Wachsamkeit
Text
Thomas Fröhlich
Ausgabe
Auch wenn die aktuelle Inszenierung des Landestheaters Niederösterreich von Joseph Roths Radetzkymarsch all das bietet, was man am so genannten Regietheater nicht mögen muss (ein im wahrsten Sinne des Wortes „schräger“, offenbar dem Radetzkymarsch abgeleiteter Schweinsgalopp, der den Autor Roth zum Stichwortgeber einer halblustigen Nummernrevue degradiert), so ändert das nichts an einer Tatsache: Roths Romane und Erzählungen sind aktueller denn je. Dass seine puren Worte immer noch wirken, bewies Landestheater-Intendantin Bettina Hering übrigens vor Kurzem bei einer hinreißenden Lesung im Café Emmi. Neben Karl Kraus gehörte Roth zu jenen Weitsichtigen, die es schafften, das Große im Kleinen widerzuspiegeln. Meisterlich gelang es ihm, den „Weltuntergang“ des Ersten Weltkriegs anhand von Einzelschicksalen begreiflich zu machen. Jede und jeder liefert ein Puzzleteilchen zum großen Breakdown. Aus Angst, aus Faul- und Feigheit, oft durch Intoleranz. Oder durch zuviel Toleranz am falschen Platz. Wenn man nämlich den Anfängen nicht wehrt. „Seid wachsam!“ ruft Oskar Werner Jahrzehnte später im Film „Der letzte Akt,“ als alles nur noch ein Scherbenhaufen ist, in dem bloß das große Sterben wie geschmiert funktioniert: beherzigenswert, nicht nur in vergangenheitsbewältigender Sicht, sondern auch im Hier und Jetzt. Nichts gegen Kritik an schmissigen Burschenschafterbällen – aber auch in diversen „Begegnungs“-Zentren ach so friedliebender Religionsangehöriger ist mitunter die Kacke gehörig am Dampfen. Sie ist vielleicht nicht braun. Aber mindestens so gefährlich.
Nur über die beschworenen „Anfänge“ sind wir, so steht’s zu befürchten, schon weit hinaus.
Nur über die beschworenen „Anfänge“ sind wir, so steht’s zu befürchten, schon weit hinaus.