MFG - Die Bekenntnisse des Dr. No
Die Bekenntnisse des Dr. No


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Die Bekenntnisse des Dr. No

Text Johannes Reichl
Ausgabe 11/2005

Was für ein Abschied! Kein Poltern, keine Abrechnung, kein Blitzlichtgewitter. Nur ein paar Briefe. Dr. Siegfried Nasko hat auf leisen Sohlen die Politbühne verlassen, um eine neue Reise anzutreten. Mfg gab er vor seiner Abfahrt nach Indien exklusiv ein Interview über seine Beweggründe, sein Leben als „Steppenwolf“, Loyalität und neue Ziele. Von einem Abschied, der ein Anfang ist. Das letzte SMS, das ich von Dr. Nasko erhalten habe: „Bin ab heute bei den Yogis in den Bergen!“

Die erste Frage liegt wohl auf der Hand: Warum kehren Sie der Politik den Rücken?
Das hat zum Teil mit gesundheitlichen Gründen zu tun. Ich habe ein Bandscheibenproblem. In Indien gibt es eine spezielle Behandlungsmethode – Mokkscha -  mit der man sich eine Operation erspart.
Außerdem wollte ich schon immer meine Indienreisen ernster nehmen. Das menschliche
Wirken erschöpft sich nicht nur nach außen hin, in Dinge, die organisiert sind, sondern auch nach innen. Die Welt ist letztlich unser Geist. Wenn man einen spirituellen Weg geht, ist es nutzlos, diesen in der Politik zu suchen. Dann haben Sie bis jetzt in einem Widerspruch gelebt?
Ich bin lange auf zwei Gleisen gelaufen. Zum einen will man den Ansprüchen der Gesellschaft genügen. Als Beamter, als Politiker, war ich eine Zweckperson. Da habe ich mich mit vollem Einsatz eingebracht, weil mich das kreative Schaffen für die Stadt immens fasziniert hat. Ich wollte am Abend nicht nachhause gehen, in der Früh hab ich mich schon auf den Arbeitstag gefreut.
Trotzdem – egal ob im Beruf oder in der Politik - bin ich nie gänzlich Teil geworden. Da waren noch andere Horizonte, die mich fasziniert haben. Ich hatte schon als Kind immer das Gefühl, dass es noch mehr geben muss. Das habe ich gesucht. Die Wege waren nicht immer die richtigen, aber mitunter heilsam. Man kommt auch über Umwege weiter. Wichtig ist ein Zurückkehren zu sich selbst, ein Befreien, das man durch das Miteinander mit den Menschen verlieren kann. Das klingt nach einem einsamen Weg. Sie galten ja als eine Art Steppenwolf. Hat Sie das je belastet? 
Ein bisschen schon. Mir erging es so, wie es Handke im Caspar Hauser schreibt: „Ich möchte einmal einer sein, wie ein anderer gewesen ist.“ Ich konnte mich nie so integrieren, auch wenn ich es gewollt hätte - war mitunter isoliert.  Andererseits waren sie acht Jahre verheiratet, haben einen Adoptivsohn. Gibt es da noch Bande?
Nein, das hab ich total abgeschlossen. Die Scheidung hat mich sehr geprägt. So sehr, dass Sie in Folge allein blieben? Kommt eine Beziehung wieder in Frage?
Für die Zukunft schließe ich nichts aus - ich kann mir das durchaus vorstellen. Es muss freilich die Beziehungsfähigkeit gegeben sein, das war bei mir vielleicht ein Hemmschuh. Da bedarf es auch des zweiten, der das mitträgt.  Spielen Sie damit auch auf Ihre aufbrausende Art an, die Manche irritiert, bisweilen vor den Kopf gestoßen hat.
Dieses Aufbrausen passierte nie aus einem Kalkül heraus, sondern das geschieht wie bei einem Vulkan, der plötzlich und heftig ausbricht und nachher Verwüstung hinterlässt. Das hab ich in meinem Agitationsdrang leider oft nicht wahrgenommen, und dann waren Risse oft nicht mehr zu kitten. Es war für manche sicher schwer. Ich war, vor allem in der ersten Hälfte meiner Berufslaufbahn ein notorischer Typ. Erst, als ich vor ca. 15 Jahren zu meditieren begann, wurde es besser. Aber durch meinen äußeren Habitus - obwohl mein Inneres anders ist - wurde sicher im Vorhinein manches gebremst, das gekeimt wäre. Ich hab daher Möglichkeiten gesucht, das zu bessern.  Ihr Freund Hugo Portisch hat einmal gemeint, „Der Nasko is ein wilder Hund“, aber zu ihrem 60’er konstatiert, dass sie ruhiger geworden sind.
