen später gestandenen Krimi-Autor gar nicht so unpassende Fertigkeit vermittelt bekommt: „Ich war bei den Pionieren in Korneuburg, da haben wir Sprengen gelernt.“
Danach ruft die Arbeitswelt, Wieninger heuert beim Magistrat St. Pölten an, wo er bis heute in der Präsidialabteilung tätig ist. Selbstredend v. a. in schreibender Funktion: Er verfasst Redekonzepte, Briefe, liefert Beiträge fürs St. Pölten konkret, forscht über die Zeitgeschichte. Seinen Brotberuf, „obwohl ich mittlerweile auch vom Schreiben alleine bescheiden leben könnte“, fasst er dabei nicht als Hemmschuh seiner literarischen Tätigkeit auf, wie dies manch andere Autoren bisweilen empfinden und deshalb vom Leben als freier Schriftsteller träumen, sondern sieht er auch als solide Basis und Nährboden, um nicht in den berühmten Elfenbeinturm abzugleiten. „Ein Beruf ist nicht schlecht als Schriftsteller, egal ob du nun am Magistrat arbeitest, Fotograf bist, Gärtner oder sonst etwas. Damit bleibst du down on earth, bekommst Inputs, Schicksale aus der realen Welt. Außerdem bin ich viel zu sehr der Sicherheitstyp. Mit der Situation, wie sie sich derzeit darstellt, bin ich jedenfalls ganz zufrieden!“
Unzufrieden war er freilich zu Beginn seiner Berufskarriere mit dem Gefühl des Unabgeschlossenen, und so bekommt Wieninger mit 29 noch einmal einen Rappel und inskribiert nebenbei erneut auf der Uni. Diesmal trifft er freilich die richtige Wahl: „Ich hab Germanistik begonnen, dazu Pädagogik, weil man das Studium ja kombinieren musste. Das war genau meins!“ Das kann man auch an Wieningers Studienerfolg ablesen. Er zieht das Studium ruckzuck durch und knallt einen Notendurchschnitt von 1,1 hin. „Mit 30 weißt du halt einfach, was du willst, und so gehst du um 18 Uhr nicht ins Lokal wie die Jungspunde, sondern setzt dich vor den Computer zur Seminararbeit!“
In der Nachsicht stellt sich die Studienzeit als großer Wendepunkt in Wieningers Leben dar, gerade auch im Hinblick auf sein literarisches Schaffen. „Ich hab schon vorher ein bisschen geschrieben, Lyrik, Kurztexte, nichts von großem Wert. Durch das Germanistikstudium ist diese Seite explodiert. Noch im Jahr meines Abschlusses ist mein erster Krimi erschienen!“
Nudelbrett-Vodoo
Den eigentlichen Impuls des Studiums auf das literarische Schaffen sieht Wieninger dabei weniger, wie man vielleicht meinen könnte, in der literarischen Befruchtung durch Werke anderer Autoren, als vielmehr in der Effizienzsteigerung seiner Arbeitsweise. „Ich hab während des Studiums Disziplin gelernt!“ Für Wieninger eine conditio sine qua non, möchte man als Autor reüssieren. „Romanschreiben ist zu 40% Begabung und zu 60% Sitzfleisch! Das ist vielleicht anders, als etwa bei einem Songschreiber, wo das Talent wichtiger ist. Der kann in kurzer Zeit etwas Großes schaffen. Aber einen Roman klopfst du nicht in fünf Minuten raus, da reicht Talent allein nicht aus.“ Gut ein Jahr braucht Wieninger im Schnitt für ein Buch, einen fixen Studenplan hat er dabei nicht. „Ich schreib vor allem am Wochenende, immer wenn ich Zeit hab!“ In der Regel dann mindestens drei Stunden, manchmal mehr, je nach dem. Das Allerhöchste der Gefühle sind sechs Stunden am Stück, „dann bin ich völlig ausgebrannt!“ Auch der Schreibplatz spielt für Wieninger keine Rolle. Kein Ausblick in den Garten, kein lichtdurchfluteter Raum, keine frischen Blumen in der Vase, kein barockes Gemälde sind vonnöten. „Derzeit schau ich auf die Wand! Ich brauch nix Inspirierendes. Ich glaub sogar, dass ich mir schwerer tun würde, wenn ein Zimmer überfüllt ist. Im Grunde genommen ist es egal, wo ich schreibe: Hauptsache es ist warm und still.“ Womit auch Musik als Inspirationsklangteppich wegfällt. „Ich bin großer Musikliebhaber. Aber bei Lärm kann ich nicht schreiben!“ Im übrigen, wie Wieninger an seinem Samos nippend verrät, auch nicht nach Alkoholgenuss. „Für heute ist es also gelaufen“, grinst er.
