MFG - Vom Streiten
Vom Streiten


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Vom Streiten

Text Johannes Reichl
Ausgabe 06/2021
"Es wird immer schräger und asozialer. Für mich handelt es sich bei dieser Initiative um eine Gruppe abgehobener Selbstgerechter.“ Also sprach ein St. Pöltner Nationalrat und brach damit den Stab über eine Gruppe von mittlerweile über 600 Unterstützern, welche es gewagt hatte, anderer Meinung zu sein und gegen ein geplantes Fußballprojekt am Kremserberg mobil zu machen, von dem sie aus den Medien erfahren hatten. Nun geht es hier gar nicht darum, ob dieser Protest gerechtfertigt ist oder nicht, ob das Projekt dort Sinn macht oder anderswo besser aufgehoben wäre – das wird hoffentlich im Zuge eines seriösen Prozesses, der alle Möglichkeiten, Alternativen und Gegebenheiten ergebnisoffen berücksichtigt, eruiert.
Es geht vielmehr um ein allgemein grassierendes Phänomen: Die Leute können – und vor allem wollen – nicht mehr miteinander reden. Man will sich nicht mehr mit dem Gegenüber auseinandersetzen, seinen Standpunkt (zumindest) anhören, sich austauschen, sondern man will einfach nur recht haben. Jede Gegenstimme wird geradezu als persönlicher Affront begriffen, ihr Überbringer als Störenfried, der mundtot gemacht gehört.
Corona hat dieses schon zuvor beobachtbare Übel weiter verschärft. Mittlerweile ist ein schriller, ja geradezu hysterischer Kampf um DIE Wahrheit ausgebrochen.Jeder kleinste Huster wird zur Glaubensfrage hochstilisiert. Es gibt nur mehr schwarz oder weiß, Freund oder Feind, Covidiot oder Schlafschaf. Frei nach George W. Busch: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.“
Um mich nicht falsch zu verstehen. Ich oute mich hier keinesfalls als harmoniesüchtiger Kuschelapostel. Ganz im Gegenteil, ich halte es da ganz mit Helmut Schmidt: „Demokratie braucht Streit.“ Aber es geht darum, WIE wir miteinander (!) streiten, um die Streitkultur, und wie wir am Ende des Tages auseinandergehen. Nämlich mit Respekt voreinander.
Was aktuell on- und offline abläuft, hat mit Streit in diesem diskursiven Sinn oft nichts mehr zu tun, sondern ist reine Demonstration im Einbahnmodus. Es gibt nicht Rede und Widerrede, sondern nur eine Meinung, und zwar die eigene. Gegenargumente interessieren erst gar nicht. Was an Echo kommt, ist unerwünscht (es sei denn es hebt mich in Form von Zustimmung als „Wissenden“, als „Besseren“, als „Erleuchteten“ aufs Podest) und wird sofort durch den Fleischwolf der eigenen Wahrnehmungsverzerrungsmaschine gedreht. Denn alles muss meinem Weltbild passend gemacht werden, auch wenn es vielleicht noch so unpassend und falsch ist.
Warum halten wir andere Meinungen nicht mehr aus? Geht es um Sieger und Verlierer? Und wenn man auf keinen gemeinsamen Nenner kommt, auch okay, dann geht man eben sportlich auseinander und ist sich einig, dass man sich nicht einig wird. Deswegen muss ich den anderen nicht gleich für einen Idioten halten, sondern wir können trotzdem auf ein Bier gehen. Und vielleicht kommen wir im weiteren Gespräch sogar drauf, dass wir in vielen Dingen mehr Gemeinsamkeiten haben als wir denken: Dass uns vielleicht die Sorge um die Zukunft unserer Kinder umtreibt, die Angst um unsere Gesundheit, die Furcht vor sozialem Abstieg, das Unbehagen gegenüber einer Welt, die immer komplizierter wird. Und vielleicht stellt sich irgendwann im Dialog sogar ein schönes, ja verbindendes Gefühl ein: He, der andere ist auch nur ein Mensch – wie ich!
Und kein Mensch hat Anlass selbstgerecht zu sein. Denn selbstgerecht ist der, der die Gerechtigkeit als persönliches Monopol betrachtet und sich daher von vornherein jeder tieferen Auseinandersetzung mit der Meinung des anderen entzieht und stattdessen vorsorglich gleich mal mit dem Vorschlaghammer draufhaut. Ein ziemlich ungerechter Akt, der vor allem nicht zur Lösung, sondern in der Regel eher zur weiteren Verhärtung der Fronten führt. Also, lasst uns endlich wieder miteinander reden, wenns sein muss auch streiten – aber bitte richtig.