Wir müssten nur wollen
Text
Michael Müllner
Ausgabe
Wenn Sie sich für Lokalpolitik interessieren, dann tun Sie sich in St. Pölten schwer. Was hat der Gemeinderat beschlossen? Wer stimmte dagegen? Mit welchem Argument? Wenn es um Transparenz geht, ist St. Pöltens Politik gschamiger als nötig.
Unser Leben ist geprägt von der zunehmenden einfachen Verfügbarkeit von Information. Wir sehen im Geschäft eine schöne Uhr – ein paar Handgriffe am Smartphone und schon wissen wir, ob der ausgezeichnete Preis angemessen ist. Empfehlen uns Freunde per WhatsApp ein Lokal, googeln wir zuerst die aktuelle Speisekarte und fragen dann Siri um den Weg. Ganz normal im digitalen Informationszeitalter. Vereinzelt geht es aber noch steinzeitlich zu.
Ein Ass im Ärmel
Wenn der St. Pöltner Bürger seine oft zitierte Politikverdrossenheit mit echtem Interesse an Lokalpolitik bekämpfen möchte, dann legt ihm sein gewählter Gemeinderat bis dato schier paradoxe Steine in den Weg. Ein Vergleich: Sie hören im Radio, dass heute im Nationalrat wieder verhandelt wird. Wenn Sie dem Geschehen folgen wollen, so können Sie live über das Internet die Reden und das Abstimmungsverhalten verfolgen. Sie können sich ausgewählte Redebeiträge ansehen. Und mit etwas Mühe ist es auch möglich, in Protokollen zu suchen und zu recherchieren – was haben „unsere“ Nationalräte so gemacht, in den letzten Monaten?
Auch im niederösterreichischen Landtag zog vor Jahren Transparenz ein. Die dorthin gewählten Politiker zeigen sich „live“ im Fernsehen – auch wenn das nicht immer nur vorteilhaft ist, wie manche Youtube-Hits von stammelnden Mandataren zeigen. So ist das Leben, manchmal verhaschpelt man sich eben. Interessiert es sie, wieso Sie als Niederösterreicher plötzlich mehr GIS zahlen müssen als Bürger in anderen Bundesländern? Das Land macht es relativ leicht, die Entstehung von Gesetzen nachzuvollziehen. Da kann man dann schauen, warum eine Gesetzesvorlage so geschrieben wurde und welche Bemerkungen die unterschiedlichen Stellen im Rahmen der Begutachtung gegeben haben. Das mag für die allermeisten Bürger wenig spannend sein. Aber es ist ein Ass im Ärmel des Bürgers, dass er relativ einfach überprüfen kann, wie ein Gesetz entstanden ist, wie sich einzelne Politiker, Parteien und Verbände konkret verhalten haben. Nur was man muss
In St. Pölten ist das anders. Nun ist ein Gemeinderat natürlich kein Landtag. Es werden keine echten Gesetze beschlossen, aber natürlich haben die 42 Mandatare bei ihren monatlichen Treffen im Rathaus auch echte Entscheidungen zu treffen. Verordnungen des Gemeinderates regeln das tägliche Leben der Stadtbürger, schreiben Gebühren vor und stellen die Weichen, wohin sich die Stadt entwickelt. Diese Beschlüsse und ihre Grundlagen möglichst vielen Bürgern nachvollziehbar zu machen, wäre wohl ein zwingendes Ziel der Stadtpolitiker. Bisher macht man aber nur, was man unbedingt muss.
Wenn Sie wissen möchten, was der Gemeinderat als Organ so tut, dann können Sie mindestens fünf Tage vor der Sitzung auf der Website des Magistrats (oder im Eingangsbereich des Rathauses) die Tagesordnung nachlesen. Die meisten Punkte werden in der öffentlichen Sitzung behandelt, jeder darf daran teilnehmen. Meistens verlängern aber nur Partei- und Magistratsangehörige ihren Arbeitstag und schaffen es an den Montagen nach 17:00 Uhr in die Sitzung. Dort treffen sie auf wenige Journalisten, die sozusagen „die Öffentlichkeit“ vermitteln sollen. Interessierte Bürger sind kaum auszumachen. Was man nun unterschiedlich interpretieren kann. Interessiert es sowieso keinen? Wieso also die krampfhafte Forderung nach mehr Transparenz, wenn es „eh keinen interessiert“, wie man im Rathaus mitunter hört? Nun, vielleicht deshalb, weil man mit einem einfacheren Zugang zum Politgeschehen gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe erwischen würde?
