Themenverfehlung?
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Magere 156 beantwortete „Papstfragebögen“ bei 516.000 Katholiken in der Diözese St. Pölten – damit lag St. Pölten beim Rücklauf der von Papst Franziskus initiierten weltweit angelegten „Familienumfrage“, wie sie die Bischofskonferenz nannte, weit abgeschlagen an letzter Stelle in Österreich. Wir wollten wissen, warum.
Zum Vergleich: In Graz-Seckau, als „Spitzenreiter“, wurden 14.221 ausgefüllte Fragebögen abgegeben, in Wien waren es über 8.000, in Innsbruck mehr als 5.000, in Klagenfurt etwa 1.700 und in der mit 245.118 Gläubigen nicht einmal halb so großen Diözese Feldkirch auch immerhin noch 1.500, also fast zehnmal so viele wie in St. Pölten. Was in einer ersten Aussendung der Österreichischen Bischofskonferenz zum Thema ebenfalls auffiel: Während zahlreiche Diözesen ganz konkrete Ergebnisse samt Prozentzahlen vorlegten – deren Aussage die Bischofskonferenz so zusammenfasste: „Die größte Diskrepanz gibt es in Fragen der Empfängnisregelung, des Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen, bei vorehelichen Beziehungen und – weniger deutlich – hinsichtlich Homosexualität“ – blieb St. Pölten konkrete Zahlen „schuldig“ und lieferte stattdessen eine eigene, vorwegnehmende Interpretation: „Bei der Bischofssynode wird es nicht darum gehen, die Lehre der Kirche zu ändern, sondern neue und bessere Wege der Verkündigung zu finden und den Eheleuten und Familien zu helfen, die Lehre der Kirche umzusetzen und freudig zu leben.“
Diese Worte stammen von dem für Ehe, Familien und Lebensschutz zuständigen Bischofsvikar Dr. Helmut Prader, welcher auch für die Abwicklung des Fragebogens zuständig war – also unser Mann.
Das hat der Papst nicht gefragt
Wir treffen einander vorm Dom, wobei ich Prader schon vom Herrenplatz aus sehen kann. Der stattliche Priester wirkt schon rein äußerlich standhaft, ein Eindruck, der sich auch im Hinblick auf seine konsequente Auslegung der gültigen römisch-katholischen Lehre fortzusetzen scheint.
Für den schwachen Rücklauf des Fragebogens hat Prader eine einfache Erklärung parat: „Der Fragebogen war viel zu kompliziert. Er war an Spezialisten gerichtet.“ Kurzum, die breite Basis sei gar nicht der direkte Ansprechpartner gewesen. Wenn man das sperrige und mit Fachtermini gespickte Originalkonvolut liest, klingt das plausibel – keine einzige Frage ist direkt an die Gläubigen gerichtet, sondern scheint eher den Mittlern gestellt, die dem Heiligen Stuhl sozusagen über die „Lage der Nation“ Auskunft geben sollten.
