Aufarbeitung der Katastrophe
Text
Sascha Harold
Ausgabe
Die Hochwasserkatastrophe im September sorgte in Niederösterreich für Milliardenschäden und forderte außerdem fünf Todesopfer. Wie läuft die Aufarbeitung?
Auf einen außergewöhnlich trockenen Sommer folgten Mitte September extreme Niederschlagsmengen, die vor allem im Zentralraum Niederösterreich katastrophale Auswirkungen hatten. Der Raum St. Pölten war neben dem Tullnerfeld hauptbetroffen. Die Aufarbeitung der gesamten Schäden wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bisher sind bei der Schadenskommission für St. Pölten 2.200 Meldungen eingegangen, darunter von Privathaushalten, Firmen sowie Land- und Forstwirten. Mehr als die Hälfte dieser Fälle wurde bisher abgearbeitet, heißt es vonseiten der Stadt. Aufgrund des Ausmaßes der Katastrophe, brauche eine genaue Einschätzung des Gesamtschadens aber noch eine Weile. Die Schadenssumme an den Hochwasserschutzanlagen im gesamten Erhaltungsbereich des Traisen-Wasserverbandes werde jedenfalls auf rund zwei Millionen Euro geschätzt.
Neben der Abarbeitung der wirtschaftlichen Schäden, beginnt auch die politische Aufarbeitung. Anfang November lieferten sich etwa Landwirte und der St. Pöltner Vizebürgermeister Harald Ludwig einen Schlagabtausch. Der gab der industriellen Landwirtschaft, inklusive Bodenverdichtung eine Teilschuld für viele der entstandenen Schäden. Die Replik ließ nicht lange auf sich warten: „Die Landwirtschaft für die Hochwasserschäden verantwortlich zu machen, ist nicht nur eine Frechheit, sondern fachlich schlichtweg falsch“, so der Landwirtschaftskammer-NÖ-Präsident Johannes Schmuckenschlager.
Hydrologe Jürgen Komma von der TU Wien ist um eine Einordnung bemüht und misst dem Thema Bodenversiegelung im aktuellen Fall eine vergleichsweise geringe Bedeutung zu. „In diesem speziellen Fall hätte die Oberflächenversiegelung keinen großen Unterschied mehr gemacht, da die Böden durch den Regen bereits gesättigt waren. Diese hat mehr Einfluss bei kleineren Hochwasserereignissen, die häufiger auftreten und bei denen die Vorbefeuchtung eine größere Auswirkung hat.“ Natürlich sei übermäßige Bodenversiegelung aber für den lokalen Wasserhaushalt (Grundwasserneubildung) und ökologische Aspekte problematisch, ergänzt der Hydrologe.
Wie bewertet der Experte die Bewältigung des Hochwasserereignisses im September? Zunächst hält Komma fest, sei es wichtig, sich der Dimension bewusst zu sein. „Gerade im Zentralraum Niederösterreich sind innerhalb weniger Tage enorme Niederschlagsmengen gefallen, die normalerweise im gesamten Sommer und Herbst auftreten. Trotz eines extrem trockenen Spätsommers haben diese Regenmengen zur vollständigen Sättigung der Böden und in weiterer Folge zu massiven Hochwasserabflüssen an kleinen Bächen und auch an größeren Flüssen geführt.“ Die Dimensionierung von Rückhaltebecken, etwa am Eisberg, könne natürlich immer diskutiert werden, letztlich aber kein Vorwurf sein, weil solche Becken sich immer an bestimmten Größenordnungen orientieren. Am Eisberg war das Rückhaltebecken etwa für ein zehnjährliches Starkniederschlagsereignis bemessen – was durchaus üblich sei. Das Rückhaltevolumen des Beckens reichte für die enormen Regenmengen im September aber nicht aus.
Gefährdete Infrastruktur
Ein neues Licht wirft das vergangene Hochwasserereignis auch auf bestehende und geplante Bauvorhaben in designierten Hochwassergebieten. Die Website HORA (Natural Hazard Overview & Risk Assessment Austria), die vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft betrieben wird, zeigt in Österreich Flächen je nach ihrer Hochwasserrisikozonierung unterschiedlich eingefärbt. Blickt man auf das Stadtgebiet St. Pölten sind von einer „hohen Gefährdung“ (Überflutung bei 30-jährlichem Hochwasser möglich, Anm.) vor allem Gebiete entlang der Traisen betroffen. Flächen mit „niedriger Gefährdung“ (Überflutung bei 300-jährlichem Hochwasser möglich, Anm.) reichen bis hinein in die Innenstadt. In der Stadtverwaltung ist man sich des Risikos bewusst. „Die wenigen betroffenen Flächen von Baulandreserven wurden zum einen mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen entsprechend mit Bausperren belegt. Weiters wurde ein Planungskonzept zur weitergehenden raumordnungsfachlichen Behandlung […] beauftragt, dessen Ergebnis in weiterer Folge in entsprechenden Festlegungen im Flächenwidmungsplan mündet“, so heißt es aus der Stadt. Die Ereignisse des Septembers sollen außerdem fachlich ausgewertet und dann gemeinsam mit den Fachdienststellen des Landes NÖ besprochen werden. Kein Einlenken gibt es allerdings beim von mehreren Seiten kritisierten Zentrallager des REWE-Konzerns, das im Hochwassergebiet gebaut werden soll.