Würde man die öffentlichen Sitzungen des Gemeinderates aufzeichnen und den Leuten ermöglichen, diese live, aber auch später über die Website des Magistrats (also „on demand“) anzusehen, wäre dies wohl die wichtigste Aufwertung des Politgeschehens für St. Pölten. Im Wissen um mehr Zuhörer und Zuseher würden sich wohl auch die Mandatare von ihrer besten Seite zeigen. Die Quasi-Intimität der „sogenannten Öffentlichkeit“ wäre durchbrochen, das Ergebnis wären wohl geradere Sätze, konstruktivere Auseinandersetzungen, ein korrekterer Umgang miteinander. Pessimisten malen an der Stelle wohl an die Wand, dass die Lokalpolitiker bei (für jedermann und jederzeit nachsehbarer) Öffentlichkeit zu mehr Hick-Hack und Konfrontation greifen würden. Nun, auch das ist denkbar, aber auch das zumindest ein Ergebnis zeitgemäßer Politkultur – die man dann immerhin breit kritisieren könnte, wenn sie sich als destruktiv herausstellt. Können ist nicht müssen
Die Diskussion um Übertragungen der Gemeinderatssitzungen wurde in früheren Jahren rasch abgedreht: Das sei rechtlich nicht möglich, hieß es. Nun gab es im Vorjahr eine Änderung des Landesgesetzes, seither heißt es in § 26 des NÖ Stadtrechtsorganisationsgesetzes, dass der Gemeinderat beschließen kann, dass die öffentlichen Sitzungen übertragen und auf Abruf bereitgestellt werden. Kann-Bestimmungen haben Juristen gerne. Denn wenn man kann, dann muss man nicht. Ein Ermessensspielraum, der Raum für Zweifel lässt. Denn wenn man überträgt – worauf muss man aufpassen? St. Pöltens Magistratsdirektor Thomas Dewina hat mit der Formulierung somit auch wenig Freude. Er verweist auf Datenschutz und Haftungsfragen: „Wenn ein Mandatar über einen Dritten etwas Unehrenhaftes behauptet und der Dritte dann die Stadt klagt, weil wir diese Behauptung verbreiten – wie sieht es dann mit unserer Verantwortung aus?“ Zudem verweist Dewina auf die Kosten: „Wenn man sich ansieht, dass die Stadt an allen Ecken und Enden sparsam wirtschaftet, dann muss man sich schon überlegen, ob man bereit ist für so eine Übertragung Geld auszugeben. Dafür braucht man Juristen und Techniker – das kostet Geld. Und wie viele Leute schauen sich das dann wirklich an? Wäre das gut investiert?“
Im Linzer Gemeinderat werden nur Budgetsitzungen aufgezeichnet und zum Abruf bereit gestellt, ein länger diskutierter Antrag des NEOS-Mandatars Felix Eypeltauer wurde vor Kurzem mehrheitlich abgelehnt: „Es ging dabei nicht um rechtliche Fragen, sondern um die Kosten. Wir hätten einmalige Einrichtungskosten von ein paar hundert Euro gehabt. Jede Sitzung hätte dann rund 1.500 Euro gekostet, ein Kameramann hätte dafür dynamisch das Geschehen im Saal aufgezeichnet und die Redner gefilmt. Das hätten wir uns schon leisten können, aber die Mehrheit wollte diese ‚Besuchergalerie des 21. Jahrhunderts‘ halt noch nicht.“
Doch zurück nach Niederösterreich. Waidhofen an der Ybbs und Krems an der Donau sind beide Statutarstädte – und unterliegen somit den gleichen Rahmenbedingungen wie St. Pölten. Beide Städte streamen ihre Gemeinderatssitzungen live und stellen sie danach auf Abruf zur Verfügung. In Krems ist man begeistert über die hohen Zugriffszahlen, die monatlichen Kosten der Übertragung liegen bei rund 300 Euro, wie Stadtsprecherin Doris Denk berichtet. Alle Fraktionen im Gemeinderat haben für die Übertragung der Sitzungen gestimmt. Dass St. Pölten hier an rechtlichen Hürden oder an den vermeintlichen Kosten scheitert, scheint zunehmend seltsam. Wo ein politischer Wille, da auch ein Weg? Oder um es mit der deutschen Band „Wir Sind Helden“ zu sagen: „(Wir) Müssen nur wollen“?
Für Bürgermeister Stadler ist das Thema „eine rechtliche Tüftelei. Das Problem ist das Gesetz und nicht die Umsetzung oder die Kostenfrage. Die strengen Regelungen, etwa beim Recht auf das eigene Bild, sind hier hinderlich. Bedienstete des Magistrats müssten hier am Rande der Legalität arbeiten. Vielleicht nehmen andere Gemeinden das Risiko eines Gesetzesverstoßes in Kauf. Wir sind aber mit Anbietern in Gesprächen und versuchen die rechtlichen Fragen, insbesondere betreffend die Haftung zu klären.“ Cloud vs. 50 Cent
„Was soll das überhaupt heißen, ein angeblicher Mangel an Transparenz“, fragt Magistratsdirektor Dewina grundsätzlich. Als oberster Beamter leitet der Jurist den St. Pöltner Magistrat. „Ich verstehe überhaupt nicht, wieso immer alle nach mehr Transparenz schreien. Ich denke, dass die Verwaltung absolut transparent arbeitet. Wir sollten hier aber nicht die Forderung nach mehr Bequemlichkeit für Mandatare mit dem Transparenz-Begriff vermischen“, so Dewina im Hinblick auf Diskussionen der letzten Zeit, wenn es um die politische Arbeit ging.
So beschwerten sich in den letzten Jahren Gemeinderäte darüber, dass die Abteilungen des Magistrats Unterlagen zur Vorbereitung auf Gemeinderatssitzungen nicht per Email an die Mandatare versandten. Argumentiert wurde dies mit dem, was man heute wohl überspitzt „Mini-Leaks“ nennen könnte. Politiker (der Opposition), die aus vorbereitenden Unterlagen zitierten, noch bevor im Gemeinderat wirklich Beschlüsse gefasst wurden. In Folge wurde das Mailen eingestellt, wer Auskunft wollte, musste persönlich bei den Abteilungen vorstellig werden und Einblick nehmen. Kopieren war möglich, kostete jedoch 50 Cent pro Blatt.
Während die einen von Frotzelei der Opposition sprachen, stützten sich die anderen auf das Gesetz. Dieses legt mittlerweile fest, dass die Verwaltung den Mandataren die Unterlagen auch digital zur Verfügung stellen darf. In St. Pölten läuft erfolgreich eine Art „Cloud“-System, dabei erhalten die Mandatare in geschützten Bereichen Zugriff auf jene Unterlagen, die sie für die politische Arbeit in ihren Ausschüssen bzw. in den öffentlichen Sitzungen brauchen. Und etwas Arbeit im Sinne von Besorgen und Studieren der Unterlagen darf man den Damen und Herren Gemeinderäten um ihr Salär ja auch mit ruhigem Gewissen zumuten.
