Englische Fräuleinpower - ein Orden für fromme Damen
Text
Michael Müllner
Ausgabe
Wie lebt man so als Nonne? Hinter alten Klostermauern abgeschottet von der Außenwelt? Der Alltag eingebettet in Rosenkranz und Ave Maria? Harte Arbeit im Kräuter- und Gemüsegarten – oder doch lieber stundenlanges Wälzen jahrhunderte alter Bücher in der Ordensbibliothek? Wir fragen nach und treten ein: Herzlich willkommen im Frauenorden der „Englischen Fräulein“.
In der St. Pöltner Linzerstraße befindet sich das Mutterhaus der Englischen Fräulein. Neben Kirche und Institutsräumlichkeiten gehören mehrere Schulgebäude zum barocken Anwesen im Besitz der Schwestern. Gegründet wurde der Orden 1610 von der Engländerin Maria Ward, rasch breitete er sich nach Mittel- und Osteuropa aus, St. Pölten war lange Zeit der Hauptsitz für zahlreiche Niederlassungen in ganz Europa.
Zu einer Zeit, als Mädchen keinerlei Bildung bekamen, erkannten die Schwestern die sozialen Folgen und boten als einzige Schulen für junge Frauen an. So entstand der Ruf als „Schulorden“. Bis heute betreiben die „Maria-Ward-Schwestern“ weltweit Schulen und verhelfen somit besonders in Entwicklungsländern jungen Frauen zu Bildung, Selbstwertgefühl und Entwicklungsperspektiven. Bis heute stellt dieses Bildungsangebot mancherorts eine Bedrohung für die Mächtigen dar, lernen junge Frauen doch nicht nur lesen, sondern entwickeln in weiterer Folge mitunter auch ein Gefühl für Freiheit und Recht. Was an der Basis hoch geschätzt wird, kann somit manch Obrigkeit beunruhigen.
In Österreich sind die Bedürfnisse freilich längst andere geworden. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der Orden seine von den Nazis 1938 übernommenen Schulen zurückerhalten, die Schwestern standen wieder am Lehrpult – bis 1989 allerdings nur Mädchen. „Nicht weil wir was gegen Buben hätten, sondern weil es uns ein Anliegen war, dass eine Familie nicht auf die Idee kommt, statt dem Mädchen, nur den Buben in eine private Schule zu schicken“, erklärt Sr. Ingeborg Kapaun CJ, selbst lange Zeit Provinzoberin und damit für zahlreiche Niederlassungen in ganz Europa verantwortlich.
Sozialer Auftrag
Weltliche Lehrkräfte ersetzten zunehmend die geistlichen, im Jahre 2000 wurden alle Schulen einem privaten Trägerverein übergeben. „Wir hätten nicht mehr die Möglichkeiten den ganzen Verwaltungsapparat sowie die notwendige Finanzierung zu sichern“, erklärt Sr. Agathe Rabl CJ. Immerhin ist der „Personalstand“ des Frauenordens in St. Pölten in den letzten Jahrzehnten ständig geschrumpft. Auf 26 Schwestern kommt man heute, die Jüngste wurde vor kurzem im „Club der 60er“ willkommen geheißen. Da ist man dann schon sehr mit der Betreuung der eigenen Schwestern, die alt und krank sind, beschäftigt. Neun Teilzeitangestellte unterstützen bei der täglichen Arbeit in Küche und Wäscherei. „Nachwuchs gibt’s so gut wie keinen, da liegen wir im Trend für West- und Mitteleuropa… Man könnte sagen, es ist derzeit nicht besonders ‚in’ einem Frauenorden beizutreten“, fasst Sr. Ingeborg die größte Herausforderung für den Orden mit einem Lächeln zusammen. Denn aus dieser vermeintlichen „Not“ an Personal machen die Schwestern eine optimistische Zukunftsperspektive: „Unsere Gemeinschaften werden in Zukunft wohl kleiner und flexibler sein. Der Staat erfüllt heute die Bildungsaufgaben, somit können wir uns – nach jahrhundertlanger Pionierarbeit – beruhigt aus diesem Bereich zurückziehen.“
Und was tut man, wenn man nicht mehr unterrichtet? „Unsere Stifterin Maria Ward wollte immer, dass wir hinausgehen in die Welt. Wir sollen die Bedürfnisse der Menschen erkennen und ihnen so gut wir können helfen. Das tun wir heute besonders im seelsorgerischen Bereich. Der ‚Rückzug’ aus den Schulen hat bewirkt, dass wir uns im unendlich vielfältigen sozialen Bereich verstärkt engagieren können“, erklärt Oberin Sr. Agathe Rabl CJ, die sich selbst ihr gesamtes Leben über als Seelsorgerin mit kranken und alten Menschen beschäftigt hat. Als Oberin geht sie weiterhin zivil, eine strenge Ordenstracht gibt es bei den Englischen ohnehin nicht: „Wir kleiden uns so, wie es für unsere Tätigkeit sinnvoll ist. Wenn sich zeigt, dass man den Menschen besser helfen kann, wenn man zivil gekleidet ist, so gehen wir natürlich auch zivil.“
Zukunftsmodell Lilienhof?
