MFG - Mobbing am Regionalförderplatz
Mobbing am Regionalförderplatz


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Mobbing am Regionalförderplatz

Text Johannes Reichl
Ausgabe 09/2013

Da jubelte Landtagsabgeordneter Martin Michalitsch: „1.932.951 Euro an Mitteln der Regionalförderung sind in den Bezirk St. Pölten geflossen!“, ließ er via Presseaussendung wissen. Als St. Pöltner konnte man sich den Jubel getrost sparen. Gemeint ist der Bezirk St. Pölten-Land. Die Haupstadt ist nach wie vor aus der Regionalförderung ausgeschlossen.

Wir schreiben das Jahr 1986. St. Pölten wird Landeshauptstadt von Niederösterreich, zahlreiche Investitionen – allen voran für Regierungsviertel samt Kulturbezirk – fließen in die Traisenstadt. Von rund 7 Milliarden Schilling ist die Rede. Um die niederösterreichischen Regionen gleichermaßen zu befriedigen und ihnen die Angst vorm alles absaugenden Moloch St. Pölten zu nehmen, wird zugleich das Regionalfördergesetz verabschiedet, das 1987 in Kraft tritt: Die gleiche Summe soll über die nächsten 20 Jahre verteilt direkt in die Regionen fließen. St. Pölten wird aus diesem Topf explizit ausgeschlossen.

In die Länge gezogen
Die ursprüngliche Vereinbarung wurde mittlerweile schon zweimal verlängert und läuft aktuell bis 2020. Selbstredend das St. Pölten ausgeschlossen bleibt. Aber warum eigentlich? Sollten nach 34 Jahren nicht wieder die gleichen Voraussetzungen für alle gelten? Wirtschaftslandesrätin Petra Bohuslav verweist auf eine Kontinuität des Regionalfördergedankens: „Die ursprüngliche Ausrichtung, ein Ausgleich im Verhältnis zur Landeshauptstadt zu sein, wurde beibehalten.“ Die entsprechenden Landtagsbeschlüsse dazu fielen im Übrigen allesamt einstimmig. Neu ist ein Wandel der Regionalförderung insofern, dass sie mittlerweile kongruent zur EU-Förderung von Regionen geht, d. h. die Projekte werden von der EU kofinanziert. Das wiederum schließt St. Pölten auch aus diesen Töpfen aus, wie Bürgermeister Matthias Stadler bestätigt: „Es ist eine Tatsache, dass St. Pölten keine Regionalförderung bekommt. Es ist auch eine Tatsache, dass die Stadt St. Pölten nur wenige Möglichkeiten hat, Förderungen aus Mitteln der EU zu bekommen.”