Schwieriger ist es hingegen für Bürger. Wenn der Gemeinderat einen Beschluss fasst, geht diesem ja ein Entstehungsprozess voran. In thematisch gegliederten Ausschüssen werden Fachfragen beraten. Bedeutung haben dabei die Mitarbeiter des Magistrats, sie machen ja die eigentliche Arbeit und bereiten für die Mandatare ihre Beschlüsse vor. Die Verwaltung steht dort auch Rede und Antwort, aber eben nur dort, physisch im Ausschuss. Sitzt eine Fraktion aufgrund der Mehrheitsverhältnisse der Gemeinderatswahl nicht in einem Ausschuss, dann hat sie salopp formuliert „Pech gehabt“. Ähnlich geht es dem Bürger – möchte er wissen, wie es zu einem Beschluss gekommen ist, so hat er keinen Zugriff auf die Materialien der Ausschüsse. Unvorstellbar, würde man dies auf Nationalrat oder Landtag umlegen. Nur zum Parteienverkehr
Geradezu grotesk, aber tatsächlich Usus, ist es in St. Pölten auch, dass die Sitzungsprotokolle des Gemeinderates nicht veröffentlicht werden. Zumindest nicht im Internet. Man kann jedoch bei der Magistratsdirektion anrufen und vor Ort im Rathaus Einblick in die öffentlichen, genehmigten Protokolle der Gemeinderatssitzungen nehmen. „Da sind Sie wohl der erste, der das je gemacht hat“, begrüßt mich Magistratsdirektor Dewina, als ich durch das Protokoll der letzten Sitzung blättere. Eine übersichtliche Verhandlungsschrift, wie sie von einer gut geführten Verwaltung zu erwarten ist. Völlig unverständlich, warum man diese nicht auch online stellt. Es ist ein bisschen wie bei der Henne und dem Ei. Wenn nach jeder Sitzung 100 Leute im Vorzimmer des Magistratsdirektors sitzen würden, dann wären die Protokolle wohl definitiv schon längst online. Dass sich keiner für die Protokolle interessiert, könnte auch daran liegen, dass man eher ungern persönlich im Magistrat vorstellig wird, um Einblick zu nehmen.
Ein Klick im Internet, ein schnelles Drüberlesen, ein Nachblättern im Archiv … das wäre zeitgemäß und würde wohl niemanden schmerzen – schon gar nicht die Verwaltung. Vielleicht aber die Politik, die momentan noch relativ ungestört ihre Herrschaft über die Fakten ausübt. Wir erinnern uns an den Zirkus rund um den vor der Gemeinderatswahl geschlossenen Vergleich zur SWAP-Causa. Weder Rathaus noch SPÖ wollten die Vergleichssumme nennen. Die von Opposition und Medien genannte Summe wurde als „viel zu hoch“ kritisiert. Dabei lag das genehmigte Sitzungsprotokoll für jeden zur Einsicht offen, der Gemeinderat hatte in öffentlicher Sitzung zur Causa Beschlüsse gefasst. Wäre das Protokoll online gewesen, hätte ein Mausklick zum Nachlesen der Fakten gereicht.
Bürgermeister Stadler verteidigt die Vorgehensweise. Sitzungsprotokolle würden sehr viele formale Fakten, die für Bürger kaum von Interesse seien, enthalten. Personenbezogene Fakten müsste man zuerst mühselig entfernen, ehe man die Akten veröffentlichen könne. Stadler: „Im vergangenen Jahr wurden im Gemeinderat fast 800 Beschlüsse gefasst. Der Aufwand wäre enorm und es gäbe trotzdem nicht mehr Transparenz. Wir erklären ja die Beschlüsse und teilen öffentlich mit, was bei den Entscheidungen relevant und wichtig ist und wie sich die Grundlagen darstellen. Damit sind die Bürger bestens informiert.“ Stadler verweist damit auf die Beiträge des Medienservice, die auf der städtischen Website die wesentlichen Beschlüsse zusammenfassen. Dass laut Stadler die Inhalte eines schriftlich abgefassten Gemeinderatsprotokolls zum Rechtsproblem werden könnten, sobald sie online gestellt werden, scheint seltsam. Kulturwandel nötig
Wenn es um Transparenz geht, dann hat St. Pölten also einiges zu tun. Und damit ist nicht gemeint, dass im Rathaus Willkür herrscht oder dass von oberster Stelle die Arbeit des Apparats verheimlicht würde. Es geht vielmehr um eine Kultur des Zur-Schau-Stellens der eigenen Leistung und um eine Bereitschaft zur Dokumentation des politischen Handelns. Im Jahr 2016 verhöhnt man seine Bürger, wenn man ihnen politisches Interesse abspricht, nur weil sie nicht bereit sind, am Montag um 17:00 Uhr physisch einer Sitzung beizuwohnen.
