Mein Freund Ilya
Text
Thomas Winkelmüller
Ausgabe
02/2025
Ich habe Ilya vor eineinhalb Jahren in der Ukraine kennengelernt. Ein großgewachsener, bärtiger Mann mit Wuschelfrisur. Wäre er ein Tier, dann vermutlich ein junger Bär. Verglichen mit einem solchen ist Ilya aber alles andere als gefährlich. Er lebt pazifistisch, töten kann er maximal in Videospielen.
Daran änderte sich auch nichts nach Beginn der russischen Vollinvasion der Ukraine. Kämpfen wollte Ilya nicht, einfach zuschauen konnte er aber ebenso wenig. Als Informatiker arbeitete er bei einem Drohnen-Startup mit. Weil er gut verdiente, spendete er etwa 10.000 Euro und sein Auto für Menschen an der Front.
Die Ukraine kann es sich bei der Einberufung wehrtauglicher Männer aber schon länger nicht mehr leisten, solche Bemühungen gelten zu lassen. Also wurde auch Ilya einberufen – und entging seinem Dienst an der Front nur knapp. Seine ganze Geschichte können Sie in der Februar-Ausgabe des Monatsmagazins DATUM lesen. An dieser Stelle will ich aber auf etwas anderes hinaus.
Ilya möchte in einer Demokratie leben, aber nicht dafür kämpfen, schon gar nicht sterben. Ich verstehe ihn. Wer will das schon. Trotzdem sollten auch wir uns die Frage stellen, wofür wir unser Leben riskieren würden. Für einen Nationalstaat? Ein Haus? Eine Lebensweise?
Die Antworten auf diese Fragen sind bestimmt bei jedem andere und das ist auch gut so. Wir sollten aber damit aufhören, so zu tun, als ob wir entscheiden könnten, ob wir uns diese Frage stellen müssen oder nicht.