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MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Zubetoniert

Text Sascha Harold
Ausgabe 06/2024

Flächenversiegelung ist angesichts ökologischer Krisen ein großes Thema. Verbindliche Vorgaben dazu, wie viel neuer Boden versiegelt werden darf, fehlen allerdings weitgehend. Wie ist die Lage in Niederösterreich und St. Pölten?

Um den Boden wird aktuell heiß gekämpft. Die Bürgerplattform Pro St. Pölten wies etwa in einer Aussendung Anfang April darauf hin, dass in Österreich jährlich eine Fläche versiegelt wird, die drei Vierteln von Bregenz entspreche. Versiegelung – was heißt das eigentlich? Laut der Österreichischen Raumordnungskonferenz, in der Bund, Länder und Gemeinden vertreten sind, sind versiegelte Flächen „durchgehend mit einer gänzlich wasser- und luftundurchlässigen Schicht abgedeckt“. Davon unterschieden wird die sogenannte „Flächeninanspruchnahme“, womit Flächen gemeint sind, die unter anderem zu Siedlungs- oder Verkehrszwecken verändert oder bebaut sind und damit nicht mehr als natürlicher Lebensraum zur Verfügung stehen. Diese Flächen sind also nicht notwendig versiegelt, weil darunter etwa auch Gärten oder Parks fallen. Warum ist Versiegelung nun ein Problem und wie ist aktuell die Lage?

2,1 Hektar Bodenverbrauch pro Tag in Niederösterreich
Zunächst können versiegelte Böden kein Wasser aufnehmen und begüns­tigen damit Überschwemmungen, unverbauter Boden ist zudem als CO2 Speicher wichtig im Kampf gegen den Klimawandel. Zuletzt verringert sich durch versiegelte Böden naturgemäß auch die agrarwirtschaftlich nutzbare Fläche. In Österreich sind laut ÖROK aktuell 6,7 Prozent der Landesfläche in Anspruch genommen, rund 30 Prozent davon werden für Verkehrsflächen verwendet, knapp 50 Prozent als Siedlungsflächen innerhalb der Baulandwidmung, 12 Prozent als Siedlungsflächen außerhalb der Baulandwidmung. Versiegelt ist von diesen in Anspruch genommenen Flächen gut die Hälfte. Wie die Lage in Niederösterreich aussieht, hängt davon ab, wen man fragt. „Nieder­österreich ist das Land mit der geringsten Flächeninanspruchnahme und der geringsten Versiegelung. 7,36 Prozent des Dauersiedlungsraums sind versiegelt, damit liegt unser Bundesland gemeinsam mit dem Burgenland an der Spitze“, ließ Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf per Aussendung Ende 2023 wissen. Anders sieht die Situation aus, wenn man auf die Entwicklung beim Bodenverbrauch blickt. Täglich werden in Nieder­österreich dem WWF zufolge 2,1 Hektar Boden verbraucht, damit liegt das Land nur hinter den Spitzenreitern Steiermark und Oberösterreich. Als Zielwert wird im Entwurf ÖROK Bodenstrategie 2,5 Hektar pro Tag gefordert – für ganz Österreich wohlgemerkt.

