MFG - "Frausein an sich ist kein Programm"


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St. Pöltens gute Seite

"Frausein an sich ist kein Programm"

Text Johannes Reichl
Ausgabe 03/2014

Was Deutschland Alice Schwarzer ist Österreich – wenn es sich auch um zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten handelt – Eva Rossmann. Als Mitinitiatorin des FrauenVolksBegehrens 1997 sowie Autorin zahlreicher Sachbücher, die sich mit der Situation der Frau auseinandersetzen, avancierte sie zur österreichischen Feminismus-Ikone. Wir erreichten die vielseitige Autorin in der Karibik, wo sie gerade an ihrem neuen Krimi „Alles rot“ schreibt, und plauderten mit ihr über schlechtes Gewissen, unreflektierte Medien, echte Chancengleichheit und die Notwendigkeit von Vielfalt.

In Bezug auf den Feminismus geistert in den letzten Jahren gerne der Befund: „Die Revolution frisst ihre Kinder“ durch diverse Gazetten, Lebensratgeber, Stammtische & Co. Trügt der Schein, oder ist der Feminismus tatsächlich nach seinen Kämpfen/Errungenschaften des 20. Jahrhunderts mit Beginn des 21. Jahrhunderts in eine Art reaktionäre Wende eingetreten? Die Müttergeneration beklagt, dass die Töchter sozusagen das schwer erkämpfte Erbe verspielen, die­se wiederum kontern, das Frauen- und Männerbild der Mütter sei in den 70er Jahren stecken geblieben.
Naja, in dem Fall scheinen ja eher die Kinder die Revolution zu fressen! Aber so dramatisch würde ich das gar nicht sehen. Wenn an „Stammtischen“ quasi beklagt wird, dass der Feminismus auch nicht mehr ist, was er einmal war, ist das schon lustig. Weil gerade die haben sich ja am meisten über Gleichstellungs-Forderungen und ihre Proponentinnen aufgeregt … Tja, jetzt ist es die „gute alte“ Zeit. Man sieht, dass noch viel zu tun ist. Nicht nur was das Bewusstsein angeht, sondern auch was die Fakten betrifft. Frauen verdienen noch immer erheblich weniger als Männer. Und sie sind deutlich seltener in Führungspositionen. Dafür übernehmen sie einen Großteil der Familien- und Betreuungsaufgaben. Und so lange das so ist, wird und muss es auch Frauen – und Männer – geben, die gegen solche Ungerechtigkeiten etwas unternehmen. Jede Generation findet die eigenen Mittel. Ich kann mich gut erinnern, als wir vor bereits 17 Jahren das Frauenvolksbegehren gemacht haben. Damals hat die „ältere“ Feministinnen-Generation auch ganz schön misstrauisch auf uns geschaut. Ist eben so. Und ist übrigens auch Thema in meinem aktuellen Krimi „Männerfallen“. Wenn die Jungen die Frauen- und Männerbilder immer neu hinterfragen und weiterentwickeln, dann ist das auch gut so. In den letzten hundert Jahren wurde viel erreicht, einiges wieder verspielt und es gibt eben auch noch etwas zu tun.
Eines der grundlegenden Themen ist nach wie vor die Rolle der Frau als Mutter, in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der Kinderbetreuung. Zwar blühen zarte Pflänzchen von gemeinsamer Elternkarenz, Ausbau Kinderkrippen, Papamonat etc. – all dies geht jedoch sehr zäh und nicht ohne ideologischen Streit ab. Die Grundkrux scheint neben nach wie vor resistenten Rollenbildern – die Frau umsorgt die Kinder, der Mann schafft das Geld herbei – vor allem auch die generelle Frage des Missverhältnisses der generellen Aufgabenteilung – also Kinderbetreuung, Haushalt, Arbeit – zwischen Partnern zu sein sowie die Frage der gesellschaftlichen, auch ökonomischen Bewertung dieser Arbeiten.
So ist es. Aber da sind wir eben bei den neu zu definierenden Frauen- und Männerbildern. Erst wenn wir erkennen, dass es um die Freiheit von Rollenzuschreibungen geht, kommen wir weiter. Ein Mann darf sich auch in erster Linie der Karriere widmen. Eine Frau darf sich auch in erster Linie den Kindern widmen. Aber ebenso darf eine Frau vor allem an ihrem Job interessiert sein und ein Mann – ganz selbstverständlich – für Kinder oder zu pflegende Angehörige da sein. Erst wenn Tätigkeiten nicht mehr automatisch mit „Mann“ oder „Frau“ verbunden werden, haben wir eine Chance, solche Aufgabenzuschreibungen zu verändern. Was die Gesellschaft und die Politik dazu beitragen kann? Es braucht Rahmenbedingungen, die ermutigen die alteingeführten Pfade zu verlassen. Die Chance auf sehr flexible und teilbare Karenzzeiten gehört da ebenso dazu wie ein System von Betriebskindergärten oder die Verpflichtung von Unternehmen nachzuweisen, was sie ganz konkret in Richtung Chancengleichheit unternehmen. Und nur wenn das erfüllt wird, soll es öffentliche Gelder geben dürfen.
