Frei von der Leber
Text
Michael Müllner
Ausgabe
Jeder kennt ihn, und doch kennt ihn keiner. Da ist der Kollege, der ihn beim Zivildienst zum Arzt führte. Die Polizisten, die milde lachen „wenn er auf seinem Wildwechsel gegenüber der Polizeidirektion Aufstellung nimmt und Reden herüberschwingt.“
Augenzeugen, die ihn auf der Stockingerbrücke samt Einkaufswagerl gesichtet haben, mit sich selbst plaudernd am Herrenplatz oder mitten im Bischofsteich stehend und dirigierend – ständiger Begleiter dabei die grüne Dopplerflasche in der Rechten. Und dann sind da die Gerüchte rund um seine dunkle Vergangenheit. Dort wo nichts Greifbares ist, ranken sich Gerüchte und verdichten sich zur Legende. Hübl Hans ist so zum Mythos geworden – wir wollten ihn ergründen und statteten ihm einen Besuch ab. Ein Balanceakt zwischen Dichtung und Wahrheit!
Der Doppler is die Ehefrau
Breiteneckerstraße, hinterm Pressehaus. Nicht gerade das Beverly Hills von St. Pölten. Sozialwohnungen. Die Armen der Armen. Irgendwo da soll der Hans leben, hat man uns gesagt, Nr. 14 oder so. Doch besagte Adresse – ein freistehendes Haus – steht leer, wurde offensichtlich geräumt. Fehlanzeige also. Enttäuschung macht sich breit - so finden wir den Hans nie. Plötzlich ruft ein Kollege, der sich derweil im Hinterhof der Nachbargebäude umgeschaut hat. „Da ist er ja!“, sagt er vor einem Erdgeschossfenster stehend, und tatsächlich. Dahinter sitzt der Hans, Brille auf der Nase, über ein Buch gebeugt. Wir gehen in den Flur, wo’s nach feuchtem Gemäuer ‚niachtelt’ und noch ein altes Waschlavoir den Gang ziert. Als wir anklopfen bekommen wir ein „Jo, Kummts eina.“ zur Antwort, als wären wir schon erwartet worden.
Dann stehen wir in dem kleinen Zimmer, eines von zwei wie wir später erfahren. Von der Zeitung kämen wir und wollten ein Portrait mit ihm machen, sagen wir einleitend. Kurzes Runzeln der Stirn, dann ein energisches „Ja und, was hab ich davon?“ Berechtigte Gegenfrage. Nur weil einer ein Mythos ist, heißt das ja noch lange nicht, dass er einer sein will. Und so kommt es, dass der Hans der erste mfg-Interviewpartner werden wird, der eine Gage erhält „I bin jo ka Sandler. I muas jo des olles erhalten. I bin jo a armer Mensch.“
Wir schauen uns um. Links des Eingangs der Herd, auf dem noch das Essen von irgendwann steht, daneben ein Topf mit Katzenfutter „von meinem alten Kater Berrie“. Auf der Kredenz daneben liegt allerhand Krims Krams, bunt durcheinander: ein alter Kalender, Stofftiere, ein Glasreiniger. Die Dusche in der anderen Ecke des Raumes ist Hans Stolz „die hab ich neu bekommen“. Am Fensterbrett und am Tischchen, vor dem Hans sitzt, stehen mehrere Blumentöpfe. Die schwarze Erde ist noch feucht, frisch gegossen, kleine grüne Pflänzchen lugen hervor. „Schau, da bau ich Schnittlauch an. Des wird Zitrone, und das Tomaten. Wenn die größer sind, setz ich sie draußen in die großen Töpf.“, erklärt Hans. Dann langt er zu seiner Linken hinunter und hebt vom Boden eine grüne Dopplerflasche herauf, die er in die Höhe hält und triumphierend hin und herschwenkt. „Ja, ja des is ka Geheimnis. Do kennts ruhig a Foto machen.“ Klick. Klick. Klick. Der Grat zwischen Sozialporno und seriösem Journalismus ist ein schmaler.
Der „liebe“ Alkohol. Bei Hans ist das wörtlich zu nehmen. „Weißt, der Doppler is mei Ehefrau. Der Liter die Verlobte. Ollas andere is Bekanntschaft.“, doziert er, und kann sich selbst ein Lachen nicht verkneifen.