Freilich, der „Beipacktext“ zum sogenannten Vorbereitungsdokument für die Sonderbischofssynode ließ diesbezüglich einen gewissen Deutungsspielraum offen. So heißt es eingangs: „Die 39 Fragen richten sich an die Bischöfe, die ihrerseits gehalten sind, möglichst breit Antworten bis auf die Ebene der Dekanate und Pfarrgemeinden einzuholen.“
Ob sie diese freilich bei den Experten einholen, wie es offensichtlich Diözesen wie St. Pölten verstanden haben, oder direkt – und aktiv – bei den Gläubigen nachfragen, wie es die Diözesen Graz, Linz, Innsbruck, Klagenfurt und Salzburg gemacht haben, darüber gehen die Meinungen auseinander. „Die Grazer haben den Fragebogen vereinfacht und die Fragen ganz stark abgeändert, die mit dem Original nichts mehr zu tun haben. Nur, das war nicht die Intention des Papstes“, ist Prader überzeugt. Er hat eher den Eindruck, „dass manche Kreise halt die Chance nutzen wollten, um Druck auszuüben“, womit er auf die liberalen Strömungen innerhalb der katholischen Kirche anspielt. „Der Papst hat aber nicht gefragt, was wir ändern sollen, sondern er will wissen, wie sich die Situation darstellt und wie wir besser verkünden können.“
Eine Frage des Marketings
Die Lehre als solche stand also gar nicht zur Diskussion, weil sie in Praders Augen schlicht außer Frage steht. „Ich kann ja nicht die Bibel, das verkündete Wort umschreiben. Es heißt etwa in Bezug auf die Ehe: ‚Was Gott verbunden, das darf der Mensch nicht trennen.‘ Das finden wir an fünf, sechs Stellen in der Bibel. Jesus Christus selbst hat die Ehe zum heiligen Sakrament gemacht.“ Kurzum – da gäbe es nichts zu rüttlen.
Wo Prader dahingegen Handlungsbedarf ortet, ist die Frage der Vermittlung. „Wenn Sie es mit der Wirtschaft vergleichen möchten: Wir haben zwar ein Spitzenprodukt, das richtig, wahr, gut und schön ist, aber wir haben ein miserables Marketing!“ Die Vermittlung der Inhalte gehe vielfach an den Menschen vorbei „viele wissen ja gar nicht, was wir eigentlich genau meinen bzw. was hinter den jeweiligen Positionen steckt. Wie soll ein Mensch aber etwas richtig leben, das ihm gar nicht bekannt ist.“ Den tiefen Sinn, das müsse man also wieder verständlich machen, nicht die Doktrin an sich in Frage stellen. „Um einen Vergleich zu bringen: Was macht ein Lehrer, wenn die Schüler die Grundrechnungsarten nicht beherrschen – wird er die Grundrechnungsarten an sich in Frage stellen und verwerfen, oder wird er versuchen, andere Methoden der Vermittlung zu finden, damit sie die Schüler nachvollziehen können?“
Wobei er den Vergleich mit Schülern nicht falsch verstanden wissen möchte. „Das war lange das Problem der Kirche, dass wir den Gläubigen – mündigen, erwachsenen Menschen – zu wenig zugetraut haben, die Hintergründe zu erfassen, und diese deshalb oftmals gar nicht vermittelt haben.“ Dies müsse sich ändern „wobei wir niemandem etwas aufzwingen möchten, sondern es geht um die freie Entscheidung des einzelnen Gläubigen, der es aus Überzeugung tut.“
Bleibt ein solches Ansinnen angesichts der – auch durch den Fragebogen zutage geförderten – Diskrepanz zwischen den konservativen Positionen der römisch-katholischen Lehre einerseits und der liberaleren Lebenseinstellung der Gläubigen andererseits nicht ein frommer Wunsch?
Prader schüttelt energisch den Kopf. „Ich bin voller Zuversicht, dass uns dies gelingen wird, und werde diesbezüglich auch keine Abstriche machen, weil ich in der Praxis sehe, dass es funktioniert und Früchte trägt. Ein Leben im christlichen Sinne macht die Menschen, macht Eheleute und Familien glücklicher, hilft ihnen auf ihrem Lebensweg, erfüllt sie.“
Eines steht fest: Wer im Fragebogen als solchem – wie manch Medien und liberale Kirchenkreise – schon ein Rütteln an Doktrinen zu Themen wie Wiederverheiratung, Kommunion für Geschiedene, Homosexualität, künstliche Befruchtung, Empfängnisverhütung, vorehelichen Geschlechtsverkehr etc. erwartet hat, könnte enttäuscht werden.
Wie der Papst den Fragebogen aber tatsächlich gemeint hat – ob nun als Einladung zur Meinungsäußerung oder als reine Erhebung des Status Quo – wird wohl spätestens die diesjährige Sonderbischofssynode zum Thema „Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Rahmen der Evangelisierung“ zutage fördern.