Schon vor der Gemeinderatswahl im April war klar, dass Änderungen an dieser Einstellung nur von Bürgermeister Matthias Stadler und seiner SPÖ-Fraktion ausgehen können. Im Vorfeld der Wahl hatten alle antretenden Fraktionen Bereitschaft dokumentiert, sich für ein Mehr an Transparenz einzusetzen. Stadler hielt sich bedeckt, gab keinen Kommentar ab. Die Zustimmung der Opposition zu neuen Möglichkeiten der Bürger, sich über das Lokalpolitik-Geschehen zu informieren, dürfte ihm gewiss sein. ÖVP-Mandatar Florian Krumböck setzt sich seit längerem für einen Gemeinderats-Live-Stream ein: „Nur so kann man Politik bürgernah gestalten und der notwendigen Transparenz gerecht werden.“ Krumböck geht in seinen Forderungen auch weiter. Alle Akten und Informationen zu den Themen, über die der Gemeinderat abstimmt, sollten laut ihm für alle online zur Verfügung gestellt werden. Langfristig denkt er an St. Pölten als Best-Practice-Beispiel einer gläsernen Verwaltung: „Der Magistrat sollte alle ihm verfügbaren Daten so zur Verfügung stellen, dass Dritte nicht nur darauf zugreifen können, sondern sie auch weiterverarbeiten können. Was mit Steuergeld finanziert ist, soll auch allen zugutekommen – Stichwort Schwarmintelligenz. Ein Beispiel dafür ist die gläserne Verwaltung in Hamburg!“ Für sensible Daten und zur Sicherung von Persönlichkeitsrechten seien Ausnahmen vorzusehen. Bürgermeister Stadler verweist dazu auf die europapolitische und bundesweite Dimensionen: „Das Modell Hamburg ist nicht unumstritten. Am deutschen Städtetag wird diskutiert, ob es auf Grund der gemachten Erfahrungen überhaupt ein gangbarer, praktikabler Weg ist. Realität und Praxis schauen eben oft anders aus.“
Einen anderen Ball von Krumböck greift Stadler aber liebend gerne auf: „In der Vergangenheit wurde ich von der ÖVP kritisiert, dass ich die Öffentlichkeit vor der Meinungsbildung im Gemeinderat und die Grundlagen von geplanten Beschlüssen in Pressekonferenzen bzw. Beiträgen im St. Pölten Konkret informiert habe. Offensichtlich gibt es nun einen Meinungsumschwung und die ÖVP ist endlich dafür, dass ich entsprechend informiere. Es spricht überhaupt nichts dagegen, die Grundlagen der Beschlüsse vorher zu veröffentlichen. Ich freue mich darauf, dass die ÖVP Beschlüsse zu einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit und die damit verbundenen Kosten mittragen wird.“
Give Me My Money
ÖVP-Mandatar Krumböck hat unterdessen noch einen Vorschlag. Ein Teil des Stadthaushalts sollte in Bürgerbudgets gebündelt werden, Bürger aus den jeweiligen Stadtteilen sollen mitentscheiden, wofür das Geld verwendet wird: „Gerade bei der dörflichen Struktur von St. Pölten können die Leute vor Ort entscheiden, was mit einem Teil des Geldes vor ihrer Haustüre passieren soll.“
Für Stadler ist das „grundsätzlich denkbar und würde Sinn machen, weil damit die Bevölkerung in die Stadtverwaltung besser eingebunden wird. Ich sehe das Problem darin, wie man das organisiert. Wer ist aus der Bevölkerung befugt Entscheidungen für einen Stadtteil zu treffen?“ Er mahnt aber vor einer „Augenauswischerei, denn der überwiegende Teil der Budgetentscheidungen würde sich an sachlich und fachlich zwingenden Notwendigkeiten orientieren.“ Soll heißen, über die allermeisten Stadteuros kann man nicht abstimmen, die sind sowieso fix verplant. Zudem hält er fest, dass „die gewählten Mandatare die Interessen der Bevölkerung vertreten, Entscheidungen treffen und diese an die Bevölkerung weitertragen. Dafür werden sie bezahlt.“
FRAGESTUNDEDie Bürgerfragestunde wurde im Februar kurz vor der Gemeinderatswahl noch schnell als Resolution an den NÖ Landtag vom St. Pöltner Gemeinderat beschlossen. Das Land soll eine Rechtsgrundlage dafür schaffen, dass in Zukunft bei jeder Gemeinderatssitzung als fixer Tagesordnungspunkt eine „BürgerInnenfragestunde“ eingeplant wird. Technische und organisatorische Fragen sollen in einem breiten Diskussionsprozess im Vorfeld erläutert werden. Erfahrungenswerte kann man sich bei Tulln holen, dort gibt es dieses Instrument bereits. Ganz pragmatisch unterbricht der Bürgermeister nach der Eröffnung einfach die Sitzung für bis zu 30 Minuten. Jeder kann an die Gemeinderäte Fragen stellen und Anliegen formulieren – jedoch rechtlich unverbindlich.
KURZ DARGESTELLT
So unterschiedlich handhaben Städte Transparenz:
Tulln stellt auf seiner Website Gemeinderatsprotokolle und Audiomitschnitte zur Verfügung. Videoübertragungen sind nicht verfügbar. Bürger haben vor jeder Gemeinderatssitzung die Möglichkeit Anliegen vorzubringen und Fragen zu stellen – bis zu 30 Minuten wird die Sitzung dafür unmittelbar nach der Eröffnung unterbrochen.
Krems überträgt seit Mai Gemeinderatssitzungen live und stellt sie auf Abruf im Internet zur Verfügung. Vom großen Interesse waren die Kremser positiv überrascht. Sitzungsprotokolle sind aus praktischen Gründen nicht online, was sich aber ändern soll, sobald der elektronische Akt in Krems eingeführt wird.
Linz dokumentiert die Sitzungen des Gemeinderates umfangreich – detailliert sind Abstimmungsergebnisse dargestellt, dank eines Wortprotokolls kann man jedes ausgetauschte Argument nachlesen. Derzeit werden nur die Budgetsitzungen übertragen und auf Abruf bereitgestellt.
Wiener Neustadt stellt Sitzungsprotokolle online zur Verfügung. Bei der Einladung zur Gemeinderatssitzung ist die Tagesordnung sehr umfangreich und stellt detailliert inhaltlich dar, welche Punkte dem Gemeinderat zur Beschlussfassung vorgelegt werden.