Was sich freilich geändert hat gegenüber seinem ersten Roman, ist die beschwerliche Verlagssuche. Zwar hatte er „Falsches Spiel mit Mark Miert“ innerhalb eines dreiviertel Jahres in den Computer geklopft, doch doppelt soviel Zeit musste er für die Verlagssuche aufwenden – Schicksal eines unbekannten Autors. „Das ist die Härte pur! Ich hab über 80 Verlage angeschrieben. Zwei haben sich letztlich interessiert gezeigt“, erinnert er sich an die „Ochsentour“, wie er es heute nennt. Als er dann seinen ersten Vertrag unter Dach und Fach hat, rächt er sich symbolisch á la Vodoo-Zauber. „Ich hab alle Verlags-Abschreiben auf ein Nudelbrett geheftet, dieses im Garten aufgestellt und es anschließend mit Erde sowie Steinen beworfen. Zuletzt hab ich das Ganze angezündet und verbrannt! Das war sehr befreiend“, lacht Wieninger schelmisch.
Damit ist der Startschuss zu einer beieindruckenden Schriftsteller-Karriere gesetzt. Dem ersten Krimi rund um den Privatdetektiv Marek Miert, der 1999 auf den Markt kommt, sind mittlerweile vier weitere gefolgt. Und auf mindestens fünf weitere Miert-Abenteuer dürfen wir uns noch freuen, denn Wieningers Dienste hat man sich seitens des Verlages aufgrund des Erfolgs der Bücher gleich für insgesamt 10 Krimis gesichert. Darüberhinaus hat Wieninger in seinem Roman „Die Rückseite des Mondes“ mit Inspektor Franz Grassmann eine weitere Figur auf die Krimi-Bühne gebracht, die ihm zuletzt auch eine ganz besondere Ehre bescherte: Das Büchlein wurde in der renommierten Krimi-Reihe „Kaliber .64“ der Edition Nautilus veröffentlicht. In dieser steht Wieninger im wahrsten Sinne des Wortes in einer Reihe mit Kalibern wie Nobelpreisträger Tschingis Aitmotow und ist erst der zweite deutschsprachige Autor überhaupt, der in das Literaturprojekt Eingang findet. Für ihn dennoch kein Grund abzuheben, ebenso wenig wie die Tatsache, dass er im Feuilleton mittlerweile mit österreichischen Paradeautoren wie Wolf Hass, Stefan Slupetzky oder Heinrich Steinfest in einem Atemzug erwähnt wird.
Gestatten, Miert
Stellt sich natürlich die grundsätzliche Frage, was das Geheimnis des Erfolges ist. Warum mittlerweile Tausende Leser im gesamten deutschsprachigen Raum so sehr auf Wieningers Krimis abfahren. Die banale Antwort, die aber von Besonderheit zeugt: Sie sind einfach anders: „Ich will keine konventionellen Krimis schreiben. Ganz ehrlich, es gibt doch nichts Faderes als einen Krimi von Agatha Christie! Ich wollte das Genre bewusst gegen den Strich bürsten, eine Mischung aus Kriminal- und Heimatroman schaffen, oder eigentlich aus Antikriminal- und Antiheimatroman, in der die biedere Kleingeistigkeit ironisch gebrochen wird!“ Das gelingt Wieninger famos. Einerseits aufgrund des bereits erwähnten Lokalkolorits, insbesondere aber auch aufgrund des Sprachgestus, der seine Bücher aus dem Pool bieder gestrickter Handwerksware heraushebt und in den Rang von Literatur hebt. „Das wird auch von der Kritik immer wieder hervorgehoben, dass sich meine Bücher durch ihre scharfe, ironische Sprache vom Mainstream unterscheiden! Handlung ist schon gut und wichtig, aber die Sprache ist noch wichtiger! Vanillepudding kann ja im Prinzip auch jeder machen, aber einen ganz besonders schmackhaften, dazu bedarf es eben auch ganz besonderer Zutaten.“ Und eines besonderen Kochs, könnte man hinzufügen. Wobei Wieningers Pudding geschmacklich betrachtet ja eher zartbitter denn süß ist, so wie sein Hauptprotagonist Marek Miert, der – logisch – ein Antiheld ist. Als suspendierter ehemaliger Krimineser schlägt er sich mehr schlecht als recht als Privatdetektiv durchs gar nicht einfache Leben, das den Leitmotiven Pleiten, Pech und Pannen zu folgen scheint. „Im Grunde hab ich Miert als eine Art ‚Anti-Derrick‘ konzipiert. Derrick hat mich schon in meiner Jugend aufgeregt. Der war so was von arrogant! Alles war perfekt! Nie ist er gescheitert, weder im Job noch privat. Wo immer er angeklopft hat, war jemand zuhause, wurde ihm die Tür geöffnet, und wusste jemand etwas zum Fall zu sagen oder kannte zumindest jemand anderen, der etwas darüber wusste. Und am Ende wird der Täter ausfindig gemacht und bestraft“, schüttelt Wieninger angewidert den Kopf. „Keine Ahnung, vielleicht ist das ja ein Bedürfnis der Gesellschaft, aber realistisch ist es keinesfalls! Die Aufklärungsquote liegt heute bei 32%, und die ist noch geschönt. 4/5 der Verbrecher kommen davon, das ist die Realität!