Für die meisten ist Hans angesichts seiner jahrzehntelangen Alkoholsucht und seines hohen Alters ohnedies ein Phänomen „Der Hans ist offensichtlich der Beweis dafür, dass Alkohol auch konservieren kann.“, sagt etwa Major Götz. Und ein alter Krimineser ist überrascht „Was der Hübl lebt noch! Wie alt ist der denn schon.“ Hübl - mit vier Buchstaben
76 verrät uns der Hans. „Ich bin am 6. Mai 1929 geboren, wo genau, weiß ich nimma. Im Taufschein steht Großrust, da haben wir gelebt.“ Da stünde auch der ganze Name. „Hübl - mit vier Buchstaben! Johann Leopold. Johann nach dem Großvater, Leopold nach dem Taufpaten. Für die Leut war ich aber immer der Hansl.“
Der Hansl kam im zarten Alter von zwei mit den Eltern gemeinsam nach St. Pölten, „da haben wir ein Grundstück gekauft, in der Moshöfgasse. Und a Landwirtschaft. Dort, wo heut Nr. 12 ist, da haben wir gelebt.“
Zur Schule ist er in die Daniel Gran Schule gegangen, wobei er immer recht sportlich war. Turn- und Stemmverein, den stark war er schon immer „Ich hab 100 Kilo pro Hand gestemmt!“, sagt er stolz. Das glaubt man ihm auch, und aus Erzählungen anderer Alt St. Pöltner wissen wir, dass Hans als „Ausheber Hans“ berühmt war, weil er bei Raufereien im berühmt-berüchtigten Volkskeller die Feinde per Stoß mit seinem Kopf in deren Bauch ‚aushebelte’.
Die Zeiten, in denen er aufwuchs, waren freilich schlimm. Ständestaat, Hitlerregime. „Als der Hitler kommen is, habens den Vater verhaftet.“ Warum, können wir nicht ganz herausfinden, am ehesten tippen wir auf das Delikt ‚Österreichpatriotismus, immerhin kommt der Hans immer wieder auf den Dollfuss-Mord zurück. Dass die Mörder vom Dollfuss - des warn die Nazis gemeinsam mit den Kommunisten - bis heute nicht geschnappt seien, kommt ihm spanisch vor. Die Planetta-Theorie lehnt er also wie viele Historiker ab.
„Ich kann mich auch noch erinnern, wie sie die Juden zsamtrieben haben, am Ziegelofen. Des hob i alles erlebt“ Dass die Synagoge heute für kulturelle Zwecke genutzt wird, regt ihn auf. „Wo ist do da Respekt? Respekt muss ma hobn. Respekt – ana vurm ondan. Egal welcher Religion, oder wo ma herkommt!“
Nach dem Krieg wollt er dann Maurer werden „aber das is nicht gangen. Ich hab auf Landwirtschaften mithelfen müssen.“
Inwieweit seine Jugend sonst noch verkorkst war, das können wir nicht ganz eruieren. Einmal erzählt er von jemandem, der die Frau und Kinder geschlagen hätt, dem er gedroht hätt „her auf, sunst hau I di nieder. A Kind is a Kind.“ Ob das aber der Vater gewesen ist, der bei einem Traktorunfall verunglückt ist, oder jemand anders, bleibt im Dunkeln. Über 30 Jahre Schmalz
Und wie ist es dann weitergegangen, nach dem Krieg? Vielleicht ahnt der Hans, worauf wir hinaus wollen. Immerhin verbrachte er fast die Hälfte seines Lebens im Gefängnis. Zweimal Totschlag, ....., verrät uns der Kriminalhistoriker ... „Der Hübl, das war schon ein schwerer Gangster.“, sinniert ein anderer ehemaliger Kripobeamter.
Da sind die Gerüchte, dass er seine Frau erschlagen hat, die zweite hätt er beim Fenster rausgeschmissen. Wegen Mordes angeklagt, letztlich wegen Totschlag gesessen.
„Ich war ein Raffer. Aber des is vorbei.“ „Wegen was bist du denn gesessen?“
Auf die Frage, warum er gesessen ist, macht Hans eine abwehrende Bewegung, als wollte er sie mit der Hand wegwischen.: „Na, darüber wü I nimma reden. Heut will ich mei Ruah.“ Das ist zu akzeptieren, immerhin hat er vor dem Gesetz seine Strafen abgesessen, ist ein freier Mann. Eine Pause. Hans starrt ins Leere - irgendwas arbeitet in ihm. „Vier mal Stein, zweimal Mittersteig“, stößt es ihm plötzlich heraus.“ Und wie viele Jahre insgesamt? „Wie alt bist du?“, die Gegenfrage. „31“ „Na siachst, so long ungefähr.“ Dann gibt er sich aber wieder bedeckt, nur soviel, dass er viel gelesen hätt’ im Häfn.. „Des mach ich aber heute noch. Zeitungen, Bücher, was ich halt so in die Finger krieg.“ Wie zum Beweis liegt ein Dreigroschenroman am Tisch. Ein Westler – Verlag Bastei.