St. Pölten stellt die Tagesordnungen der Gemeinderatssitzungen online, Details zu den geplanten Beschlüssen erfährt man nicht. Auch nachträglich sind die genehmigten und somit freigegebenen Protokolle nicht online abrufbar, dafür muss man persönlich im Rathaus vorstellig werden. Der städtische Medienservice stellt nach jeder Sitzung eine sachlich-nüchterne Zusammenfassung der Beschlüsse auf der Website online – auf die zugrundeliegenden politischen Diskussionen verzichtet man dabei jedoch bewusst. Sitzungen werden nicht übertagen bzw. zum Abruf bereitgestellt.
Wenn der St. Pöltner Bürger seine oft zitierte Politikverdrossenheit mit echtem Interesse an Lokalpolitik bekämpfen möchte, dann legt ihm sein gewählter Gemeinderat bis dato schier paradoxe Steine in den Weg. Ein Vergleich: Sie hören im Radio, dass heute im Nationalrat wieder verhandelt wird. Wenn Sie dem Geschehen folgen wollen, so können Sie live über das Internet die Reden und das Abstimmungsverhalten verfolgen. Sie können sich ausgewählte Redebeiträge ansehen. Und mit etwas Mühe ist es auch möglich, in Protokollen zu suchen und zu recherchieren – was haben „unsere“ Nationalräte so gemacht, in den letzten Monaten?
Auch im niederösterreichischen Landtag zog vor Jahren Transparenz ein. Die dorthin gewählten Politiker zeigen sich „live“ im Fernsehen – auch wenn das nicht immer nur vorteilhaft ist, wie manche Youtube-Hits von stammelnden Mandataren zeigen. So ist das Leben, manchmal verhaschpelt man sich eben. Interessiert es sie, wieso Sie als Niederösterreicher plötzlich mehr GIS zahlen müssen als Bürger in anderen Bundesländern? Das Land macht es relativ leicht, die Entstehung von Gesetzen nachzuvollziehen. Da kann man dann schauen, warum eine Gesetzesvorlage so geschrieben wurde und welche Bemerkungen die unterschiedlichen Stellen im Rahmen der Begutachtung gegeben haben. Das mag für die allermeisten Bürger wenig spannend sein. Aber es ist ein Ass im Ärmel des Bürgers, dass er relativ einfach überprüfen kann, wie ein Gesetz entstanden ist, wie sich einzelne Politiker, Parteien und Verbände konkret verhalten haben. Nur was man muss
In St. Pölten ist das anders. Nun ist ein Gemeinderat natürlich kein Landtag. Es werden keine echten Gesetze beschlossen, aber natürlich haben die 42 Mandatare bei ihren monatlichen Treffen im Rathaus auch echte Entscheidungen zu treffen. Verordnungen des Gemeinderates regeln das tägliche Leben der Stadtbürger, schreiben Gebühren vor und stellen die Weichen, wohin sich die Stadt entwickelt. Diese Beschlüsse und ihre Grundlagen möglichst vielen Bürgern nachvollziehbar zu machen, wäre wohl ein zwingendes Ziel der Stadtpolitiker. Bisher macht man aber nur, was man unbedingt muss.
Wenn Sie wissen möchten, was der Gemeinderat als Organ so tut, dann können Sie mindestens fünf Tage vor der Sitzung auf der Website des Magistrats (oder im Eingangsbereich des Rathauses) die Tagesordnung nachlesen. Die meisten Punkte werden in der öffentlichen Sitzung behandelt, jeder darf daran teilnehmen. Meistens verlängern aber nur Partei- und Magistratsangehörige ihren Arbeitstag und schaffen es an den Montagen nach 17:00 Uhr in die Sitzung. Dort treffen sie auf wenige Journalisten, die sozusagen „die Öffentlichkeit“ vermitteln sollen. Interessierte Bürger sind kaum auszumachen. Was man nun unterschiedlich interpretieren kann. Interessiert es sowieso keinen? Wieso also die krampfhafte Forderung nach mehr Transparenz, wenn es „eh keinen interessiert“, wie man im Rathaus mitunter hört? Nun, vielleicht deshalb, weil man mit einem einfacheren Zugang zum Politgeschehen gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe erwischen würde?