Mütter sehen sich oft zwei widersprüchlichen Reaktionen ausgesetzt: Zum einen klagen Frauen, die rasch in den Job zurückkehren, Wert auf ihre Arbeit und Karriere legen, dass sie als „Rabenmütter“ punziert werden – das Ergebnis ist schlechtes Gewissen.
Zum anderen klagen Frauen, die aus freiem Willen länger bei den Kindern zuhause bleiben möchten, Kinderbetreuung bewusst vor Karriere stellen, ebenfalls angefeindet zu werden und dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, sie würden der Emanzipationsbewegung in den Rücken fallen. Wie kommt man aus dieser Spirale heraus und woher rührt Ihrer Meinung nach dieser Zwiespalt, der nicht selten einer von Frauen befeuerter ist?

Der Zwiespalt hat viel mit dem schlechten Gewissen zu tun, das den Frauen eingeredet wird und das sie sich auch wechselseitig einreden. Solange nicht klar ist, dass jede Frau selbstbewusst so leben kann, wie es ihr entspricht, werden wir immer wieder mit solchen Phänomenen zu rechnen haben. Ich finde es sehr okay, wenn Frauen gerne und freiwillig bei den Kindern zuhause bleiben wollen – allerdings sage ich ihnen schon auch, dass sie sehr gefährlich leben: Weil eine Ehe ist keine Lebensversicherung mehr. Und wenn sie kein eigenes Einkommen, damit auch keine Chance auf eine ordentliche Pension haben, dann könnten sie nach einer Scheidung ganz schön arm dastehen. Wobei: In vielen Familien stellt sich die Frage gar nicht. Da müssen sowieso beide arbeiten gehen, um halbwegs über die Runden zu kommen. Wichtig wäre es da nur, dass nicht die Frau bloß als „Dazuverdienerin“, die sich nebenbei „natürlich“ um alles andere zu kümmern hat, dasteht. Weil irgendwann schafft man das nicht mehr. Und: Beruflicher Aufstieg kann sich so auch nicht ausgehen.
Von einer gewissen Zwiespältigkeit, ja fast Schizophrenie sind zahlreiche sogenannte „Frauenzeitschriften“ geprägt. Dem Aufruf „Sei du selbst“, „Mut zu deinen Rundungen“ und der Beschreibung diverser Karrierefrauen, steht zwei Seiten später „In 2 Wochen zur Bikinifigur“, „So machst du ihn glücklich – 10 neue Sextipps“, Berichte über die neuesten Schönheits OP’s & Co. Die Zeitungen sind zugepflastert mit gärtenschlanken Supermodels ... Welche Rolle spielen Medien in der Frage der Rollenbilder – auch im speziellen jene, die ihren Fokus angeblich auf Frauen richten. Bilden diese die Realität ab oder versuchen sie diese aus ökonomischen, chauvinistischen Gründen zu konstruieren?
Vieles, was in den Medien passiert, ist einfach unreflektiert. Es wird das gebracht, das angeblich die Meisten interessiert. Hohe Auflagen bringen hohe Inseratenpreise. Und: Natürlich gibt es Inseraten-Auftraggeber, die im Umfeld ihrer Werbung schon passende (Rollen)-Bilder haben möchten. Mit Produkten, die schlank machen, kann man mehr verdienen, als wenn man sagt, iss, was du möchtest. Schönheits-Operationen sind ein Riesen-Business geworden – das hab ich ja auch in meinem Krimi „Unterm Messer“ verarbeitet. Am absurdesten finde ich ja die Reportagen über sogenannte „Powerfrauen“: Da werden uns armen durchschnittlichen Frauen welche vorgeführt, die ALLES schaffen: Schlank, schön, Karriere, Vorzeigefamilie. Aber abgesehen davon, dass diese Frauen ja auch nicht alles erzählen, haben sie meist einen ganz gewaltigen Vorteil: Sie haben Geld. Sie können sich Kinder- und Altenbetreuung zukaufen. Sie haben jemanden, der putzt und den Garten betreut. Uns soll vermittelt werden: Wenn du gut bist, schaffst du alles! Und wenn du nicht alles schaffst, dann bist du nicht gut genug! In der Wirklichkeit haben die Rahmenbedingungen eine Menge damit zu tun, was Frau – oder Mann – schaffen kann. Ausbildung, finanzieller Hintergrund, Lebensumgebung, geographische und soziale Herkunft, etc.