Und wie geht’s ihm mit der Polizei, mit der er ja sein Lebtag zu tun hatte. „I hab nix gegen die Polizei. Die Polizei muss es geben! Früher aber hob I oft Wickel ghobt. Weil wenn wer herhaut, dann hau I zruck, des is so. A jeder Wurm wehrt sie.“ Aber heute hätte er mit der Polizei nichts mehr zu tun. „I bleib daham, wenn I angsoffen bin.“ Behandelt hätten ihn die Beamten zumeist nett. „Die hobn gsogt, kumm mit Hans, bei uns host das eh guat.“ Nur, dass er Fingerabdrücke geben musste und die Polizisten nicht, sieht er nicht ganz ein. „Des san jo a nur Menschen. Wir san jo olle gleich.“ Dann lacht er aber und erzählt die Geschichte, wie er einen betrunkenen Polizisten aufgeklaubt und mit dem Mofa nach Haus geführt hat.
Auch die Polizei – so scheint es - hält Hans mittlerweile für harmlos. Der pensionierte Oberst Sepp Hintermeier erinnert sich etwa, „dass der Hans, wenn er bei uns im Gefangenenhaus war, immer brav wie ein Lämmchen gewesen ist. Da war die Frau Lasnik, der hat er gefolgt wie ein Kind. Da hat er oft alle Fenster im Gefängnis geputzt, ganz freiwillig, ihr zuliebe.“
Heute, so erfahren wir aus Insiderkreisen, sei er auch gar nicht mehr deliktsfähig. „Das hat keinen Sinn mehr, ihn einzusperren.“ Der Hans selbst verrät, dass er vor einigen Jahren einen Sachwalter bekommen hat. „Im Gericht hab I ned mal reden dürfen.“, fügt er mit Verbitterung hinzu. Zwischen dem Häfn?
Aus einem gewissen Blickwinkel hat er sein Leben nie wirklich in den Griff bekommen. Der Alk, immer wieder Delikte, Haft, Geldprobleme. „Hosentürlsteuer hab ich zahlen müssen.“, meint er im Hinblick auf offensichtliche Alimenteforderungen, und lachend – dabei den Scheibenwischer deutend - fügt er hinzu „und als ich aus dem Häfn kommen bin, hätt ich Kirchensteuer nachbezahlen sollen!“
Alimente? Hat er etwa Kinder? „Ich haben einen Sohn, Jahrgang 1952. Der hat 2, 3 Jahre bei mir in Spratzern gelebt, dann hat ihn die Fürsorge geholt. Und a Madl ist mir untergeschoben worden.“ Ob und wenn ja wieviele Kinder es sonst noch gibt, bleib im Dunkeln, ebenso die Frage nach den Geschwistern. Eine Schwester hätte er, zu der es keinen Kontakt gibt, und von einem 11 Jahre jüngeren Bruder erfahren wir „aber der kennt die eigene Verwandtschaft nimmer.“ Später ist plötzlich auch von einem drei Jahre älteren Bruder die Rede. „der hat meine Weiber bumst. Mei Schwägerin wollt auch einmal was von mir, aber do hob i na gsagt. Sowas kann I ned.“ Die Sache mit dem älteren Bruder, das wär aber das schlimmste Erlebnis in seinem Leben gewesen. Auch – so rekonstruieren wir – eventuell Auslöser des ersten Totschlages.
Und Frauen – war er verheiratet. „Ja, dreimal. Oder na, zweimal. Die ane is scho hin, die schaut schon von oben owe.“ Der Gedanke, dass Hans dafür verantwortlich ist, erfüllt einen einigermaßen mit Unbehagen. Hans selbst will nicht weiter drüber reden und stellt die Gegenfrage: „Seids ihr verheiratet.“ Ich zeig den Ehering her, der Kollege verneint. „Wos, bist leicht a Woama?“, kichert er.
