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St. Pöltner


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St. Pöltens gute Seite

St. Pöltner

Text Johannes Reichl
Ausgabe 11/2013

Am treffendsten hat es noch immer Historiker Christoph Lind auf den Punkt gebracht, als er für den Titel seines ersten Buches über die jüdische Gemeinde St. Pöltens ein Zitat des vertriebenen Zwi Gol wählte: „Es gab so nette Leute dort.“ Vor 1938 zählt die Kultusgemeinde St. Pölten über 800 Mitglieder, davon lebten alleine in St. Pölten rund 400. Heute leben noch zwei Juden in St. Pölten!

Nach fast 200 Jahren Ansiedlungsverbot für Juden in Niederösterreich brachte die Revolution 1848 wieder freie Niederlassung. Vor allem aus Mähren, Böhmen und Westungarn zogen Juden nach St. Pölten. Bereits 1851 richteten sie einen Betraum ein, 1859 erwarben sie den Friedhof am Pernerstorferplatz, der heute nur mehr als Grünfläche existiert. Seit 1906 werden die Toten auf dem Friedhof in der Karlstettner Straße 3 begraben. Die offizielle Gründung der Israelitischen Kultusgemeinde, welche sich von Traismauer bis St. Aegyd, von Krummnußbaum bis Hadersdorf-Weidlingau erstreckte, erfolgte 1863. Damals zählte sie ca. 300 Mitglieder. Aufgrund der stetig wachsenden Gemeinde wurde mit der Zeit der Betraum zu klein, weshalb 1907 ein Tempelbauverein gegründet wurde. Am 17. August 1913 konnte schließlich die Kaiser Franz Joseph Synagoge ihrer Bestimmung übergeben werden. Bis 1938 war die Zahl der Gemeindemitglieder auf über 800 Personen angewachsen.
Sozialstruktur und Vereinsleben
„Sehen Sie, in ganz St. Pölten gab es 80 jüdische Familien, und wenn man im Theater gerufen hätte: ‚Juden raus!‘, dann wäre das ganze Theater leer gewesen.“ (Zwi Gol)
Die Mitglieder der IKG St. Pölten gehörten größtenteils der Mittelschicht an, sie waren hauptsächlich kleine bis mittlere Kaufleute. Bis auf vier Fabrikanten und zwei größere Geschäftsleute fielen nur die sechs Juristen und fünf Ärzte aus dem durch jahrhundertelange Berufsverbote geprägten Rahmen.
Neben den Aktivitäten in der Synagoge, entfaltete sich reges jüdisches (Vereins)Leben. So bestand seit 1859 eine St. Pöltner Chewra Kadischa (Heilige Gemeinschaft). Diese nahm sich der Sterbebegleitung, der Bestattung der Verstorbenen und der Armenfürsorge an. Auch der 1902 gegründete Frauenwohltätigkeitsverein bezahlte wie die IKG und die Chewra Kadischa in die Armenkasse ein, aus der bedürftige Gemeindemitglieder sowie arme durchreisende Juden unterstützt wurden.
Neben dieser organisierten Wohltätigkeit war die private nicht minder relevant und Beleg für den starken Zusammenhalt der Juden untereinander wie Zwi Gol, vormals Hermann Hahn, aufsührt: „Es gab in St. Pölten keine armen Juden. Die Armen, die sich als solche deklariert haben, für die tat man alles [...].“
1904 gründete Rabbiner Adolf Schächter den Jüdischen Literaturverein, der u. a. Vortragsabende mit bekannten Schriftstellern veranstaltete und Beweis für das aktive kulturelle Leben der Gemeinde war.
Ab Beginn der 1920er Jahre begann der „Bund Zionistischer Jungwanderer“ jüdischen Kindern und Jugendlichen zionistische Ideologie zu vermitteln und die Auswanderung nach Erez Israel, dem damaligen Palästina, zu propagieren. Eine intensive zionistische Tätigkeit in St. Pölten entfaltete sich aber erst ab 1928 unter dem Einfluss des Wiener »Brith Trumpeldor« (Betar), der Jugendorganisation der Rechtszionisten.