Situation in St. Pölten 
In der Landeshauptstadt ist aktuell eine Bodenfläche von 17,3 km² versiegelt, das entspricht einer Fläche von fast 2.500 Fußballfeldern. Zum Vergleich: Im einwohnermäßig größeren Innsbruck sind nur rund 14 km² Boden versiegelt. Bei der Versiegelung pro Kopf liegt St. Pölten mit 307,7 m² nur hinter Eisenstadt, das mit 316,9 m² an der Spitze ist. Ein St. Pölten spezifisches Problem ist die Versiegelung durch Verkehrsflächen. So hat der Standard kürzlich berichtet, dass die Stadt rund 40 Prozent der versiegelten Fläche für Verkehrsinfrastruktur verwendet und damit vor allen anderen Landeshauptstädten liegt. Für die vergangenen zehn Jahre hat man im Rathaus eine Zunahme der versiegelten Fläche von acht Prozent errechnet. 
Was wird nun gegen das Problem getan? Rathaussprecher Thomas Kainz: „Die derzeit in Ausarbeitung befindliche Novelle des Regionalen Raumordnungsprogramms schafft für die Region St. Pölten verbindliche Spielregeln, wie und wo sich die Region als Ganzes entwickeln soll, um gesunde und zukunftsfähige Raumstrukturen sicherzustellen.“ Das umfasse etwa überörtliche Siedlungsgrenzen, um Zersiedelung zu vermeiden, regionale Grünzonen sowie agrarische Schwerpunkträume, so Kainz weiter. Das Problem der Zersiedelung ist auch auf Landesebene bekannt. In der Vergangenheit habe man zu wenig gegen sogenannte „Vorratswidmungen“ getan, bei denen Gemeinden möglichst viel Land für künftige Verwendung umgewidmet haben. „Inzwischen haben wir bei Widmungen eine Baupflicht, es muss also sieben Jahre nach der Widmung auch wirklich etwas gebaut werden“, heißt es aus dem Büro von LH Stv. Pernkopf. 

Baupflicht und Bodenbonus
Beim Land weist man außerdem darauf hin, dass in den letzten zehn Jahren weniger Raum pro Kopf verbraucht wird, was für eine größere Verdichtung spricht. Außerdem gehe das Bevölkerungswachstum mit den Widmungen Hand in Hand – es werde also nur gewidmet, was auch gebraucht wird. Anders sieht das naturgemäß Susanne Formanek, Obfrau der Bürgerplattform Pro St. Pölten: „Die Implementierung eines Bodenschutzvertrags mit klaren Reduktionszielen wäre von Vorteil, um den Anteil nicht mehr zu vergrößern, dann würden veraltete Konzepte wie die S34 überdacht werden.“ Die Traisental Schnellstraße steht symbolisch für den Kampf um unverbauten Boden. Während Stadt wie Land vehement für den Bau eintreten und mit verkehrspolitischer Notwendigkeit begründen, sind Bürgerinitiativen und Umweltschutzorganisationen strikt gegen das Großprojekt. Ob und wann es in der S34-Saga weitergeht, ist übrigens nach wie vor unklar.
Das Problem, so scheint es jedenfalls, ist allen Akteuren bewusst. Eine aktuelle OGM-Umfrage im Auftrag des Kurier hat ergeben, dass 72 Prozent der Befragten für ein Bodenverbrauchslimit von 2,5 Hektar pro Tag sind – ein Limit, das die Länder zuletzt ablehnten. Man müsse sich die Konsequenzen eines solchen Zieles bewusst machen, heißt es aus dem Büro von Pernkopf. „Alle sind sich einig, dass weniger Boden versiegelt werden soll. Bevor man ein Ziel definiert, muss man sich aber den Weg dorthin überlegen und daran denken, was das in der Praxis bedeutet. Kann etwa ein Kindergarten nicht mehr gebaut werden, weil das Ziel schon erreicht ist?“ 
Während weiter um Verbindlichkeiten gerungen wird, gibt es gleichzeitig auch positive Signale und Initiativen, etwa wenn es um die sogenannte Entsiegelung von Böden geht. Das Land Niederösterreich hat hier den „Blau-Gelber Bodenbonus“ ins Leben gerufen, um Gemeinden, Vereine und Private bei der Entsiegelung von Böden zu unterstützen. Aktuell werden damit 16 Projekte gefördert, eines der größten ist der Nibelungenplatz in Tulln, der im Zuge einer Umgestaltung entsiegelt worden ist und im Juni neu eröffnet wird. Ob diese Bemühungen genügen, wird sich erst zeigen. Aktuell wird jedenfalls weiterhin jeden Tag neuer Boden versiegelt.