Würde man die öffentlichen Sitzungen des Gemeinderates aufzeichnen und den Leuten ermöglichen, diese live, aber auch später über die Website des Magistrats (also „on demand“) anzusehen, wäre dies wohl die wichtigste Aufwertung des Politgeschehens für St. Pölten. Im Wissen um mehr Zuhörer und Zuseher würden sich wohl auch die Mandatare von ihrer besten Seite zeigen. Die Quasi-Intimität der „sogenannten Öffentlichkeit“ wäre durchbrochen, das Ergebnis wären wohl geradere Sätze, konstruktivere Auseinandersetzungen, ein korrekterer Umgang miteinander. Pessimisten malen an der Stelle wohl an die Wand, dass die Lokalpolitiker bei (für jedermann und jederzeit nachsehbarer) Öffentlichkeit zu mehr Hick-Hack und Konfrontation greifen würden. Nun, auch das ist denkbar, aber auch das zumindest ein Ergebnis zeitgemäßer Politkultur – die man dann immerhin breit kritisieren könnte, wenn sie sich als destruktiv herausstellt. Können ist nicht müssen
Die Diskussion um Übertragungen der Gemeinderatssitzungen wurde in früheren Jahren rasch abgedreht: Das sei rechtlich nicht möglich, hieß es. Nun gab es im Vorjahr eine Änderung des Landesgesetzes, seither heißt es in § 26 des NÖ Stadtrechtsorganisationsgesetzes, dass der Gemeinderat beschließen kann, dass die öffentlichen Sitzungen übertragen und auf Abruf bereitgestellt werden. Kann-Bestimmungen haben Juristen gerne. Denn wenn man kann, dann muss man nicht. Ein Ermessensspielraum, der Raum für Zweifel lässt. Denn wenn man überträgt – worauf muss man aufpassen? St. Pöltens Magistratsdirektor Thomas Dewina hat mit der Formulierung somit auch wenig Freude. Er verweist auf Datenschutz und Haftungsfragen: „Wenn ein Mandatar über einen Dritten etwas Unehrenhaftes behauptet und der Dritte dann die Stadt klagt, weil wir diese Behauptung verbreiten – wie sieht es dann mit unserer Verantwortung aus?“ Zudem verweist Dewina auf die Kosten: „Wenn man sich ansieht, dass die Stadt an allen Ecken und Enden sparsam wirtschaftet, dann muss man sich schon überlegen, ob man bereit ist für so eine Übertragung Geld auszugeben. Dafür braucht man Juristen und Techniker – das kostet Geld. Und wie viele Leute schauen sich das dann wirklich an? Wäre das gut investiert?“
Im Linzer Gemeinderat werden nur Budgetsitzungen aufgezeichnet und zum Abruf bereit gestellt, ein länger diskutierter Antrag des NEOS-Mandatars Felix Eypeltauer wurde vor Kurzem mehrheitlich abgelehnt: „Es ging dabei nicht um rechtliche Fragen, sondern um die Kosten. Wir hätten einmalige Einrichtungskosten von ein paar hundert Euro gehabt. Jede Sitzung hätte dann rund 1.500 Euro gekostet, ein Kameramann hätte dafür dynamisch das Geschehen im Saal aufgezeichnet und die Redner gefilmt. Das hätten wir uns schon leisten können, aber die Mehrheit wollte diese ‚Besuchergalerie des 21. Jahrhunderts‘ halt noch nicht.“
Doch zurück nach Niederösterreich. Waidhofen an der Ybbs und Krems an der Donau sind beide Statutarstädte – und unterliegen somit den gleichen Rahmenbedingungen wie St. Pölten. Beide Städte streamen ihre Gemeinderatssitzungen live und stellen sie danach auf Abruf zur Verfügung. In Krems ist man begeistert über die hohen Zugriffszahlen, die monatlichen Kosten der Übertragung liegen bei rund 300 Euro, wie Stadtsprecherin Doris Denk berichtet. Alle Fraktionen im Gemeinderat haben für die Übertragung der Sitzungen gestimmt. Dass St. Pölten hier an rechtlichen Hürden oder an den vermeintlichen Kosten scheitert, scheint zunehmend seltsam. Wo ein politischer Wille, da auch ein Weg? Oder um es mit der deutschen Band „Wir Sind Helden“ zu sagen: „(Wir) Müssen nur wollen“?
Für Bürgermeister Stadler ist das Thema „eine rechtliche Tüftelei. Das Problem ist das Gesetz und nicht die Umsetzung oder die Kostenfrage. Die strengen Regelungen, etwa beim Recht auf das eigene Bild, sind hier hinderlich. Bedienstete des Magistrats müssten hier am Rande der Legalität arbeiten. Vielleicht nehmen andere Gemeinden das Risiko eines Gesetzesverstoßes in Kauf. Wir sind aber mit Anbietern in Gesprächen und versuchen die rechtlichen Fragen, insbesondere betreffend die Haftung zu klären.“ Cloud vs. 50 Cent
„Was soll das überhaupt heißen, ein angeblicher Mangel an Transparenz“, fragt Magistratsdirektor Dewina grundsätzlich. Als oberster Beamter leitet der Jurist den St. Pöltner Magistrat. „Ich verstehe überhaupt nicht, wieso immer alle nach mehr Transparenz schreien. Ich denke, dass die Verwaltung absolut transparent arbeitet. Wir sollten hier aber nicht die Forderung nach mehr Bequemlichkeit für Mandatare mit dem Transparenz-Begriff vermischen“, so Dewina im Hinblick auf Diskussionen der letzten Zeit, wenn es um die politische Arbeit ging.
So beschwerten sich in den letzten Jahren Gemeinderäte darüber, dass die Abteilungen des Magistrats Unterlagen zur Vorbereitung auf Gemeinderatssitzungen nicht per Email an die Mandatare versandten. Argumentiert wurde dies mit dem, was man heute wohl überspitzt „Mini-Leaks“ nennen könnte. Politiker (der Opposition), die aus vorbereitenden Unterlagen zitierten, noch bevor im Gemeinderat wirklich Beschlüsse gefasst wurden. In Folge wurde das Mailen eingestellt, wer Auskunft wollte, musste persönlich bei den Abteilungen vorstellig werden und Einblick nehmen. Kopieren war möglich, kostete jedoch 50 Cent pro Blatt.
Während die einen von Frotzelei der Opposition sprachen, stützten sich die anderen auf das Gesetz. Dieses legt mittlerweile fest, dass die Verwaltung den Mandataren die Unterlagen auch digital zur Verfügung stellen darf. In St. Pölten läuft erfolgreich eine Art „Cloud“-System, dabei erhalten die Mandatare in geschützten Bereichen Zugriff auf jene Unterlagen, die sie für die politische Arbeit in ihren Ausschüssen bzw. in den öffentlichen Sitzungen brauchen. Und etwas Arbeit im Sinne von Besorgen und Studieren der Unterlagen darf man den Damen und Herren Gemeinderäten um ihr Salär ja auch mit ruhigem Gewissen zumuten.