“ Eine, die in seinen Büchern Niederschlag findet, sehr zum Leidwesen Mierts. „Entweder er findet die Täter gar nicht, oder sie sind wieder so mächtig, dass man ihnen nicht an kann.“ Mierts Los ist also letztlich, selbst wenn er zwischenzeitig Erfolg zu haben scheint, immer das Scheitern! Nie steht er am Ende als der glorreiche, umjubelte Held da. Alles ist halb, verpfuscht, ein bisschen hatschert. Unterkriegen, das zeichnet diesen Stehaufmann aus, lässt er sich deswegen aber nicht. Er kontert auf seine subversive Art. „An der Figur fasziniert mich, dass er eben nicht so korrekt ist. Dass er bisweilen auch mit fiesen Methoden arbeitet, immer wieder etwas ausprobiert, auch wenn es aussichtslos erscheint.“ Mierts stärkste Waffe, die im übertragenen Sinne auch zur künstlerischen Speerspitze der Bücher an sich mutiert, ist seine zwischen Ironie, Zynismus und Lakonie modulierende Sprache. „Miert ist ja keine bedeutende Persönlichkeit, er hat kein Geld, keinen Einfluss, und sogar den Waffenschein hat man ihm abgenommen! So bleibt ihm nur seine Sprache. Durch seine bissigen Kommentare kommt er mitunter zu Teilerfolgen. Seine Krux: Er fühlt sich als Moralist in einer amoralischen Welt. Er ist immer auf der Suche nach Gerechtigkeit bzw. dem, was er dafür hält.“ Doch in einer ungerechten Welt die Gerechtigkeit einfordern, wird zum Hasardspiel. Entweder man erlangt sie gar nicht, oder sie lässt sich nur durch unlautere Mittel durchsetzen – aber ob das gerecht ist?
Eine weitere Besonderheit ist die Einsamkeit der Protagonisten, was der Autor aber zum Teil schlichtweg auf erzählökonomische Gründe zurückführt. „Es war für mich zu Beginn der Miert-Reihe einfach leichter zu bewältigen, wenn jemand einsam durchs Leben stiefelt, als wenn da ein ganzer Anhang an Verwandten vorhanden ist. Und so ist Miert jetzt eben allein. Außerdem hätte er am Liebesmarkt wohl so seine Probleme: Er steht quer zur Gesellschaft, wohnt in einer Bruchbude, geht ins Puff Kaffeetrinken, und hat eine äußerst schroffe Art. Aber wer weiß? Er hat ja Gspusis, vielleicht ergibt sich ja einmal mehr“, sinniert Wieninger, der eingesteht, dass sein Held beizeiten beim Schreiben eine gewisse Eigendynamik entwickelt. „Aber im Großen und Ganzen hab ich schon die Kontrolle!“
Was ebenfalls in Wieningers Romanen auffällt, ist die Omnipräsenz von Vergangenheit. Seine Bücher sind sozusagen gespickt damit, der ganz privaten, die die Protagonisten durch ihr Leben wie einen allzu schweren Rucksack schleppen, den sie nicht loswerden, ebenso wie mit der historischen. „Vergangenheit ist im Leben immer präsent. Letztlich entkommt man ihr nicht. Es ist nur die Frage, wie tief stochert man hinein. Man tritt sozusagen auf den Boden der Heimat und der eigenen Geschichte, und je fester man tritt, desto eher bricht man durch, erkennt doppelte Böden. Und doppelte Böden sind überall, weil man verdrängt, verschweigt, vergisst“, ist der Autor überzeugt. Miert ergeht es da nicht besser oder schlechter als jedem anderen auch. Er ist halt der Stocherer, der Gegner der Verdränger, der Aufdecker, so wie es auch Wieninger ist.
Identitätsstifter
Als Lokalhistoriker, eine weitere Facette seines produktiven Schaffens, hat er nämlich schon manch Verdrängtes und Vergessenes wieder an die Oberfläche und damit ins kollektive Gedächtnis gezerrt. Zuletzt etwa die Existenz jüdischer Zwangsarbeiterlager im Norden der Stadt, über die 60 Jahre der Mantel des Schweigens gehüllt worden war. „Es ist doch komisch, dass die Geschichte St. Pöltens während der Barockzeit detaillierter aufgearbeitet ist als die Zeitgeschichte. Die letzte umfassende Stadtgeschichte endet 1919! Ich will aber nicht nur über Prandtauer oder Bischof Konrad von Passau Bescheid wissen, oder darüber, welchen Kindergarten Franz Jonas eröffnet hat. Die Zeitgeschichte ist ebenso wichtig. Sie ist Teil meiner Identität!“ Über das Lager ist er im wahrsten Sinne des Wortes gestolpert. „Ich war Schneeglöckerl suchen in der Au, da hab ich Betonpfeiler entdeckt, Reste von Stacheldraht. Ich hab mich gefragt, was da wohl einmal gewesen ist, und so hab ich zum Nachforschen begonnen. Hab Leut befragt, bin ins Archiv. Ich leb seit 45 Jahren hier, aber darüber habe ich nie etwas gehört. Das wurde einfach verschwiegen.“ Dank Wieninger ist dieser Teil der Geschichte nun vor dem Vergessenwerden bewahrt. Sogar ein Buch erscheint darüber im Landesverlag, und ein Denkmal für die Opfer soll errichtet werden.