Und wie ist er sonst über die Runden gekommen. Hat er gearbeitet? „Na, des hob I jo miassn, I muss jo von was leben.“ Als Hilfsarbeiter am Bau habe er gehakelt, beim Eberhardt, beim Wohlmeyer und anderen. „Die Straßen beim Alpenbahnhof hab ich gemacht oder die Pfeiler von der Stockinger Brücke.“ Ein Bauunternehmer hätte ihn sogar schwarz weiter bezahlt, obwohl er ihn offiziell aufgrund von Gehaltspfändungen entlassen hätte. „Aber er hat gsogt: Hübl, du bist a guater Orbeiter!“ Einer der „Großen Drei“
Zwar erzählt der Hans immer wieder von Wohnsitzen, viele Jahre hat er aber auch gesandelt. „Er ist eigentlich der einzige Überlebende der berühmten Sandlergeneration um Sitz und Staufer.“, erinnert sich Major Götz fast mit ein wenig Wehmut.“
In diesen Jahren „hab ich unter der Bruckn geschlafen oder I hob mi in an Waggon gschlichen am Bahnhof. Wos hätt I denn tuan solln im Winter?“
Eine eigene Wohnung hätt ihm dann Bürgermeister Schickelgruber verschafft. „Der Schickelgruber, des wao a Mensch. Ich bin immer zu eam und hob gsogt: ‚Bürgamasta, du bist jo eh reich. I hob Hunger und Durst.’ Der hat ma immer gholfen. Und der Willi - I woa mit die Bürgermeister ja immer per du - der war a Klass.“
Und was hält er vom neuen Stadtoberhaupt? „Den kenn I nu ned. Is jo ein Herr Magister. Aber I wü eam boid besuchen.“ Wo? „Na, im Rothaus, wo sonst!“
Persönlich war Hans mit der Bürgermeisterwahl ja nicht einverstanden. „I hob gsogt: ‚Willi, stell a Frau auf!’ Die Frauen mochn ja über die Hälfte der Bevölkerung aus. Aber in der Politik, wo sans do? Des is doch a Ungerechtigtkeit! Dann is wieder ein Mann geworden.“ Da dürfte ihn freuen, dass St. Pölten jetzt wenigstens eine Frau Vizebürgermeister bekommt.
Freilich, wenn es nach Hübl Hans ginge, gehörte die Politik sowieso abgeschafft – wohl Resultat des Aufwachsens in totalitären Regimes. „Die Politik ist die größte Hua, die es gibt. Als der Hitler kommen is, haben sie meinen Vater eingesperrt. Später, unter die Russen, hab ich bei der Voith gearbeitet. Dann sollt ich in die Partei eintreten. Als ich nein gesagt hab, wurde ich entlassen. Und die Arbeiterpartei, die gibt es jo gar nimma – do san jo nur Reiche drin.“ So reduziert sich sein einziger Wunsch, den er an die Politik hat, auf die eigene Wohnsituation. „Ich will nicht mehr raus von da, im Sommer ist es so schön!“ Lebensabend
Und was macht er heute den ganzen Tag über? „I bin meistens daham. Hin und wieder spazier ich die Stockinger Brücke auf und ab. Weil nur zuhause sitzen, do wirst jo deppert.“ Den Garten genießt er auch, wo er sich ein bissl raussetzen kann. Kochen und einkaufen tut er selbst, wobei er schaut, dass er mit seinen „400 Euro über die Runden kommt. Damit muss ich aber auch Strom, Katzenfurtter, Brennholz bezahlen.“ Und natürlich den Alkohol, wobei er sich kostenbewusst gibt. „Den Doppler kauf ich beim Spar, weil beim Greißler unten zoist jo fost des Doppelte.“
Große „Sprünge“ kann er aber auch im Hinblick auf seine Mobilität nicht mehr machen, seitdem er in der Linzerstraße von einem Auto angefahren wurde. „Zwei Schrauben hab ich seit damals im Knie.“ Wie zum Beweis zieht er das Hosenbein hoch und zeigt das angeschwollene Knie. „Ich kann ja nicht mal mehr radlfahrn.“, fügt er traurig hinzu und offenbart uns seinen größten Wunsch, den er noch hat. „Ich brauchat a Automoped. Dann könnt ich in den Dunkelsteinerwald fahren, Schwammerl suchen. Steinpilz und Parasol. Geh bitte, höfts ma, dass I a Automoped kriag.“ Kommentar Es ist wie mit einem Puzzle, das uns Hans hingeworfen hat. Viele einzelne Teile, wild durcheinander gemischt, ohne Chronologie, ohne roten Faden. Wir haben alles, so gut es ging, versucht zusammenzusetzen – aber da fehlen viele Puzzlesteine, da bleiben unzählige weiße Flecken, weshalb wir nur ein Fragment, Stückwerk liefern können. Fragmente eines 76 jährigen Lebens, das schon – nicht durch Glanz und Glorie – sondern durch sein Ursprünglichkeit, Ungehobeltheit, seiner vermeintlichen Elendigkeit zur Legende geworden ist. Ob es wahr ist, was uns der Hans erzählt? Ja und nein, so wie das bei Legenden nun einmal so ist. In Hans Erinnerung sicher, das glauben wir ihm, denn „die Woaheit, vestehst, die Woaheit is wichtig!“ bläut er uns mehrmals ein, und das klingt ebenso überzeugt und ehrlich wie sein „Ich hasse das Lügn. Da kriag an Grant.“ Aber Hans Form des Erinnerns ist eine selektive. Während er die Kindheit, also das, was am meisten zurückliegt, vermeintlich paradox am genauesten schildert, verliert sich der Erzählfaden ab den 50’ern. Da sind viele Dinge, die dem Hans weh tun, die anderen sogar das Leben gekostet haben. Darüber will er nicht reden, und das ist zu akzeptieren. Wir wollen keinen Sozialporno, sind auch nicht die Richter, die über dieses Leben zu urteilen hätten. Das haben vor uns schon andere getan. Wir wollen nur einen Menschen - denn das ist er - zeigen, so wie er sich uns in ein paar Stunden bei ihm daheim gezeigt hat. Ein Portrait in Fragmenten.