Schwieriger ist es hingegen für Bürger. Wenn der Gemeinderat einen Beschluss fasst, geht diesem ja ein Entstehungsprozess voran. In thematisch gegliederten Ausschüssen werden Fachfragen beraten. Bedeutung haben dabei die Mitarbeiter des Magistrats, sie machen ja die eigentliche Arbeit und bereiten für die Mandatare ihre Beschlüsse vor. Die Verwaltung steht dort auch Rede und Antwort, aber eben nur dort, physisch im Ausschuss. Sitzt eine Fraktion aufgrund der Mehrheitsverhältnisse der Gemeinderatswahl nicht in einem Ausschuss, dann hat sie salopp formuliert „Pech gehabt“. Ähnlich geht es dem Bürger – möchte er wissen, wie es zu einem Beschluss gekommen ist, so hat er keinen Zugriff auf die Materialien der Ausschüsse. Unvorstellbar, würde man dies auf Nationalrat oder Landtag umlegen. Nur zum Parteienverkehr
Geradezu grotesk, aber tatsächlich Usus, ist es in St. Pölten auch, dass die Sitzungsprotokolle des Gemeinderates nicht veröffentlicht werden. Zumindest nicht im Internet. Man kann jedoch bei der Magistratsdirektion anrufen und vor Ort im Rathaus Einblick in die öffentlichen, genehmigten Protokolle der Gemeinderatssitzungen nehmen. „Da sind Sie wohl der erste, der das je gemacht hat“, begrüßt mich Magistratsdirektor Dewina, als ich durch das Protokoll der letzten Sitzung blättere. Eine übersichtliche Verhandlungsschrift, wie sie von einer gut geführten Verwaltung zu erwarten ist. Völlig unverständlich, warum man diese nicht auch online stellt. Es ist ein bisschen wie bei der Henne und dem Ei. Wenn nach jeder Sitzung 100 Leute im Vorzimmer des Magistratsdirektors sitzen würden, dann wären die Protokolle wohl definitiv schon längst online. Dass sich keiner für die Protokolle interessiert, könnte auch daran liegen, dass man eher ungern persönlich im Magistrat vorstellig wird, um Einblick zu nehmen.
Ein Klick im Internet, ein schnelles Drüberlesen, ein Nachblättern im Archiv … das wäre zeitgemäß und würde wohl niemanden schmerzen – schon gar nicht die Verwaltung. Vielleicht aber die Politik, die momentan noch relativ ungestört ihre Herrschaft über die Fakten ausübt. Wir erinnern uns an den Zirkus rund um den vor der Gemeinderatswahl geschlossenen Vergleich zur SWAP-Causa. Weder Rathaus noch SPÖ wollten die Vergleichssumme nennen. Die von Opposition und Medien genannte Summe wurde als „viel zu hoch“ kritisiert. Dabei lag das genehmigte Sitzungsprotokoll für jeden zur Einsicht offen, der Gemeinderat hatte in öffentlicher Sitzung zur Causa Beschlüsse gefasst. Wäre das Protokoll online gewesen, hätte ein Mausklick zum Nachlesen der Fakten gereicht.
Bürgermeister Stadler verteidigt die Vorgehensweise. Sitzungsprotokolle würden sehr viele formale Fakten, die für Bürger kaum von Interesse seien, enthalten. Personenbezogene Fakten müsste man zuerst mühselig entfernen, ehe man die Akten veröffentlichen könne. Stadler: „Im vergangenen Jahr wurden im Gemeinderat fast 800 Beschlüsse gefasst. Der Aufwand wäre enorm und es gäbe trotzdem nicht mehr Transparenz. Wir erklären ja die Beschlüsse und teilen öffentlich mit, was bei den Entscheidungen relevant und wichtig ist und wie sich die Grundlagen darstellen. Damit sind die Bürger bestens informiert.“ Stadler verweist damit auf die Beiträge des Medienservice, die auf der städtischen Website die wesentlichen Beschlüsse zusammenfassen. Dass laut Stadler die Inhalte eines schriftlich abgefassten Gemeinderatsprotokolls zum Rechtsproblem werden könnten, sobald sie online gestellt werden, scheint seltsam. Kulturwandel nötig
Wenn es um Transparenz geht, dann hat St. Pölten also einiges zu tun. Und damit ist nicht gemeint, dass im Rathaus Willkür herrscht oder dass von oberster Stelle die Arbeit des Apparats verheimlicht würde. Es geht vielmehr um eine Kultur des Zur-Schau-Stellens der eigenen Leistung und um eine Bereitschaft zur Dokumentation des politischen Handelns. Im Jahr 2016 verhöhnt man seine Bürger, wenn man ihnen politisches Interesse abspricht, nur weil sie nicht bereit sind, am Montag um 17:00 Uhr physisch einer Sitzung beizuwohnen.