Darüberhinaus hat sich Wieninger aber auch um Straßennamen verdient gemacht oder beschäftigt sich derzeit mit der Dialektologie in Geschäftsnamen. Seine bunten Forschungen, „ich mach das, was mich interessiert“, veröffentlicht er in verschiedensten Zeitungen, von der ZEIT über die Wiener Zeitung bis hin zum Augustin. So manches verarbeitet Wieninger auch in seinen Büchern, Miert muss sich darin ebenfalls bisweilen verbeißen, den Dingen auf den Grund gehen. Schreibt der Autor sich da also selbst seinen Seelenballast vom Herzen? Kurzum: Wieviel Wieninger steckt in Miert? Da winkt der Schriftsteller ab: „Miert ist sicher kein Alter Ego von mir. Er ist etwa alles andere denn ein Intellektueller. Ich wiederum bin überhaupt nicht aggressiv so wie er, sondern eher ein stiller Beobachter, ein zurückgezogener Couch-Potato.“ Und ein produktiver Autor, der einen ganz besonderen Vanillepudding zubereitet – einen, den man mit Genuss und Gewinn lesen kann!
Infos zum Thema:
Von Manfred Wieninger erschienen
* Die Rückseite des Mondes
* Rostige Flügel.
* Kalte Monde.
* Der Engel der letzten Stunde.
* Falsches Spiel mit Marek Miert
* Der dreizehnte Mann.
Harland
Also zurück zum Start, bevor wir uns – mit Wieningers Romankulisse „angesaugt“ – gänzlich selbst auf den Leim gehen und die fiktive Welt auf die reale projizieren. Unter diesem Aspekt wäre nämlich auch anstatt des Griechen ein Treffen in einem abgeschmuddelten Tankstellen-Café, die in Wieningers Romanen immer wieder Schauplatz sind, schlüssiger gewesen. Oder beim Würstlstand. Jene Tschecherl mit zwielichtigen bis gescheiterten Existenzen, die am Rand der Kleinstadt liegen, jenem Mikrokosmos, wo Wieninger seine Geschichten verortet und damit eine völlig neue Kulisse in die deutschsprachige Krimi-Literatur eingeführt hat. „Krimis spielen für gewöhnlich ja entweder in der Großstadt oder am Land. Ich hingegen hab versucht, mich dazwischen zu positionieren, wollte einen Provinzroman schreiben – über die Vororte mit ihren Ausfallsstraßen, ihren irrwitzigen Fachmarktzentren, den vielen Stilen nebeneinander, wo die Bewohner keine Bauern sind, aber auch nichts mit den Bürgern des 1. Wiener Bezirks gemein haben, sondern wo sich suburbane Gestalten herumtreiben, diese ganz eigene prekäre Mischung.“ Kurzum, Wieninger schreibt, wie man unschwer schließen kann, über seine Heimatstadt. Dass St. Pölten dabei zum fiktiven Städtchen „Harland“ mutiert, hat vor allem mit der Erzählökonomie zu tun. „Man braucht schon allein aus kompositorischen Gründen eine geänderte Topographie. So kann sich kein pingeliger Leser beklagen, dass etwas ‚falsch’ verortet ist. Ich habs mir sozusagen einfach gemacht“, lächelt der Autor unschuldig, und fügt hinzu: „Aber natürlich ist Harland zu – ich schätze einmal – 80% St. Pölten. Die Hauptstadt ist nicht so urban, sie ist aber auch nicht so ländlich. Hier kenne ich mich aus. Hier kann ich auf einen großen Fundus aus Anekdoten und Geschichte zurückgreifen, auch wenn das meiste in den Büchern natürlich erfunden ist.“ Und es ist eine Stadt, die ganz kommod ist: „Ich leb‘ ja sozusagen selbst in der nördlichen Vorstadt – und ich leb gern dort! Ich würde mit nichts und niemandem tauschen, will weder einen Bauernhof in Karlstetten noch eine Wohnung am Wiener Kohlmarkt!“
Kindheit
In diesem St. Pölten, und damit lösen wir uns kurzzeitig aus dem literarischen Kontext, wird Wieninger 1963 geboren. Nicht im Norden, „sondern im Süden. Dabei hab ich einen exotischen Hintergrund, weil meine Familie eigentlich aus Eggenburg kommt – wir gehören sozusagen zur Weinviertler Diaspora.“
In St. Pölten wächst er mit seinem Bruder und seiner Schwester in einem, wie man herauszuhören meint, behüteten Elternhaus auf. Der Vater arbeitet bei der Gebietskrankenkasse, die Mama ist Hausfrau. Manfreds liebstes Hobby ist „Kicken bis zum Umfallen auf der benachbarten Traisenwiese, also quasi auf der ehemaligen Mülldeponie, die dort früher war.“ Zumindest bis ins Alter von 15 Jahren, „dann haben sich die Vorlieben verändert, wurde das weibliche Geschlecht interessant.