1921 wurde, nachdem jüdische Kinder in St. Pöltner Sportvereinen Opfer antisemitischer Angriffe geworden waren, der Turnverein Makkabi gegründet, wobei es nicht immer nur um sportliche Ziele ging, wie sich Zwi Gol erinnert: „Das Schwimmbad in St. Pölten, zu dem hat auch eine kleine Sportecke gehört. Und die Burschen vom Christlich-Deutschen Turnverein, das waren schon alles richtige Nazis, haben dort geturnt. Wir gingen rundherum und sahen, daß der Turnverein mit dem Weitspringen anfing. Wir fragten sie, ob wir springen durften, und jemand von uns sprang zwei Meter über der Höchstleistung. Sie kochten. Sie hatten ja gelernt, daß Juden feig und untüchtig sind, und jetzt sprang ein Jude zwei Meter weiter als sie.“
Im Jänner 1935 gründeten ehemalige jüdische Weltkriegssoldaten den Bund Jüdischer Frontsoldaten. Sein Ziel war die Abwehr des Antisemitismus und die Verteidigung der jüdischen Ehre. Die Leistungen der jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg wurden besonders betont. Im April 1937 wurde zudem eine Frauengruppe gegründet.
NS-Zeit
“Der Hitler ist an unserem Haus vorbeigezogen mit dem Auto, und am Riemerplatz stand das Volk und brüllte den ganzen Tag ‚Ein Volk, ein Reich, ein Führer‘. Wir haben halt die Fenster fest zugemacht.“ (Olga Willner)
Am Abend des 11. März 1938 strömte eine Menschenmenge am Rathausplatz zusammen. Unter »Sieg Heil«-Rufen wurden am Rathausturm zuerst eine kleine und schließlich eine große Hakenkreuzfahne gehisst. Die St. Pöltner Zeitung wurde am 14. März als nationalsozialistisches Parteiblatt »im Sinne der neuen Zeit« weitergeführt. Sie berichtete höhnisch von privaten Überfällen auf Julius und Jakob Körner und Ernst Schulhof. Mitglieder der St. Pöltner SS drangen in die Wohnungen von Julius und Hilde Frischmann, Betty Frischmann, Hermann Schwarz sowie Ernst und Rosa Schulhof ein und raubten Schmuck, Geld und Wertgegenstände.
Die Entrechtung der Juden erfolgte Schlag auf Schlag: Am 20. Mai 1938 wurden die »Nürnberger Rassengesetze« eingeführt, die jeden zum Volljuden erklärten, der drei jüdische Großeltern hatte. Juden wurde der Beamtenstatus und die Befugnis zum Rechtsanwalt entzogen. Am 23. Juli 1938 verordnete der Reichsminister für Inneres die Kennkartenpflicht, für Juden versehen mit einem großen »J«. In alle Dokumente musste der Zusatzname »Sara« oder »Israel« eingetragen werden. Juden wurden systematisch aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt. Bei Zuwiderhandlung drohte die Verschickung in das KZ Dachau.
Der größte Teil der jüdischen St. Pöltner verlor seine Existenzgrundlage. Um den in Not geratenen Menschen zu helfen, richtete die Kultusgemeinde das „Referat für Fürsorge und Auswanderung“ ein, das den Emigranten die notwendigen Bestätigungen ausstellte und versuchte, sie auch finanziell zu unterstützen. Karton 3 des Stadtarchivs St. Pölten enthält rund fünfzig Ansuchen um Unterstützung. Die meisten der verarmten Juden brachten das Geld für die Flucht allerdings nicht auf und wurden deportiert und ermordet.
Höhepunkt der Stigmatisierung war die Verordnung vom 1. September 1941, den gelben Stern außen sichtbar an der Kleidung zu tragen. Zu dieser Zeit waren die St. Pöltner Juden schon nach Wien zwangsübersiedelt, die IKG St. Pölten aufgelöst. In der Sitzung des Stadtrates am 17. Oktober 1941 verkündete Oberbürgermeister Emmo Langer, dass St. Pölten nun nicht nur „judenfrei“, sondern auch „zigeunerfrei“ sei.