Der dramatische Wandel des Ordenslebens zeigt sich nicht nur am Rückzug aus dem Schulbereich. Der Lilienhof in der Stattersdorfer Hauptstraße war ursprünglich die „Getreidekammer“ des Haupthauses in der Innenstadt. Der landwirtschaftliche Betrieb am Standrand versorgte mit seinen Stallungen und Feldern die Fräulein fast autonom. Anfang der 90er Jahre wurden die Felder dann jedoch verpachtet, eine Betreuungseinrichtung für geistig Behinderte Jugendliche entstand. Doch als das Angebot an staatlichen Betreuungseinrichtungen wuchs, überlegte man sich die heutige Rolle für den Lilienhof: „Ein Ort für Exerzitien und Jugendliche, Seminare zur Weiterbildung Erwachsener, aber auch Orientierungstage für Schulen, oder monatliche Taize-Gebete sorgen für eine sehr gute Auslastung“, erzählt Sr. Irmgard. Die schöne Gartenanlage bietet seit Herbst auch einen öffentlich zugänglichen „Maria-Ward“-Pilgerweg mit sieben Stationen, geschaffen von der Keramikkünstlerin Ulrike Völkl-Haubner. Heute sind nur mehr drei Schwestern und Wachhund Blacky am Lilienhof tätig, betreuen den verbliebenen Garten und die Besucher.
Mitgelitten
Wenn man schon mit Geistlichen in dieser Stadt spricht, dann kann natürlich eine Frage nicht ungestellt bleiben. Wie war das denn, damals, also eh vor kurzem? Sie wissen schon… Ein wissendes Lächeln, ein Blick auf den Boden. „Das war schlimm, für die ganze Diözese. Wir haben mitgelitten, waren jedoch glücklicherweise nicht unmittelbar betroffen.“ Der Frauenorden ist nämlich nicht dem Diözesanbischof unterstellt, sondern hat eigene Strukturen. Mit Altbischof Krenn hatten sie demnach wenig zu tun, mit dem teilweise zuständigen Weihbischof Fasching pflegten sie stets ein vorbildliches Verhältnis und „mit anderen kirchlichen Einrichtungen in der Stadt und Diözese leben wir in guter Nachbarschaft“.
Wenn sie dann berichten, dass seit dem Amtsantritt von Bischof Küng die Atmosphäre in der Diözese viel entspannter sei, dann sieht man ihnen die Freude darüber wirklich an. Und außerdem, meint eine Schwester: „Das hat mich schon in der Schule immer wild gemacht. Da diskutieren die Schüler mit mir ständig über einen Bischof! Dabei ist das ein Nebenthema! Der Glaube, das ist das Wichtigste! Darüber soll man sich den Kopf zerbrechen. Wir sind ja auf Jesus Christus getauft, nicht auf irgendeinen Bischof!“
Nicht so ‚in’
Als „Normalsterblicher“ mag man sich vielleicht denken, ein „Team“, bei dem alle Spielerinnen über 60 Jahre alt sind, tut sich schwer mit optimistischen Zukunftsplänen. Im Fall der Englischen Fräulein merkt man jedoch nichts von Trübsinn. Wenn man das Institut betritt, steht man mit einem Schlag in einem Paralleluniversum. Der Eintritt ins Kloster, auch wenn er nur für ein paar Stunden dauert und als „Gast“ erfolgt, hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Ältere Damen mit unerschütterbarer Zufriedenheit sprechen über Gott, die Liebe, das Leben und ihre Gemeinschaft, sind voll Dankbarkeit und Zuversicht. Und wenn man sich dann verabschiedet hat und hinausgeht in die „reale“ Welt, dann wird einem klar, dass diese Frauen auch allen Grund zur Zuversicht haben. Wer sonst ist mit sich selbst schon so im Reinen?
