Aus der Kinderperspektive heraus
Text
Andreas Reichebner
Ausgabe
Innovativ, perspektivenerweiternd, neue Wege gehend – so sehen die Befürworter das KinderKunstLabor. Unnötig, Grünraum zerstörend und vermutlich das gleiche Schicksal des mittlerweile dahinschlummernden Klangturms erlebend – so argumentiert die Gegnerschaft. Bedurfte es in St. Pölten einer Institution, die dazu anregt, Kinder an einer offenen, künstlerischen Gemeinschaft teilhaben zu lassen? MFG war mit vier jungen Menschen in den Räumlichkeiten dieses neuen Kunst- und Kulturhauses unterwegs – auf der Suche nach Antworten.
Gedacht als Leuchtturmprojekt von Stadt und Land im Rahmen der Kulturhauptstadt 2024, sorgte das KinderKunstLabor nicht nur wegen der grundlegenden Idee des Projektes, sondern auch aufgrund der Standortwahl für viel Diskussionsstoff. Eine Bürgerplattform befürchtete, dass der Altoona-Park, laut Aktivisten eine der letzten Grünflächen in St. Pölten, zerstört werden würde, Jahrzehnte alte Bäume zum Opfer fallen würden. „Wenn das der Fall ist, werde ich mich an einen Baum ketten. So geht es einfach nicht“, war vor Baubeginn 2023 von einer engagierten Bürgerin zu hören. Letztendlich wurden ein Fünftel des Parkes verbaut, der dreieckige, viergeschoßige und innovative Holz- und Betonbau des Wiener Architekturbüros „Schenker Salvi Weber“ – im Vorfeld war ein Betonklotz vermutet worden – gliedert sich behutsam in das Parkambiente ein. Viel mehr Bäume als gefällt, wurden nachgepflanzt. Die Architekten waren angeraten, aus der Kinderperspektive zu denken.
Luftig und leicht
Luftig und leicht präsentiert sich das „KiKuLa“ von außen durch die vorgelagerte, durchscheinende Holzfassade. Rund um das Kunsthaus ist viel Grün, Kunstskulpturen laden zum Entdecken und Spielen ein, ein Klettergerüst ist allerdings mit den typischen Rot-Weiß-Bändern abgesperrt. Der 7-jährige Theo, Leon und Emil, beide 8 Jahre und die 9-jährige Melissa betreten den Eingangsbereich, der äußerst großzügig gestaltet ist. Diese Vier werden für MFG das KinderKunstLabor und seine Wichtigkeit im kulturellen und künstlerischen Kinderleben erspielen, ertasten, erleben und erkunden. Augenscheinlich fällt sofort die Rampe neben dem Kassa- und Infobereich auf, sie führt in einen, nur wenig erhöhten Halbstock, der zwar einen schönen Blick in den Außenbereich zur Verfügung stellt, aber dann zu Stiegen führt, die nur mehr per pedes erklommen werden können.
Aber die vier Kinder haben schon den Archipelago, der im Raum linker Hand vom Architekten Jakub Szczęsny, gemeinsam mit der St. Pöltner Elementarpädagogin Karin Kitz und Kindern des Kindergartens Ratzersdorf gestaltet wurde, gesehen. Der Archipelago ist eine eisschollenähnliche Holzskulptur, die mit ihren Schlupflöchern und dreieckigen Auslassungen zum Kraxeln und Verstecken einlädt. Einer der Burschen bleibt gleich stecken, die kleine Ilvy, die auch, samt Eltern, mitdurfte, genießt es. Kein Wunder, denn der Archipelago soll Kindern bis sechs Jahren sinnlich-ästhetische Erfahrungen liefern. Für Ilvy trifft das zu, Leon ist schon darüber hinausgewachsen. Aber man muss ohnedies in den Keller, denn dort ist die Garderobe untergebracht. Wer nicht Stiegen steigen kann, nimmt den großdimensionierten Lift. Jacken sind schnell verstaut und schon geht es die Treppen, die rund um den Bau bis in das vierte Geschoß reichen, hinauf. Links sind Zeichnungen von Kindern zu sehen und rechts durch große Glasflächen wächst die grüne Umgebung visuell ins Gebäude. „Das ist ein Außerirdischer“, „… kann aber auch ein Krokodil sein“, „oder Dinosaurier“, die Meinungen der vier Kinder während ihrer ersten „KiKuLa“-Kunstbetrachtung zeigen sich differenziert und kreativ.