Novemberpogrom
„Mitten in einer deutschen Stadt – und das ist doch Sankt Pölten, oder nicht? – erhebt sich da ein morgenländisches Gebäude, krause Schriftzeichen ‚zieren‘ seine Vorderfront und ein Stern erhebt sich auf der Kuppel, den wir in unserem Himmel gerne entbehren. Wenn dieser Bau einmal ohne Sinn und Zweck dasteht, und das wird er bald (es ist klar, hier ist die Ostmark beispielgebend), dann wird er einem ‚repräsentativen‘ Gebäude Platz machen!? Ist es uns gelungen, das Geschäftsleben in unserer Stadt von Fremden zu säubern, so müssen auch die äußeren Erscheinungen folgen.“
Diese unverhohlene Aufforderung zur Zerstörung der St. Pöltner Synagoge schrieb der St. Pöltner Anzeiger bereits am 5. November 1938. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 drangen mehrere Personen, wahrscheinlich Angehörige von SA und SS, in das Kantorhaus neben der Synagoge ein, legten Feuer und zerschlugen die Fensterscheiben.
Am Vormittag des 10. November versammelten sich vor dem Haus rund 300 bis 400 Personen, unter ihnen Angehörige von SA, SS, HJ, Reichsarbeitsdienst sowie St. Pöltner Schüler unter Führung ihrer Lehrer.  Das Innere der Synagoge wurde unter dem Absingen politischer Lieder vollständig zerstört. Die Fenster wurden eingeschlagen, die Inneneinrichtung und die Thorarollen verbrannt, Wasserleitungsrohre, Beleuchtungskörper und Türpfosten aus den Wänden gerissen. Bücher und Akten wurden auf die Straße geworfen, mit Benzin übergossen und unter Bravo-Rufen verbrannt. Selbst der Davidstern auf der Kuppel wurde demontiert. Der Sicherheitsdienst berichtete: „Die Aktionen gegen die Juden werden von der Bevölkerung durchwegs mit Zustimmung aufgenommen.“
In der Stadt und ihrer Umgebung wurden 137 Juden im Alter zwischen 18 und 60 Jahren verhaftet, unter ihnen die Brüder Rudolf und Hermann Gelb. Sie wurden nach Wien und viele von ihnen in das KZ Dachau verbracht. Paradoxerweise rettete die Haft in Dachau vielen das Leben, denn sie wurden unter Vorlage eines Visums und der Auflage entlassen, bis Jahresende auszureisen.
Deportation und Vernichtung
„Die Ankunft in Auschwitz-Birkenau war ein Schock, von dem wir uns lange nicht erholten. Die tägliche Routine war verheerend, mit stundenlangen Appellen, Abzählen, Strafestehen. Nach ungefähr einer Woche wurden Transporte zusammengestellt, nach gewissen Berufen eingeteilt, Tischler, Schlosser, Schweißer, Metallarbeiter – so wurde ich mit einer Gruppe von diesen Facharbeitern in das KZ Gleiwitz I transportiert, wo wir sofort zur Ausbesserungsarbeit an Frachtwaggons eingesetzt wurden. Rückblickend auf die ersten Tage in einem solchen ›Arbeitslager‹, geleitet von zwei bestialischen und heimtückischen SS Leuten – da war viel Verzweiflung, viel Schläge, besonders für die, die sich nicht sofort so gut zu schwerer körperlicher Arbeit anstellen konnten. Die waren nur da, uns zu demütigen, uns herabzusetzen, zu schinden und schikanieren. So manche brachen zusammen, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch fertiggemacht.“ (Ernst Wulkan)
Oft ist der Eintrag auf einer Deportationsliste das letzte Zeugnis vom Schicksal eines Menschen. Über sein Leiden und Sterben im Ghetto oder Lager gibt es nur selten konkrete Nachrichten. Der Großteil der österreichischen Juden wurde zwischen Frühjahr 1941 und Herbst 1942 deportiert. Die Transporte vom Herbst 1939 nach Nisko am San und des Jahres 1944 nach Theresienstadt und Auschwitz markieren Anfang und Ende der Ermordung von 369 St. Pöltner Juden.
