Komasaufen
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Obwohl 2007 noch jung ist, kennen wir schon das Unwort des Jahres: Komasaufen. Die Medien haben eine regelrechte „Komasauf- Hysterie“ vom Zaun gebrochen. Titelseiten werden gefüllt, Runde-Tische veranstaltet – überall Komasäufer! In den Augen der Öffentlichkeit interessanterweise aber nur in Jugendkreisen, nicht etwa beim Feuerwehrfestl, am Rummelplatz oder beim Stammwirten. Offensichtlich trinken nur die Jungen zuviel, während sich Mama, Papa, Oma, Opa, Onkel, Tante der Abstinenz verschrieben haben. Oder liegt die „schiefe Optik“ vielleicht nur daran, dass Journalisten neuerdings tagtäglich im Krankenhaus anrufen, ob denn „bitte, bitte“ nicht ein Kind – „am geilsten wär eins unter 10, das steigert die Dramatik!“ – alkoholisiert eingeliefert wurde? Politiker (ganz glaubwürdig steht das den gemeinhin als „trinkfest“ bezeichneten an) dozieren über die Gefahren des Alkohols. Dass die Jugendparteiorganisationen gern Partys unter dem Motto „bringwith“ veranstalten oder manch städtische Jugendlocation mit wohlfeilem „Special Drink“ wirbt, passt da den Politstrategen derzeit gar nicht so recht ins Konezpt. Auch die Polit-Oldies werden sicherheitshalber gebrieft: „Bei der Volksfesteröffnung haltet’s euch zurück, wissts eh – Komasaufen!“. Sogar ein neues Unterrichtsfach zur Aufklärung über Alkoholmissbrauch soll eingerichtet werden – na bravo! Am besten auf Kosten von politischer Bildung, weil es eh nicht gut ist, wenn die Jungen die Mechanismen der Politik, wie sie etwa derzeit beim Thema „Komasaufen“ evident werden, durchschauen. Dafür hat man in Vergangenheit geistesbildende Fächer wie Musik, Bildnerische Erziehung und Freigegenstände drastisch reduziert – die braucht eh keiner, auch wenn sie vielleicht als einzige die so gern zitierte „Leere unserer heutigen Jugend“ schließen könnten. Nervend sind auch Freunde und Bekannte, die allen Ernstes treuherzig behaupten: „Bei uns war das noch nicht so.“ Hallo?! Haben wir damals in einem Paralleluniversum gelebt, oder greift altersbedingt kollektive Amnesie um sich? Vor gut 20 Lenzen, als sich meiner einer noch Teenager schimpfen durfte, wurde auch getschechert. Anstatt Alkopops soffen wir halt grauslichen Ribiselwein. Und jene, die im Krankenhaus landeten, hießen halt noch nicht Komasäufer, sondern Alkoholleichen. Kurzum: Die „Komasauf-Diskussion“ ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten. Warum etwa haben die Politiker bis heute nicht 0,0 Promille am Steuer eingeführt? Mag ja sein – ein kleiner Schlenker sei erlaubt – dass Raucher ihre Mitmenschen gesundheitlich á la lounge schädigen. Ein besoffener Autofahrer reißt dafür auf der Stelle ein paar Leut mit in den Tod. Super! Von generellem Alkohlverbot am Steuer hätt ich deswegen noch nie gehört. Aber das ist ja ganz etwas anderes und hat natürlich überhaupt nichts mit irgendwelchen Lobbies zu tun. Oder warum wird nicht bei offiziellen Anlässen oder Privatfeiern einmal auf Alkoholika verzichtet, wenn wir so pikiert sind. Ach so, das ist ja nur ein Glaserl (und noch eins, und noch eins). Das gehört dazu. Die Erwachsenen, die dann stockbetrunken heimwanken, kann man natürlich mit den jugendlichen Komasäufern überhaupt nicht vergleichen. Stimmt. Die Oldies gehörten nämlich an den Pranger gestellt, nicht die Jungen. Denn war da nicht noch etwas, das in der Diskussion derzeit ein bisserl untergeht? Ach ja, die gute alte Vorbildwirkung! Vielleicht liegt’s ja daran? Dass sich nämlich nicht die Jugend verändert hat – die ist immer gleich impulsiv, übermütig, grenzüberschreitend – sondern wir, die Erwachsenen. Sind wir gute Vorbilder? Sind wir glaubwürdig? Vielleicht denken wir mal drüber nach – beim nächsten Achterl. Na dann Prost!