“ Literatur, wie man sich vielleicht klischeehaft ausmalt, spielt im Wieninger Haushalt hingegen keine großartige Rolle. „Wir hatten im Wohnzimmer das obligatorische Bücherboard mit dem üblichen bürgerlichen Lesefutter der 50’er Jahre. Von Waggerl bis hin zu einer Reihe skandinavischer Autoren, die damals im Trend lagen. Ich hab das alles gelesen, außer Mommsens ‚Römische Geschichte‘, das war ein Riesenwälzer, den hab ich nicht gepackt!“ Dennoch gibt es in gewisser Weise sehr wohl eine erzählerische Frühprägung, und zwar durch den Großvater. „Er war Tischlermeister in Eggenburg, ein großer Pazifist. Dennoch hatte er eine Waffe – seine Sprache!“ Der Kriegsgegner entgeht nicht dem Schicksal seiner Zeit, und so erzählt er seinem Enkel viel vom Bürgerkrieg sowie vom verhassten Weltkrieg, weckt damit im Buben auch schon früh das Interesse für Geschichte. Und er weiß von manch Kriminalfall zu berichten, der sich in Eggenburg ereignete. Eine Story ist Wieninger dabei besonders im Gedächtnis geblieben. „Er war auch Erzieher, führte die Tischlerwerkstatt im Erziehungsheim der Stadt Wien, das in Eggenburg situiert war. Dorthin hat man sozusagen die schwierigen Wiener Kinder abgeschoben. Einmal gab es Mordalarm. Die Kinder und Jugendlichen mussten ja Anstaltskleidung tragen, nur am Wochenende durfte man zivil gehen, daher war Zivilkleidung sehr begehrt. Ein Bursche hatte recht schöne Sachen, da haben ihn zwei Kollegen ermordet. Erst drei Jahre später wurde er in der Senkgrube des Heims gefunden. Solche Sachen hat Großvater auch berichtet, sehr sachlich und sehr trocken.“ Und er erzählt Geschichten über Eggenburg, für Wieninger ein ganz besonderer Zauberort der Kindheit. „Wir waren ja praktisch jedes Wochenende, jeden Sommer dort. Eggenburg war für mich sehr exotisch, eine mittelalterliche Burgstadt mit erhaltener Stadtmauer, das bäuerliche Umfeld, das war schon sehr anziehend. Als Neunjähriger hab ich etwa begonnen, als ‚Archäologe’ Ritter auszugraben. Meine Großeltern waren bei all dem sehr geduldig, haben mich überallhin begleitet. Nur am Samstag hatte ich Sendepause. Da haben sie sich Heinz Conrads im Fernsehen angeschaut.“
Down on earth
In den heimatlichen Gefilden St. Pöltens durchläuft Wieninger die klassische Schulkarriere. Nach der Grillparzer Volkschule besucht er das Gymnasium in der Josefstraße „Damals ist mir gar nicht aufgefallen, was für eine gute Schule das eigentlich ist“. Danach inskribiert er Medizin an der Uni Wien. „Das war defintiv die falsche Wahl! Das einzige, das mir Spaß gemacht hat, waren die Sezierkurse – ich hätt’ monatelang sezieren können.“ Der Rest hingegen ödet den Studiosus an, so dass er das Studium nach eineinhalb Jahren schmeißt. Auch den anschließenden Präsenzdienst leistet der Pazifist mit wenig Enthusiasmus ab, wenngleich er auch hier eine, für einen später gestandenen Krimi-Autor gar nicht so unpassende Fertigkeit vermittelt bekommt: „Ich war bei den Pionieren in Korneuburg, da haben wir Sprengen gelernt.“
Danach ruft die Arbeitswelt, Wieninger heuert beim Magistrat St. Pölten an, wo er bis heute in der Präsidialabteilung tätig ist. Selbstredend v. a. in schreibender Funktion: Er verfasst Redekonzepte, Briefe, liefert Beiträge fürs St. Pölten konkret, forscht über die Zeitgeschichte. Seinen Brotberuf, „obwohl ich mittlerweile auch vom Schreiben alleine bescheiden leben könnte“, fasst er dabei nicht als Hemmschuh seiner literarischen Tätigkeit auf, wie dies manch andere Autoren bisweilen empfinden und deshalb vom Leben als freier Schriftsteller träumen, sondern sieht er auch als solide Basis und Nährboden, um nicht in den berühmten Elfenbeinturm abzugleiten. „Ein Beruf ist nicht schlecht als Schriftsteller, egal ob du nun am Magistrat arbeitest, Fotograf bist, Gärtner oder sonst etwas. Damit bleibst du down on earth, bekommst Inputs, Schicksale aus der realen Welt. Außerdem bin ich viel zu sehr der Sicherheitstyp. Mit der Situation, wie sie sich derzeit darstellt, bin ich jedenfalls ganz zufrieden!“
Unzufrieden war er freilich zu Beginn seiner Berufskarriere mit dem Gefühl des Unabgeschlossenen, und so bekommt Wieninger mit 29 noch einmal einen Rappel und inskribiert nebenbei erneut auf der Uni. Diesmal trifft er freilich die richtige Wahl: „Ich hab Germanistik begonnen, dazu Pädagogik, weil man das Studium ja kombinieren musste. Das war genau meins!“ Das kann man auch an Wieningers Studienerfolg ablesen. Er zieht das Studium ruckzuck durch und knallt einen Notendurchschnitt von 1,1 hin. „Mit 30 weißt du halt einfach, was du willst, und so gehst du um 18 Uhr nicht ins Lokal wie die Jungspunde, sondern setzt dich vor den Computer zur Seminararbeit!“