Ich hab in den letzten Jahren oft meine vorgefassten Überlegungen über Bord geworfen, wenn etwa der Fotograf besser wusste, wie man es machen könnte. Das wäre in meiner Anfangszeit undenkbar gewesen, da dachte ich noch, mir gehört die Welt. Durch diese Aufgeschlossenheit habe ich für mich aber selbst viel gewonnen.
Letztlich geht es um gegenseitiges Verstehen. Die Menschen sind leider viel zu leicht bereit, Streit als Anlass zu nehmen, um Kontakte abzubrechen. Wie stand es da mit ihren Vorgesetzten. Wie kamen die mit Ihrer Art zurecht. 
Die hatten es nicht immer leicht. Ich kann mich etwa an Schickelgruber erinnern, der hat öfter gemeint: „Sigi, wir müssen uns trennen.“ Und ich in meinem depperten Feuer hab dann erwidert: „Du kannst mich ja in die Bestattung versetzen.“ Aber letztlich war er froh, dass ich immer ehrlich war, der hat meine Loyalität gespürt.  Loyalität, die sie auch seinem Nachfolger gegenüber hatten?
Man kann sich nicht aufdrängen als Mensch, in seiner Unterstützungsbereitschaft. Ich hatte nie ein Loyalitätsproblem. Das hat für jeden meiner Vorgesetzten gegolten, besonders für Gruber. Ich wäre für ihn durch jedes Feuer gegangen. Reibungsgeschichten hat es immer gegeben, aber es ging stets darum, dass man das Beste will. Das war dann oft eine Frage der Auslegung.  Ihr  „berühmtes“ ORF Interview im März des Vorjahres wurde Ihnen aber als Loyalitätsbruch ausgelegt. Bereuen Sie das Interview im Nachhinein?
Ich bereue gar nichts. Es gibt einfach Stufen des Lebens, die schon angelegt sind, da kannst du nicht ausbrechen. Das Leben ist eine Erfüllung dessen, was vorgezeichnet ist. Eines muss ich aber sagen. Ich bin Germanist. Für mich ist das Wort „Lebensqualität“ sicher keines, womit ich jemand anderem Kompetenz abspreche oder zum Rücktritt auffordere. Das Interview damals ging um eine gänzlich andere Materie, nämlich das Krankenhaus, nicht um eine Person. Ich hab mich damals selbst über die Reaktionen gewundert, welcher Trend da losgetreten wurde. Was andere interpretieren und aus welchen Gründen, dem kann und will ich nichts entgegensetzen.  Nur drei Monate später wurde Matthias Stadler Bürgermeister. Hat Sie das gefreut, immerhin gelten Sie quasi als sein politischer „Ziehvater“? 
Bürgermeister Stadler ist ein Riesenglück für die Stadt! Der ist in Vergangenheit unscheinbarer aufgetreten, als er in Wahrheit ist. Bei mir hat es im Rathaus ja geheißen, dass ich die Mitarbeiter zu sehr belaste. Stadler aber ist schon nach kurzer Zeit zu mir gekommen und hat gemeint: „Herr Doktor. Entweder ich bekomme mehr Verantwortung,  oder ich muss wieder gehen.“ Damals übernahm er dann die Europaausstellung, wobei dem Stadler ein Schloss zuwenig war, der wollte gleich zwei – deshalb war die Ausstellung in Pottenbrunn und im Karmeliterhof. Da hat man schon gespürt, welche Ansätze vorhanden sind. Am Wahlabend des 30. März 2003 hat mir Bürgermeister Gruber dann den Gang in den Landtag versüßt, indem er mich fragte „Glaubst du, würde Matthias das machen?“ Ich wollte ursprünglich ja nicht in den Landtag, aber da war mir klar, dass meine Wünsche und Belange jetzt hintanstehen müssen. Mit Stadler als Bürgermeister ist nichts unmöglich für St. Pölten! Wie war das mit dem Landtag. Man hatte zu Beginn ja den Eindruck, dass Sie gar nicht so heiß darauf sind?