Breiteneckerstraße, hinterm Pressehaus. Nicht gerade das Beverly Hills von St. Pölten. Sozialwohnungen. Die Armen der Armen. Irgendwo da soll der Hans leben, hat man uns gesagt, Nr. 14 oder so. Doch besagte Adresse – ein freistehendes Haus – steht leer, wurde offensichtlich geräumt. Fehlanzeige also. Enttäuschung macht sich breit - so finden wir den Hans nie. Plötzlich ruft ein Kollege, der sich derweil im Hinterhof der Nachbargebäude umgeschaut hat. „Da ist er ja!“, sagt er vor einem Erdgeschossfenster stehend, und tatsächlich. Dahinter sitzt der Hans, Brille auf der Nase, über ein Buch gebeugt. Wir gehen in den Flur, wo’s nach feuchtem Gemäuer ‚niachtelt’ und noch ein altes Waschlavoir den Gang ziert. Als wir anklopfen bekommen wir ein „Jo, Kummts eina.“ zur Antwort, als wären wir schon erwartet worden.
Dann stehen wir in dem kleinen Zimmer, eines von zwei wie wir später erfahren. Von der Zeitung kämen wir und wollten ein Portrait mit ihm machen, sagen wir einleitend. Kurzes Runzeln der Stirn, dann ein energisches „Ja und, was hab ich davon?“ Berechtigte Gegenfrage. Nur weil einer ein Mythos ist, heißt das ja noch lange nicht, dass er einer sein will. Und so kommt es, dass der Hans der erste mfg-Interviewpartner werden wird, der eine Gage erhält „I bin jo ka Sandler. I muas jo des olles erhalten. I bin jo a armer Mensch.“
Wir schauen uns um. Links des Eingangs der Herd, auf dem noch das Essen von irgendwann steht, daneben ein Topf mit Katzenfutter „von meinem alten Kater Berrie“. Auf der Kredenz daneben liegt allerhand Krims Krams, bunt durcheinander: ein alter Kalender, Stofftiere, ein Glasreiniger. Die Dusche in der anderen Ecke des Raumes ist Hans Stolz „die hab ich neu bekommen“. Am Fensterbrett und am Tischchen, vor dem Hans sitzt, stehen mehrere Blumentöpfe. Die schwarze Erde ist noch feucht, frisch gegossen, kleine grüne Pflänzchen lugen hervor. „Schau, da bau ich Schnittlauch an. Des wird Zitrone, und das Tomaten. Wenn die größer sind, setz ich sie draußen in die großen Töpf.“, erklärt Hans. Dann langt er zu seiner Linken hinunter und hebt vom Boden eine grüne Dopplerflasche herauf, die er in die Höhe hält und triumphierend hin und herschwenkt. „Ja, ja des is ka Geheimnis. Do kennts ruhig a Foto machen.“ Klick. Klick. Klick. Der Grat zwischen Sozialporno und seriösem Journalismus ist ein schmaler.
Der „liebe“ Alkohol. Bei Hans ist das wörtlich zu nehmen. „Weißt, der Doppler is mei Ehefrau. Der Liter die Verlobte. Ollas andere is Bekanntschaft.“, doziert er, und kann sich selbst ein Lachen nicht verkneifen.
Für die meisten ist Hans angesichts seiner jahrzehntelangen Alkoholsucht und seines hohen Alters ohnedies ein Phänomen „Der Hans ist offensichtlich der Beweis dafür, dass Alkohol auch konservieren kann.“, sagt etwa Major Götz. Und ein alter Krimineser ist überrascht „Was der Hübl lebt noch! Wie alt ist der denn schon.“ Hübl - mit vier Buchstaben
76 verrät uns der Hans. „Ich bin am 6. Mai 1929 geboren, wo genau, weiß ich nimma. Im Taufschein steht Großrust, da haben wir gelebt.“ Da stünde auch der ganze Name. „Hübl - mit vier Buchstaben! Johann Leopold. Johann nach dem Großvater, Leopold nach dem Taufpaten. Für die Leut war ich aber immer der Hansl.“
Der Hansl kam im zarten Alter von zwei mit den Eltern gemeinsam nach St. Pölten, „da haben wir ein Grundstück gekauft, in der Moshöfgasse. Und a Landwirtschaft. Dort, wo heut Nr. 12 ist, da haben wir gelebt.“
Zur Schule ist er in die Daniel Gran Schule gegangen, wobei er immer recht sportlich war. Turn- und Stemmverein, den stark war er schon immer „Ich hab 100 Kilo pro Hand gestemmt!“, sagt er stolz. Das glaubt man ihm auch, und aus Erzählungen anderer Alt St. Pöltner wissen wir, dass Hans als „Ausheber Hans“ berühmt war, weil er bei Raufereien im berühmt-berüchtigten Volkskeller die Feinde per Stoß mit seinem Kopf in deren Bauch ‚aushebelte’.
