MFG - "Der Richter hat weit über die Stränge geschlagen!"


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

"Der Richter hat weit über die Stränge geschlagen!"

Text Michael Müllner
Ausgabe 09/2014

Es geht um sehr viel Geld für St. Pölten – oder die Raiffeisen Landesbank NÖ-Wien (RLB). Seit Mai steht das Verfahren am Handelsgericht Wien über ein katastrophales SWAP-Geschäft still, weil die Stadt die Ablehnung des Richters beantragt hat. Wir fragten Stadtanwalt Lukas Aigner nach den Gründen sowie seine Sicht der Dinge.

Bei der letzten Verhandlung am Handelsgericht Wien beantragten Sie die Ablehnung von Richter Martin Ogris. Was hat für diesen nicht alltäglichen Schritt den Ausschlag gegeben?
Das Verfahren war schon von Anbeginn über weite Teile durchaus emotional, die Medien und die Öffentlichkeit haben entsprechendes Interesse gezeigt. Harte Diskussionen kommen bei Gericht oft vor, müssen aber immer sachlich bleiben. Der Richter hat in der letzten Verhandlung mit seinen Aussagen aber weit über die Stränge geschlagen. Sein Verhalten war mit den Grundsätzen eines objektiven Verfahrens nicht mehr in Einklang zu bringen. Zu einem Zeitpunkt, als die Zeugenbefragung in vielen Punkten nicht abgeschlossen war, wurden zentrale Zeugen persönlich angegriffen und Beweise vorab gewürdigt. Dabei sieht die Zivilprozessordnung klare Spielregeln vor – diese wurden nicht eingehalten. Ich bin durch meine jahrelange Vertretungstätigkeit vor Gericht einiges gewöhnt und musste bisher noch nie einen Richter in der Verhandlung ablehnen.

Als Sie den Ablehnungsantrag formulierten, waren alle Anwesenden überrascht. Hatten Sie diesen Schritt im Vorfeld mit der Mandantin erläutert bzw. sich dafür das nötige Pouvoir geholt?
Die Zivilprozessordnung sieht eine unverzügliche Rügepflicht vor, wenn der Anwalt den Eindruck gewinnt, dass der Richter zu einer unbefangenen Verfahrensführung nicht mehr in der Lage ist. Daher musste der Antrag auch sofort gestellt werden, als er aus meiner Sicht geboten war. Eine Konsultation mit der Mandantin wäre also in einer solchen Situation gar nicht möglich. Außerdem vertrete ich nur die Interessen der Mandantin. Das inkludiert natürlich auch derartige Schritte, wenn diese geboten sind, um die Interessen zu schützen.

Als Prozessbeobachter hatte man den Eindruck, dass im Verfahren wenig weitergeht. Ewig wurde um des Kaisers Bart diskutiert. Nun sind wieder vier Monate seit dem Ablehnungsantrag verstrichen. Spielt St. Pölten hier auf Zeit?
Die Verhandlungshoheit obliegt dem Richter. Der überwiegende Teil der Argumente liegt ja bereits vor einer mündlichen Verhandlung in Form von Schriftsätzen vor, die mündlichen Sachvorträge während einer Verhandlung sind eher die Ausnahme. Wie viel diskutiert wird, liegt in erster Linie an der Verhandlungsführung des Richters, er gibt die Linie und die Richtung vor, er kann Diskussionen befeuern oder abdrehen. Diskussionen sind ja hilfreich, um den Prozessstoff zu gliedern. Grundsätzlich hat der Richter ja die Aufgabe im Beweisverfahren alle Beweismittel zu sichten, insbesondere die Zeugen zu hören, erst danach fällt er sein Urteil. Da ist es natürlich wichtig, dass er das Verfahren auch aktiv lenkt. Als Klägerin und als Beklagte muss man die Möglichkeit haben, alle relevanten Aspekte vorzubringen. Es ist sinnvoll, dass der Richter auch herausarbeitet, an welchen Aspekten er denkt, dass sich das Verfahren entscheiden wird. Und zu diesen Punkten sollen dann beide Parteien ihre Argumente und Beweise vorbringen. Da muss man sich nicht an Nebenschauplätzen aufhalten. Dass ein solches komplexes Verfahren länger dauert, ist normal, da kann man dem Richter keinen Vorwurf machen.

