„Radikalinskis nutzen das aus“
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Aktuell scheint sich ein hohes Maß an Unsicherheit, Orientierungslosigkeit bis hin zu Hysterie in der Gesellschaft breit zu machen. Der Ton wird rauer, Positionen und Debatten spitzen sich auf Extreme zu, Sündenböcke werden vorgeführt. Wir baten den Politologen Peter Filzmaier um seine Einschätzung.
Im Landtag wurde eine Verschärfung der Mindestsicherung beschlossen. Kritiker befürchten damit ein politisches Vorschubleisten von Armut, mit den Langzeitfolgen erhöhter Kriminialität und Radikalisierung. Sind wir tatsächlich Zeugen eines gefährlichen Spiels?
Ich bin weder Experte für Asyl- noch für Sozialpolitik. Bis hin zur Bundespolitik sehe ich aus Sicht der Kommunikation freilich einen möglichen Denkfehler: Die Kürzungen werden auch damit begründet, dass sie Niederösterreich als Fluchtland unattraktiver machen sollen. Unmittelbar betroffen sind freilich nicht jene auf dem Weg zu uns, sondern diejenigen, welche schon da sind. Was sollen diese tun, wenn das Geld nicht reicht und es zu wenig Arbeit gibt? Betteln oder stehlen? Neuerlich flüchten?
Der Politik wird aktuell – z.T. kopflose – Anlasspolitik vorgeworfen, umgekehrt wird argumentiert, dass man mit diesen Schritten einem gänzlichen Rechtsruck begegnen möchte. Wie sehen Sie das?
Zunächst ist Anlasspolitik nichts per se Schlechtes. Ich erwarte mir von der Politik, dass Sie auf Veränderungen als Anlass reagiert und dementsprechend laufend neue Gesetze und Maßnahmen beschließt. Genauso ist für den neutralen Politikwissenschaftler nicht linke oder rechte Politik grundsätzlich und immer richtig oder falsch. Was mir allerdings quer durch die politischen Lager gelegentlich fehlt ist ein Geschichtsbewusstsein, was nicht mehr demokratisch war und ist, und dass man dementsprechend sensibel agiert. Das beginnt meistens mit der passenden Sprache.
Diesbezüglich fällt auf, dass die Sprache zusehends diffamierender und brutaler wird. Im Landtag etwa sprach zuletzt ein FP-Abgeordneter pauschal von „Asylsextouristen“, „Scheinasylanten“ und forderte u.a. ein Ausgehverbot für männliche Asylwerber. Wie weit darf man in der Politik gehen – wo ist die Grenze zwischen freier Meinungsäußerung und Verhetzung?
Verhetzung ist – übrigens in § 283 des Strafgesetzbuches geregelt – klar definiert, wenn pauschal Gruppen wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion, Behinderung oder sexuellen Orientierung verunglimpft werden. Solches Aufhetzen gefährdet die öffentliche Ordnung. Genauso endet die Meinungsfreiheit bei der persönlichen Verleumdung, wenn ich also etwa behaupten würde, Sie wären wie alle aus ihrem Heimatort ein Dieb, Sittenstrolch oder Gewalttäter.
Wie kann man dieser Radikalisierung begegnen, auch wenn man an brennende Asylheime, Steinwürfe auf Busse mit Aslywerbern etc. denkt. Gibt es diesbezüglich Parallelen zur Historie?
Die Langzeitlösung heißt viel, viel, viel mehr politische Bildungsarbeit. Weil diese jedoch eben nur langfristig und oft erst nach Jahren und Jahrzehnten wirksam wird, werden wir noch lange die bisherigen Versäumnisse hier büßen. Die Parallele zur Geschichte ist oft Angst und Un- oder Halbwissen. Radikalinskis nutzen das aus.
Man hat den Eindruck, dass Fakten nicht mehr wirklich zum Durchbruch gelangen. Welche Rolle spielen dabei die Medien?
Medien sind Agenten für Politische Bildung. Zudem prägen sie die Tonalität der öffentlichen Debatte. Nicht immer positiv. Gelegentlich stelle ich mir eine Henne und Ei-Frage: Passen sich Medien allzu oft dem unsachlichen Streit vom Stammtisch bis zum Parlament an, oder haben viele Streithanseln das aus den Medien gelernt?
Welche Rolle spielen in diesem Kontext die sozialen Medien, auch für Politiker?
In traditionellen Medien sind Chefredakteur & Co. ein trotz allem relativ gut funktionierender Kontrollmechanismus, dass völlig unsachliche oder extremistische Beschimpfungen nicht vorkommen. In sozialen Medien fehlt das als Regulativ. Das wäre in Ordnung, wenn sozusagen jeder für sich selbst der verantwortungsvolle Chefredakteur sein könnte. Viele haben aber nicht die Mediennutzungskompetenz, um seriöse von zweifelhaften Quellen unterscheiden zu können, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und Gesamtzusammenhänge zu erkennen. Den Parteien geht es freilich so oder so es um etwas Anderes: Sie wollen ja an den Journalisten vorbei am liebsten direkt mit den Wählern sprechen, und Facebook & Co. machen das leichter möglich als sich im Fernsehen, Radio oder Zeitungen unangenehmen Fragen zu stellen.