Verzerrter Wettbewerb
Die Folgen sind beträchtlich und stellen für die Stadt ebenso wie für ihre Unternehmer zum Teil eine fundamentale Benachteiligung dar. Besonders augenfällig zeigt sich dies etwa am Beispiel der Messeförderung, aus der St. Pölten explizit ausgeschlossen ist. Das erfolgreiche und, im Unterschied zu anderen vergleichbaren Institutionen, gänzlich privat geführte Veranstaltungszentrum erhält aufgrund dieser Regelung keinen einzigen Cent Messeförderung vom Land – die niederösterreichischen Mitbewerber aber sehr wohl. Was dies u. a. bedeutet, erklärt VAZ-Geschäftsführer René Voak: „An Standorten wie Tulln und Wieselburg konnten durch die Landesförderungen beispielsweise Infrastruktur-Erweiterungen laufend realisiert werden. Dies führte dazu, dass uns, bevor die Halle C ersetzt wurde, Kunden verloren gingen. Aber nicht etwa, weil die Nachfrage so gering gewesen wäre oder die Formate nicht funktionierten, sondern ganz im Gegenteil, weil wir den gestiegenen Flächenbedarf nicht erfüllen konnten.“
Einer, der genau unter diesen Auswirkungen zu leiden hat, ist Messeveranstalter Manfred Henzl, der im VAZ Formate wie die Wunderwelt Modellbau oder die Seniorenmesse durchführt. „Bestes Beispiel ist die Wunderwelt, die wir im nächsten Jahr zum neunten Mal durchführen werden. Wir haben sie toll eingeführt, sie ist ein absoluter Publikumsmagnet, aber irgendwann konnten wir uns aufgrund der eingeschränkten Hallensituation in St. Pölten nicht weiterentwickeln. Die Folge war, dass wir Großaussteller mit dementsprechendem Platzbedarf, den wir nicht mehr bieten konnten, an eine neue Modellbaumesse in Wels, das mit Hilfe des Landes Oberösterreich massiv ausgebaut worden war, verloren. Für uns ist die Halle C, die im Vorjahr durch die Stadt St. Pölten eröffnet wurde, fünf Jahre zu spät gekommen!“ Hätte das Land das VAZ St. Pölten, wie andere Messestandorte in Niederösterreich, unterstützt, wäre eine befriedigende Hallenlösung rechtzeitig gekommen. Stattdessen nährte das Land unter dem Schlagwort „VAZ neu“ die Hoffnung auf eine neue, große Messelösung in der Hauptstadt, die sich im Nachhinein als große Seifenblase entpuppte.
Was Henzl vor allem aufstößt, ist eine durch die ungleiche Förderung der Standorte künstlich herbeigeführte Wettbewerbsverzerrung, die für Privatunternehmer existenzbedrohend sei. „Es kann doch nicht sein, dass mit zweierlei Maß gemessen wird! Sind wir St. Pöltner Unternehmer weniger wert als jene in Tulln, Wieselburg oder Wiener Neustadt? Entweder alle bekommen Subventionen oder, was auch ein Ansatz ist, niemand. Aber so ist es einfach nur diskriminierend!“ Dass St. Pölten trotz des Wettbewerbsnachteils bislang funktioniere, liege an der Attraktivität des Standortes „der als Messestandort einfach prädestiniert und ungemein nachgefragt ist“ sowie am Durchhaltevermögen der privaten Messeveranstalter: „Gäbe es die privaten Initiativen von Frank Drechsler (WISA), NXP oder Henzl Media nicht, wäre St. Pölten de facto ein schwarzes Loch im Messewesen.“
„Im Grunde ist es so, als müssten wir beim 100 Meter Lauf 40 Meter weiter hinten starten als die Mitbewerber“, veranschaulicht es Voak plastisch, wobei er, ganz allgemein, den Grundgedanken der Regionalisierung durchaus nachvollziehen kann. „Aber man muss halt im Sinne des Steuerzahlers und der Wirtschaft schon auch hinterfragen, wo sie Sinn macht und in welcher Höhe sie gerechtfertigt ist.“

Startvorteil
Bei den geförderten niederösterreichischen Messe-Standorten sieht man die Causa naturgemäß anders und unterstreicht die Notwendigkeit der Förderung. Werner Rohrer vom Messestandort Wieselburg etwa verweist auf die zahlreichen Erweiterungen – erst dieses Jahr wurde die Ostarrichi Halle mit Unterstützung des Landes um rund 542.443 Euro saniert – und den damit verbundenen Anstieg in Qualität und Umfang der Veranstaltungen.
Dem Argument, es würde ein künstlicher Markt geschaffen, hält Wolfgang Strasser, Leiter der Tullner Messe, Zahlen entgegen: „Sowohl 2011 als auch 2012 wurden Gewinne erzielt, auch für 2013 wird ein positives Ergebnis erwartet. Messe Tulln ist damit neben Messe Wien/Salzburg der einzige große Messeveranstalter Österreichs, der in den genannten Jahren positive Geschäftsergebnisse erzielt.” Dass aber die Messeförderung fundamental dazu beiträgt, liegt auf der Hand. Und noch 2009 sah die Welt gar nicht so rosig aus – die Messe Tulln hatte schwer Schlagseite und fuhr einen Bilanzverlust von 1,6 Millionen Euro ein! Hilferingend wandte man sich damals an das Land Niederösterreich, um den Standort durch notwendige Sanierungsmaßnahmen zu sichern – und wurde erhört. So war 2011 in der Wiener Zeitung zu lesen. „‘Wir sind ebenfalls daran interessiert, den Messestandort zu erhalten, indem er wettbewerbsfähig bleibt‘, heißt es dazu aus dem Büro von Wirtschaftslandesrätin Petra Bohuslav. Investitionen auf den Messegeländen in Tulln, Wr. Neustadt und Wieselburg würden generell zur Hälfte gefördert – ob das Land auch diesmal einspringt, müsse allerdings erst ein Gremium der Wirtschaftsagentur des Landes (‚ecoplus‘) entscheiden.“ Heute weiß man: Es springt ein. Insgesamt werden in die Messe Tulln mit Unterstützung des Landes Niederösterreich neun Millionen Euro investiert!