Komma sieht das kritisch: „Neben der Bodenversiegelung ist in diesen Fällen die Erhöhung des Schadenspotenzials problematisch. Das aktuelle Hochwasserereignis hat uns eindrucksvoll vor Augen geführt, dass auch Hochwasserschutzmaßnahmen (Dämme, Flutmulden) keine absolute Sicherheit gegen Überflutungen bieten. Durch die Ansiedlung von Industriebetrieben werden dann im Katastrophenfall neben den Schäden an der Betriebsinfrastruktur auch noch die ohnehin überlasteten Einsatzkräfte zusätzlich beansprucht.“
Auch die Initiative „Bodenschutz St. Pölten“ hat sich in einer Petition, für die man bereits knapp 10.000 Unterschriften gesammelt hat, an die Stadt gewandt und fordert „ein sofortiges Umdenken und den Erhalt unserer Retentionsflächen.“ Bei der Stadt beschwichtigt man und verweist auf den Hochwasserschutz, der im künftigen REWE-Areal kommen soll: „Erst durch die mögliche Entwicklung des Standortes in Verbindung mit der Arrondierung vieler Grundstücke ist ein umfassendes Hochwasserprojekt realisierbar“, heißt es aus der Stadt. Bürgermeister Matthias Stadler hält zudem fest: „Eine Nutzung dieses Areals mit bester Verkehrsanbindung ist nicht nur aus ökologischer Sicht im Sinne effizienter Wege sinnvoll, sondern stärkt auch den Wirtschaftsstandort, was nicht zuletzt Arbeitsplätze vor Ort sichert.“ Daran, dass das Projekt realisiert wird, dürfte also auch das September-Hochwasser nichts ändern.
Kommission unterwegs
Die Aufarbeitung der Katastrophe ist derzeit nach wie vor im Gange. In ganz Niederösterreich wurden sogenannte Schadenskommissionen gebildet, die Schäden dokumentierten, um Betroffenen Zugang zu den Hilfsgeldern von Land und Bund zu ermöglichen. Je nach Nutzungsart gibt es vorab definierte Auszahlungsbeträge pro m² betroffener Fläche. Wie hoch die ausgezahlten Beihilfen sind, ist je nach Bundesland verschieden. In Oberösterreich werden etwa „in der Regel 20% bis 50% der vom Katastrophenfonds anerkannten Kosten als Beihilfe gewährt“, in Wien beträgt die Förderung bis zu 30 Prozent, in besonderen Härtefällen bis zu 50 Prozent der anerkannten Schadenssumme. In Niederösterreich wurden die Sätze nach dem Hochwasser rückwirkend von 20 auf 50 Prozent angehoben. In Härtefällen werden bis zu 80 Prozent des Schadens ersetzt.
In diesen Kommissionen waren in St. Pölten etwa auch die Vizebürgermeister Matthias Adl und Harald Ludwig vertreten. Dass politische Vertreter Teil der Kommissionen sind, erachtet Komma für durchaus gut: „Die Vorgangsweise, dass politische Vertreter bei den Begehungen dabei sind, ist üblich und auch durchaus sinnvoll. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Begutachtung und Auszahlung der Hilfen unkompliziert und rasch erfolgt ist.“ Aus dem Land Niederösterreich hieß es Mitte November, dass die Erhebung nach wie vor im Gange sei und nach Abschluss der Arbeiten eine umfassende Evaluierung mit Verbesserungsvorschlägen geplant sei.
Was jetzt?
Auch in St. Pölten widmet man sich nach wie vor der Aufarbeitung der Ereignisse. Vonseiten der Stadt heißt es, dass aktuell eine von der Baudirektion eigens ins Leben gerufene Taskforce mit Unterstützung der Firma „Donau Consult“ auf Hochtouren daran arbeite, die Schäden zu analysieren und Erkenntnisse aus diesem Ereignis zu ziehen. Außerdem werde geprüft, wo es zusätzliche Barrieren und Becken zum Schutz der Bevölkerung brauche. Fix ist etwa die Adaptierung des Regenrückhaltebeckens Nadelbach, die bereits bei der Behörde zur Bewilligung eingereicht wurde und deren Umsetzung 2026 startet. Auch das Hochwasserschutzprojekt der Traisen für Pottenbrunn sei bereits sehr fortgeschritten und stehe kurz vor der Ausarbeitung der Einreichungsunterlagen.
Von Expertenseite werden die kommenden Maßnahmen positiv bewertet. „Der Ausbau von Retentionsbecken und -flächen ist sicher eine sinnvolle Vorgangsweise. Diese Becken werden so bemessen, dass die unterliegenden Ortschaften für mittlere bis große Hochwasser geschützt werden. In Österreich, speziell auch in Niederösterreich, ist in dieser Hinsicht seit den Hochwassern 2002 und 2013 auch sehr viel passiert“, analysiert Komma. Angesichts des fortschreitenden Klimawandels dürften starke Regenfälle und Hochwasser künftig aber zunehmen. Hochwasserschutz ist dabei nur ein zentrales Element in der Vorbereitung. Wichtig ist auch, das Bewusstsein in der Bevölkerung zu erhöhen. Komma dazu: „In zahlreichen Gemeinden entlang der Perschling und im Tullnerfeld wurde ein Großteil der Keller überflutet. Heizungsanlagen und andere haustechnische Einrichtung erhöhen hier das Schadenspotential erheblich. Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung und bauliche Hochwasservorsorgemaßnahmen, etwa dichte Fenster, Haustechnik im Erdgeschoss, sind geeignete Strategien für den Umgang mit steigenden Hochwasserrisiken.“ Das gelte für Unternehmen genauso wie Privatpersonen. Inwieweit diese Vorbereitungen greifen, wird das nächste Hochwasserereignis zeigen, das aller Voraussicht nach eher früher als später eintreten wird.