In der Nachsicht stellt sich die Studienzeit als großer Wendepunkt in Wieningers Leben dar, gerade auch im Hinblick auf sein literarisches Schaffen. „Ich hab schon vorher ein bisschen geschrieben, Lyrik, Kurztexte, nichts von großem Wert. Durch das Germanistikstudium ist diese Seite explodiert. Noch im Jahr meines Abschlusses ist mein erster Krimi erschienen!“
Nudelbrett-Vodoo
Den eigentlichen Impuls des Studiums auf das literarische Schaffen sieht Wieninger dabei weniger, wie man vielleicht meinen könnte, in der literarischen Befruchtung durch Werke anderer Autoren, als vielmehr in der Effizienzsteigerung seiner Arbeitsweise. „Ich hab während des Studiums Disziplin gelernt!“ Für Wieninger eine conditio sine qua non, möchte man als Autor reüssieren. „Romanschreiben ist zu 40% Begabung und zu 60% Sitzfleisch! Das ist vielleicht anders, als etwa bei einem Songschreiber, wo das Talent wichtiger ist. Der kann in kurzer Zeit etwas Großes schaffen. Aber einen Roman klopfst du nicht in fünf Minuten raus, da reicht Talent allein nicht aus.“ Gut ein Jahr braucht Wieninger im Schnitt für ein Buch, einen fixen Studenplan hat er dabei nicht. „Ich schreib vor allem am Wochenende, immer wenn ich Zeit hab!“ In der Regel dann mindestens drei Stunden, manchmal mehr, je nach dem. Das Allerhöchste der Gefühle sind sechs Stunden am Stück, „dann bin ich völlig ausgebrannt!“ Auch der Schreibplatz spielt für Wieninger keine Rolle. Kein Ausblick in den Garten, kein lichtdurchfluteter Raum, keine frischen Blumen in der Vase, kein barockes Gemälde sind vonnöten. „Derzeit schau ich auf die Wand! Ich brauch nix Inspirierendes. Ich glaub sogar, dass ich mir schwerer tun würde, wenn ein Zimmer überfüllt ist. Im Grunde genommen ist es egal, wo ich schreibe: Hauptsache es ist warm und still.“ Womit auch Musik als Inspirationsklangteppich wegfällt. „Ich bin großer Musikliebhaber. Aber bei Lärm kann ich nicht schreiben!“ Im übrigen, wie Wieninger an seinem Samos nippend verrät, auch nicht nach Alkoholgenuss. „Für heute ist es also gelaufen“, grinst er.
Was sich freilich geändert hat gegenüber seinem ersten Roman, ist die beschwerliche Verlagssuche. Zwar hatte er „Falsches Spiel mit Mark Miert“ innerhalb eines dreiviertel Jahres in den Computer geklopft, doch doppelt soviel Zeit musste er für die Verlagssuche aufwenden – Schicksal eines unbekannten Autors. „Das ist die Härte pur! Ich hab über 80 Verlage angeschrieben. Zwei haben sich letztlich interessiert gezeigt“, erinnert er sich an die „Ochsentour“, wie er es heute nennt. Als er dann seinen ersten Vertrag unter Dach und Fach hat, rächt er sich symbolisch á la Vodoo-Zauber. „Ich hab alle Verlags-Abschreiben auf ein Nudelbrett geheftet, dieses im Garten aufgestellt und es anschließend mit Erde sowie Steinen beworfen. Zuletzt hab ich das Ganze angezündet und verbrannt! Das war sehr befreiend“, lacht Wieninger schelmisch.
Damit ist der Startschuss zu einer beieindruckenden Schriftsteller-Karriere gesetzt. Dem ersten Krimi rund um den Privatdetektiv Marek Miert, der 1999 auf den Markt kommt, sind mittlerweile vier weitere gefolgt. Und auf mindestens fünf weitere Miert-Abenteuer dürfen wir uns noch freuen, denn Wieningers Dienste hat man sich seitens des Verlages aufgrund des Erfolgs der Bücher gleich für insgesamt 10 Krimis gesichert. Darüberhinaus hat Wieninger in seinem Roman „Die Rückseite des Mondes“ mit Inspektor Franz Grassmann eine weitere Figur auf die Krimi-Bühne gebracht, die ihm zuletzt auch eine ganz besondere Ehre bescherte: Das Büchlein wurde in der renommierten Krimi-Reihe „Kaliber .64“ der Edition Nautilus veröffentlicht. In dieser steht Wieninger im wahrsten Sinne des Wortes in einer Reihe mit Kalibern wie Nobelpreisträger Tschingis Aitmotow und ist erst der zweite deutschsprachige Autor überhaupt, der in das Literaturprojekt Eingang findet. Für ihn dennoch kein Grund abzuheben, ebenso wenig wie die Tatsache, dass er im Feuilleton mittlerweile mit österreichischen Paradeautoren wie Wolf Hass, Stefan Slupetzky oder Heinrich Steinfest in einem Atemzug erwähnt wird.
