MFG - St. Pölten und die Außenwahrnehmung
St. Pölten und die Außenwahrnehmung


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St. Pöltens gute Seite

St. Pölten und die Außenwahrnehmung

Text Georg Renner , Jakob Winter
Ausgabe 06/2024
GEORG RENNER
Der Wilhelmsburger ist freier Journalist bei der Wiener Zeitung und DATUM.

Den Ruf ein bisschen aufhübschen? Mission accomplished.

Es ist ja nicht so einfach, für ein Projekt wie die leider-nicht-Kulturhauptstadt-Tangente ein klares Ziel zu formulieren, an dem man nachher Erfolg oder Misserfolg messen kann. Aber falls die Idee war, damit zumindest auch zu erreichen, den Ruf unserer Landeshauptstadt in der großen (österreichischen) Welt ein bisschen aufzuhübschen, kann man jetzt schon sagen: Mission accomplished.
Das liegt aber nicht so sehr an den Kunst- und Kulturprojekten, sondern eher daran, wie sich die Stadt in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten neu erfunden hat. Die Kulturhauptst…pardon, die Tangente hat nur den Effekt, dass jetzt endlich einmal wer herschaut. Journalisten, die St. Pölten bisher hauptsächlich als läs­tigen Halt der Schnellzüge am Weg in „richtige“ Städte wahrgenommen oder an städtischer Infrastruktur höchstens die Tiefgarage des Landhausviertels (*das* wäre einmal ein Ort für eine Kunstinstallation) kennengelernt haben, entdecken plötzlich auch andere Seiten. Den Rathausplatz zum Beispiel, („wie eine italienische Piazza - das mag übertrieben sein, aber nicht sehr“, © Die Zeit), den Geh- und Radweg entlang des Mühlbachs, die Fußgängerzonen und Traisenauen.
Für eine mittelgroße Stadt, so der Sukkus solcher Expeditionen, ist St. Pölten exzellent aufgestellt. Klar, die Schattenseiten – das horrende Budgetdefizit etwa, oder den Zustand mancher Schulen – sieht man in solchen Ausflügen nicht. Aber es ist eine schöne Anerkennung für die Stadt, ihre Politik und ihre Menschen, dass man sich zumindest so gemacht hat, dass professionelle Tagesbesucher und -beobachter einen guten Eindruck mitnehmen und in die Welt hinaustragen. (Ob das etwas Gutes ist und angesichts solcher Hymnen jetzt nicht noch mehr Menschen in die am stärksten wachsende Stadt Österreichs ziehen werden, ist eine andere Frage). 
Die Tangente wird man in ein paar Monaten, nach ihrem Ende als Ganzes bewerten müssen. Aber für den Anfang muss man schon einmal sagen: Als Stadtmarketing hat sie durchaus gewirkt. 

JAKOB WINTER
Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.

St. Pölten vereint die Vorteile einer Stadt mit denen des Landes.

Eines hat sich nicht verändert, seit ich vor über einem Jahrzehnt nach Wien gezogen bin: Die mitleidigen Blicke meines Gegenübers, wenn ich erwähne, dass ich ursprünglich aus St. Pölten komme.
Daran konnten auch die zuletzt gehäuften Lobeshymnen auf die Stadt von nationalen und internationalen Zeitungen nichts ändern. St. Pölten gilt allen, die noch nie dort waren, als Inbegriff einer unterdurchschnittlichen Provinzstadt, als langweilige Lachnummer unter den Landeshauptstädten.
Dem würde ich widersprechen. St. Pölten wird zwar nie zur Touristenmetropole taugen, dafür gibt es einfach zu wenige Sehenswürdigkeiten. Und doch vereint St. Pölten auf sympathische Weise die Vorteile einer Stadt mit denen des Landes. Der Charme erschließt sich allerdings nur denen, die sich dauerhaft an St. Pölten binden. Und damit meine ich eben nicht nur das kulturelle Angebot, auf das sich die Analysen von weitgereisten Journalisten oft beschränken. 
Ich meine die kleine, aber wachsende Lokalszene in und rund um die Innenstadt. Ich wäre froh, würde ich in Wien überall so gut essen und trinken. Und wenn ich bei jedem Spaziergang zum Markt alte Freunde treffen würde. Ja, das ist Provinz – aber die gute Version davon!
Ich meine den Sport. St. Pölten ist, viele wissen das noch immer nicht, zum Zentrum des Frauenfußballs geworden. Nicht nur wegen der dominanten SKN-Damen, sondern auch wegen der Nachwuchsakademie des ÖFB.
Die Natur. In welcher Stadt ist man binnen weniger Minuten am Wasser?
Die Nähe zu Wien. Ja, St. Pölten fehlt es an einigem. Für viele Jobs, spezialisierte Geschäfte und Hochkultur muss man in die Bundeshauptstadt. Nur reist man von der St. Pöltner City genauso schnell zum Wiener Hauptbahnhof wie von der Wiener Seestadt.
Auch das dürfte ein Mitgrund sein, warum St. Pölten die am schnellsten wachsende Stadt Österreichs ist.
Deshalb sage ich jedem Gegenüber mit mitleidigem Blick immer dasselbe: St. Pölten wird unterschätzt.