ZUR PERSON
Peter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl Franzens-Universität Graz. In Krems koordiniert er unter anderem Studiengänge für Politische Kommunikation und Politische Bildung, zu denen soeben die Anmeldefrist angelaufen ist.
www.donau-uni.ac.at/de/universitaet/netpol/studien
Ich bin weder Experte für Asyl- noch für Sozialpolitik. Bis hin zur Bundespolitik sehe ich aus Sicht der Kommunikation freilich einen möglichen Denkfehler: Die Kürzungen werden auch damit begründet, dass sie Niederösterreich als Fluchtland unattraktiver machen sollen. Unmittelbar betroffen sind freilich nicht jene auf dem Weg zu uns, sondern diejenigen, welche schon da sind. Was sollen diese tun, wenn das Geld nicht reicht und es zu wenig Arbeit gibt? Betteln oder stehlen? Neuerlich flüchten?
Der Politik wird aktuell – z.T. kopflose – Anlasspolitik vorgeworfen, umgekehrt wird argumentiert, dass man mit diesen Schritten einem gänzlichen Rechtsruck begegnen möchte. Wie sehen Sie das?
Zunächst ist Anlasspolitik nichts per se Schlechtes. Ich erwarte mir von der Politik, dass Sie auf Veränderungen als Anlass reagiert und dementsprechend laufend neue Gesetze und Maßnahmen beschließt. Genauso ist für den neutralen Politikwissenschaftler nicht linke oder rechte Politik grundsätzlich und immer richtig oder falsch. Was mir allerdings quer durch die politischen Lager gelegentlich fehlt ist ein Geschichtsbewusstsein, was nicht mehr demokratisch war und ist, und dass man dementsprechend sensibel agiert. Das beginnt meistens mit der passenden Sprache.
Diesbezüglich fällt auf, dass die Sprache zusehends diffamierender und brutaler wird. Im Landtag etwa sprach zuletzt ein FP-Abgeordneter pauschal von „Asylsextouristen“, „Scheinasylanten“ und forderte u.a. ein Ausgehverbot für männliche Asylwerber. Wie weit darf man in der Politik gehen – wo ist die Grenze zwischen freier Meinungsäußerung und Verhetzung?
Verhetzung ist – übrigens in § 283 des Strafgesetzbuches geregelt – klar definiert, wenn pauschal Gruppen wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion, Behinderung oder sexuellen Orientierung verunglimpft werden. Solches Aufhetzen gefährdet die öffentliche Ordnung. Genauso endet die Meinungsfreiheit bei der persönlichen Verleumdung, wenn ich also etwa behaupten würde, Sie wären wie alle aus ihrem Heimatort ein Dieb, Sittenstrolch oder Gewalttäter.
Wie kann man dieser Radikalisierung begegnen, auch wenn man an brennende Asylheime, Steinwürfe auf Busse mit Aslywerbern etc. denkt. Gibt es diesbezüglich Parallelen zur Historie?
Die Langzeitlösung heißt viel, viel, viel mehr politische Bildungsarbeit. Weil diese jedoch eben nur langfristig und oft erst nach Jahren und Jahrzehnten wirksam wird, werden wir noch lange die bisherigen Versäumnisse hier büßen. Die Parallele zur Geschichte ist oft Angst und Un- oder Halbwissen. Radikalinskis nutzen das aus.
Man hat den Eindruck, dass Fakten nicht mehr wirklich zum Durchbruch gelangen. Welche Rolle spielen dabei die Medien?
Medien sind Agenten für Politische Bildung. Zudem prägen sie die Tonalität der öffentlichen Debatte. Nicht immer positiv. Gelegentlich stelle ich mir eine Henne und Ei-Frage: Passen sich Medien allzu oft dem unsachlichen Streit vom Stammtisch bis zum Parlament an, oder haben viele Streithanseln das aus den Medien gelernt?
Welche Rolle spielen in diesem Kontext die sozialen Medien, auch für Politiker?
In traditionellen Medien sind Chefredakteur & Co. ein trotz allem relativ gut funktionierender Kontrollmechanismus, dass völlig unsachliche oder extremistische Beschimpfungen nicht vorkommen. In sozialen Medien fehlt das als Regulativ. Das wäre in Ordnung, wenn sozusagen jeder für sich selbst der verantwortungsvolle Chefredakteur sein könnte. Viele haben aber nicht die Mediennutzungskompetenz, um seriöse von zweifelhaften Quellen unterscheiden zu können, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und Gesamtzusammenhänge zu erkennen. Den Parteien geht es freilich so oder so es um etwas Anderes: Sie wollen ja an den Journalisten vorbei am liebsten direkt mit den Wählern sprechen, und Facebook & Co. machen das leichter möglich als sich im Fernsehen, Radio oder Zeitungen unangenehmen Fragen zu stellen.
ZUR PERSON
Peter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl Franzens-Universität Graz. In Krems koordiniert er unter anderem Studiengänge für Politische Kommunikation und Politische Bildung, zu denen soeben die Anmeldefrist angelaufen ist.
www.donau-uni.ac.at/de/universitaet/netpol/studien