Das war völliges Neuland für mich. Ich wusste ja nicht, ob ich das in meinem Alter noch schaffe. Aber es hat funktioniert, und wirklich schön war, als in einer Sitzung ein Abgeordneter einer anderen Partei konstatierte: „Herr Kollege, Sie sind für die Qualität dieses Hauses eine Bereicherung!“ Gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind in Ihrem Leben?
Der Aufstieg in der akademischen Laufbahn und der Politik war sicher nicht vorgezeichnet. Meine Kindheit und Jugend waren entbehrungsreich und schlimm, vom Seelischen wie vom Materiellen her. Aber interessanterweise habe ich das nie so empfunden. Zugleich habe ich immer gedacht, „Wen die Götter lieben, den holen sie früh zu sich.“ Heißt das, es gab eine gewisse Todessehnsucht?
Es war nie ein so leichtes Leben. Es gibt eine gewisse Schwermut, die immer da ist. Das Korsett war sehr eng. Ich hab mir immer gedacht, das kann nicht alles sein, da muss es eine andere Dimension geben. Aber ich hab den Weg nicht gefunden. Und heute – ist der Tod Teil des Weges?
Das Physische stirbt, wobei die Vorstellung, was mit meinem Körper nachher passiert, mich immer sehr beschäftigt hat. Als ich 1998 am Himalaja aufgrund der Höhenkrankheit dachte, ich müsste sterben, war der Gedanke tröstend, dass mich hier nur die Geier auffressen können. Es war immer mein Wunsch, dass andere nicht über meinen Körper verfügen. In Wahrheit vergeht die Materie aber, nur der Geist ist ewig. „Ich bin die Welt und alles Sein“, heißt es. Der Mensch ist sein eigenes Universum.  Sie gehen jetzt für längere Zeit nach Indien. Ist der Buddhismus ein Weg, der Sie ans Ziel führen wird?
Dieser Weg ist eine Möglichkeit, aus dem Verhaftetsein herauszukommen. Natürlich gibt es keine Garantie. Aber es ist eine andere Sichtweise auf die Welt. Ich hoffe, dass es zu einer effizienten Neustrukturierung kommt, meiner Handlungen und Zielsetzungen – dazu wähle ich eine Umgebung, die Zurückgezogenheit und geistige Aufrüstung gewährleistet. Derzeit spüre ich auch einen Altruismus, der sich entwickelt, und den ich leben möchte. Wir haben Spatenstiche gesetzt, Bauten errichtet, Feste ausgerichtet - aber gleichzeitig hungern Menschen, erhalten Blinde keine adäquate gesundheitliche Versorgung, obwohl man deren Leid durch materielle Teilung wegnehmen könnte. Das hat mich immer sehr beschäftigt. Für mich persönlich hat sich dadurch das sozialdemokratische Feld auf eine universalere Ebene verlagert. Es geht darum, Leben zu ermöglichen.
Jetzt freue ich mich jedenfalls, bin gespannt auf meinen neuen Erlebnisabschnitt. Es ist eine Zäsur. Man muss sich verändern. Zur Person Siegfried Nasko war gemeinsam mit Willi Gruber, Amand Kysela und Hans Kocevar Bestandteil der St. Pöltner „Fantastic Four“, welche die Geschichte der Stadt der letzten zwei Jahrzehnte prägten. Aufgewachsen in ärmlichsten Verhältnissen in Graz, haute er nach der Bäckerlehre von zuhause ab, besuchte Arbeitermittelschule und Aufbaugymnasium und studierte Germanistik und Philosophie. In St. Pölten landete Nasko 1971, wo er es im Magistrat bis zum Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bringt, im März 2004 aber nach einem umstrittenen ORF Interview in Pension geht. Politisch steigt Nasko 1984 in den Gemeinderat ein, 1991 wird er Kulturstadtrat, 2003 wechselt er in die Landespolitik. Karriere macht er zudem als Wissenschaftler, u.a. als Mitarbeiter für Hugo Portisch Österreich II, als Renner-Experte und Buchautor. Nunmehr zieht es Nasko nach Indien und zum Buddhismus hin.