Schon vor der Gemeinderatswahl im April war klar, dass Änderungen an dieser Einstellung nur von Bürgermeister Matthias Stadler und seiner SPÖ-Fraktion ausgehen können. Im Vorfeld der Wahl hatten alle antretenden Fraktionen Bereitschaft dokumentiert, sich für ein Mehr an Transparenz einzusetzen. Stadler hielt sich bedeckt, gab keinen Kommentar ab. Die Zustimmung der Opposition zu neuen Möglichkeiten der Bürger, sich über das Lokalpolitik-Geschehen zu informieren, dürfte ihm gewiss sein. ÖVP-Mandatar Florian Krumböck setzt sich seit längerem für einen Gemeinderats-Live-Stream ein: „Nur so kann man Politik bürgernah gestalten und der notwendigen Transparenz gerecht werden.“ Krumböck geht in seinen Forderungen auch weiter. Alle Akten und Informationen zu den Themen, über die der Gemeinderat abstimmt, sollten laut ihm für alle online zur Verfügung gestellt werden. Langfristig denkt er an St. Pölten als Best-Practice-Beispiel einer gläsernen Verwaltung: „Der Magistrat sollte alle ihm verfügbaren Daten so zur Verfügung stellen, dass Dritte nicht nur darauf zugreifen können, sondern sie auch weiterverarbeiten können. Was mit Steuergeld finanziert ist, soll auch allen zugutekommen – Stichwort Schwarmintelligenz. Ein Beispiel dafür ist die gläserne Verwaltung in Hamburg!“ Für sensible Daten und zur Sicherung von Persönlichkeitsrechten seien Ausnahmen vorzusehen. Bürgermeister Stadler verweist dazu auf die europapolitische und bundesweite Dimensionen: „Das Modell Hamburg ist nicht unumstritten. Am deutschen Städtetag wird diskutiert, ob es auf Grund der gemachten Erfahrungen überhaupt ein gangbarer, praktikabler Weg ist. Realität und Praxis schauen eben oft anders aus.“
Einen anderen Ball von Krumböck greift Stadler aber liebend gerne auf: „In der Vergangenheit wurde ich von der ÖVP kritisiert, dass ich die Öffentlichkeit vor der Meinungsbildung im Gemeinderat und die Grundlagen von geplanten Beschlüssen in Pressekonferenzen bzw. Beiträgen im St. Pölten Konkret informiert habe. Offensichtlich gibt es nun einen Meinungsumschwung und die ÖVP ist endlich dafür, dass ich entsprechend informiere. Es spricht überhaupt nichts dagegen, die Grundlagen der Beschlüsse vorher zu veröffentlichen. Ich freue mich darauf, dass die ÖVP Beschlüsse zu einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit und die damit verbundenen Kosten mittragen wird.“
Give Me My Money
ÖVP-Mandatar Krumböck hat unterdessen noch einen Vorschlag. Ein Teil des Stadthaushalts sollte in Bürgerbudgets gebündelt werden, Bürger aus den jeweiligen Stadtteilen sollen mitentscheiden, wofür das Geld verwendet wird: „Gerade bei der dörflichen Struktur von St. Pölten können die Leute vor Ort entscheiden, was mit einem Teil des Geldes vor ihrer Haustüre passieren soll.“
Für Stadler ist das „grundsätzlich denkbar und würde Sinn machen, weil damit die Bevölkerung in die Stadtverwaltung besser eingebunden wird. Ich sehe das Problem darin, wie man das organisiert. Wer ist aus der Bevölkerung befugt Entscheidungen für einen Stadtteil zu treffen?“ Er mahnt aber vor einer „Augenauswischerei, denn der überwiegende Teil der Budgetentscheidungen würde sich an sachlich und fachlich zwingenden Notwendigkeiten orientieren.“ Soll heißen, über die allermeisten Stadteuros kann man nicht abstimmen, die sind sowieso fix verplant. Zudem hält er fest, dass „die gewählten Mandatare die Interessen der Bevölkerung vertreten, Entscheidungen treffen und diese an die Bevölkerung weitertragen. Dafür werden sie bezahlt.“
FRAGESTUNDEDie Bürgerfragestunde wurde im Februar kurz vor der Gemeinderatswahl noch schnell als Resolution an den NÖ Landtag vom St. Pöltner Gemeinderat beschlossen. Das Land soll eine Rechtsgrundlage dafür schaffen, dass in Zukunft bei jeder Gemeinderatssitzung als fixer Tagesordnungspunkt eine „BürgerInnenfragestunde“ eingeplant wird. Technische und organisatorische Fragen sollen in einem breiten Diskussionsprozess im Vorfeld erläutert werden. Erfahrungenswerte kann man sich bei Tulln holen, dort gibt es dieses Instrument bereits. Ganz pragmatisch unterbricht der Bürgermeister nach der Eröffnung einfach die Sitzung für bis zu 30 Minuten. Jeder kann an die Gemeinderäte Fragen stellen und Anliegen formulieren – jedoch rechtlich unverbindlich.
KURZ DARGESTELLT
So unterschiedlich handhaben Städte Transparenz:
Tulln stellt auf seiner Website Gemeinderatsprotokolle und Audiomitschnitte zur Verfügung. Videoübertragungen sind nicht verfügbar. Bürger haben vor jeder Gemeinderatssitzung die Möglichkeit Anliegen vorzubringen und Fragen zu stellen – bis zu 30 Minuten wird die Sitzung dafür unmittelbar nach der Eröffnung unterbrochen.
Krems überträgt seit Mai Gemeinderatssitzungen live und stellt sie auf Abruf im Internet zur Verfügung. Vom großen Interesse waren die Kremser positiv überrascht. Sitzungsprotokolle sind aus praktischen Gründen nicht online, was sich aber ändern soll, sobald der elektronische Akt in Krems eingeführt wird.
Linz dokumentiert die Sitzungen des Gemeinderates umfangreich – detailliert sind Abstimmungsergebnisse dargestellt, dank eines Wortprotokolls kann man jedes ausgetauschte Argument nachlesen. Derzeit werden nur die Budgetsitzungen übertragen und auf Abruf bereitgestellt.
Wiener Neustadt stellt Sitzungsprotokolle online zur Verfügung. Bei der Einladung zur Gemeinderatssitzung ist die Tagesordnung sehr umfangreich und stellt detailliert inhaltlich dar, welche Punkte dem Gemeinderat zur Beschlussfassung vorgelegt werden.
St. Pölten stellt die Tagesordnungen der Gemeinderatssitzungen online, Details zu den geplanten Beschlüssen erfährt man nicht. Auch nachträglich sind die genehmigten und somit freigegebenen Protokolle nicht online abrufbar, dafür muss man persönlich im Rathaus vorstellig werden. Der städtische Medienservice stellt nach jeder Sitzung eine sachlich-nüchterne Zusammenfassung der Beschlüsse auf der Website online – auf die zugrundeliegenden politischen Diskussionen verzichtet man dabei jedoch bewusst. Sitzungen werden nicht übertagen bzw. zum Abruf bereitgestellt.