In Österreich hat im Vorjahr das Buch „Der falsche Feind – Schuld sind nicht die Männer“ von Christine Bauer-Jelinek zu hitzigen Debatten geführt. Der Grundtenor findet sich in dem Zitat „Die Unterdrückung der Frauen durch die Männer ist ein Mythos – Frauen müssen sich nicht ständig als Opfer fühlen.“ Im Kern sieht Bauer-Jelinek die Forderungen des Feminismus erfüllt, dieser habe sich nunmehr zu einer Art pseudowissenschaftlichen Gender-Ideologie ausgewachsen, die Scheingefechte inszeniert während die wirklichen Probleme weniger geschlechtsspezifischer, als vielmehr ökonomischer Natur seien – es gelte den Neoliberalismus zu überwinden. Wie beurteilen Sie diesen Ansatz?
Hätte Frau Bauer-Jelinek sich in ihrem Buch wirklich mehr mit den ökonomischen Rahmenbedingungen und weniger mit dem angeblich gestrigen Feminismus beschäftigt, wäre es für mich interessanter gewesen. Jede soll glauben, was sie will. Tatsache ist, dass Frauen immer wieder – aber natürlich nicht immer – Opfer sind. Von Gewalt, die ausgeübt werden kann, weil Frauen keinen ökonomischen Ausweg haben. Von Diskriminierung, weil Männer Angst haben, sich der Konkurrenz zu stellen. Von engen Rollenzuschreibungen, weil es für viele bequemer ist, alles beim Alten zu lassen. Dass der Neoliberalismus jene bevorzugt, die egoistisch nur ihren eigenen Vorteil suchen, liegt auf der Hand. Und das sind momentan eben eher mehr Männer als Frauen. Wenn so etwas wie eine geregelte Marktwirtschaft Bestand haben soll – und ich hoffe das – muss sie erkennen, dass sie zu ihrer Weiterentwicklung die unterschiedlichsten Fähigkeiten und Talente braucht. Enge Ehrgeiz-Kriterien sind da viel zu wenig, sie lassen nicht zu, dass auf Herausforderungen kreativ und mit größerer Perspektive umgegangen wird. Hengstschläger, der ja nun nicht gerade als linker Revolutionär gilt, hat dazu ein großartiges Buch geschrieben: „Die Durchschnittsfalle“. Darin beschreibt er, wie wichtig es ist, für die Herausforderungen der Zukunft alle unsere Talente und Fähigkeiten zu entwickeln, wertzuschätzen und zu verwenden.
Simone de Beauvoir hat gemeint „Man wird nicht als Frau geboren, man wird Frau.“ Seither wogt der Streit zwischen Biologie und Soziologie hin und her, wie viel sozusagen genetische Determination, wie viel soziokulturelle Prägung ist. Warum wird die Debatte darüber im 21. Jahrhundert noch immer so erbittert und, wie es scheint, unverhältnismäßig geführt? Stellt der oft herumgeisternde Ansatz, Gleichberechtigung im Sinne von Gleichheit und Egalisierung der Geschlechter zu verstehen, nicht eine der Grunddiskrepanzen in der Diskussion dar, weil sie von der eigentlichen Kernfrage „Gleichberechtigung“ weg und hin zu Scheindebatten führt?
So ist es! Es geht nicht um Gleichmacherei, sondern um gleiche Chancen unabhängig vom biologischen Geschlecht. Auch alle Frauen oder alle Männer gleich zu machen, wäre lächerlich. Wir brauchen Vielfalt, nicht Einfalt. Und manchmal hab ich den Eindruck, dass es vielleicht der wirkliche Fortschritt der letzten Jahrzehnte war, zumindest etwas mehr von dieser Vielfalt zuzulassen. Es ist gleichzeitig eine der größten Herausforderungen für die Zukunft, es ist auf diesem Weg noch viel zu tun. Unterschiedlichste Lebensformen, Geschlechter, Sprachen, Lebenszugänge als bereichernd und nicht als bedrohend zu empfinden. Nur so ließen sich übrigens auch ökonomisch alle Chancen und Fähigkeiten bestmöglich nutzen.