Die Zeiten, in denen er aufwuchs, waren freilich schlimm. Ständestaat, Hitlerregime. „Als der Hitler kommen is, habens den Vater verhaftet.“ Warum, können wir nicht ganz herausfinden, am ehesten tippen wir auf das Delikt ‚Österreichpatriotismus, immerhin kommt der Hans immer wieder auf den Dollfuss-Mord zurück. Dass die Mörder vom Dollfuss - des warn die Nazis gemeinsam mit den Kommunisten - bis heute nicht geschnappt seien, kommt ihm spanisch vor. Die Planetta-Theorie lehnt er also wie viele Historiker ab.
„Ich kann mich auch noch erinnern, wie sie die Juden zsamtrieben haben, am Ziegelofen. Des hob i alles erlebt“ Dass die Synagoge heute für kulturelle Zwecke genutzt wird, regt ihn auf. „Wo ist do da Respekt? Respekt muss ma hobn. Respekt – ana vurm ondan. Egal welcher Religion, oder wo ma herkommt!“
Nach dem Krieg wollt er dann Maurer werden „aber das is nicht gangen. Ich hab auf Landwirtschaften mithelfen müssen.“
Inwieweit seine Jugend sonst noch verkorkst war, das können wir nicht ganz eruieren. Einmal erzählt er von jemandem, der die Frau und Kinder geschlagen hätt, dem er gedroht hätt „her auf, sunst hau I di nieder. A Kind is a Kind.“ Ob das aber der Vater gewesen ist, der bei einem Traktorunfall verunglückt ist, oder jemand anders, bleibt im Dunkeln. Über 30 Jahre Schmalz
Und wie ist es dann weitergegangen, nach dem Krieg? Vielleicht ahnt der Hans, worauf wir hinaus wollen. Immerhin verbrachte er fast die Hälfte seines Lebens im Gefängnis. Zweimal Totschlag, ....., verrät uns der Kriminalhistoriker ... „Der Hübl, das war schon ein schwerer Gangster.“, sinniert ein anderer ehemaliger Kripobeamter.
Da sind die Gerüchte, dass er seine Frau erschlagen hat, die zweite hätt er beim Fenster rausgeschmissen. Wegen Mordes angeklagt, letztlich wegen Totschlag gesessen.
„Ich war ein Raffer. Aber des is vorbei.“ „Wegen was bist du denn gesessen?“
Auf die Frage, warum er gesessen ist, macht Hans eine abwehrende Bewegung, als wollte er sie mit der Hand wegwischen.: „Na, darüber wü I nimma reden. Heut will ich mei Ruah.“ Das ist zu akzeptieren, immerhin hat er vor dem Gesetz seine Strafen abgesessen, ist ein freier Mann. Eine Pause. Hans starrt ins Leere - irgendwas arbeitet in ihm. „Vier mal Stein, zweimal Mittersteig“, stößt es ihm plötzlich heraus.“ Und wie viele Jahre insgesamt? „Wie alt bist du?“, die Gegenfrage. „31“ „Na siachst, so long ungefähr.“ Dann gibt er sich aber wieder bedeckt, nur soviel, dass er viel gelesen hätt’ im Häfn.. „Des mach ich aber heute noch. Zeitungen, Bücher, was ich halt so in die Finger krieg.“ Wie zum Beweis liegt ein Dreigroschenroman am Tisch. Ein Westler – Verlag Bastei.
Und wie geht’s ihm mit der Polizei, mit der er ja sein Lebtag zu tun hatte. „I hab nix gegen die Polizei. Die Polizei muss es geben! Früher aber hob I oft Wickel ghobt. Weil wenn wer herhaut, dann hau I zruck, des is so. A jeder Wurm wehrt sie.“ Aber heute hätte er mit der Polizei nichts mehr zu tun. „I bleib daham, wenn I angsoffen bin.“ Behandelt hätten ihn die Beamten zumeist nett. „Die hobn gsogt, kumm mit Hans, bei uns host das eh guat.“ Nur, dass er Fingerabdrücke geben musste und die Polizisten nicht, sieht er nicht ganz ein. „Des san jo a nur Menschen. Wir san jo olle gleich.“ Dann lacht er aber und erzählt die Geschichte, wie er einen betrunkenen Polizisten aufgeklaubt und mit dem Mofa nach Haus geführt hat.