Der negative Anfangswert des umstrittenen Geschäftes führte oft zu Grundsatzdiskussionen zwischen Ihnen und dem Richter. Warum ist Ihnen dieser Aspekt so wichtig?
Es wäre meiner Meinung nach ein kluger erster Schritt, wenn man durch ein Gutachten eines Bankfachmanns genau dieses Geschäft bankfachlich in allen relevanten Aspekten ausleuchten würde. Das wurde im Verfahren Bruck an der Leitha auch gemacht und hat rasch zu einem Urteil geführt. Eine Fülle von Privatgutachten liegt ja bereits vor.
Wir sehen das Phänomen eines hohen negativen Anfangswerts auch in anderen Fällen, bei denen Banken mit Kommunen Derivativgeschäfte geschlossen haben: Diese Produkte haben offenbar dem Geschäftsmodell nach einen hohen negativen Anfangswert, den aber nur die Bank kennt. Dieser wirkt sich über mehrere Ebenen sehr negativ für den Kunden aus.
Ein weiteres zentrales Problem ist, dass Gemeinden weder die nötige Technik noch das nötige Know-How haben, um derartige komplexe Geschäfte wirklich zu managen – das können nur größere Banken. Dort gibt es spezialisierte Abteilungen, die das Risiko von Anfang an genau abschätzen, laufend messen, überwachen und im Fall des Falles auch in der Sekunde begrenzen können. Die Überwachung erfolgt rund um die Uhr, durch einen ganzen Stab an Experten mit komplexer EDV-Unterstützung.
Würde man sich im gegenständlichen Fall die Stadt St. Pölten wegdenken, so hätte die RLB das Geschäft gar nicht mit Meryll-Lynch abschließen können – sie hätte es laut den uns vorliegenden Zahlen gar nicht ohne Sicherung in ihren Bankbüchern untergebracht, weil das Risiko selbst für die Bank und deren Limits viel zu hoch war. Das erkennt aber nur ein Derivate-Fachmann mit finanzmathematischer Ausbildung.
Der Deutsche Bundesgerichtshof hat bereits 2011 ein Grundsatzurteil gefällt, dass eine Bank bei derartigen Geschäften dem Kunden den eigenen Interessenskonflikt und den negativen Startwert des Geschäfts offenlegen muss. Die Gemeinde glaubt, die Bank empfiehlt ein für die Gemeinde vorteilhaftes Geschäft – in Wahrheit ist das aber nicht der Fall, das Geschäft ist wegen dem negativen Startwert massiv unausgewogen. Das provoziert nicht nur einen Interessenkonflikt, sondern wirkt sich auch massiv auf das Risiko der Gemeinde aus. Die Bank wettet damit gewissermaßen gegen den Kunden.
Wäre das gegenständliche Geschäft nicht von den Banken geschickt als „Swap“ mit geringem Nominal getarnt worden, sondern so wie es der Wirklichkeit entspricht als Kombination von 67 Währungs-Optionsgeschäften im Schweizer Franken, hätte es von Anfang an nie und nimmer in den Betrags- und Risikolimits untergebracht werden können, welche der Gemeinderat von St. Pölten vorgegeben hatte. Limits, die übrigens gemeinsam mit der RLB erarbeitet wurden. Die Bank hatte also jederzeit einen massiven Wissensvorsprung vor ihrem Kunden und hat diesen nach unserem Standpunkt auch ausgenützt.

Mit Ende März hat St. Pölten die Zahlungen an die RLB aus diesem Geschäft eingestellt, als Reaktion stellte die Bank das Geschäft glatt und kündigte eine Gegenklage über 66 Millionen Euro an. Ist diese bereits eingelangt?
Nein, wir wissen davon noch nichts. Die Bank behauptet nun einen Schaden von 66 Millionen Euro zu haben. Wir können dies aber nicht nachvollziehen. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass die Bank bereits vor längerer Zeit das Risiko des Geschäftes zwischen ihr und Meryll-Lynch durch Gegengeschäfte abgesichert oder das Geschäft schon davor geschlossen hat. Vielleicht war ja ihr eigentlicher Schaden dadurch nur 5 Millionen Euro? Somit würde man von St. Pölten nun auch nur eine Art von „Wettgewinn“ fordern. Die Bank wird ihre eigenen Bücher offenlegen müssen. Bis dato liegt diese Gegenklage jedenfalls noch nicht am Tisch. ZUR PERSON Rechtsanwalt Lukas Aigner ist bei „Kraft & Winternitz“ Experte für Kapitalmarkt-, Bank- und Versicherungsrecht. Er vertritt die Stadt St. Pölten im Zivilprozess gegen die Raiffeisen Landesbank NÖ-Wien (RLB). Seine Kanzlei betreut auch die Stadt Linz in ihrem Zivilstreit mit der BAWAG sowie die Stadt Bruck an der Leitha, welche sich nach einem Erfolg in erster Instanz vor Kurzem mit Raiffeisen verglich.