Hauptstadttopf
Während die Diskrepanz im Messebereich besonders augenfällig ist, sieht das offizielle St. Pölten die Gesamtsituation differenzierter. „Grundsätzlich steht die Stadt zur Regionalisierungsvereinbarung“, lässt Stadler wissen, schränkt allerdings ein: „Man muss sich jedoch anschauen und hinterfragen, wo die Schwerpunkte der Regionalisierung gesetzt werden.“ Denn durch die massive Förderung in gewissen Bereichen anderswo entstünden für St. Pölten Wettbewerbsnachteile, „und es ist schwierig, das als Stadt auszugleichen.“ Tatsächlich hat der Magistrat im Versuch, den negativen Absaugeffekten entgegenzuwirken, eine Reihe von Komplementärförderprogrammen zum Land entwickelt, wie z. B. die städtische Baurechtsaktion, die Wirtschaftservicestelle „ecopoint“, diverse Bildungsinitiativen etc.
Faktische, bisweilen auch irrational anmutende Manifestation einer Art „Regionalisierung um jeden Preis“ kann man damit aber nicht verhindern. So weint St. Pölten noch heute der Etablierung der Donau Uni in Krems nach oder schüttelt über die Torpedierung der Ansiedlung der Sigmund Freud Uni (dem Betreiber wurde Krems nahegelegt, Praktikums­plätze am Landesklinikum verwehrt) in St. Pölten den Kopf. Ebenso blickt man neidvoll auf die mit Landeshilfe etablierten Technologiezentren in Wieselburg-Land, Krems, Tulln und Wiener Neustadt und kann über Jubelmeldungen der „ecoplus“ anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der niederösterreichischen Regionalförderung 2012, demnach „seit dem Start der Regionalförderung über 16.500 Arbeitsplätze im ganzen Land geschaffen und gesichert und über 2.250 Projekte mit einem Investitionsvolumen von 2,5 Milliarden Euro abgewickelt“ wurden, nur bitter lächeln. St. Pölten kommt nicht vor.
Wird St. Pölten also benachteiligt? Der Bürgermeister – in seiner Rolle als SP-Landesparteivorsitzender nunmehr auch den Regionen verpflichtet – gibt sich diplomatisch: „Grundsätzlich profitiert St. Pölten von der Hauptstadtentwicklung, und durch die gute Zusammenarbeit mit dem Land können zahlreiche Projekte realisiert werden. Man muss aber auch festhalten, dass die Stadt dadurch einen höheren Aufwand hat.“ Eine Idee, wie man einen gerechten Ausgleich im Fördersystem schaffen könnte, hat er auch parat: „Vielleicht sollte man über einen ‚Hauptstadt-Topf‘ für Sondermaßnahmen nachdenken. Damit wäre die Finanzierung der dritten Phase der Hauptstadtentwicklung mit dem Ausbau der zentralen Infrastruktur und der Verwirklichung von Sonderprojekten, wie z. B. die Verwertung des Glanzstoff-Areals, gesichert.“ Für St. Pölten, und fürs Bundesland! REGIONALFÖRDERUNG HISTORY
• 1986: Der Niederösterreichische Landtag beschließt 1986 parallel zum Hauptstadterhebungsgesetz das Regionalisierungsprogramm. Da für die Hauptstadt 7 Milliarden Schilling (500 Millionen Euro) für den Bau des Regierungsviertels, der Landessportschule, des Kulturbezirks etc. beschlossen wurden, soll die gleiche Summe in den nächsten 20 Jahren auch in die Regionen fließen. Diese jährliche Summe von 25 Millionen Euro wird in der Regionalförderung angesiedelt.
• 1998: Das „Fitnessprogramm für die Regionen“ in Höhe von 4,06 Millionen Euro wird als Vorbereitung auf die EU-Erweiterung in der Regionalförderung angesiedelt. Somit stehen für die Regionen jährlich 29,06 Millionen Euro zur Verfügung. Die Umsetzung erfolgt über die ecoplus, die Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreich.
• 2006: Das Regionalisierungsprogramm wird auf die Dauer der EU-Programmplanungsperiode 2007 – 2013 verlängert.
• 2011: Entschluss zur Verlängerung der Regionalförderung nach 2013 für die Periode 2014 – 2020 im Zuge der Regierungsklausur 2011
Die Ziele der Regionalförderung formuliert Gregor Lohfik von ecoplus so: „Neben der Landeshauptstadt St. Pölten auch die Regionen ‚zum Blühen zu bringen‘; Förderung des Tourismus, der Wirtschaft sowie Aufbau des Technologiestandorts.“

FÖRDERVOLUMEN
Für die Periode 2014-2020 stellt das Land Niederösterreich jährlich 29,06 Millionen Euro an Regionalfördermitteln zur Verfügung. „Gemeinsam mit dem von der Europäischen Union zu erwartenden Fördervolumen geht es für Niederösterreichs Regionen um ein gesamtes Fördervolumen von 250 Millionen Euro“, führte Landeshauptmann Erwin Pröll Ende 2012 aus.