Nur wenige Menschen kehrten aus den Konzentrationslagern zurück. Leo Holzer, Elly Kohn und Valerie Nagl überlebten Theresienstadt. Oskar Groß war ab Mai 1944 in Auschwitz inhaftiert. Im Februar 1945 gelang ihm aus dem KZ Groß-Rosen, Außenkommando Wüstegiersdorf, die Flucht und er konnte sich bis Kriegsende verstecken.
Kurt Sauerquell aus der St. Pöltner Familie Hoffmann war einer der nur 18 Überlebenden eines Transports von 1200 Deportierten nach Riga. Seine Mutter wurde sofort bei der Ankunft erschossen. Er überlebte die Konzentrationslager Kaiserwald, Stutthof und Buchenwald.
Ernst Wulkan und Walter Fantl Brumlik wurden über Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und kehrten aus dem Außenlager Gleiwitz I zurück. Herta und Leopoldine Maurer waren in Theresienstadt inhaftiert und starben 1946 bzw. 1947, nur knapp über dreißig Jahre alt, an den Spätfolgen der Lagerhaft.
Überleben als U-Boot

„Zweieinhalb Jahre war ich allerweil eing’sperrt, auch die Lebensmittelversorgung war schwer, aber das wär ja noch nicht das Ärgste g’wesen. Die Angst, man hat ja unter ständiger Angst gelebt. Ich bin oft in der Nacht wach geworden, in Schweiß gebadet, da hat mir geträumt, ich höre Militärstiefel. Man hat ja auch nicht gewußt, wie es ausgehen wird. Ich hab g’sagt, der Tag, an dem die siegen, das wär der Tag g’wesen, wo ich mich umbringen hätt’ müssen. Ich hätt’ ja nicht ewig versteckt sein können.“ (Wera Heilpern)
Im Jahr 1923 nahmen Wenzel und Maria Jindra aus Viehofen die acht Monate alte Wera, uneheliches Kind jüdischer Eltern, als Pflegekind auf. Das Mädchen wuchs wie die anderen Kinder der Familie auf, nur dass sie neben dem katholischen auch den jüdischen Religionsunterricht besuchte. 1933 wurde sie plötzlich von vier leiblichen Tanten weggeholt und hatte nur noch heimlich mit ihrer Pflegefamilie Kontakt.
Nach dem „Anschluss“ wurde Wera Heilpern zum jüdischen Arbeitsdienst nach Deutschland verpflichtet. Die unmenschlichen Bedingungen und die ständig drohende Deportation trieben einige ihrer Leidensgenossinnen in den Wahnsinn. Am 17. September 1942 wurde auch Heilpern von der Gestapo zum Transport nach Wien angefordert. Als der Zug in St. Pölten hielt, sprang sie aus dem Waggon, riss sich den gelben Stern vom Kleid und ging nach Viehofen, um sich von ihrer Pflegefamilie zu verabschieden.
Doch diese ließ sie nicht mehr weggehen, sondern versteckte sie am Dachboden, tagsüber oft stundenlang im Bett. Nur im Dunkeln konnte die Jugendliche ins Freie, und während der Bombenangriffe musste sie im Haus bleiben. Als ihre Pflegemutter am 1. September 1944 starb, wurde Wera noch in derselben Nacht vom ältesten Sohn Franz abgeholt und bis zum Ende der Kondolenzbesuche am Dachboden seines Hauses in Wagram versteckt.
Auch Anna Reiß und ihre Tochter Johanna Glaser überlebten als U-Boote drei Jahre bei der Familie Straßmayer in Nadelbach. Friedrich Wellisch und Oskar Graf wurden von Freundinnen versteckt.
Überleben in Misch-Ehe

„Zittert hat man allweil, net, da sind allweil die Gerüchte kommen, jetzt kommen wir auch dran.“ (Otto Wellisch)
Einige Juden überlebten vorort. Jüdische Elternteile eines „Mischlings“ sowie kinderlose jüdische Ehefrauen in aufrechter Mischehe wurden großteils nicht deportiert. Auch jüdische Ehemänner von „arischen“ Frauen genossen mehr Schutz. Insgesamt überlebten so sieben St. Pöltner Juden in ihrer Heimatstadt oder in Wien in geschützter Mischehe: Melanie Benedikt, Rudolf Bondy, Anna Mattes, geb. Gelb, Ernestine Jeschko, Alfred Kirchenberger, Else Maurer und Otto Wellisch.