Auch die Polizei – so scheint es - hält Hans mittlerweile für harmlos. Der pensionierte Oberst Sepp Hintermeier erinnert sich etwa, „dass der Hans, wenn er bei uns im Gefangenenhaus war, immer brav wie ein Lämmchen gewesen ist. Da war die Frau Lasnik, der hat er gefolgt wie ein Kind. Da hat er oft alle Fenster im Gefängnis geputzt, ganz freiwillig, ihr zuliebe.“
Heute, so erfahren wir aus Insiderkreisen, sei er auch gar nicht mehr deliktsfähig. „Das hat keinen Sinn mehr, ihn einzusperren.“ Der Hans selbst verrät, dass er vor einigen Jahren einen Sachwalter bekommen hat. „Im Gericht hab I ned mal reden dürfen.“, fügt er mit Verbitterung hinzu. Zwischen dem Häfn?
Aus einem gewissen Blickwinkel hat er sein Leben nie wirklich in den Griff bekommen. Der Alk, immer wieder Delikte, Haft, Geldprobleme. „Hosentürlsteuer hab ich zahlen müssen.“, meint er im Hinblick auf offensichtliche Alimenteforderungen, und lachend – dabei den Scheibenwischer deutend - fügt er hinzu „und als ich aus dem Häfn kommen bin, hätt ich Kirchensteuer nachbezahlen sollen!“
Alimente? Hat er etwa Kinder? „Ich haben einen Sohn, Jahrgang 1952. Der hat 2, 3 Jahre bei mir in Spratzern gelebt, dann hat ihn die Fürsorge geholt. Und a Madl ist mir untergeschoben worden.“ Ob und wenn ja wieviele Kinder es sonst noch gibt, bleib im Dunkeln, ebenso die Frage nach den Geschwistern. Eine Schwester hätte er, zu der es keinen Kontakt gibt, und von einem 11 Jahre jüngeren Bruder erfahren wir „aber der kennt die eigene Verwandtschaft nimmer.“ Später ist plötzlich auch von einem drei Jahre älteren Bruder die Rede. „der hat meine Weiber bumst. Mei Schwägerin wollt auch einmal was von mir, aber do hob i na gsagt. Sowas kann I ned.“ Die Sache mit dem älteren Bruder, das wär aber das schlimmste Erlebnis in seinem Leben gewesen. Auch – so rekonstruieren wir – eventuell Auslöser des ersten Totschlages.
Und Frauen – war er verheiratet. „Ja, dreimal. Oder na, zweimal. Die ane is scho hin, die schaut schon von oben owe.“ Der Gedanke, dass Hans dafür verantwortlich ist, erfüllt einen einigermaßen mit Unbehagen. Hans selbst will nicht weiter drüber reden und stellt die Gegenfrage: „Seids ihr verheiratet.“ Ich zeig den Ehering her, der Kollege verneint. „Wos, bist leicht a Woama?“, kichert er.
Und wie ist er sonst über die Runden gekommen. Hat er gearbeitet? „Na, des hob I jo miassn, I muss jo von was leben.“ Als Hilfsarbeiter am Bau habe er gehakelt, beim Eberhardt, beim Wohlmeyer und anderen. „Die Straßen beim Alpenbahnhof hab ich gemacht oder die Pfeiler von der Stockinger Brücke.“ Ein Bauunternehmer hätte ihn sogar schwarz weiter bezahlt, obwohl er ihn offiziell aufgrund von Gehaltspfändungen entlassen hätte. „Aber er hat gsogt: Hübl, du bist a guater Orbeiter!“ Einer der „Großen Drei“
Zwar erzählt der Hans immer wieder von Wohnsitzen, viele Jahre hat er aber auch gesandelt. „Er ist eigentlich der einzige Überlebende der berühmten Sandlergeneration um Sitz und Staufer.“, erinnert sich Major Götz fast mit ein wenig Wehmut.“
In diesen Jahren „hab ich unter der Bruckn geschlafen oder I hob mi in an Waggon gschlichen am Bahnhof. Wos hätt I denn tuan solln im Winter?“
Eine eigene Wohnung hätt ihm dann Bürgermeister Schickelgruber verschafft. „Der Schickelgruber, des wao a Mensch. Ich bin immer zu eam und hob gsogt: ‚Bürgamasta, du bist jo eh reich. I hob Hunger und Durst.’ Der hat ma immer gholfen. Und der Willi - I woa mit die Bürgermeister ja immer per du - der war a Klass.“
Und was hält er vom neuen Stadtoberhaupt? „Den kenn I nu ned. Is jo ein Herr Magister. Aber I wü eam boid besuchen.“ Wo? „Na, im Rothaus, wo sonst!“
Persönlich war Hans mit der Bürgermeisterwahl ja nicht einverstanden. „I hob gsogt: ‚Willi, stell a Frau auf!’ Die Frauen mochn ja über die Hälfte der Bevölkerung aus. Aber in der Politik, wo sans do? Des is doch a Ungerechtigtkeit! Dann is wieder ein Mann geworden.“ Da dürfte ihn freuen, dass St. Pölten jetzt wenigstens eine Frau Vizebürgermeister bekommt.
