Im Schmollwinkel
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Plaudert man mit altgedienten Genossen über den Zustand ihrer Partei, dann fällt nicht selten das Wort „leidgeprüft“ – nicht etwa erst seit dem Debakel bei der NÖ Landtagswahl, sondern als Ausdruck chronischen Unbehagens seit mehreren Jahren, und man fragt sich: Was ist da los? Tatsächlich scheint die Bundes-SPÖ, seit sie bei den Nationalratswahlen 2017 auf die Oppositionsbank verbannt wurde, nicht mehr in die Spur zu finden und taumelt durch den Politalltag bisweilen wie ein orientierungsloser Teenager mit zornig-schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck. Noch immer haben die Roten die rote Karte den Wählern, vor allem aber dem Ex-Koalitionspartner ÖVP nicht verziehen – noch heute etwa geht eine beliebte Erzählung so, dass an allem eigentlich der böse Juniorpartner schuld gewesen sei, weil die Schwarzen in der Koalition alle guten Ideen torpediert hätten. Dumm nur, dass man selbst jahrzehntelang stimmenstärkste Partei war und den Kanzler stellte. Aus dem Blickwinkel überraschte auch die erste Reaktion des mittlerweile Ex-Parteiobmanns von Niederösterreich nicht – wenngleich sie Beleg einer veritablen Wahrnehmungsstörung ist – der das eigene Wahlergebnis zwar als „durchwachsen“ bezeichnete, aber zugleich frohlockte, dass man immerhin die Absolute der ÖVP gebrochen hat. Nur, die SPÖ hat dazu genau gar nichts beigetragen, sondern das Kunststück zusammengebracht, alle aufgelegten Elfer zu versieben und sogar selbst Stimmen zu verlieren.
Der größte Feind der altehrwürdigen und geschichtsträchtigen SPÖ ist auch nicht der böse Zeitgeist, wie manche Genossen klagen, sondern aktuell die Partei selbst. Es grenzt etwa an politisches Harakiri, dass man im Jahr vor der Nationalratswahl nach wie vor die leidige Obfrau/Obmann-Debatte nicht vom Tisch hat. Man kann noch so viele Ideen, Lösungsansätze und Konzepte aus dem Hut zaubern, sie werden wie bislang allesamt unter der mutierten Gretchenfrage „Genosse, wie hältst du‘s mit Pamela“ untergehen. Und daran sind nicht die bösen Medien schuld, die zugegeben penetrant nachfragen, sondern die innerparteilichen Zündler, die das Thema schön am Lodern halten – wenngleich nicht ganz ersichtlich ist, zu wessen Vorteil. Jenem der eigenen Partei bestimmt nicht.
Der zweite Kardinalfehler betraf die Rolle im Untersuchungsausschuss. Nicht nur, dass man sich als einfacher Bürger fragt, wie aus einem ursprünglichen FPÖ-Ibiza-Ausschuss ein reiner „ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss“ werden konnte, so dass die FPÖ knapp vier Jahre nach dem Sündenfall im NÖ Wahlkampf kokett „saubere Politik“ auf ihre Wahlplakate pflastert, hat sich die SPÖ in ihrem Fetisch, der ÖVP am Zeug zu flicken, völlig verrannt. Keine Frage: Aufklärung ist wichtig – gerade in der Politik nicht nur die strafrechtliche, sondern auch die moralische – aber ein Gespür für Relationen und Stil sind es nicht minder. Wenn man etwa wenige Tage vor der Landtagswahl hektisch versucht, Munition gegen die Media Contacta und damit die ÖVP zu sammeln, dann ist die politische Energie schlichtweg fehlgeleitet. Denn die sollte zu diesem Zeitpunkt ausschließlich in die Lösung von Problemen, die für die Menschen wirklich wichtig sind, gesteckt werden. Mag ja sein, dass für manche das Verbeißen im vermeintlichen Gegner eine lustvolle Form von Selbstverwirklichung darstellt – nur, Politik ist kein Spielplatz zur privaten Ego-Befriedigung, sondern Gestaltungsraum der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dies ins Stammbuch aller Vertreter der Zunft.
Warum ich Ihnen das alles erzähle? „Ist doch mir egal, was mit der SPÖ los ist“, könnten Sie einwerfen. Nun, angesichts des Wiedererstarkens radikaler Populisten, Scharfmacher und Spalter in diesem Land scheinen mir die großen alten Volksparteien geforderter denn je, endlich wieder ihrem Selbstverständnis als konstruktive, staatstragende Kräfte – über parteipolitisches Hickhack hinweg – gerecht zu werden und dagegen zu halten. Also liebe Genossinnen und Genossen – hört die Signale und kommt endlich raus aus eurem Schmollwinkel!