Im ersten Obergeschoß stehen die Vier vor verdunkelten Türen. Kurz überlegt, aufgemacht, eingetreten und schon ist man in der immersiven Rauminstallation „dream.lab“ der brasilianischen Künstlerin Rivane Neuenschwander. Ihr geht es um das Thema Traum und Träumen. Bei der Gestaltung des Raumes hat sich Neuenschwander in schöpferische Prozesse mit Kindern aus St. Pölten begeben. Dazu sagt Mona Jas, künstlerische Leiterin: „Der Ansatz im KinderKunstLabor für zeitgenössische Kunst basiert darauf, mit den Kindern Räume zu schaffen, in denen sie in künstlerischen Prozessen Erfahrungen vollziehen können. Es geht nicht nur darum, in den Dialog mit Kunst zu gehen, sondern sich selbst durch künstlerisches Schaffen neu zu erleben und Teil einer offenen, künstlerischen Gemeinschaft zu werden.“
Mit dem Schatten spielen
Erstes Ziel im so geschaffenen Kunstraum ist ein Over-Head-Projektor. Emil, Theo und Melissa schieben sofort farbige Folien in das aus der Zeit gefallene technische Gerät, tanzen vor den Projektionen, werden spontan Teil der künstlerischen Installation. Leon fertigt hingegen aus den bereitgestellten Materialien seine eigene Schattenfigur, die er danach in den Schattenspielkojen einsetzt. Jetzt haben die drei anderen auch das Schattenspiel entdeckt. Sie bedienen sich der Figuren, die von Kindern mit der Künstlerin im Entstehungsprozess der Ausstellung gestaltet wurden. „Ein Auto überfährt einen Hut“ ist eine Sequenz davon. Eine künstlerische Eigendynamik entsteht. Die Freude am kreativen Spiel greift sogar auf die Eltern über. Der Satz „Ich bin schwach? Schau dir mal meine Eier an“ ist nicht einer Rede des neugewählten amerikanischen Präsidenten entnommen, sondern Emils Text, als er mit einer Hühnerfigur das Schattenspiel intensiviert. Theo, Melissa und Emil befriedigen mittlerweile ihren unbändigen Bewegungsdrang, sodass kurz ein KiKuLa-Mitarbeiter zur Vorsicht mahnt. Schließlich ist man doch auch umgeben von Kunstwerken, die Kübel-Installation im „dream-lab“ sollte gar nicht berührt werden. Jetzt ist es Zeit, die nächste Ebene zu betreten.