Bis dahin bleibt die jeweilige Auslegung eine Glaubensfrage, die nicht zuletzt auch den Riss innerhalb der römisch-katholischen Kirche Österreichs zwischen liberalen und konservativen Strömungen und Diözesen offenlegt. ZUR PERSON
Dr. Helmut Prader studierte u. a. am Johannes Paul II Institut für Ehe und Familie in Rom. Er ist Pfarrer von Neuhofen/Ybbs, Diözesanrichter in St. Pölten sowie Lehrbeauftragter für „Moraltheologie“ und Dozent für die Dozentur „Ehe und Familie“ an der Hochschule Heiligenkreuz. Von Bischof Klaus Küng wurde er 2011 zum Bischofsvikar für Ehe, Familie und Lebensschutz bestellt.
Diese Worte stammen von dem für Ehe, Familien und Lebensschutz zuständigen Bischofsvikar Dr. Helmut Prader, welcher auch für die Abwicklung des Fragebogens zuständig war – also unser Mann.
Das hat der Papst nicht gefragt
Wir treffen einander vorm Dom, wobei ich Prader schon vom Herrenplatz aus sehen kann. Der stattliche Priester wirkt schon rein äußerlich standhaft, ein Eindruck, der sich auch im Hinblick auf seine konsequente Auslegung der gültigen römisch-katholischen Lehre fortzusetzen scheint.
Für den schwachen Rücklauf des Fragebogens hat Prader eine einfache Erklärung parat: „Der Fragebogen war viel zu kompliziert. Er war an Spezialisten gerichtet.“ Kurzum, die breite Basis sei gar nicht der direkte Ansprechpartner gewesen. Wenn man das sperrige und mit Fachtermini gespickte Originalkonvolut liest, klingt das plausibel – keine einzige Frage ist direkt an die Gläubigen gerichtet, sondern scheint eher den Mittlern gestellt, die dem Heiligen Stuhl sozusagen über die „Lage der Nation“ Auskunft geben sollten.
Freilich, der „Beipacktext“ zum sogenannten Vorbereitungsdokument für die Sonderbischofssynode ließ diesbezüglich einen gewissen Deutungsspielraum offen. So heißt es eingangs: „Die 39 Fragen richten sich an die Bischöfe, die ihrerseits gehalten sind, möglichst breit Antworten bis auf die Ebene der Dekanate und Pfarrgemeinden einzuholen.“
Ob sie diese freilich bei den Experten einholen, wie es offensichtlich Diözesen wie St. Pölten verstanden haben, oder direkt – und aktiv – bei den Gläubigen nachfragen, wie es die Diözesen Graz, Linz, Innsbruck, Klagenfurt und Salzburg gemacht haben, darüber gehen die Meinungen auseinander. „Die Grazer haben den Fragebogen vereinfacht und die Fragen ganz stark abgeändert, die mit dem Original nichts mehr zu tun haben. Nur, das war nicht die Intention des Papstes“, ist Prader überzeugt. Er hat eher den Eindruck, „dass manche Kreise halt die Chance nutzen wollten, um Druck auszuüben“, womit er auf die liberalen Strömungen innerhalb der katholischen Kirche anspielt. „Der Papst hat aber nicht gefragt, was wir ändern sollen, sondern er will wissen, wie sich die Situation darstellt und wie wir besser verkünden können.“
Eine Frage des Marketings
Die Lehre als solche stand also gar nicht zur Diskussion, weil sie in Praders Augen schlicht außer Frage steht. „Ich kann ja nicht die Bibel, das verkündete Wort umschreiben. Es heißt etwa in Bezug auf die Ehe: ‚Was Gott verbunden, das darf der Mensch nicht trennen.‘ Das finden wir an fünf, sechs Stellen in der Bibel. Jesus Christus selbst hat die Ehe zum heiligen Sakrament gemacht.“ Kurzum – da gäbe es nichts zu rüttlen.