Gestatten, Miert
Stellt sich natürlich die grundsätzliche Frage, was das Geheimnis des Erfolges ist. Warum mittlerweile Tausende Leser im gesamten deutschsprachigen Raum so sehr auf Wieningers Krimis abfahren. Die banale Antwort, die aber von Besonderheit zeugt: Sie sind einfach anders: „Ich will keine konventionellen Krimis schreiben. Ganz ehrlich, es gibt doch nichts Faderes als einen Krimi von Agatha Christie! Ich wollte das Genre bewusst gegen den Strich bürsten, eine Mischung aus Kriminal- und Heimatroman schaffen, oder eigentlich aus Antikriminal- und Antiheimatroman, in der die biedere Kleingeistigkeit ironisch gebrochen wird!“ Das gelingt Wieninger famos. Einerseits aufgrund des bereits erwähnten Lokalkolorits, insbesondere aber auch aufgrund des Sprachgestus, der seine Bücher aus dem Pool bieder gestrickter Handwerksware heraushebt und in den Rang von Literatur hebt. „Das wird auch von der Kritik immer wieder hervorgehoben, dass sich meine Bücher durch ihre scharfe, ironische Sprache vom Mainstream unterscheiden! Handlung ist schon gut und wichtig, aber die Sprache ist noch wichtiger! Vanillepudding kann ja im Prinzip auch jeder machen, aber einen ganz besonders schmackhaften, dazu bedarf es eben auch ganz besonderer Zutaten.“ Und eines besonderen Kochs, könnte man hinzufügen. Wobei Wieningers Pudding geschmacklich betrachtet ja eher zartbitter denn süß ist, so wie sein Hauptprotagonist Marek Miert, der – logisch – ein Antiheld ist. Als suspendierter ehemaliger Krimineser schlägt er sich mehr schlecht als recht als Privatdetektiv durchs gar nicht einfache Leben, das den Leitmotiven Pleiten, Pech und Pannen zu folgen scheint. „Im Grunde hab ich Miert als eine Art ‚Anti-Derrick‘ konzipiert. Derrick hat mich schon in meiner Jugend aufgeregt. Der war so was von arrogant! Alles war perfekt! Nie ist er gescheitert, weder im Job noch privat. Wo immer er angeklopft hat, war jemand zuhause, wurde ihm die Tür geöffnet, und wusste jemand etwas zum Fall zu sagen oder kannte zumindest jemand anderen, der etwas darüber wusste. Und am Ende wird der Täter ausfindig gemacht und bestraft“, schüttelt Wieninger angewidert den Kopf. „Keine Ahnung, vielleicht ist das ja ein Bedürfnis der Gesellschaft, aber realistisch ist es keinesfalls! Die Aufklärungsquote liegt heute bei 32%, und die ist noch geschönt. 4/5 der Verbrecher kommen davon, das ist die Realität!“ Eine, die in seinen Büchern Niederschlag findet, sehr zum Leidwesen Mierts. „Entweder er findet die Täter gar nicht, oder sie sind wieder so mächtig, dass man ihnen nicht an kann.“ Mierts Los ist also letztlich, selbst wenn er zwischenzeitig Erfolg zu haben scheint, immer das Scheitern! Nie steht er am Ende als der glorreiche, umjubelte Held da. Alles ist halb, verpfuscht, ein bisschen hatschert. Unterkriegen, das zeichnet diesen Stehaufmann aus, lässt er sich deswegen aber nicht. Er kontert auf seine subversive Art. „An der Figur fasziniert mich, dass er eben nicht so korrekt ist. Dass er bisweilen auch mit fiesen Methoden arbeitet, immer wieder etwas ausprobiert, auch wenn es aussichtslos erscheint.“ Mierts stärkste Waffe, die im übertragenen Sinne auch zur künstlerischen Speerspitze der Bücher an sich mutiert, ist seine zwischen Ironie, Zynismus und Lakonie modulierende Sprache. „Miert ist ja keine bedeutende Persönlichkeit, er hat kein Geld, keinen Einfluss, und sogar den Waffenschein hat man ihm abgenommen! So bleibt ihm nur seine Sprache. Durch seine bissigen Kommentare kommt er mitunter zu Teilerfolgen. Seine Krux: Er fühlt sich als Moralist in einer amoralischen Welt. Er ist immer auf der Suche nach Gerechtigkeit bzw. dem, was er dafür hält.“ Doch in einer ungerechten Welt die Gerechtigkeit einfordern, wird zum Hasardspiel. Entweder man erlangt sie gar nicht, oder sie lässt sich nur durch unlautere Mittel durchsetzen – aber ob das gerecht ist?