Schreibmaschine und Diaprojektor
Schnurstracks die Stiegen hinaufgerannt, bleibt man vorerst im Video-Raum, wo die Entstehung von „Toshis Gabe“, der interaktiven, dreidimensionalen, gehäkelten textilen Landschaft der Künstlerin Toshiko Horiuchi MacAdam zu sehen ist, hängen. Aber bald entdecken die vier KiKuLa-Erkundenden die Schreibmaschine, die sofort belegt ist und den Diaprojektor. Eine Mitarbeiterin des Hauses erklärt, wie man Dias selbst gestalten und sie dann, in den Hängematten liegend, genießen kann. Im Raum daneben ist beim letzten Workshop der kreative Geist übergeschwappt. Die frisch gestrichene Wand, die eigentlich jetzt, nach dem Bekritzeln in dem ersten Monat nach der Eröffnung, unbefleckt bleiben sollte, wurde wieder in den kreativen Prozess miteinbezogen – eine künstlerische, rebellische Ermächtigung seitens der Kinder und der verlockend herumliegenden Stifte. „Ist das nicht wunderschön?“, „Das ist wunderschiach“ war die Antwort, bevor sich Melissa mit ihren drei Kunstentdeckenden in den oberen Außenbereich, direkt hinein in die hängende und herrlich zum Herumkraxeln verlockende Textilinstallation „Toshis Gabe“, deren Nutzung allerdings witterungsabhängig ist, begibt. Das Motiv der Künstlerin, einen Raum zu schaffen, der „an das Gefühl, im Meer zu schweben, die tieferen Bereiche des Gehirns stimuliert und das Sehen, Fühlen, die Bewegung und das Gleichgewicht des Kinds herausfordert“, wird vollends von den Kindern aufgesogen. Da gibt es kein Halten mehr. Übrigens gibt es laut Auskunft eine große Schere, die dann zum Einsatz kommt, wenn sich ein Kind in den gehäkelten Maschen verfängt – sie wurde allerdings noch nie benötigt. Die kleine Ilvy hingegen erkundet sinnlich die mit Buttermilch bemalte Glasscheibe.
Aufs Dach steigen
Jetzt sind schon beinahe zwei Stunden vergangen, Zeit, um noch einen kleinen Abstecher in die Bibliothek ganz oben zu nehmen. Im kindergroßen Traumbuch wird herumgeblättert und so manches Buch herausgenommen, die Bibliothek erweist sich als kleiner, feiner Ort, in dem nun Resümee gezogen wird. „Ich habe das meiste super gefunden. Beim Klettergerüst die richtigen Löcher und Wege zu finden, das war gut, auch das Tippen auf der Schreibmaschine und das Basteln der Schattenspielfiguren. Es sollte aber Sachen geben, wo Kinder mehr Bewegung haben“, zieht Leon Bilanz, während Melissa vom „dream.lab“ begeistert war. Theo vermisst „… eine Rutsche von ganz oben bis ganz unten, das Schattenspielen hat mir aber sehr gut gefallen.“ Emil hat gar nicht bemerkt, dass zwei Stunden vergangen waren, aber „höher hätte man bauen sollen und dass man auch aufs Dach steigen kann. Das Tippen auf der Schreibmaschine war cool.“ Aber wie sieht Mona Jas die Aufgabe ihres Kunsthauses: „Ein guter Tag im KinderKunstLabor ist für mich einer, an dem Besuchende zu Nutzer:innen werden, sich einlassen, neugierig sind und offen für die Begegnung mit den Ideen, dem Perspektivenreichtum und Erfahrungen der Kinder und der Künstler:innen.“
Übrigens, die über ein Jahr alte Ilvy war vom Archipelago begeistert und machte ihre erste sinnliche Erfahrung mit getrockneter Buttermilch. Vielleicht wird sie in ein paar Jahren bei der Kunstideenwerkstatt oder beim Kinderbeirat mitwirken und dann in den direkten Dialog mit Kunstschaffenden treten und auf ihr Recht als Kulturbürgerinnen auf Teilhabe an Kunst und Kultur pochen. Bleibt zu hoffen, dass das KinderKunstLabor dann auch noch mit der gleichen Intensität geführt, von der Politik und Gesellschaft gestützt und vom jungen Publikum angenommen wird.
INFOS
Baukosten
Tatsächliche Kosten belaufen sich auf rund 17 Millionen Euro.
Betriebs-Programmkosten
Der Betriebsaufwand laut Budget im ersten Vollbetriebsjahr wird sich gesamt auf rund 1,5 Millionen belaufen.
Ausstellungen
Insgesamt gibt es drei Ausstellungen pro Jahr.
Aktivitäten
Ausstellung, Künstlerische Workshops, Walk-in-Formate wie die Bibliothek, Archipelago (Spielbereich, 0-6 Jahre), offene Werkstätten, Mitgestaltungsgremium Kunstideenwerkstatt, die Kletterinstallation Toshis Gabe, Skulpturenpark, Café Das Altoona