Freilich, wenn es nach Hübl Hans ginge, gehörte die Politik sowieso abgeschafft – wohl Resultat des Aufwachsens in totalitären Regimes. „Die Politik ist die größte Hua, die es gibt. Als der Hitler kommen is, haben sie meinen Vater eingesperrt. Später, unter die Russen, hab ich bei der Voith gearbeitet. Dann sollt ich in die Partei eintreten. Als ich nein gesagt hab, wurde ich entlassen. Und die Arbeiterpartei, die gibt es jo gar nimma – do san jo nur Reiche drin.“ So reduziert sich sein einziger Wunsch, den er an die Politik hat, auf die eigene Wohnsituation. „Ich will nicht mehr raus von da, im Sommer ist es so schön!“ Lebensabend
Und was macht er heute den ganzen Tag über? „I bin meistens daham. Hin und wieder spazier ich die Stockinger Brücke auf und ab. Weil nur zuhause sitzen, do wirst jo deppert.“ Den Garten genießt er auch, wo er sich ein bissl raussetzen kann. Kochen und einkaufen tut er selbst, wobei er schaut, dass er mit seinen „400 Euro über die Runden kommt. Damit muss ich aber auch Strom, Katzenfurtter, Brennholz bezahlen.“ Und natürlich den Alkohol, wobei er sich kostenbewusst gibt. „Den Doppler kauf ich beim Spar, weil beim Greißler unten zoist jo fost des Doppelte.“
Große „Sprünge“ kann er aber auch im Hinblick auf seine Mobilität nicht mehr machen, seitdem er in der Linzerstraße von einem Auto angefahren wurde. „Zwei Schrauben hab ich seit damals im Knie.“ Wie zum Beweis zieht er das Hosenbein hoch und zeigt das angeschwollene Knie. „Ich kann ja nicht mal mehr radlfahrn.“, fügt er traurig hinzu und offenbart uns seinen größten Wunsch, den er noch hat. „Ich brauchat a Automoped. Dann könnt ich in den Dunkelsteinerwald fahren, Schwammerl suchen. Steinpilz und Parasol. Geh bitte, höfts ma, dass I a Automoped kriag.“ Kommentar Es ist wie mit einem Puzzle, das uns Hans hingeworfen hat. Viele einzelne Teile, wild durcheinander gemischt, ohne Chronologie, ohne roten Faden. Wir haben alles, so gut es ging, versucht zusammenzusetzen – aber da fehlen viele Puzzlesteine, da bleiben unzählige weiße Flecken, weshalb wir nur ein Fragment, Stückwerk liefern können. Fragmente eines 76 jährigen Lebens, das schon – nicht durch Glanz und Glorie – sondern durch sein Ursprünglichkeit, Ungehobeltheit, seiner vermeintlichen Elendigkeit zur Legende geworden ist. Ob es wahr ist, was uns der Hans erzählt? Ja und nein, so wie das bei Legenden nun einmal so ist. In Hans Erinnerung sicher, das glauben wir ihm, denn „die Woaheit, vestehst, die Woaheit is wichtig!“ bläut er uns mehrmals ein, und das klingt ebenso überzeugt und ehrlich wie sein „Ich hasse das Lügn. Da kriag an Grant.“ Aber Hans Form des Erinnerns ist eine selektive. Während er die Kindheit, also das, was am meisten zurückliegt, vermeintlich paradox am genauesten schildert, verliert sich der Erzählfaden ab den 50’ern. Da sind viele Dinge, die dem Hans weh tun, die anderen sogar das Leben gekostet haben. Darüber will er nicht reden, und das ist zu akzeptieren. Wir wollen keinen Sozialporno, sind auch nicht die Richter, die über dieses Leben zu urteilen hätten. Das haben vor uns schon andere getan. Wir wollen nur einen Menschen - denn das ist er - zeigen, so wie er sich uns in ein paar Stunden bei ihm daheim gezeigt hat. Ein Portrait in Fragmenten.