Wo Prader dahingegen Handlungsbedarf ortet, ist die Frage der Vermittlung. „Wenn Sie es mit der Wirtschaft vergleichen möchten: Wir haben zwar ein Spitzenprodukt, das richtig, wahr, gut und schön ist, aber wir haben ein miserables Marketing!“ Die Vermittlung der Inhalte gehe vielfach an den Menschen vorbei „viele wissen ja gar nicht, was wir eigentlich genau meinen bzw. was hinter den jeweiligen Positionen steckt. Wie soll ein Mensch aber etwas richtig leben, das ihm gar nicht bekannt ist.“ Den tiefen Sinn, das müsse man also wieder verständlich machen, nicht die Doktrin an sich in Frage stellen. „Um einen Vergleich zu bringen: Was macht ein Lehrer, wenn die Schüler die Grundrechnungsarten nicht beherrschen – wird er die Grundrechnungsarten an sich in Frage stellen und verwerfen, oder wird er versuchen, andere Methoden der Vermittlung zu finden, damit sie die Schüler nachvollziehen können?“
Wobei er den Vergleich mit Schülern nicht falsch verstanden wissen möchte. „Das war lange das Problem der Kirche, dass wir den Gläubigen – mündigen, erwachsenen Menschen – zu wenig zugetraut haben, die Hintergründe zu erfassen, und diese deshalb oftmals gar nicht vermittelt haben.“ Dies müsse sich ändern „wobei wir niemandem etwas aufzwingen möchten, sondern es geht um die freie Entscheidung des einzelnen Gläubigen, der es aus Überzeugung tut.“
Bleibt ein solches Ansinnen angesichts der – auch durch den Fragebogen zutage geförderten – Diskrepanz zwischen den konservativen Positionen der römisch-katholischen Lehre einerseits und der liberaleren Lebenseinstellung der Gläubigen andererseits nicht ein frommer Wunsch?
Prader schüttelt energisch den Kopf. „Ich bin voller Zuversicht, dass uns dies gelingen wird, und werde diesbezüglich auch keine Abstriche machen, weil ich in der Praxis sehe, dass es funktioniert und Früchte trägt. Ein Leben im christlichen Sinne macht die Menschen, macht Eheleute und Familien glücklicher, hilft ihnen auf ihrem Lebensweg, erfüllt sie.“
Eines steht fest: Wer im Fragebogen als solchem – wie manch Medien und liberale Kirchenkreise – schon ein Rütteln an Doktrinen zu Themen wie Wiederverheiratung, Kommunion für Geschiedene, Homosexualität, künstliche Befruchtung, Empfängnisverhütung, vorehelichen Geschlechtsverkehr etc. erwartet hat, könnte enttäuscht werden.
Wie der Papst den Fragebogen aber tatsächlich gemeint hat – ob nun als Einladung zur Meinungsäußerung oder als reine Erhebung des Status Quo – wird wohl spätestens die diesjährige Sonderbischofssynode zum Thema „Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Rahmen der Evangelisierung“ zutage fördern.
Bis dahin bleibt die jeweilige Auslegung eine Glaubensfrage, die nicht zuletzt auch den Riss innerhalb der römisch-katholischen Kirche Österreichs zwischen liberalen und konservativen Strömungen und Diözesen offenlegt. ZUR PERSON
Dr. Helmut Prader studierte u. a. am Johannes Paul II Institut für Ehe und Familie in Rom. Er ist Pfarrer von Neuhofen/Ybbs, Diözesanrichter in St. Pölten sowie Lehrbeauftragter für „Moraltheologie“ und Dozent für die Dozentur „Ehe und Familie“ an der Hochschule Heiligenkreuz. Von Bischof Klaus Küng wurde er 2011 zum Bischofsvikar für Ehe, Familie und Lebensschutz bestellt.