Als Otto Wellisch im Jahr 1937 seine nichtjüdische Frau Maria heiratete, fragte der Standesbeamte die Braut: „In dieser Zeit tun Sie noch einen Juden heiraten?“ Nach dem Novemberpogrom wurde Wellisch verhaftet und zehn Tage in Wien gefangen gehalten und misshandelt. Seine nichtjüdischen „Spezln“ – obwohl Nationalsozialisten – und seine Ehefrau bewahrten ihn vor der Deportation. Während des Krieges war Wellisch Zwangsarbeiter in Eisenerz. Seine Frau musste an ihrer Wohnungstür in Wien einen „Judenstern“ anbringen, in allen Ausweisen stand „Gatte Jude“ und der Luftschutzwart ließ sie nicht in den Luftschutzkeller.
Anna Mattes wiederum, die Tochter von Wilhelm und Mathilde Gelb aus Ratzersdorf, war durch ihre Ehe mit dem Nichtjuden Johann Mattes geschützt. Mattes arbeitete zuerst bei Bauern, dann in einem Rüstungsbetrieb. Der Leiter, obwohl Nazi, schützte sie vor Übergriffen. Die Deportation drohte, als sie von einer ehemaligen Schulfreundin denunziert wurde, weil sie den gelben Stern nicht trug. Doch der Gendarm verwarnte Anna nur und leitete die Anzeige nicht weiter. Ihre Tochter Hilde arbeitete späterhin ebenfalls in der Fabrik: „Im Großen und Ganzen hab ich einerseits normal gelebt, aber natürlich mit vielen Schwierigkeiten, net in die Schul gehen dürfen, nix lernen dürfen, na und die anderen G’schichten, daß amal ein Erntedankfest gwesen ist und ich auch dort gwesen bin und der HJ-Führer g’schrien hat: ‚Das Judenmädl soll sofort den Platz verlassen!‘ Darauf ist sein Vorgesetzter, der oberste HJ-Führer, zu mir kommen und hat g’sagt: ‚Kumm her, jetzt tanz i mit dir.‘ Und ich hab gsagt: ‚Sag, bist du deppert, du kannst doch net mit mir tanzen.‘ Sagt er: ‚I kann!‘“
Nach dem Krieg
„Sachwerte kann man ersetzen. Aber bei uns sind die Leute umgebracht worden, die kann man nicht mehr ersetzen.“ (Stella Morgenstern)
„Julius und Adele Körner werden aufgefordert, vor dem gefertigten Gerichte zu erscheinen oder auf andere Weise von sich Nachricht zu geben.“ Solche makabren Aufrufe erließ ordnungsgemäß das St. Pöltner Amtsblatt nach Kriegsende, um das Verfahren zur Todeserklärung von verschollenen Juden einleiten zu können. Julius und Adele Körner waren am 19. Mai 1942 wahrscheinlich nach Minsk deportiert worden.
Am 14. November 1945 ordnete die Landeshauptmannschaft Niederösterreich die Erfassung „arisierter“ und entzogener Vermögen an. Die neuen Besitzer waren verpflichtet, diese anzumelden. Die Überlebenden oder deren Erben erhielten ihr Eigentum zurück oder schlossen mit den „Ariseuren“ Vergleiche ab. Viele geflohene Juden waren allerdings nicht bereit, nach St. Pölten zurückzukehren, und verkauften den Besitz. Bis zum Ende des Jahres 1948 waren die meisten Häuser rückgestellt.
Mit den Rückstellungen war zynischerweise Dr. Leo Schinnerl betraut, der während der NS-Zeit noch Sachbearbeiter für die „Liegenschaftsentjudung“ gewesen war.
Nach dem Krieg kehrten nur die Familien Allina, Kohn und Morgenstern nach St. Pölten zurück. Insgesamt waren während der Shoah 369 jüdische Mitbürger ermordet worden. Die St. Pöltner Gemeinde war gänzlich ausgelöscht. Heute leben noch zwei Juden in St. Pölten ...