Ist Feminismus als einheitlicher Begriff noch zeitgemäß, oder ist er nicht mittlerweile in verschiedene, zum Teil widersprüchliche Tendenzen zerfallen? Ist die Solidarität der Frauen untereinander – vielleicht auch als Ergebnis der Errungenschaften früherer Emanzipationsbewegungen – brüchig geworden, ist umgekehrt aus Ihrer Sicht die Solidarität der Männer mit den Frauen gestiegen?
Ich halte die allumfassende Frauensolidarität für ein Märchen, das sich missliebige Männer ausgedacht haben, um zu erklären, warum es mit der Gleichstellung nicht weitergeht. Sie ist Unsinn. Warum sollte ich mit einer Frau solidarisch sein, die – überspitzt gesagt – nicht alles, was Hitler getan hat, schlecht findet, die Türkinnen heimschicken oder gleich ins Meer werfen will? Oder warum sollte ich mit einer solidarisch sein, die findet, jede soll einfach für sich alles rausholen, was geht – und die anderen sind egal? Ich glaube, es gibt größere und kleinere Frauen-Solidaritäts-Bündnisse. Je nach Thema und Zweck. Und die machen auch Sinn. So wie damals das FrauenVolksBegehren. Das übrigens zu einem Drittel von Männern unterschieben wurde. Oder parteiübergreifende Aktionen von Frauen im Parlament, weil „ihre Männer“ gewisse Gleichstellungsfragen für nicht wichtig erachten. Aber Frausein an sich ist kein Programm. Da wären wir nämlich genau wieder bei biologischen Zuschreibungen. Deswegen finde ich übrigens auch, dass eine Frauenpartei keinen Sinn hat. Uns verbinden zwar unter Umständen einengende Rollenzuschreibungen, aber schon über die Frage, ob sie zu bekämpfen sind, wäre man unterschiedlicher Ansicht.
Wo orten Sie persönlich auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Menschen, von Frau und Mann, noch die größten Brocken am Weg – und wie können diese Ihrer Meinung nach ausgeräumt werden?
Genauso, wie sich die Gesellschaft weiterentwickelt, gibt es immer wieder neue Herausforderungen bei der Gleichstellung von Frauen und Männern. Ein ganz wichtiger Punkt scheint mir zu sein, wie wir mit Frauen aus anderen Ländern, mit anderen sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen umgehen. Es geht darum, sie weder als Bedrohung noch als arme Opfer, denen man helfen muss, zu betrachten. Es geht – wieder einmal – um die Entwicklung und die Unterstützung von freier Vielfalt. Klar ist, dass nicht nur Frauenrollen, sondern auch Männerrollen hinterfragt werden müssen. Das Ziel kann nur ein Ende der biologistischen Rollenzuschreibungen sein. Für alle. Die Frage, welche geschlechtsspezifischen Auswirkungen unser Wirtschaftssystem hat und wie man es intelligent weiterentwickeln könnte, ist ebenso ganz zentral. Es geht nicht um kommunistische Gleichmacherei, sondern um gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen für alle, damit sie ihre individuellen Fähigkeiten auch nützen können. Dazu brauchen wir nicht die „Ich-AG“ und die neoliberal angestrebte Vereinzelung, sondern kreative Solidarität.
Es bleibt also spannend … und es macht Freude, am Weg mit dabei zu sein. VIELSEITIG
Eva Rossmann ist ein vielseitiger Mensch. Die gebürtige Steirerin, die mittlerweile im Weinviertel lebt, arbeitete zunächst als Verfassungsjuristin, später als (freie) Journalistin, u.a. für die Süddeutsche Zeitung, die Oberösterreichischen Nachrichten oder den ORF, wo sie auch als Moderatorin des „Club2“ in Erscheinung trat. Rossmann schrieb zahlreiche Sachbücher, insbesondere zu Frauenthemen, Drehbücher für die TV-Serie SOKO Kitzbühel, das Kochbuch „Mira kocht“ oder den Reise(ver)führer „Auf ins Weinviertel“. Seit 1994 ist sie als Krimi-Autorin erfolgreich – in ihrer Krimireihe rund um die Wiener Journalistin Mira Valensky und ihre bosnisch stämmige Putzfrau und Freundin Vesna Krajner greift sie immer wieder auch aktuelle gesellschaftspolitische Themen auf – so wird es im neuen Roman „Alles rot“ u.a. um die Folgen der EU-Finanzkrise gehen. Zuletzt erschien ihr Krimi „Männerfallen“. Seit ihrer Recherche für den Krimi „Ausgekocht“ in der Küche von Manfred Buchingers Gasthaus „Zur Alten Schule“ ist Rossmann zudem ebendort auch als Köchin tätig und hat dafür 2004 eigens den Lehrabschluss zur staatlich geprüften Köchin nachgeholt.