Über Maria Ward
Maria Ward wuchs im England des 16. Jahrhunderts in einer wohlhabenden, katholischen Familie auf – zu einer Zeit, als Katholiken dort verfolgt wurden. Ihren ursprünglichen Wunsch am Festland in einen strengen Frauenorden einzutreten gab sie auf und entwickelte ihre eigene Vision. Basierend auf den Satzungen des Ignatius von Loyola gründete sie 1609 einen Frauenorden, der ohne Klausur auskam und nicht den Bischöfen, sondern einer gemeinsamen Generaloberin unterstellt war. Statt hinter verschlossenen Mauern zu beten, sollten sich die Schwestern mit offenen Augen in der Gesellschaft bewegen. 1631 wurde das Institut von Papst Urban VIII. aufgehoben, fortan verbrachte Maria Ward ihr ganzes Leben erfolglos damit, ihr Lebenswerk von der Amtskirche bestätigen zu lassen, immerhin sei es nicht „ihre Idee“, sondern Plan Gottes.
Nach Ward’s Tod blühten unter dem Schutz katholischer Fürsten die Einrichtungen im deutschsprachigen Raum auf, 1909 wurde die Stifterin rehabilitiert, seit 1998 läuft ein Seligsprechungsverfahren. Neben einer geldreichen Lobby dürfte für die Seligsprechung noch ein „Wunder“ fehlen. Die Tatsache, dass die Maria-Ward-Schwestern – trotz des Widerstands der Amtskirche – ihre Vision des Frauenordens realisiert haben, wäre jedoch ein Anfang.
300 Jahre Englische Fräulein
In Krems und St. Pölten laufen die Vorbereitungen für das 300-Jahr-Jubiläum im Frühjahr 2006 auf Hochtouren. 1706 kamen die ersten Schwestern nach St. Pölten und gründeten das Mutterhaus für alle späteren Niederlassungen auf dem Gebiet der ehemaligen Habsburgermonarchie. „Sie sind gekommen, Gott und den Menschen zu dienen“, steht über dem Torbogen. Rasch war ein Aufgabenbereich gefunden, im Bildungsbereich war die Not am größten. In Pionierarbeit bauten die Schwestern Schulen für Mädchen auf. Zahlreiche Reformen und laufende Anpassungen an die „Bedürfnisse“ des damaligen „Bildungsmarktes“ führten zu einer gewissen Flexibilität. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass der Frauenorden nicht abgehoben oder entrückt wirkt, sondern am Leben der Menschen Anteil nimmt.
1929 wurde in der Schneckgasse ein „neues“ Schulhaus eröffnet. Sofort mit Hitler’s Einmarsch wurden alle Schulen des Instituts unter nationalsozialistische Verwaltung gestellt, ein Großteil der Räumlichkeiten wurde beschlagnahmt. In dieser Zeit durften die Schwestern nicht mehr unterrichten, sie wandten sich dem vielfältigen Bereich der Seelsorge zu. Mit Kriegsende 1945 erhielten sie die Schulen zurück, alle Schwestern mussten wieder in den Lehrdienst, jedoch ging die Anzahl geistlicher Lehrerinnen kontinuierlich zurück. Beispiele für berühmte Schulabgängerinnen sind die Dichterinnen Paula von Preradović und Enrica von Handel-Mazetti, oder Gertrude Tumpel-Gugerell (Direktoriumsmitglied der EZB) und Monika Langthaler (Unternehmensberaterin).
Eine Zäsur erfuhr die Schule als 1989 erstmals auch Knaben aufgenommen werden. Mangels eigener Kräfte übergab das Institut im Jahr 2000 alle Schulen einem Trägerverein. Ein Meilenstein erfolgte 2004, als der weltweit rund 2.200 Schwestern zählende und auf vier Kontinenten tätige Orden den Namen „Congregatio Jesu“ und das Kürzel „CJ“ annimmt. Die acht Provinzen im deutschsprachigen Raum schlossen sich 2005 zu einer großen „mitteleuropäischen Provinz“ mit Hauptsitz in München zusammen.