Eine weitere Besonderheit ist die Einsamkeit der Protagonisten, was der Autor aber zum Teil schlichtweg auf erzählökonomische Gründe zurückführt. „Es war für mich zu Beginn der Miert-Reihe einfach leichter zu bewältigen, wenn jemand einsam durchs Leben stiefelt, als wenn da ein ganzer Anhang an Verwandten vorhanden ist. Und so ist Miert jetzt eben allein. Außerdem hätte er am Liebesmarkt wohl so seine Probleme: Er steht quer zur Gesellschaft, wohnt in einer Bruchbude, geht ins Puff Kaffeetrinken, und hat eine äußerst schroffe Art. Aber wer weiß? Er hat ja Gspusis, vielleicht ergibt sich ja einmal mehr“, sinniert Wieninger, der eingesteht, dass sein Held beizeiten beim Schreiben eine gewisse Eigendynamik entwickelt. „Aber im Großen und Ganzen hab ich schon die Kontrolle!“
Was ebenfalls in Wieningers Romanen auffällt, ist die Omnipräsenz von Vergangenheit. Seine Bücher sind sozusagen gespickt damit, der ganz privaten, die die Protagonisten durch ihr Leben wie einen allzu schweren Rucksack schleppen, den sie nicht loswerden, ebenso wie mit der historischen. „Vergangenheit ist im Leben immer präsent. Letztlich entkommt man ihr nicht. Es ist nur die Frage, wie tief stochert man hinein. Man tritt sozusagen auf den Boden der Heimat und der eigenen Geschichte, und je fester man tritt, desto eher bricht man durch, erkennt doppelte Böden. Und doppelte Böden sind überall, weil man verdrängt, verschweigt, vergisst“, ist der Autor überzeugt. Miert ergeht es da nicht besser oder schlechter als jedem anderen auch. Er ist halt der Stocherer, der Gegner der Verdränger, der Aufdecker, so wie es auch Wieninger ist.
Identitätsstifter
Als Lokalhistoriker, eine weitere Facette seines produktiven Schaffens, hat er nämlich schon manch Verdrängtes und Vergessenes wieder an die Oberfläche und damit ins kollektive Gedächtnis gezerrt. Zuletzt etwa die Existenz jüdischer Zwangsarbeiterlager im Norden der Stadt, über die 60 Jahre der Mantel des Schweigens gehüllt worden war. „Es ist doch komisch, dass die Geschichte St. Pöltens während der Barockzeit detaillierter aufgearbeitet ist als die Zeitgeschichte. Die letzte umfassende Stadtgeschichte endet 1919! Ich will aber nicht nur über Prandtauer oder Bischof Konrad von Passau Bescheid wissen, oder darüber, welchen Kindergarten Franz Jonas eröffnet hat. Die Zeitgeschichte ist ebenso wichtig. Sie ist Teil meiner Identität!“ Über das Lager ist er im wahrsten Sinne des Wortes gestolpert. „Ich war Schneeglöckerl suchen in der Au, da hab ich Betonpfeiler entdeckt, Reste von Stacheldraht. Ich hab mich gefragt, was da wohl einmal gewesen ist, und so hab ich zum Nachforschen begonnen. Hab Leut befragt, bin ins Archiv. Ich leb seit 45 Jahren hier, aber darüber habe ich nie etwas gehört. Das wurde einfach verschwiegen.“ Dank Wieninger ist dieser Teil der Geschichte nun vor dem Vergessenwerden bewahrt. Sogar ein Buch erscheint darüber im Landesverlag, und ein Denkmal für die Opfer soll errichtet werden.
Darüberhinaus hat sich Wieninger aber auch um Straßennamen verdient gemacht oder beschäftigt sich derzeit mit der Dialektologie in Geschäftsnamen. Seine bunten Forschungen, „ich mach das, was mich interessiert“, veröffentlicht er in verschiedensten Zeitungen, von der ZEIT über die Wiener Zeitung bis hin zum Augustin. So manches verarbeitet Wieninger auch in seinen Büchern, Miert muss sich darin ebenfalls bisweilen verbeißen, den Dingen auf den Grund gehen. Schreibt der Autor sich da also selbst seinen Seelenballast vom Herzen? Kurzum: Wieviel Wieninger steckt in Miert? Da winkt der Schriftsteller ab: „Miert ist sicher kein Alter Ego von mir. Er ist etwa alles andere denn ein Intellektueller. Ich wiederum bin überhaupt nicht aggressiv so wie er, sondern eher ein stiller Beobachter, ein zurückgezogener Couch-Potato.“ Und ein produktiver Autor, der einen ganz besonderen Vanillepudding zubereitet – einen, den man mit Genuss und Gewinn lesen kann!
Infos zum Thema:
Von Manfred Wieninger erschienen
* Die Rückseite des Mondes
* Rostige Flügel.
* Kalte Monde.
* Der Engel der letzten Stunde.
* Falsches Spiel mit Marek Miert
* Der dreizehnte Mann.